Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 III 31



109 III 31

9. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 15. März 1983 i.S. Depah Commercial Enterprise GmbH (Rekurs) Regeste

    Art. 63 KOV.

    1. Eine Forderung, welche aufgrund von Art. 63 Abs. 2 KOV als anerkannt
gilt, darf von der Konkursverwaltung nicht mehr als streitig behandelt
werden, selbst wenn der Prozess um sie formell noch hängig ist (E. 4).

    2. Spricht sich die Masse nicht über die Fortsetzung eines gemäss
Art. 207 SchKG eingestellten Prozesses aus, so kann der Prozessgegner der
Masse zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung die Wiederaufnahme
des Prozesses verlangen. Er kann von der Masse auch einen Entscheid darüber
verlangen, ob sie den Prozess weiterführen oder die Prozessführungsbefugnis
gemäss Art. 260 SchKG abtreten wolle. Das Fehlen eines Entscheides der
Masse hat nicht die Anerkennung der vor Gericht streitigen Forderung zur
Folge (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Am 17. November 1980 wurde über die Bruno Borner GmbH,
Schaffhausen, der Konkurs ausgesprochen. Aufgrund der Konkurseröffnung
musste ein zwischen der Konkursitin und der Depah Commercial Enterprise
GmbH (Depah GmbH), Zug, vor Kantonsgericht Zug hängiger Forderungsprozess
gemäss Art. 207 SchKG eingestellt werden. In diesem Prozess machte die
Konkursitin als Klägerin eine Forderung von Fr. 65'658.55 geltend. Die
Depah GmbH als Beklagte anerkannte einen Teilbetrag von Fr. 60'260.67
und stellte widerklageweise eine Gegenforderung von Fr. 136'380.20. Es
ergibt sich somit ein streitiger Saldo aus Klage und Widerklage von
Fr. 76'119.53 zuzüglich Zins zugunsten der Depah GmbH. In dem vom 15. bis
25. August 1981 öffentlich aufgelegten Kollokationsplan vom 6. August
1981 wurde die strittige Forderung der Beschwerdeführerin im Betrage
von Fr. 80'739.55 gemäss Art. 63 der Konkursverordnung (KOV) pro memoria
vorgemerkt. Mit Zirkularschreiben vom 1. September 1981 beantragte das
Konkursamt den Gläubigern, es sei auf die Durchführung einer zweiten
Gläubigerversammlung zu verzichten. Es stellte den Gläubigern sodann den
Antrag, eine Liegenschaft ohne Verzug konkursamtlich zu versteigern und
auf die Ergreifung von Zwangsvollstreckungs- und Prozessmassnahmen zur
Geltendmachung der inventarisierten Forderungen zu verzichten. Gleichzeitig
wurden die Gläubiger auf die Möglichkeit, sich einzelne Guthaben der Bruno
Borner GmbH im Sinne von Art. 260 SchKG abtreten zu lassen, verwiesen. Den
Gläubigern wurde eine Frist bis 18. September 1981 angesetzt, um zu diesen
Anträgen Stellung zu nehmen. Mit Zirkular vom 28. September 1981 teilte
das Konkursamt den Gläubigern mit, dass seine Anträge von den Gläubigern
angenommen worden seien und deshalb zum Beschluss erhoben würden. Über die
Abtretungen im Sinne von Art. 260 SchKG würden die betreffenden Gläubiger
direkt orientiert.

    Mit Zirkular vom 6. September 1982 kam das Konkursamt "im Interesse
einer möglichen Verbesserung der Lage der Konkursmasse" auf den
Zirkularbeschluss vom 1. September 1981 zurück und stellte den Gläubigern
"im Sinne eines neuen Beschlusses" folgende Fragen:

    1. Soll der Prozess vor Kantonsgericht Zug zwischen der Bruno
Borner GmbH
   (Klägerin und Widerbeklagte) und der Depah Commercial Enterprise GmbH
   (Beklagte und Widerklägerin) durch die Konkursmasse der Bruno Borner
   GmbH weitergeführt werden, oder soll der Saldo von total Fr. 80'739.55
   zu

    Gunsten der Depah Commercial Enterprise GmbH (wie pro memoria
kolloziert)
   anerkannt werden?

    2. Wünschen Sie die Abtretung dieses Anspruchs im Sinne von Art. 260

    SchKG, d.h. die Abtretung des Prozessführungsrechts?

    Am 27. September 1982 bescheinigte das Konkursamt, dass "die
Mehrheit der Gläubiger mit Beschluss vom 22. September 1982 (Zirkular vom
6. September 1982) auf die Fortführung des Forderungsprozesses vor dem
Kantonsgericht Zug gegen die Depah Commercial Enterprise GmbH" verzichtet
habe; gleichzeitig ermächtigte es die Pandra AG, Chur, zur Fortsetzung
des erwähnten Prozesses im Rahmen von Art. 260 SchKG.

    Mit Beschwerde vom 30. September 1982 verlangte die Depah GmbH die
Aufhebung der Verfügung des Konkursamtes vom 27. September 1982 und die
Ungültigerklärung der Abtretung nach Art. 260 SchKG. Mit Entscheid vom
30. Dezember 1982 trat die Aufsichtsbehörde des Kantons Schaffhausen über
das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen auf die Beschwerde nicht ein.

    Mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts beantragt die Depah GmbH erneut die Aufhebung der Verfügung
des Konkursamtes vom 27. September 1982 und die Ungültigerklärung der
erfolgten Abtretung.

    Die Pandra AG und das Konkursamt Schaffhausen beantragen in ihren
Vernehmlassungen vom 25. Februar 1983 und 4. März 1983 Nichteintreten,
eventuell Abweisung des Rekurses.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Aufsichtsbehörde trat auf die Beschwerde nicht ein, weil
sie die Beschwerdelegitimation der Rekurrentin verneinte. Diese könne
die Abtretung der strittigen Rechte, welche Gegenstand des Prozesses vor
dem Kantonsgericht Zug bildeten, nicht anfechten, weil diese Abtretung
sie nicht in ihren rechtlich geschützten Interessen berühre. Nach der
Rechtsprechung (BGE 90 III 86) habe ein Konkursgläubiger, dessen Forderung
noch Gegenstand eines hängigen Prozesses bilde, kein Beschwerderecht
gegenüber einer Verfügung, welche die Weiterführung des Prozesses über
seine Forderung und die Masse betreffe. Genau das treffe im vorliegenden
Fall zu. Die Rekurrentin mache zwar geltend, dass ihre Forderung im Sinne
von Art. 63 Abs. 2 KOV aufgrund des Zirkularbeschlusses vom 1. September
1981 anerkannt sei. In diesem Zirkular sei aber nur von Forderungen
und Guthaben der Gemeinschuldnerin, nicht aber von Forderungen Dritter
gegen diese die Rede gewesen, und es sei deshalb zweifelhaft, ob der
Zirkularbeschluss auch diese Forderungen betroffen habe. Die Frage könne
jedoch offen bleiben, weil keine Erklärung der Konkursverwaltung über
Klageanerkennung oder -rückzug beim Kantonsgericht Zug erfolgt und der
in Anwendung von Art. 207 SchKG eingestellte Prozess daher immer noch
hängig und die Forderung der Rekurrentin mithin streitig sei.
   ...

Erwägung 3

    3.- Die Aufsichtsbehörde liess die Frage offen, welche Tragweite das
Zirkular vom 1. September 1981 hatte, insbesondere ob es nur die Abtretung
von Guthaben nach dem Inventar der Gemeinschuldnerin meinte, oder ob
es den vor dem Kantonsgericht Zug hängigen, aber gemäss Art. 207 SchKG
eingestellten Prozess auch mitumfasste. Die Aufsichtsbehörde verzichtete
damit auf eine endgültige Auslegung dieses Zirkulares. Was Gegenstand
des Zirkulares bildete, konnte aber nur die Aufsichtsbehörde feststellen,
denn das Bundesgericht ist gemäss Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 81 OG an die
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden. Das Bundesgericht
hat demnach davon auszugehen, dass nicht feststeht, ob das Zirkular vom
1. September 1981 einen Entscheid bezüglich der Fortsetzung des Prozesses
vor dem Zuger Kantonsgericht umfasste.

Erwägung 4

    4.- In einer ersten Hypothese ist anzunehmen, dass das Zirkular vom
1. September 1981 die Forderung der Rekurrentin, welche Gegenstand des
eingestellten Prozesses in Zug bildet, ebenfalls umfasste. In diesem Fall
wäre festzustellen, dass die Konkursmasse den Prozess nicht weiterführen
wollte und dass kein Gläubiger die Abtretung der Masserechte verlangte,
um sie weiterzuverfolgen. Infolgedessen gälte die von der Rekurrentin
ordnungsgemäss eingegebene und im Kollokationsplan pro memoria vermerkte
Forderung der Rekurrentin über Fr. 80'739.55 gemäss Art. 63 Abs. 2 KOV als
anerkannt, und die Gläubiger könnten deren Zulassung im Kollokationsplan
nicht mehr gemäss Art. 250 SchKG anfechten.

    Die Aufsichtsbehörde wendet vergeblich ein, dass die Forderung der
Rekurrentin so lange streitig sei, als der Prozess um sie nicht in der
nach dem einschlägigen kantonalen Verfahren vorgesehenen Form beendigt
worden und der Entscheid der Konkursmasse sowie der einzelnen Gläubiger
auf Prozessverzicht nicht von der Konkursverwaltung durch Mitteilung an
den zuständigen Richter vollzogen worden ist. Diese Auslegung von Art. 63
Abs. 2 KOV ist unrichtig. Diese Bestimmung sieht vor, dass die pro memoria
vorgemerkte Forderung als anerkannt gelte, wenn der Prozess weder von der
Masse noch von einzelnen Gläubigern fortgesetzt werde. Es ist demnach
nicht erforderlich, dass auch noch eine Mitteilung der Anerkennung an
den zuständigen Richter ergeht, und es ist bundesrechtswidrig zu sagen,
die Forderung, welche aufgrund von Art. 63 Abs. 2 KOV anerkannt ist,
bleibe weiterhin streitig. Zwar bleibt der Prozess noch hängig, so dass
der Streit formell noch weiterbesteht, aber materiell gibt es keinen
Streit mehr zwischen der Masse und ihrer Prozessgegnerin, da die Masse ja
deren Forderung anerkannt hat. Aufgrund von Art. 63 Abs. 2 KOV wird die
Kollokation unanfechtbar, ohne dass man sich Gedanken machen muss, welche
Verfügungen der zuständige Richter getroffen hat. Der Ausgang des Streites
vor dem Gericht hat nur im Falle von Art. 63 Abs. 3 KOV, wenn der Prozess
fortgeführt wird, eine Bedeutung. Je nach dessen Erledigung erfolgt in
diesem Falle die Streichung der Forderung oder ihre definitive Kollokation.

    Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Rekurrentin bei der ersten
Hypothese der Auslegung des Zirkulars vom 1. September 1981 vom
Bekanntwerden des Ergebnisses dieses Zirkularbeschlusses an mit ihrer
Forderung endgültig kolloziert wäre. Diese Kollokation würde für die
Rekurrentin ein rechtlich geschütztes Interesse bedeuten in dem Sinne,
dass sie an der Verteilung des Konkursergebnisses im Verhältnis zu ihrer
kollozierten Forderung teilnehmen könnte. Die Abtretung des Rechts an einen
Drittgläubiger, eine kollozierte Forderung vor Gericht zu bestreiten,
wäre geeignet, die sich aus dem Kollokationsplan ergebenden Rechte der
Rekurrentin zu beeinträchtigen. Die Rekurrentin wäre demnach - entgegen
der Auffassung der Aufsichtsbehörde - beschwerdeberechtigt. Daran ändert
auch der von der Vorinstanz zitierte BGE 90 III 86 nichts.

    Bei dieser Hypothese wäre die Beschwerde überdies auch begründet,
da sich die Annahme, die Forderung der Rekurrentin sei auch nach dem
Prozessverzicht der Masse und der Gläubiger strittig geblieben, als falsch
erweisen würde. Die Forderung wäre dann vielmehr gemäss Art. 63 Abs. 2
KOV endgültig anerkannt, und die Abtretung an die Pandra AG müsste als
ungültig annulliert werden.

Erwägung 5

    5.- Es bleibt zu prüfen, ob sich das gleiche ergibt, wenn in einer
zweiten Hypothese davon ausgegangen wird, das Zirkular vom 1. September
1981 habe sich nur auf die im Konkurs inventarisierten Aktiven bezogen und
nicht auch die vor dem Kantonsgericht Zug streitige Forderung umfasst. Wenn
sich auch bei dieser Hypothese erweisen sollte, dass die Beschwerde
zulässig und gutzuheissen wäre, könnte die von der Aufsichtsbehörde offen
gelassene Frage tatsächlich offen bleiben; andernfalls müsste die Sache
in Anwendung von Art. 64 Abs. 1 OG an die Vorinstanz zurückgewiesen werden.

    Nach dieser zweiten Hypothese sprach sich die Masse zumindest bis
zum Zirkular vom 6. September 1982 nicht über die Fortsetzung des gemäss
Art. 207 SchKG eingestellten Prozesses aus. Die Masse müsste bei der
zweiten Gläubigerversammlung diesbezüglich einen Entscheid treffen. Mangels
einer zweiten Gläubigerversammlung wäre dieser Entscheid aufgrund eines
Zirkularbeschlusses zu fällen (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs,
2. Aufl., Bd. II, S. 160, Ziff. III). Im vorliegenden Fall wurde kein
solcher Entscheid gefasst. Das Untätigsein der Masse und das Fehlen eines
Entscheides hätten jedoch nicht die Anerkennung der vor Gericht streitigen
Forderung zur Folge. Sie gäben nur der Prozessgegnerin der Masse das Recht,
nach Ablauf der zehntägigen Frist des Art. 207 SchKG die Wiederaufnahme
des eingestellten Prozesses zu verlangen (JAEGER, N. 9 zu Art. 207 SchKG;
FRITZSCHE, aaO, S. 47; AMONN, S. 307). Die gegnerische Partei hätte
zudem das Recht, von der Masse einen Entscheid darüber zu verlangen, ob
sie den Prozess weiterführen oder gegebenenfalls gemäss Art. 260 SchKG
die Prozessführungsbefugnis an einen Gläubiger abtreten wolle (JAEGER,
N. 9 zu Art. 207 SchKG).

    Im zu beurteilenden Fall blieb die Rekurrentin seit September
1981 untätig. Sie trieb den Prozess vor dem Zuger Kantonsgericht nicht
voran, obwohl sie vom Beschluss, auf eine zweite Gläubigerversammlung zu
verzichten, Kenntnis hatte und daher die Wiederaufnahme hätte verlangen
können. Sie unterliess es ebenfalls, die Masse um einen ausdrücklichen
Entscheid anzugehen. Mangels eines ausdrücklichen Prozessverzichtes von
seiten der Konkursitin oder ihrer Vertreter blieb somit die vor Gericht
eingeklagte Forderung der Rekurrentin pro memoria im Kollokationsplan
vermerkt. Die Ungewissheit über das Schicksal dieser Forderung verhinderte
die Verteilung des Konkursergebnisses. Es war deshalb erforderlich,
dass der bis anhin unterbliebene Entscheid der Masse über die strittige
Forderung nachgeholt wurde und zwar durch Zirkularbeschluss oder durch
eine gemäss Art. 255 SchKG einberufene Gläubigerversammlung.

    Bei dieser zweiten Hypothese drängte sich das Zirkular vom 6. September
1982 geradezu auf und stand auch nicht im Widerspruch zu jenem vom
1. September 1981. Da die Forderung der Rekurrentin aber strittig blieb,
hatte diese kein Beschwerderecht gegen die Verfügung, mit welcher die
Masse die Befugnis, den hängigen Prozess weiterzuführen, abtrat (BGE 90
III 86). Der Nichteintretensentscheid der Aufsichtsbehörde wäre daher
richtig, und die Rügen der Rekurrentin wären als unbegründet abzuweisen.

    Da die Beantwortung der Frage, welche Tragweite das Zirkular vom
1. September 1981 hatte, bei den zwei dargestellten Hypothesen zu zwei
sich widersprechenden Lösungen führt (zulässige und begründete Beschwerde
im ersten Fall, unzulässige Beschwerde bei der zweiten Hypothese), durfte
die Aufsichtsbehörde diese Frage nicht offen lassen. Die Sache ist deshalb
an sie zur Behandlung dieser Frage und zum neuen Entscheid zurückzuweisen.