Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IB 304



109 Ib 304

49. Urteil des Kassationshofes vom 1. November 1983
i.S. W. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 16 Abs. 3 lit. a, 17 Abs. 1 SVG, Führerausweisentzug.

    Der Führerausweis kann wegen einer im Ausland begangenen Widerhandlung
auch dann entzogen werden, wenn die ausländischen Behörden bereits ein
Fahrverbot verfügt haben (E. 2); die ausländische Massnahme kann bei der
Bemessung der Entzugsdauer berücksichtigt werden (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Der in der Schweiz wohnhafte deutsche Staatsangehörige W.
verursachte am 28. März 1980 auf der Bundesautobahn Basel-Karlsruhe
bei einer Geschwindigkeit von ca. 150 km/h durch einen "Schikanestopp"
einen Verkehrsunfall. Das Amtsgericht Bühl/Baden (BRD) verurteilte ihn
deswegen am 7. Oktober 1980 zu einer Busse von DM 4'800.-- und entzog
ihm die Fahrerlaubnis für insgesamt 15 Monate. Wegen desselben Delikts
verfügte das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons St. Gallen
am 19. März 1981 den Entzug des Führerausweises für die Dauer von neun
Monaten. Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen hob
jedoch diesen Entscheid auf und ordnete einen verkehrspsychologischen
Eignungstest an. Am 13. Januar 1983 entzog das Strassenverkehrsamt den
Führerausweis erneut für neun Monate. Den dagegen erhobenen Rekurs wies die
Verwaltungsrekurskommission am 6. Juli 1983 ab, soweit sie darauf eintrat.

    Diesen Entscheid ficht W. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht an. Er beantragt, die Verfügung des Strassenverkehrs-
und Schiffahrtsamtes vom 13. Januar 1983 und der Entscheid der
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen vom 6. Juli 1983
seien aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass eine Verkehrsregelverletzung, wie sie der
Beschwerdeführer am 28. März 1980 in der BRD begangen hat, bei Begehung in
der Schweiz einen Warnungsentzug des Führerausweises gemäss Art. 16 Abs. 3
lit. a SVG zur Folge hat. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird aber
unter Berufung auf René Schaffhauser (SJZ 78/1982, S. 69 ff.) geltend
gemacht, wegen eines Verstosses gegen Verkehrsregeln im Ausland sei
der Warnungsentzug eines schweizerischen Führerausweises grundsätzlich
nicht zulässig; zudem sei in der BRD wegen desselben Delikts bereits eine
dem Warnungsentzug entsprechende Massnahme verfügt worden, so dass die
Art. 3 bis 7 StGB und der Rechtssatz ne bis in idem der Anordnung eines
zusätzlichen Führerausweisentzugs in der Schweiz entgegenstünden.

Erwägung 2

    2.- Wie die Vorinstanz richtig bemerkte, stellt der Warnungsentzug
des Führerausweises eine um der Verkehrssicherheit willen angeordnete
Verwaltungsmassnahme mit präventivem und erzieherischem Charakter dar
(BGE 108 Ib 70, 103 Ib 104 E. 2a, 102 Ib 197 E. 3d, 101 Ib 273 E. 1b). Der
Kassationshof hat in BGE 108 Ib 70 die in SJZ 78/1982, S. 69 ff. vertretene
Auffassung, wonach die Anwendungs- und Geltungsbereiche der Massnahmen
dem im Strafrecht geltenen Territorialitätsprinzip unterworfen seien,
abgelehnt. Für den die Verkehrssicherheit in der Schweiz bezweckenden
Warnungsentzug dürfen auch im Ausland begangene Delikte berücksichtigt
werden. Es besteht kein Grund, auf diese Praxis zurückzukommen.

    Am Grundsatz, dass ein Führerausweisentzug an eine im Ausland begangene
Widerhandlung anknüpfen kann, ändert ein durch die ausländischen Behörden
verfügtes Fahrverbot nichts. Die Verkehrssicherheit in der Schweiz kann
nur durch den Entzug des schweizerischen Führerausweises, nicht auch durch
ein im Ausland erlassenes Fahrverbot hinreichend gewährleistet werden.

    Auch unter dem Aspekt des Strafcharakters des Ausweisentzugs
erscheint die Kumulation des in Deutschland verhängten strafrechtlichen
Entzuges mit einer gleichartigen schweizerischen Administrativmassnahme
keineswegs unbillig. Das Fahrverbot hat gegenüber einem nicht im Lande
der Verurteilung wohnhaften Täter nur eine beschränkte Wirkung, die
davon abhängt, ob und wie häufig der Betroffene während der Entzugsdauer
im Urteilsstaat ein Auto geführt hätte. Nur eine zusätzliche parallele
Massnahme im Wohnsitzstaat kann im Grunde die beabsichtigte Warnungswirkung
im vollen Umfange erzielen.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen ist lediglich, ob und inwieweit ein im Ausland
erlassenes Fahrverbot von den schweizerischen Behörden bei der Bemessung
der Entzugsdauer zu berücksichtigen ist. Da der Warnungsentzug eine
Massnahme mit präventivem und erzieherischem Charakter darstellt,
dessen Dauer sich gemäss Art. 17 Abs. 1 SVG nach den Umständen bemisst,
steht einer Berücksichtigung der ausländischen Massnahme im Rahmen der
persönlichen Umstände des Betroffenen an sich nichts entgegen. Dabei ist
der Art und Dauer der ausländischen Massnahme, dem Grad der Betroffenheit
des Fahrzeugführers, d.h. der in präventiver und erzieherischer Hinsicht
erzielten Wirkung, angemessen Rechnung zu tragen.

    Das Amtsgericht Bühl (BRD) verfügte am 7. Oktober 1980 ein Fahrverbot
für 15 Monate. Am 19. März 1981 ordnete das Strassenverkehrs- und
Schiffahrtsamt des Kantons St. Gallen den Ausweisentzug für neun
Monate an. Es begründete dies mit der am 28. März 1980 erfolgten
Verkehrsregelverletzung und dem automobilistischen Vorleben des
Beschwerdeführers. Dieser war im Jahre 1977 verwarnt worden. Noch im
selben Jahr wurde ihm der Führerausweis für einen Monat entzogen. 1979
musste er wegen Behinderung des nachfolgenden Verkehrs mit Personenwagen
auf Autobahn erneut verwarnt werden.

    Die in der Schweiz angeordnete Massnahme wäre ohne Rekurs seitens des
Beschwerdeführers gleichzeitig mit dem in Deutschland verfügten Fahrverbot
vollzogen worden. Für diese Zeit hätte der Beschwerdeführer demnach
durch die Anordnung von Massnahmen im In- und Ausland keinen zusätzlichen
Nachteil gehabt. Dass infolge seines Rekurses ein gleichzeitiger Vollzug
nicht möglich war, hat er selbst zu verantworten. Müsste in Fällen
der vorliegenden Art das im Ausland angeordnete Fahrverbot auf die
schweizerische Massnahme angerechnet werden, würden die Fahrzeugführer
mit Bezug auf den schweizerischen Führerausweisentzug ungleich behandelt,
je nachdem ob sie die erstinstanzliche schweizerische Entzugsverfügung
anfechten oder nicht.

    Bei gleichzeitigem Vollzug der deutschen und schweizerischen Massnahme
hätte der Beschwerdeführer zusätzlich zum schweizerischen Entzug während
sechs Monaten kein Motorfahrzeug in der Bundesrepublik Deutschland führen
dürfen. Eine sich daraus ergebende Beeinträchtigung kann bei Festsetzung
der Dauer des schweizerischen Ausweisentzugs nur berücksichtigt werden,
wenn das deutsche Fahrverbot eine ins Gewicht fallende Betroffenheit
des Beschwerdeführers zur Folge hat, bzw. wenn damit eine nachhaltige
präventive oder erzieherische Wirkung erzielt wird. Beides ist vorliegend
nicht der Fall. Nach den für das Bundesgericht gemäss Art. 105 Abs. 2 OG
massgeblichen Feststellungen der Vorinstanz ist "eine starke berufliche
Angewiesenheit" des Beschwerdeführers auf den Führerausweis nicht
gegeben; eine anderweitige wesentliche Betroffenheit des in Rapperswil
(SG) wohnhaften deutschen Beschwerdeführers ist nicht nachgewiesen. Da er
sich in der Vergangenheit durch wiederholte Bussen (unter anderem eine
solche wegen Behinderung des nachfolgenden Verkehrs auf der Autobahn)
und einen 1978 erfolgten Führerausweisentzug nicht zu klaglosem Verhalten
im Strassenverkehr hat bewegen lassen, ist eine nachhaltige Wirkung des
deutschen Fahrverbots nicht anzunehmen. Die vorinstanzlich verfügte Dauer
des Führerausweisentzugs von neun Monaten erscheint unter diesen Umständen
nicht als übersetzt. Die Beschwerde ist deshalb als unbegründet abzuweisen.