Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 III 45



109 III 45

12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Januar 1983 i.S.
Muco SE Muldenbau AG gegen Feba Immobilien AG und Appellationsrichter
des Kantonsgerichts St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Zwangsverwaltung von Grundstücken.

    Gemäss Art. 94 Abs. 1 VZG fallen Kündigungen an Mieter und
Ausweisungen von Mietern nach dem Erlass der Zinssperre auch im
Pfandverwertungsverfahren in die ausschliessliche Befugnis des
Betreibungsamtes.

Sachverhalt

    A.- Die Feba Immobilien AG ist Eigentümerin der Liegenschaften Parzelle
Nr. 524 und Nr. 536, Grundbuch Sennwald, an der Industriestrasse in
Haag. Die Muco SE Muldenbau AG ist Mieterin des Fabrikareals auf Parzelle
Nr. 524 und von zwei Büroräumen auf Parzelle Nr. 536. Am 5. Juli 1982
stellte die Feba Immobilien AG beim Bezirksgerichtspräsidium Werdenberg
das Begehren, der Muco SE Muldenbau AG sei zu befehlen, die Mietobjekte
zu räumen. Zur Begründung verwies sie auf die mit Schreiben vom 24.
Februar 1982 auf den 31. Mai 1982 erfolgte Kündigung. Mit Entscheid vom 26.
August 1982 wies der Gerichtspräsident das Befehlsbegehren ab, weil die
Mieterin eine Vertragsverlängerung glaubhaft gemacht habe. Die dagegen
eingereichte Berufung hiess der Appellationsrichter des Kantonsgerichts St.
Gallen mit Entscheid vom 25. Oktober 1982 gut und ordnete die Räumung
der Mietobjekte an.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt die Muco SE Muldenbau
AG die Aufhebung dieses Entscheides. Sie macht eine offensichtliche
und damit willkürliche Verletzung von Art. 94 Abs. 1 VZG geltend. Der
Appellationshof des Kantonsgerichts St. Gallen und die Feba Immobilien
AG beantragen die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Beschwerdeführerin machte im kantonalen Berufungsverfahren
die Nichtigkeit der Kündigung vom 24. Februar 1982 geltend, weil damals
über die betreffenden Liegenschaften die Zwangsverwaltung gemäss den
Bestimmungen von Art. 16 ff. VZG angeordnet gewesen sei. Während
der Zwangsverwaltung sei aber ein Eigentümer nicht berechtigt,
Verwaltungshandlungen vorzunehmen, wozu namentlich auch die Kündigung
gehöre.

    Der Appellationsrichter verwarf diese Einrede, weil bei der Betreibung
auf Pfandverwertung, um die es hier gehe, im Gegensatz zur Betreibung
auf Pfändung die Zwangsverwaltung durch das Betreibungsamt erst einsetze,
nachdem der Gläubiger das Verwertungsbegehren gestellt habe. Solange dies
nicht geschehen sei, besitze der Eigentümer das freie Verfügungsrecht über
das Grundstück und somit auch das Recht, die bestehenden Mietverträge
aufzulösen und die Ausweisung der Mieter zu verlangen. Bei der zur
Frage stehenden Betreibung auf Pfandverwertung sei zwar eine Zinssperre
gemäss Art. 91 VZG verlangt und vom Betreibungsamt auch verfügt, das
Verwertungsbegehren indessen noch nicht gestellt worden.

    b) Gemäss Art. 16 VZG sorgt das Betreibungsamt im Pfändungsverfahren
von Amtes wegen für die Verwaltung und Bewirtschaftung des Grundstücks. Die
Befugnisse des Betreibungsamtes umfassen nach Art. 17 VZG alle ordentlichen
Verwaltungsmassnahmen, die zur Erhaltung des Grundstückes und seiner
Ertragsfähigkeit sowie zur Gewinnung der Früchte und Erträgnisse
nötig sind. Nach Art. 101 Abs. 1 VZG stehen diese Befugnisse dem
Betreibungsamt im Pfandverwertungsverfahren grundsätzlich erst von der
Stellung des Pfandverwertungsbegehrens an zu. Von dieser Regel ist jedoch
abzuweichen, wenn es die Werterhaltung des Grundstückes erfordert und wenn
Gefahr im Verzug ist. Dann fällt ein Teil der sonst dem Betreibungsamt
erst nach Stellung des Verwertungsbegehrens zukommenden Befugnisse
diesem sofort zu. Dies gilt namentlich für die in Art. 94 Abs. 1 VZG
angeführten Massnahmen während der in Anwendung von Art. 91 VZG verhängten
Zinssperre. Danach hat das Betreibungsamt "alle zur Sicherung und zum
Einzug der Miet- und Pachtzinse erforderlichen Massnahmen an Stelle des
Schuldners oder Pfandeigentümers zu treffen, wie Einforderungen auf dem
Betreibungswege, Geltendmachung des Retentionsrechts, Kündigung an Mieter,
Ausweisung von Mietern, Neuvermietungen". Ferner ist das Betreibungsamt
während der Zinssperre befugt, dringende Reparaturen anzuordnen und aus
den eingegangenen Miet- und Pachtzinsen die laufenden Abgaben und die
Unterhaltsbeiträge nach Art. 103 Abs. 2 SchKG zu bezahlen.

    c) Der Wortlaut von Art. 94 Abs. 1 VZG ist - jedenfalls soweit er die
aufgezählten Massnahmen betrifft - klar und nicht auslegungsbedürftig.
Kündigungen an Mieter und Ausweisungen von Mietern fallen demnach
nach dem Erlass der Zinssperre auch im Pfandverwertungsverfahren in
die ausschliessliche Befugnis des Betreibungsamtes. Diese Lösung ist
auch sachlich begründet, denn andernfalls könnte der Schuldner durch
wirtschaftlich ungerechtfertigte Kündigungen und Neuvermietungen
die Ansprüche der Pfandgläubiger gefährden und sich allenfalls in
Widerspruch zu den Massnahmen des Betreibungsamtes setzen. Der
Hinweis des Appellationsrichters auf BGE 38 I 828 ist unbehelflich,
weil dieser Entscheid vor Erlass der VZG (1920) ergangen ist und
sich zudem damals die Frage der Kündigung von Mietverträgen nicht
stellte. Hingegen hat das Bundesgericht im Entscheid 77 III 122 nebenbei
die ausschliessliche Kompetenz des Betreibungsamtes für den Fall der
Neuvermietung angedeutet. LEEMANN (N 31 zu Art. 806 ZGB) vertritt im
Gegensatz zu STUDER (BlSchK 18/1954, S. 172 ff.) die Auffassung, der
Pfandschuldner habe bis zur Stellung des Verwertungsbegehrens das freie
Verfügungsrecht über das Grundstück und könne deshalb auch bestehende
Miet- und Pachtverträge auflösen sowie Mieter und Pächter ausweisen
lassen. Diese Meinung widerspricht dem klaren Wortlaut von Art. 94
Abs. 1 VZG und ist abzulehnen. Im übrigen entspricht diese Meinung
LEEMANNS seinem Vorentwurf zur VZG (vgl. Art. 99), welcher aber von der
Mehrheit der Expertenkommission abgelehnt und im Sinne der Einschränkung
der Befugnisse des Schuldners abgeändert worden ist (vgl. Art. 90 des
Expertenentwurfes). Aus dem Gesagten folgt, dass der angefochtene Entscheid
gegen klares Recht verstösst und deshalb als willkürlich aufzuheben ist.