Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IB 125



109 Ib 125

20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Juli 1983 i.S. Regierung des Kantons Graubünden gegen Bernet und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 24 RPG; Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf eine
landwirtschaftliche Baute im übrigen Gemeindegebiet?

    Ist eine im übrigen Gemeindegebiet gelegene Fläche gemäss
ausdrücklicher Anordnung des kantonalen Recht einer Landwirtschaftszone im
Sinne von Art. 16 RPG gleichzusetzen, so bedarf ein darauf projektiertes
landwirtschaftliches Gebäude keiner Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG,
sondern einer ordentlichen Baubewilligung im Sinne von Art. 22 RPG.

Sachverhalt

    A.- Christian Bernet ist Eigentümer eines Maiensässes im Tarnatler
Boden im übrigen Gemeindegebiet der Gemeinde Peist. Er beabsichtigt
unter anderem, das Stallgebäude abzubrechen und durch einen neuen Stall
zu ersetzen. In einem Rekursverfahren stellte das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden fest, dass es sich um ein zonenkonformes Projekt handle,
das auf dem ordentlichen Weg zu bewilligen sei. Die Regierung des Kantons
Graubünden führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie
vertritt die Auffassung, dass der projektierte Stallneubau zonenfremd
sei und deshalb einer Ausnahmebewilligung bedürfe. Das Bundesamt für
Raumplanung teilt diese Ansicht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde
ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Umstritten ist in erster Linie, ob das Verwaltungsgericht den
projektierten Stallneubau als zonenkonforme Baute im Sinne von Art. 22
Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni
1979 (RPG) betrachten durfte. Das trifft dann zu, wenn die im übrigen
Gemeindegebiet gelegene Fläche von Tarnatel, wo sich die Maiensässparzelle
des Beschwerdegegners befindet, einer Landwirtschaftszone im Sinne von
Art. 16 RPG gleichgestellt werden kann.

    a) Nach der Auffassung des Bundesamtes für Raumplanung stellt
das übrige Gemeindegebiet keine Zone, sondern ein Gebiet im Sinne des
Art. 18 Abs. 2 RPG dar, dessen Nutzung noch nicht bestimmt ist. Der
Begriff der in den Nutzungsplänen festzulegenden Zonen setze die präzise
Nutzungsfestlegung in parzellenscharfer Begrenzung voraus. Nach Bündner
Recht könne hievon nicht gesprochen werden, weil das übrige Gemeindegebiet
grundsätzlich wie bisher zu nutzen und Art. 30 des Raumplanungsgesetzes für
den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973 (KRG) über die Landwirtschaftszonen
nur sinngemäss anzuwenden sei, wenn die landwirtschaftliche Nutzung
überwiege. Solange das zuständige Gemeinwesen die zulässige Bodennutzung
nicht festgelegt habe, könne das übrige Gemeindegebiet nicht einer Zone
mit bestimmtem Nutzungszweck gleichgesetzt werden.

    b) Dass in Tarnatel im übrigen Gemeindegebiet der Gemeinde Peist
die landwirtschaftliche Nutzung überwiegt, ist unbestritten. Demzufolge
ist nach Art. 31 Abs. 1 KRG die Vorschrift von Art. 30 KRG über die
Landwirtschaftszonen sinngemäss anzuwenden. Es trifft zu, dass diese
Regelung des Bündner Raumplanungsgesetzes die Flächen nicht von vornherein
parzellenscharf bezeichnet, auf denen die landwirtschaftliche Nutzung
überwiegt. Daher muss in einem weitern Schritt - in der Regel bei der
Prüfung eines Baugesuchs - festgestellt werden, wo Art. 30 KRG zum Zug
kommt. Art. 18 Abs. 2 RPG erlaubt ausdrücklich, dass das kantonale Recht
Vorschriften enthalten kann über Gebiete, die noch nicht einer Nutzungszone
zugewiesen sind. Art. 31 Abs. 1 KRG stellt eine solche Regelung dar.

    Nach Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG darf eine Baubewilligung nur
erteilt werden, wenn die Bauten und Anlagen dem Zweck der Nutzungszone
entsprechen. Es fragt sich, ob diese Vorschrift ausschliesslich
Nutzungszonen im Sinne von Art. 14 bis 18 Abs. 1 RPG voraussetzt. Träfe
dies zu, so dürften Bauten und Anlagen in den noch nicht bestimmten, in
Art. 18 Abs. 2 RPG genannten Gebieten nur nach Art. 24 RPG ausnahmsweise
bewilligt werden, und zwar auch dann, wenn das Vorhaben den Vorschriften
entspricht, die das kantonale Recht im Sinne von Art. 18 Abs. 2 RPG
enthält. Diesfalls käme dem in Art. 18 Abs. 2 RPG enthaltenen Vorbehalt
zugunsten des kantonalen Rechts kaum mehr massgebende Bedeutung zu, da
sich das Bauen in solchen Gebieten ausserhalb der Bauzonen stets nach
den Anforderungen des Art. 24 RPG richten müsste. Ein solches Ergebnis
widerspräche jedoch dem Sinn der gesetzlichen Regelung; der Gesetzgeber
wollte in Respektierung der Planungshoheit der Kantone dem kantonalen
Recht die Möglichkeit vorbehalten, auch im übrigen Gebiet bestimmte
Nutzungen zuzulassen, die den Zielen und Grundsätzen der eidgenössischen
Raumplanungsgesetzgebung entsprechen (Botschaft des Bundesrates zu einem
Bundesgesetz über die Raumplanung vom 27. Februar 1978, Erläuterung zu
Art. 19 des Entwurfs, BBl 1978 I 1026). Regelt das kantonale Recht die
zulässige Nutzung im "übrigen" Gebiet präzis und in Übereinstimmung mit
den Zielen und Grundsätzen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes, so
dürfen die entsprechenden Gebiete der Nutzungszone im Sinne von Art. 22
Abs. 2 lit. a RPG gleichgesetzt werden (HEINZ AEMISEGGER, Leitfaden zum
Raumplanungsgesetz, VLP-Schriftenfolge Nr. 25, Bern 1980, Ziff. 18.2,
S. 63; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung,
Bern 1981, N. 16 zu Art. 18, S. 238).

    Im vorliegenden Fall geht es um eine Nutzung, die mit den Grundsätzen
des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes übereinstimmt. Die Vorschrift
von Art. 30 KRG über die Landwirtschaftszonen entspricht Art. 16
RPG. Wenn nun Art. 31 Abs. 1 KRG die Vorschrift von Art. 30 KRG
auch im übrigen Gemeindegebiet für sinngemäss anwendbar erklärt, wo
landwirtschaftliche Nutzung überwiegt, so handelt es sich dabei um eine
Regelung im Sinne von Art. 18 Abs. 2 RPG. Konkret lässt sie Bauvorhaben
zu, die der landwirtschaftlichen Nutzung dienen und damit den für die
Landwirtschaftszone geltenden Bestimmungen genügen, weshalb sie jener
Zone gleichzusetzen ist. Für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung
bleibt unter diesen Umständen kein Raum. Das kantonale Recht umschreibt
die zulässige Nutzung mit genügender Klarheit. Ob die landwirtschaftliche
Nutzung überwiegt, dürfte im Regelfall ohne Schwierigkeiten zweifelsfrei
festzustellen sein. Wo dies - wie hier - zutrifft, besteht im Sinne
der Ziele und Grundsätze der Raumplanung (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a und
Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG) ein Interesse daran, die Vorschriften über die
Landwirtschaftszone anzuwenden. Das von der Regierung angeführte Zitat (BGE
108 Ib 132 E. 1a) bezieht sich auf den teilweise Umbau einer Heubarge in
Wohnraum, der zur Verfolgung landwirtschaftlicher Zwecke nicht notwendig
war; ein solches Vorhaben bedarf klarerweise einer Ausnahmebewilligung
nach Art. 24 RPG.

    c) Die Gefahr, dass auf diesem Weg die Anwendung von Art. 24 RPG
erschwert oder gar umgangen werden könnte, ist bei den Bündner Vorschriften
für Bauten ausserhalb der Bauzonen nicht ersichtlich. Als zonenkonform im
Sinne von Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG darf eine Baute ausserhalb der Bauzone
nur bewilligt werden, wenn sie die Anforderungen der Landwirtschaftszone
gemäss Art. 30 Abs. 2 KRG erfüllt. Ob das zutrifft, ist nicht nur von
der Gemeinde, sondern auch vom kantonalen Departement des Innern und
der Volkswirtschaft zu prüfen (Art. 2 und 4 BAB in der ab 1. Januar 1983
geltenden Fassung).

    Angesichts der zentralen Bedeutung, die das Bundesrecht der Abgrenzung
der Bauzonen zumisst, entspricht diese Regelung entgegen den Bedenken des
Verwaltungsgerichts dem Sinn von Art. 25 Abs. 2 RPG; danach sind Ausnahmen
gemäss Art. 24 RPG durch eine kantonale Behörde zu erteilen oder mit
deren Zustimmung zu bewilligen. Die Sicherstellung der einheitlichen
Anwendung dieser Vorschrift im ganzen Kantonsgebiet rechtfertigt es,
auch die zonenkonformen Vorhaben dem kantonalen Prüfungsverfahren
zu unterstellen. Dass dabei das Departement als Aufsichtsbehörde
Empfehlungen aussprechen und Auflagen zur Sicherung der zonengemässen
Zweckbestimmung verfügen darf, wie Art. 4 BAB in der geltenden Fassung
ausdrücklich festhält, braucht nicht als Einmischung in die Autonomie
der Gemeinden aufgefasst zu werden; die Mitwirkung des Departementes
erscheint vielmehr als Hilfeleistung zur Sicherung des rechtmässigen
Zustandes, woran die Gemeinden ebensosehr wie der Kanton interessiert
sind. Entgegen der Auffassung der Regierung kann auch nicht gesagt werden,
die im kantonalen Raumplanungsgesetz ausdrücklich angeordnete Anwendung
der Vorschriften über die Landwirtschaftszone verstosse gegen das Verfahren
über den Erlass und die Änderung von Zonenplänen.