Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 III 102



109 III 102

29. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 13. Oktober
1983 i.S. M. (Rekurs) Regeste

    Pfändung einer bestrittenen Forderung.

    Verlangt ein Gläubiger die Pfändung der Forderung, welche der
Schuldnerin aus Unterstützungspflicht gemäss Art. 278 Abs. 2 ZGB gegen
ihren Ehemann zusteht, und wird diese bestritten, so hat das Betreibungsamt
die Forderung aufgrund der Angaben des Gläubigers als bestrittene Forderung
ohne Rücksicht auf den Notbedarf der Eheleute zu pfänden.

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 25. November 1975 schied das Bezirksgericht
Pfäffikon die Ehe zwischen Fritz M. und Martha M. Die jüngste Tochter,
Claudia, wurde unter die elterliche Gewalt der Mutter, die beiden älteren,
Christina und Katharina, unter jene des Vaters gestellt. Der Vater
hatte für Claudia einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 400.-- zu
bezahlen, die Mutter wurde ihrerseits verpflichtet, an den Unterhalt von
Christina und Katharina je Fr. 100.-- monatlich zu leisten. Mit Entscheid
vom 23. Mai 1980 bewilligte der Bezirksgerichtsausschuss Plessur die
Adoption von Claudia M. durch deren Stiefvater Reto F. Damit entfiel die
Unterhaltspflicht von Fritz M. gegenüber Claudia, wogegen jene von Martha
F. gegenüber Christina und Katharina bestehen blieb.

    Am 3. Mai 1982 liess M. seine ehemalige Ehefrau für ausstehende
Unterhaltsbeiträge in der Höhe von Fr. 5'793.80 betreiben (Betreibung Nr.
310/82 des Betreibungsamtes Schanfigg). Am 9. Juli 1982 vollzog das
Betreibungsamt die Pfändung. Dabei pfändete es einen Personenwagen der
Schuldnerin mit einem Schätzungswert von Fr. 300.-- und stellte im weiteren
fest, dass keine anderen pfändbaren Vermögenswerte vorlägen.

    Mit Schreiben vom 21. September 1982 ersuchte M. das Betreibungsamt
Schanfigg, gestützt auf die eheliche Beistandspflicht des Ehemannes
gemäss Art. 278 Abs. 2 ZGB sei dessen Unterhaltsbeitrag an die Betriebene
im Umfange von Fr. 5'793.80 zu pfänden. Die abweisende Verfügung des
Betreibungsamtes zog M. an das Kantonsgericht von Graubünden als kantonale
Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs weiter. Dieses hiess
die Beschwerde in dem Sinne gut, als es das Betreibungsamt anhielt, "den
privatrechtlichen Unterhaltsbeitrag des Ehemannes an seine Ehefrau für die
Dauer eines Jahres und aufgrund der konkreten Umstände vorfrageweise zu
ermitteln und einzupfänden". Das Kantonsgericht lehnte es hingegen ab,
den gesamten Forderungsbetrag als bestrittene Forderung der Schuldnerin
gegen ihren Ehemann zu pfänden.

    In Ausführung dieses unangefochtenen Entscheides prüfte das
Betreibungsamt die persönlichen und finanziellen Verhältnisse
der Eheleute F. Dabei stellte es fest, dass Reto F. ein jährliches
Einkommen von Fr. 29'400.-- erziele, wogegen sein Existenzminimum auf
Fr. 29'370.-- festzusetzen sei. Weiter hielt es fest, dass der betriebenen
Ehefrau nebst der Führung des Haushalts keine Erwerbstätigkeit zumutbar
sei. Schliesslich setzte es den pfändbaren Beitragsanspruch auf Fr. 50.--
pro Monat bzw. Fr. 600.-- pro Jahr fest.

    M. zog diese Verfügung an die Aufsichtsbehörde weiter und verlangte,
dass "bei Reto F. zugunsten der Ehefrau aus Unterstützungspflicht
ein Anspruch in der Höhe von jährlich Fr. 3'057.60 einzupfänden sei,
gegebenenfalls als bestrittene Forderung". Die Aufsichtsbehörde wies die
Beschwerde mit Entscheid vom 6. Juli 1983 ab.

    Mit fristgerecht erhobenem Rekurs an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt M. die Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides und die Anordnung der erforderlichen
Anweisungen, damit im hängigen Pfändungsverfahren gegen Martha F. bei
deren Ehemann ein jährlicher Betrag von Fr. 3'057.60 gepfändet werde.

    Das Kantonsgericht von Graubünden beantragt die Abweisung des
Rekurses, soweit darauf einzutreten sei. Martha F. beantragt in ihrer
Vernehmlassung vom 16. September 1983 die Abweisung des Rekurses unter
Kosten- und Entschädigungsfolge. Das Betreibungsamt Schanfigg hat auf
die Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die kantonale Aufsichtsbehörde schreibt in ihrer Vernehmlassung,
sie habe bereits in ihrem Entscheid vom 15. November 1982 über die
Grundsätze beim Vorgehen bezüglich der Pfändung der Forderung, die
der Betriebenen gestützt auf Art. 278 Abs. 2 ZGB gegen ihren Ehemann
zustehe, rechtskräftig entschieden. Soweit der Rekurrent diese Grundsätze
beanstande, sei seine Kritik daher als verspätet nicht zu hören. Dies
gelte insbesonders für sein Begehren, die Forderung sei als bestritten zu
pfänden. Soweit der Rekurrent aber tatsächliche Feststellungen und die
Ermessensbetätigung kritisiere, könne darauf in diesem Verfahren nicht
eingetreten werden.

    Diese Bemerkungen sind an und für sich zutreffend. Immerhin ist
zu prüfen, ob der damalige Entscheid der Aufsichtsbehörde gegen eine
Vorschrift verstiess, die im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines
unbestimmten Kreises Dritter aufgestellt worden und daher schlechthin
zwingend ist. In diesem Fall wäre der Entscheid nichtig, was jederzeit
festgestellt werden kann (BGE 105 III 70 E. 2 mit Verweisen).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 278 Abs. 2 ZGB hat jeder Ehegatte den andern in
der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Kindern in
angemessener Weise beizustehen. Der betriebenen Schuldnerin steht demnach
im Sinne dieser Bestimmung eine Forderung gegenüber ihrem Ehemann zu. Diese
Forderung ist pfändbar. Ihre Höhe ist jedoch zur Zeit noch unbestimmt. Sie
entspricht nicht notwendigerweise dem Betrag der Verpflichtung, welche
die Betriebene gegenüber den zwei unter der elterlichen Gewalt des
Rekurrenten stehenden Töchtern hat. Die Betriebene kann, um dieser
Unterhaltspflicht nachzukommen, von ihrem Ehemann nur "in angemessener
Weise" Beistand verlangen. Dementsprechend war das frühere Begehren des
Rekurrenten, diese Forderung mit dem von ihm in Betreibung gesetzten Betrag
gleichzusetzen, möglicherweise übersetzt. Ebenso mag sein vorliegendes
Begehren zu weit gehen, wonach die Forderung der Betriebenen gegen ihren
Ehemann gleich hoch anzusetzen sei wie der jährliche Unterhaltsanspruch
der beiden Mädchen gegenüber ihrer Mutter. Auf jeden Fall wird diese
Forderung sowohl von der Betriebenen als deren Gläubigerin, als auch
vom Ehemann der Betriebenen als deren Schuldner bestritten. Unter diesen
Umständen muss die dem Bestand und der Höhe nach bestrittene Forderung
aufgrund der Angaben des Betreibenden gepfändet werden (BGE 81 III 18/19
und 149). Das Betreibungsamt darf von dieser Regel nur abweichen, wenn
die behauptete Forderung offensichtlich nicht besteht. Es darf aber nicht
selber über den Bestand und die Höhe der Forderung entscheiden. Dazu ist
einzig der Richter zuständig: sei es im Rahmen des Verfahrens gemäss Art.
109 SchKG, sei es, dass der Gläubiger gemäss Art. 131 SchKG in die Rechte
des betriebenen Schuldners eintritt und diese geltend macht.

Erwägung 3

    3.- Etwas anderes gilt nur, wenn die Forderung, deren Pfändung verlangt
wird, eine Lohnforderung oder eine andere periodische Leistung betrifft,
die dem Unterhalt des Schuldners und seiner Familie im Sinne von Art. 93
SchKG dient. In diesem speziellen Fall stösst die Regel, wonach sich
das Betreibungsamt an die Angaben des Betreibenden zu halten hat, an
das Verbot, in die Persönlichkeitsrechte des Betriebenen einzugreifen.
So gebieten die Grundsätze der Humanität, dem Schuldner das für seinen und
seiner Familie Unterhalt Unerlässliche zu belassen. In diesem Fall muss das
Betreibungsamt von Amtes wegen prüfen, ob der Betriebene und seine Familie
über ein genügendes Einkommen verfügen. Dabei hat es den Lohn und die
anderen Einnahmequellen des Schuldners sowie seinen Notbedarf festzustellen
(BGE 81 III 149). Nur in diesem Rahmen kann das Betreibungsamt auch den
Beitrag der Ehefrau an die Haushaltskosten schätzen, und zwar nicht,
um diesen Beitrag zu pfänden, sondern nur, um zu bestimmen, welches der
Notbedarf und dementsprechend der pfändbare Lohnanteil des Schuldners ist.

Erwägung 4

    4.- Die Forderung, welche die Ehefrau gegen ihren Ehemann
aus Art. 278 Abs. 2 ZGB ableiten kann, hat mit dem Unterhalt der
Schuldnerin an sich nichts zu tun, sondern soll vielmehr dem Unterhalt der
Alimentengläubigerinnen dienen. Die speziellen Regeln über den Schutz des
Schuldners gegen Eingriffe in seinen Notbedarf greifen deshalb vorliegend
nicht Platz und es gibt auch keine Analogie zur Lohnpfändung. Die
Aufsichtsbehörde hat deshalb zu Recht keine Lohnpfändung beim Ehemann der
Betriebenen angeordnet. Nicht folgerichtig und zu Unrecht hat sie dann
aber trotzdem die Regeln gemäss Art. 93 SchKG anwenden lassen und das
Betreibungsamt angewiesen, "den konkreten monatlichen Beitragsanspruch
der Ehefrau gegen ihren Ehemann zu ermitteln und zu pfänden". Damit ist
sie gleich vorgegangen, wie wenn gegen den Ehemann eine Lohnpfändung
durchzuführen und zur Festsetzung des Notbedarfs der Beitrag der Ehefrau
an die Haushaltskosten zu schätzen wäre.

Erwägung 5

    5.- Durch die Anweisung an das Betreibungsamt, den Umfang der dem
Ehemann gemäss Art. 278 Abs. 2 ZGB gegenüber der betriebenen Ehefrau
obliegenden Beistandspflicht zu ermitteln, hat die Aufsichtsbehörde
den Ehemann um seinen Anspruch gebracht, diesen Beitrag auf dem dafür
vorgesehenen Gerichtsweg festsetzen zu lassen. Ihr Entscheid verletzte
somit die Rechte eines an der Betreibung nicht beteiligten Dritten und ist
deshalb als nichtig anzusehen. Das einzig richtige Vorgehen, welches die
Rechte des Drittschuldners unbeschadet lässt, besteht darin, die Forderung
aufgrund der Angaben des Betreibenden im Sinne einer bestrittenen Forderung
zu pfänden und es diesem zu überlassen, diese Forderung im Rahmen von
Art. 131 SchKG vor dem Richter geltend zu machen.

Erwägung 6

    6.- Da es einzig dem Richter zusteht, die finanziellen Möglichkeiten
des Ehemannes der Betriebenen zu schätzen und so den Umfang der ihm gemäss
Art. 278 Abs. 2 ZGB obliegenden Beitragspflicht gegenüber der betriebenen
Ehefrau festzusetzen, sind die Beweismittel, mit denen der Rekurrent die
Einkünfte des Ehemannes der Betriebenen belegen will, in diesem Verfahren
ohne Belang. Dasselbe gilt für die Bemerkung im angefochtenen Entscheid,
dass der Rekurrent in finanziell weit besseren Verhältnissen lebe als die
Betriebene und deren Ehemann. Es wird Sache des Richters sein, zu prüfen,
ob die gute finanzielle Lage des Vaters der Alimentengläubigerinnen
bei der Festsetzung der Höhe des dem Stiefvater obliegenden Beitrags
mitzuberücksichtigen ist.

Entscheid:

                       Demnach erkennt
          die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden als Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs vom 6. Juli 1983 und die vom Betreibungsamt
Schanfigg am 14. Mai 1983 in der Betreibung Nr. 310/82 vorgenommene
Pfändung werden aufgehoben. Das Betreibungsamt Schanfigg wird angewiesen,
die Forderung aus Unterstützungspflicht für ein Jahr von Martha F. gegen
ihren Ehemann Reto F. im Betrage von Fr. 3'057.60 im Sinne einer
bestrittenen Forderung zu pfänden.