Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IB 20



109 Ib 20

4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2.
Februar 1983 i.S. Zwieb gegen Gemeinde Flims und Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Raumplanung; Bausperre.

    Eine Bausperre stellt eine sachlich und zeitlich begrenzte
Eigentumsbeschränkung dar, die in der Regel keine Entschädigungspflicht
nach sich zieht (E. 4a).

    Der Eigentümer eines am Rande des überbauten Gebietes gelegenen
Grundstückes hat den Zeitablauf, der erforderlich ist, um die zur
Sicherstellung der geordneten Besiedlung nötige Erschliessung und
Parzellarordnung herbeizuführen, grundsätzlich entschädigungslos in Kauf
zu nehmen. Auch Parzellen, auf denen eine Überbauung an sich möglich wäre,
dürfen dabei in entsprechende Verfahren einbezogen werden (E. 4c/d).

Sachverhalt

    A.- Johann Zwieb erwarb im Jahre 1972 im Gebiet Murissen in Flims am
Rande des überbauten Gebietes mehrere auf rund 1140-1170 m Höhe gelegene
Hanggrundstücke in der Absicht, sie mit Ferienhäusern zu überbauen.
Sein zur Parzelle Nr. 658 vereinigter Grundbesitz liegt sowohl gemäss dem
früheren als auch nach dem geltenden Zonenplan der Gemeinde in der Bauzone
A für 1- und 2-Familienhäuser. Laut einem von der Baugesellschaft Els'
Larischs, der Zwieb als Grundeigentümer angehörte, am 7. August 1972
eingereichten Baugesuch für acht Ferienhäuser hätte die Erschliessung
seiner Grundstücke über die bestehende Strasse, die bis zur Nachbarparzelle
Nr. 609 führt, erfolgen sollen.

    Bereits am 23. Mai 1972 hatte die Baugesellschaft Els'Larischs der
Gemeinde in einem Gesuch um Vorentscheid mitgeteilt, sie beabsichtige,
Zwiebs Parzellen zu überbauen. Die Baubehörde der Gemeinde Flims antwortete
hierauf, dass im Gebiet Murissen keine Baugesuche behandelt werden könnten,
bevor die Quartierplanung mit den dazugehörigen Erschliessungsplänen für
Strasse, Wasser, Kanalisation, Energieversorgung und Telefonzuleitung
vorhanden sei. Die Ausarbeitung des Quartiererschliessungsplanes sei
nur in Verbindung mit einer umfassenden Landumlegung möglich. Für die
Durchführung des Planungs- und Umlegungsverfahrens müsse zudem die Revision
des Baugesetzes abgeschlossen werden. Sollte ein Baugesuch eingereicht
werden, so sehe sich der Gemeinderat gezwungen, im Quartier Murissen eine
Bausperre zu erlassen. Als die Baugesellschaft Els'Larischs das erwähnte
Baugesuch einreichte, ordnete der Gemeinderat am 24. August 1972 eine
Bausperre an, die in der Folge wiederholt verlängert wurde, gemäss den
Akten letztmals bis 30. Juni 1982. Sowohl die Ortsplanungsrevision als
auch die Ausarbeitung eines Gefahrenzonenplanes, der das Gebiet Murissen
berührt, zogen sich aus verschiedenen Gründen in die Länge.

    Am 13. April 1981 meldete Zwieb bei der örtlich zuständigen
Enteignungskommission eine Entschädigungsforderung aus materieller
Enteignung an. Er machte zufolge der Bausperre einen Zinsverlust in
der Höhe von Fr. 476'510.45 und unter dem Titel Baukostenteuerung eine
Forderung von Fr. 83'222.--, total somit Fr. 559'732.45, geltend. Da die
Gemeinde Flims die betreffende Forderung für unbegründet hielt, gelangte
die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden zum Entscheid
über die Frage nach der grundsätzlichen Begründetheit der angemeldeten
Forderung. Das Verwaltungsgericht wies die Klage am 16. Dezember 1981 ab.

    Die von Zwieb gegen diesen Entscheid erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Die in Frage stehende Bausperre wurde von der Gemeinde Flims
gestützt auf Art. 5 des früheren kantonalen Bau- und Planungsgesetzes
vom 26. April 1964 und Art. 8 des Gemeindebaugesetzes vom 17. März 1968
angeordnet sowie nach Inkrafttreten des geltenden Raumplanungsgesetzes für
den Kanton Graubünden (KRG) vom 20. Mai 1973 gestützt auf dessen Art. 54
mehrmals verlängert. Eine solche Bausperre stellt selbst während ihrer
Dauer kein vorbehaltloses Bauverbot dar. Bauten sind vielmehr nur dann
unzulässig, wenn sie die Planung erschweren oder wenn sie den vorgesehenen
neuen Vorschriften widersprechen (Art. 5 Abs. 1 Bau- und Planungsgesetz
vom 26. April 1964; Art. 8 Abs. 2 des Gemeindebaugesetzes vom 17. März
1968; Art. 54 Abs. 3 KRG; Art. 14 Abs. 3 des Gemeindebaugesetzes vom
27. März 1977), eine Regelung, die sich mit Art. 27 Abs. 1 RPG betreffend
Planungszonen deckt.

    Eine derart sachlich und zeitlich begrenzte Eigentumsbeschränkung geht
von vornherein wesentlich weniger weit als ein Bauverbot. Sie entzieht
dem Eigentümer eine aus dem Eigentum fliessende Befugnis nicht endgültig,
sondern schränkt deren Ausübung lediglich zeitlich ein. Eine solche
vorübergehende Beschränkung zieht in der Regel keine Entschädigungspflicht
nach sich (BGE 99 Ia 487; 93 I 343 f.; 89 I 463). Dem Eigentümer wird bloss
zugemutet, mit einer Überbauung seiner Liegenschaft, welche die Anpassung
oder Ausarbeitung eines Nutzungsplanes oder neuer Nutzungsvorschriften
erschweren könnte, bis zur Rechtskraft der Rechtsänderung zuzuwarten. Diese
Rücksichtnahme ist von ihm um so mehr zu erwarten, als er nicht damit
rechnen kann, die für sein Grundstück gegebene baurechtliche Lage erfahre
keine Änderung (BGE 107 Ia 36 mit Hinweisen).

    Ausnahmsweise kann jedoch auch die lange Dauer eines Bauverbotes einen
Eigentümer besonders schwer treffen, so etwa wenn auf baureifem Land ein
bewilligungsfähiges Bauvorhaben während längerer Zeit zurückgestellt
werden muss. Dabei lässt sich der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
keine feste zeitliche Begrenzung entnehmen, bei deren Überschreitung eine
materielle Enteignung angenommen werden müsste. Massgebend sind vielmehr
die Umstände des Einzelfalles. In der Regel wird ein auf fünf Jahre
befristetes Bauverbot, wie es sich gemäss ausdrücklicher bundesgesetzlicher
Regelung aus den Projektierungszonen für Nationalstrassen (Art. 17
Abs. 1 NSG) oder aus Planungszonen gemäss Art. 27 RPG ergeben kann,
keine Entschädigungspflicht auslösen. Doch bleibt auch in diesen Fällen
die Prüfung des Einzelfalles vorbehalten (Art. 18 NSG; Art. 5 Abs. 2 RPG,
EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 14c zu Art. 27, S. 323). Ein zehn Jahre
dauerndes Bauverbot auf baureifem Land kann hingegen enteignungsähnlich
wirken, allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Sonderopfers (BGE 69
I 239 und 242). Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten,
dass im allgemeinen auf fünf bis zehn Jahre befristete Bauverbote
entschädigungslos zu dulden seien (GYGI, Gutachten vom 7. März 1974,
in VPB 1974 Nr. 78, S. 56; LUDWIG MEYER, Die materielle Enteignung im
neuen bernischen Baugesetz, in ZBJV 108/1972, S. 221).

    b) Der Beschwerdeführer beruft sich auf diese Rechtsprechung, indem
er geltend macht, die Bausperre bestehe nun bereits während mehr als
zehn Jahren. Doch übersieht er die Grundvoraussetzung jeder materiellen
Enteignung. Von einer enteignungsähnlichen Wirkung des Entzuges oder
der Beeinträchtigung einer zukünftigen besseren Nutzung der Sache kann
nur dann die Rede sein, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war,
die bessere Nutzung lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher
Zukunft verwirklichen (BGE 107 Ib 223 mit Hinweisen). Für ein am Rande
des überbauten Gebietes gelegenes Areal, das Teil eines grösseren Gebietes
bildet, für welches kein rechtsverbindlicher Erschliessungsplan vorliegt
und dessen Parzellen für eine Überbauung nicht geordnet sind, trifft dies
nicht zu.

    c) Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Gemeinde schon aufgrund
des früheren kantonalen Bau- und Planungsgesetzes vom 26. April 1964
befugt war, im Interesse der geordneten baulichen Entwicklung und
der zweckmässigen Nutzung des Bodens Bebauungs- und Nutzungspläne zu
erlassen und darin die Erschliessung mit Bau- und Niveaulinien sowie die
Bezeichnung der Hauptstränge der öffentlichen Leitungen festzulegen. Die
Gemeinde Flims hat hievon in ihrem Baugesetz vom 17. März 1968 Gebrauch
gemacht. In dessen Art. 6 hat sie angeordnet, dass zur Sicherung einer
zweckmässigen Erschliessung und Überbauung Quartierpläne angelegt werden
können und dass die Erteilung von Baubewilligungen bis zur Genehmigung
eines Quartierplanes verweigert werden kann. Die Gemeindebehörde hat
daher mit Recht dem vom Beschwerdeführer beauftragten Architekten am
21. Juni 1972 mitgeteilt, eine Überbauung des Gebietes Murissen setze
eine Quartierplanung mit den dazugehörigen Erschliessungsplänen sowie
eine umfassende Landumlegung voraus.

    Das am 20. Mai 1973 in Kraft getretene Raumplanungsgesetz für den
Kanton Graubünden verpflichtet sodann die Gemeinden, zur Sicherstellung
der geordneten Besiedlung Erschliessungspläne zu erlassen. Diese
gehören gemäss Art. 18 KRG zu den Mindestanforderungen der baulichen
Grundordnung. Auch ermächtigt das Gesetz die Gemeinden zur Quartierplanung
und zur Baulandumlegung, wobei diese von Amtes wegen angeordnet werden
kann. Aufgrund von Art. 1 der Verordnung über die Durchführung und
Finanzierung der Erschliessung und das Verfahren bei Gesamtumlegungen
(Erschliessungs- und Gesamtumlegungsverordnung, EGVO) sind die Gemeinden
schliesslich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihr Gebiet entsprechend
der Grundordnung rechtzeitig erschlossen und zweckmässig genutzt werden
kann.

    Allein diese bereits dem früheren Bau- und Planungsrecht des Kantons
und der Gemeinde zugrunde liegende und im geltenden kantonalen Recht
verdeutlichte und verpflichtend ausgestaltete Ordnung entspricht dem Gebot,
eine zweckmässige Nutzung des Bodens und eine geordnete Besiedlung des
Landes sicherzustellen (Art. 22quater BV). Innerhalb der Bauzonen dient
hiezu die Erschliessung, die als öffentliche Aufgabe grundsätzlich dem
Gemeinwesen obliegt, wobei das kantonale Recht vorsehen kann, dass die
Grundeigentümer ihr Land nach den vom Gemeinwesen genehmigten Plänen
selber erschliessen (Art. 19 Abs. 2 und 3 RPG; Art. 1, 3 ff. und 8
ff. EGVO). Nur das Gemeinwesen als Planungsträger ist in der Lage,
die Erschliessungsanlagen untereinander sowie auf die gegenwärtige
Situation und die zukünftige Entwicklung des Baugebietes abzustimmen
(PETER CLAVADETSCHER, Erschliessungspflicht und Erschliessungsanspruch
in der Bauzone insbesondere nach bündnerischem Recht, Diss. Bern 1982,
S. 93). Die vorschriftsgemässe Erschliessung und in Verbindung damit
allenfalls Landumlegungen bilden Voraussetzung für die Überbaubarkeit
des Bodens (SCHÜRMANN, Bau- und Planungsrecht, S. 75).

    Hieraus ergibt sich, dass der Eigentümer eines am Rande des überbauten
Gebietes gelegenen Grundstückes den Zeitablauf, der erforderlich ist, um
die zur Sicherstellung der geordneten Besiedlung nötige Erschliessung
und Parzellarordnung entsprechend den gesetzlichen Anforderungen
herbeizuführen, grundsätzlich in Kauf nehmen muss, ohne vom Gemeinwesen
Entschädigung fordern zu können. Doch ist zu beachten, dass dieses
zur zeitgerechten Erschliessung der Bauzonen verpflichtet ist, und
zwar sowohl gemäss bündnerischem als auch nach eidgenössischem Recht.
Zeitgerecht heisst dabei, dass die auf den Bedarf von fünfzehn Jahren
auszurichtenden Bauzonen innerhalb dieses Zeitraumes in angemessenen
Etappen zu erschliessen sind, sofern sich die Entwicklung nicht
ändert und entgegen der Erwartung der Bedarf geringer ist (EJPD/BRP,
Erläuterungen RPG, N. 22 zu Art. 19, S. 249; Art. 5 Abs. 1 des Wohnbau-
und Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974).

    d) Im vorliegenden Fall musste der Beschwerdeführer aufgrund der für
seinen Grundbesitz geltenden rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten
bereits im Jahre 1972 mit der kompetenzgemässen Anordnung der in der
kantonalen und kommunalen Baugesetzgebung vorgesehenen Planungsmassnahmen
rechnen. Er konnte nicht erwarten, dass seine am Rande überbauten
Gebietes gelegene Parzelle in dem noch nicht ordnungsgemäss erschlossenen
Hanggelände von Murissen vor der Bereinigung des Gefahrenzonenplanes,
des Zonenplanes und der Festlegung der Erschliessung durch die Gemeinde
sowie vor der Durchführung einer Landumlegung überbaut werden könne.

    Der Einwand des Beschwerdeführers, auf seinem Grundbesitz wäre
eine Überbauung möglich gewesen, da er nicht in der Gefahrenzone
liege und da er für sich allein erschliessbar wäre, ist nicht
stichhaltig. Eine der Ortsplanung entsprechende Erschliessungsplanung und
ein Quartierplanverfahren mit Baulandumlegung bezwecken, ein grösseres
Gebiet einer rationellen baulichen Nutzung zuzuführen. Auch Parzellen,
auf denen eine Überbauung möglich wäre, dürfen in das Verfahren einbezogen
werden, um dessen Zweck, die Erschliessung und Grundstückseinteilung
des ganzen Gebiets zweckmässig zu lösen, zu erreichen (ZIMMERLIN,
Kommentar zum aargauischen Baugesetz, N. 2 zu § 172; PETER LUDWIG,
Die Baulanderschliessung nach bernischem Recht, BVR 1982, S. 413 f.;
HANSRUDOLF STEINER, Die Baulandumlegung dargestellt nach schweizerischem
Recht, Diss. Zürich 1968, S. 41 f.).

    Im übrigen kann der Behauptung des Beschwerdeführers, seine Grundstücke
seien baureif gewesen, jedenfalls für die von ihm geplante Überbauung
nicht zugestimmt werden. Die im Situationsplan des Baubegehrens vom
7. August 1972 eingezeichnete Möglichkeit, das Hanggelände über die zum
Nachbargrundstück führende Zufahrtsstrasse zu erschliessen, sieht die
Inanspruchnahme der Parzellen Nrn. 609 und 656 vor. Rechtskräftige Bau-
und Niveaulinien, welche diese Inanspruchnahme sichern würden, fehlen
indes. Dass die entsprechende Zufahrt privatrechtlich gesichert wäre,
macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Überdies vermöchte eine
privatrechtliche Regelung der vom kantonalen Raumplanungsgesetz und
dem Gemeindebaugesetz geforderten einwandfreien Erschliessung gemäss
den von der Gemeinde festzusetzenden Plänen nicht zu genügen, wie
das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat. Hiezu zählt
auch die Ableitung der Abwässer und deren Reinigung gemäss den
Anforderungen des am 1. Juli 1972 in Kraft getretenen eidgenössischen
Gewässerschutzgesetzes. Das eingereichte, klarerweise ungenügende Baugesuch
vom 7. August 1972 enthielt hiezu keine Angaben. Beim Baubeschrieb
wurde die Rubrik "Kanalisation" nicht ausgefüllt. Das Projekt hätte
wohl auch deshalb nicht verwirklicht werden können. Der Grundbesitz
des Beschwerdeführers unterlag den üblichen Beschränkungen, die sich
aus der Planung und Durchführung der vorschriftsgemässen Erschliessung
und Baulandumlegung ergeben und die grundsätzlich entschädigungslos zu
dulden sind (ZIMMERLIN, aaO, N. 6 zu § 212, S. 607). Dass die Gemeinde
ihre Pflichten vernachlässigt hätte, macht der Beschwerdeführer mit Recht
nicht geltend.