Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 123



109 II 123

30. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Juli 1983 i.S.
Galerie Fischer gegen Kamm (Berufung) Regeste

    Art. 230 Abs. 1 OR.

    Wer den Steigerungswettbewerb erheblich verfälscht, wirkt gegen die
guten Sitten auf den Erfolg der Versteigerung ein (E. 2).

    Der Einlieferer des Steigerungsgegenstandes durfte unter den gegebenen
Umständen nicht mitbieten, da die übrigen Steigerungsteilnehmer mit dieser
Möglichkeit nicht rechnen mussten (E. 3); Frage des Kausalzusammenhangs
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- In einer öffentlichen Versteigerung, welche die Galerie Fischer
Kommanditgesellschaft im Auftrag von Johannes Kempf durchführte, erwarb
Fritz Kamm Helvetica (Kunstwerke auf Papier mit schweizerischen Motiven).

    In der Folge erhob er gegen die Galerie Fischer Anfechtungsklage
mit dem Begehren, die Zuschläge an ihn aufzuheben. Johannes Kempf
habe in rechtswidriger oder gegen die guten Sitten verstossender
Weise auf die Versteigerung eingewirkt, indem er als Eigentümer der
Steigerungsgegenstände mitgeboten habe. Der Präsident I des Amtsgerichts
Luzern-Stadt wies die Anfechtungsklage ab; das Obergericht des Kantons
Luzern dagegen hiess sie auf Rekurs des Klägers hin am 29. November 1982
gut und hob die Zuschläge an ihn auf, soweit sie nicht durch Klagerückzug
gegenstandslos geworden waren.

    Die Beklagte hat Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts aufzuheben und festzustellen, dass die Zuschläge an den
Kläger rechtsgültig zustande gekommen seien. Das Bundesgericht weist die
Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht geht davon aus, ein Zuschlag an den Eigentümer
der zu versteigernden Sache sei im Sinne von Art. 20 Abs. 1 OR rechtlich
unmöglich, weil niemand seine eigene Sache erwerben könne. Folglich
wirke der Eigentümer rechtswidrig auf den Erfolg der Versteigerung ein,
wenn er mitbiete. Die Beklagte hält die vorinstanzliche Begründung des
Urteils für unvereinbar mit Art. 230 Abs. 1 OR.

    a) Widerrechtlich ist eine Handlung dann, wenn sie gegen geschriebene
oder ungeschriebene Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst,
die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen (BGE 107 Ib 7 E. 2,
95 III 91 E. c, 93 II 183 E. 9 mit Hinweisen). Weder die Vorinstanz noch
der Kläger vermögen eine Norm des eidgenössischen oder des luzernischen
Rechts zu nennen, nach der es dem Eigentümer der zu versteigernden Sache
versagt ist, mitzubieten. Selbst wenn sodann mit der Vorinstanz angenommen
wird, ein Zuschlag an den Eigentümer sei rechtlich unmöglich, macht das
sein Mitbieten nicht schon widerrechtlich, zumal wenn damit ein Erwerb
der Sache gar nicht beabsichtigt ist. Ausserdem unterscheidet Art. 20
Abs. 1 OR, der die Nichtigkeit eines Vertrages regelt, klar zwischen der
Unmöglichkeit und der Widerrechtlichkeit einer Leistung, so dass es auch
deswegen unzulässig ist, vom einen unbesehen auf das andere zu schliessen.

    Die Widerrechtlichkeit des Verhaltens von Johannes Kempf lässt
sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht damit begründen, es erfülle
den Tatbestand des Betrugs (Art. 148 StGB). Die Argumentation verläuft
gerade in umgekehrter Richtung: Erst wenn feststeht, dass Kempfs Verhalten
zivilrechtlich unerlaubt ist, kann man prüfen, ob es überdies einen Betrug
darstellt. Die strafrechtliche Frage ist insoweit akzessorischer Natur
(vgl. analog für den Insidermissbrauch: SCHUBARTH, in SJZ 1979, S. 189).

    Offensichtlich unhaltbar ist die Behauptung des Klägers, er sei
übervorteilt worden (Art. 21 OR); weder befand er sich in einer Notlage
noch wurde er Opfer seiner Unerfahrenheit oder seines Leichtsinns.

    b) Ist die Rechtswidrigkeit zu verneinen, so bleibt zu prüfen, ob das
Mitbieten Kempfs gegen die guten Sitten verstossen hat (Art. 230 Abs. 1
OR). Nach der früheren Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ist ein
Verhalten dann sittenwidrig, wenn es den Zweck der Versteigerung, d.h.
den Verkauf des Objekts zu seinem wahren Preis, vereitelt (BGE 82 II 23,
51 II 18, 47 III 134 E. 3, 43 III 92 f., 40 III 337, 39 II 34; COMMENT, in
SJK Nr. 234 S. 6). Was unter einem "wahren" Preis zu verstehen ist, liegt
indes nicht auf der Hand; Preise ändern sich je nach dem Markt, auf dem sie
zustande kommen; sie sind abhängig von Angebot und Nachfrage. Den "wahren"
im Sinne eines allgemeingültigen Preises dürfte es nicht geben, weil
allein schon die Kriterien fehlen, um ihn zu bestimmen. Unproblematischer
erscheint die andere in der Literatur vertretene Ansicht, die Versteigerung
bezwecke, einen möglichst hohen Preis zu erzielen (OSER/SCHÖNENBERGER,
N. 1 der Vorbemerkungen zu Art. 229 bis 236 OR). Sie trägt dem Umstand
besser Rechnung, dass an jeder Versteigerung unabsehbare Zufälligkeiten
die Preisbildung beeinflussen. Dagegen umschreibt sie den Zweck
ausschliesslich vom Standpunkt des Versteigerers oder Einlieferers aus,
trifft insofern auf jeden Kaufvertrag zu und übergeht die Interessen
des Käufers. Ob sie damit der Natur der Versteigerung angepasst ist,
mag offen bleiben. Der Preis erscheint auf jeden Fall marktabhängig,
und der Versteigerungszweck kann nicht ausserhalb der Bedingungen der
jeweiligen konkreten Versteigerung liegen. Zu ihnen gehört, wie Doktrin
und ansatzweise auch die Rechtsprechung betonen, der freie und lautere
Wettbewerb (BGE 47 III 134 E. 2; BECKER, N. 2 zu Art. 230 OR; CAVIN,
Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, S. 165; OSER/SCHÖNENBERGER,
N. 2 zu Art. 230 OR; OTTO, in NJW 1979 S. 685).

    Im Unterschied zum Kartellgesetz und zum Gesetz über den
unlauteren Wettbewerb sind Lauterkeit und Freiheit des Wettbewerbs
keine völlig verschiedenen Schutzgüter; vielmehr stellen unzulässige
Freiheitsbeschränkungen einen Anwendungsfall unlauteren Wettbewerbs
dar. Das ergibt sich insbesondere aus der Rechtsprechung zum pactum de
non licitando, das den Wettbewerb einschränkt und deswegen unlauter,
d.h. sittenwidrig sein kann. Abgesehen von dieser Besonderheit
schützt Art. 230 Abs. 1 OR analog den beiden zitierten Gesetzen
die Versteigerungsteilnehmer vor einer erheblichen Verfälschung des
Steigerungswettbewerbs. Unzulässig ist es, unlauter, d.h. täuschend
oder sonstwie gegen Treu und Glauben den Wettbewerb zu beeinflussen. Der
Angriff kann sich gegen den Wettbewerb in seinem Bestand oder gegen die
Art und Weise, wie er abläuft, richten. In beiden Fällen verändern sich
jene Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit er unter den konkreten
Umständen funktioniert, und von denen die Versteigerungsteilnehmer
ausgehen, wenn sie Angebot und Nachfrage realistisch beurteilen und daraus
die Schlüsse für ihr eigenes Verhalten ziehen wollen (vgl. SCHLUEP, Über
den Begriff der Wettbewerbsverfälschung, in Festgabe Kummer, Bern 1980,
S. 493, 497 f., 501, 508).

    Wettbewerbsverfälschend ist in der Regel das Versprechen unter
Mitbietenden, gegen Leistung einer Entschädigung vom Bieten Abstand zu
nehmen (pactum de non licitando). Die Rechtsprechung hat es wiederholt als
sittenwidrig bezeichnet (vgl. die oben zitierten Bundesgerichtsentscheide,
ferner BGE 51 III 19, VON TUHR/ESCHER, S. 257). Unlauter und damit
sittenwidrig kann aus dem gleichen Grund die Abrede des Versteigerers mit
einem Bietenden sein, dass ein allfälliger Zuschlag ihn nicht verpflichte,
den Kaufpreis und das Aufgeld zu zahlen (pactum de licitando; vgl. BGE
39 II 33, Becker, N. 2 zu Art. 230 OR; GUHL/MERZ/KUMMER, 7. Aufl. S. 331;
OTTO, aaO, S. 682). Können Personen mitsteigern, die sich im Unterschied
zu den übrigen Bietenden von vornherein durch einen allfälligen Zuschlag
nicht gebunden wissen, unterliegen die Steigerungsteilnehmer nicht zu
rechtfertigenden ungleichen Bedingungen, was dem Wesen einer öffentlichen
Versteigerung zuwiderläuft (BGE 87 I 261). Sind die unterschiedlichen
Bedingungen - etwa ein pactum de licitando - zudem nicht allen Bietenden
bekannt, wird das freie Spiel von Angebot und Nachfrage verfälscht.

Erwägung 3

    3.- Ob das Mitbieten des Einlieferers ähnlich wie das pactum
de licitando eine sittenwidrige Beeinflussung des Wettbewerbs und
damit des Steigerungsresultats bedeutet, hängt nicht zuletzt von
den konkreten Verhältnissen ab. Der von Kempf auf einem Formular der
Beklagten erteilte "Auktionsauftrag" sah ausdrücklich vor, dass der
Auftraggeber, der selbst ein Objekt ersteigert, wie ein Dritter als Käufer
betrachtet werde. Diese Möglichkeit war deshalb der Beklagten, nicht
aber den Steigerungsteilnehmern bekannt, weil die für sie bestimmten
"Auktionsbedingungen" im Katalog nicht auf sie hinwiesen. Dass der
Einlieferer auf das Steigerungsergebnis Einfluss nimmt, ist durchaus
geläufig. Er kann eine Preislimite festsetzen oder die Zustimmung zu
einem Zuschlag vorbehalten (Art. 229 Abs. 3 OR). Im einen wie im andern
Fall handelt es sich um ein offenes Vorgehen, das den Wettbewerb nicht
verfälscht.

    Die Abrede im "Auktionsauftrag", Kempf werde als Käufer
behandelt, stellte ihn in keiner Weise gleich mit andern
Kaufsinteressenten. Unbekümmert darum, ob die Beklagte in seinem Namen
verkaufte oder - was eher zutreffen dürfte - als Kommissionärin im
eigenen Namen handelte, geschah das jedenfalls auf Rechnung Kempfs
(Art. 425 OR). Er riskierte deshalb im ungünstigsten Fall, das für die
Beklagte bestimmte Aufgeld von höchstens 20% bezahlen zu müssen. Darin
liegt ein Unterschied zur Zwangsversteigerung, wo der Einlieferer zwar
mitbieten darf, aber wie jeder andere Teilnehmer den ganzen Zuschlagspreis
bezahlen muss.

    Das Mitbieten Kempfs verfälschte daher den Wettbewerb, indem es zwar
intern vorgesehen, den Steigerungsteilnehmern aber nicht in einer Form
bekannt gemacht wurde, dass jedermann mit dieser Möglichkeit rechnen
musste (vgl. Horst LOCHER, Das Recht der bildenden Kunst, München 1970,
S. 228 ff.; HANS WICHER, Der Versteigerer, Hamburg 1961, S. 151). Bei
einer Versteigerung müssen klare, saubere Verhältnisse herrschen, und
jede Irreführung der Steigerungsteilnehmer ist zu vermeiden (BGE 95 III
24 mit Verweisung). Zwar ist ein Verkäufer im allgemeinen nicht gehalten,
dem Käufer Tatsachen mitzuteilen, welche die Preisbildung durch Angebot
und Nachfrage beeinflussen (VON TUHR/PETER, S. 322). Die Natur einer
öffentlichen Versteigerung in Verbindung mit der Sondernorm von Art. 230
OR verlangt jedoch eine strengere Offenbarungspflicht. Dass im übrigen die
an einer öffentlichen Versteigerung herrschende Anonymität den Nachweis
sittenwidriger Einflussnahme erschwert, gilt auch in andern Fällen und
ist nicht entscheidend.

Erwägung 4

    4.- Der Kläger war nach Ansicht der Beklagten bereit, die Helvetica
selbst dann um jeden Preis zu ersteigern, wenn ihm die Teilnahme Kempfs
an der Versteigerung bekannt gewesen wäre; er habe deshalb keinen Nachteil
aus dem Mitbieten Kempfs erlitten.

    Allein Art. 230 Abs. 1 OR setzt nicht voraus, dass der Zuschlagspreis
ohne die sittenwidrigen Einwirkungen nachweisbar anders ausgefallen wäre;
die Tatsache unlauterer Machenschaften genügt. So führt beispielsweise der
häufig verbotene Ausschank alkoholischer Getränke ungeachtet der Frage, ob
er die Preisbildung beeinflusst hat, zur Aufhebung der Zuschläge. Ebenso
braucht der Anfechtungskläger nicht darzutun, dass er bei Kenntnis
eines Angebots des Einlieferers nicht mehr weitergesteigert hätte
oder dass das letzte Angebot vor dem Zuschlag vom Einlieferer stammt.
Derart strenge Beweisanforderungen wären praktisch oft unerfüllbar und
beschnitten die Wirksamkeit von Art. 230 Abs. 1 OR in einem nicht mehr
zu rechtfertigenden Mass.