Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 III 49



109 III 49

13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. März 1983 i.S. Pan
Impex Consult AG gegen Sentramat AG (Berufung) Regeste

    Einreichung der Aberkennungsklage bei einem unzuständigen Richter;
Nachfrist.

    Tritt der mit einer Aberkennungsklage angerufene Richter wegen
Unzuständigkeit auf die Klage nicht ein, läuft dem Betreibungsschuldner
ab Zustellung des Nichteintretensentscheides ein - der Nachfrist des
Art. 139 OR nachgebildete - neue Klagefrist von zehn Tagen.

Sachverhalt

    A.- Durch Verfügung vom 31. März 1982 erteilte der Einzelrichter
im summarischen Verfahren des Bezirkes Zürich der Pan Impex Consult AG
in der gegen die Sentramat AG eingeleiteten Betreibung (Nr. 6305 des
Betreibungsamtes Zürich 8) provisorische Rechtsöffnung für Fr. 19'000.--
nebst Zins zu 6% seit 15. Dezember 1981. Dieser Entscheid wurde den
Parteien am 20. April 1982 zugestellt.

    Mit der Post am 30. April 1982 übergebener Eingabe an das
Bezirksgericht Zürich reichte die Sentramat AG gegen die Pan Impex Consult
AG eine Aberkennungsklage ein.

    Unter Hinweis auf ein Telefongespräch mit dem Bezirksgericht und
auf eine nochmalige Überprüfung der Rechtslage stellte die Klägerin mit
Eingabe vom 25. Mai 1982 beim Bezirksgericht das Gesuch, es sei das dort
eingeleitete Aberkennungsverfahren im Sinne von § 112 der zürcherischen
Zivilprozessordnung (ZPO) direkt an das für die Beurteilung der Klage
zuständige Handelsgericht des Kantons Zürich zu überweisen.

    Durch Beschluss vom 26. Mai 1982 entschied das Bezirksgericht Zürich
(3. Abteilung), auf die Klage werde wegen fehlender Zuständigkeit nicht
eingetreten; gleichzeitig überwies es die Akten an das Handelsgericht. Der
bezirksgerichtliche Entscheid wurde den Parteien am 14. Juni 1982
zugestellt, und am 18. Juni 1982 gingen die Akten samt Beschluss beim
Handelsgericht ein.

    In einem Vorentscheid vom 28. September 1982 stellte das Handelsgericht
fest, dass die Frist zur Einreichung der Aberkennungsklage eingehalten
worden sei und dass demnach auf die Klage einzutreten sei.

    Gegen das handelsgerichtliche Urteil hat die Beklagte beim
Bundesgericht Berufung erhoben mit folgenden Anträgen:

    "1. Das Vorurteil der Vorinstanz sei aufzuheben.

    2. Die Streitsache sei zur Gutheissung des materiellen Rechtsbegehrens
   der Beklagten, auf die Klage sei nicht einzutreten, an die Vorinstanz
   zurückzuweisen.

    3. Eventuell sei die Streitsache zu neuer Beurteilung an die

    Vorinstanz zurückzuweisen."

    Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Fest steht, dass die Klägerin die zehntägige Klagefrist des
Art. 83 Abs. 2 SchKG insofern eingehalten hat, als sie die Klageschrift am
30. April 1982 der Post übergab, nachdem sie den Rechtsöffnungsentscheid
am 20. April 1982 zugestellt erhalten hatte. Indessen reichte sie die
Klage nicht bei dem im Falle der Parteien zuständigen Handelsgericht ein,
sondern beim Bezirksgericht Zürich. Das Handelsgericht hat die Frist
dennoch als gewahrt betrachtet, indem es in sinngemässer Anwendung von
Art. 139 OR der Klägerin eine Nachfrist von zehn Tagen ab Zustellung
des bezirksgerichtlichen Nichteintretensentscheides eingeräumt hat. Die
Vorinstanz stellt sodann fest, dass die Klägerin innerhalb dieser Nachfrist
bei ihr Klage erhoben habe.

Erwägung 3

    3.- ...

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte macht geltend, es treffe nicht zu, dass Rechtsprechung
und Literatur sich eindeutig für eine analoge Anwendung des Art. 139 OR
auf die Verwirkungsfrist des Art. 83 Abs. 2 SchKG aussprächen.

    a) Der Vorinstanz ist zunächst insofern beizupflichten, dass ein
Teil der Lehre die sinngemässe Anwendung des dem Wortlaut nach nur für
die Verjährung geltenden Art. 139 OR auf Verwirkungsfristen nicht in
Frage stellt (vgl. VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen
Obligationenrechts, 3. Aufl., S. 230 N. 33c; BUCHER, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 409 oben und N. 114). Während
WALDER (Prozesserledigung ohne Anspruchsprüfung, S. 120, N. 51) sowie
STRÄULI/MESSMER (Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl.,
N. 2 zu § 112) die bundesgerichtliche Rechtsprechung erwähnen, sich aber
im übrigen einer Stellungnahme enthalten, ist GULDENER (Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 274) der Auffassung, die Anwendbarkeit
des Art. 139 OR sollte "vernünftigerweise" auf Verwirkungsfristen des
Betreibungsrechts ausgedehnt werden.

    b) Was andererseits die Rechtsprechung betrifft, so verläuft die
Entwicklung eindeutig in der von der Vorinstanz erwähnten Richtung. Nachdem
Art. 139 OR zunächst nur auf die Klagefristen des Familienrechts angewendet
wurde, dehnte das Bundesgericht diese Praxis später allgemein auf die
Klagefristen (Verjährungs- und Verwirkungsfristen) des Bundeszivilrechts
aus (vgl. BGE 80 II 291 E. 1; 98 II 183, je mit Hinweisen). Ob auch
im Falle einer Aberkennungsklage eine Nachfrist entsprechend Art. 139
OR zu laufen beginnen könne, wurde in BGE 49 III 68 noch ausdrücklich
verneint, in BGE 68 III 84 dann aber immerhin in Erwägung gezogen, wenn
auch letztlich noch offen gelassen. In BGE 91 III 15 ff. setzte sich die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts eingehend mit den
Argumenten auseinander, die in BGE 49 III 68 zur Ablehnung der analogen
Anwendung des Art. 139 OR geführt hatten. Sie gelangte zum Schluss, der
Umstand, dass dem Schuldner noch die Rückforderungsklage zur Verfügung
stehe, rechtfertige nicht, dass eine analoge Anwendung von Art. 139
OR abgelehnt werde mit der Begründung, dem Schuldner erwachse kein
nichtwiedergutzumachender Schaden. Den endgültigen Entscheid überliess
die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer jedoch dem zuständigen Richter,
da die vollstreckungsrechtlichen Aufsichtsbehörden für die Beurteilung
dieser materiellrechtlichen Frage nicht zuständig seien (S. 19). Die
Frage wurde auch in BGE 96 III 95 E. 2 und 100 III 39 angeschnitten,
jedoch unbeantwortet gelassen.

    c) Unter Hinweis auf die Ausführungen der Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer in BGE 91 III 15 ff. ist hier festzuhalten,
dass es in der Tat eine unbillige Härte wäre und einer vernünftigen
Interessenabwägung widersprechen würde, wenn der Schuldner, der innert
Frist eine Aberkennungsklage bei einem unzuständigen Richter eingereicht
hat, zwangsläufig zur Zahlung verpflichtet wäre und ihm nur noch die - in
manchen Fällen wenig aussichtsreiche - Rückforderungsklage zur Verfügung
stünde. Es besteht sodann kein Anlass, nur bei fehlendem Verschulden eine
Nachfrist zu gewähren, ist doch eine solche Voraussetzung Art. 139 OR
gänzlich fremd. Hingegen ist der Besonderheit Rechnung zu tragen, dass
die gesetzliche Frist für die Aberkennungsklage nur zehn Tage beträgt,
und die in analoger Anwendung des Art. 139 OR zu gewährende Nachfrist
ist deshalb auf ebenfalls zehn Tage zu beschränken (so auch Guldener,
aaO). Ob Art. 139 OR auch bei der Arrestprosequierungsklage heranzuziehen
sei (verneint in BGE 75 III 73 ff., offen gelassen in den späteren
Entscheiden; vgl. zuletzt BGE 108 III 41 ff.), mag weiterhin offen bleiben.

    d) Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Klarheit der Verhältnisse
ist der Vorinstanz schliesslich auch darin beizupflichten, dass die
Nachfrist im vorliegenden Fall erst mit der Zustellung des formellen
Nichteintretensentscheides des Bezirksgerichts zu laufen begann. Das
Telefongespräch zwischen diesem Gericht und dem Vertreter der Klägerin
ist deshalb ohne Bedeutung.