Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IA 91



109 Ia 91

19. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. April
1983 i.S. Frau M. gegen K. und Verwaltungsgericht des Kantons Wallis
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG; Legitimation.

    Ob die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde gegeben ist,
prüft das Bundesgericht von Amtes wegen und frei, unabhängig davon, ob
der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren die Beschwerdebefugnis
zuerkannt worden ist.

    Der Ehefrau des Eigentümers einer Liegenschaft, wo die beiden in
Hausgemeinschaft wohnen, fehlt die Legitimation, gegen ein vom Nachbarn
ausgeschriebenes Bauprojekt in eigenem Namen staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 4 BV zu führen.

Sachverhalt

    A.- K. ist Eigentümer einer in der Wohnzone W 3 gelegenen Parzelle in
Salgesch. Er stellte am 11. Mai 1980 ein Baugesuch für einen Weinkeller,
genauer für eine der Lagerung und Pflege wie auch dem Weinhandel dienende
gewerbliche Baute auf seiner Parzelle. Dagegen erhob Frau M., deren
Ehemann Eigentümer der benachbarten Liegenschaft ist, Einsprache. Zur
Begründung führte sie im wesentlichen aus, das projektierte Gebäude sei im
Blick auf die geltenden Bauvorschriften zu voluminös; später berief sie
sich auch noch auf die nach ihrer Meinung zu erwartenden übermässigen
Lärmimmissionen. Der Gemeinderat Salgesch wies die Einsprache ab und
bewilligte das Bauvorhaben. Eine von Frau M. erhobene Beschwerde wies der
Staatsrat des Kantons Wallis ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Wallis,
an das Frau M. darauf gelangte, hiess die Beschwerde am 2. März 1982
teilweise gut und versah die erteilte Baubewilligung mit der Auflage, dass
im Untergeschoss im Sinne der Erwägungen keine auf die Bruttogeschossfläche
anrechenbaren Räumlichkeiten eingerichtet werden dürften; im übrigen wies
es die Beschwerde ab.

    Frau M. hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV eingereicht mit dem Antrag,
es aufzuheben.

    Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

    Nach Art. 88 OG steht Bürgern das Recht zur Führung einer
staatsrechtlichen Beschwerde u.a. bezüglich solcher Rechtsverletzungen
zu, die sie durch sie persönlich treffende Verfügungen erlitten haben. Ob
diese Voraussetzung erfüllt ist, prüft das Bundesgericht von Amtes wegen
und frei, unabhängig davon, ob dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren
die Beschwerdebefugnis zuerkannt worden ist (BGE 106 Ia 63).

    a) Eigentümer der Liegenschaft, wo die Beschwerdeführerin wohnt,
ist ihr Ehemann M. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, von ihrem
Ehemann zur Beschwerdeführung beauftragt und bevollmächtigt worden zu sein,
nicht einmal, sie handle mit seinem Einverständnis. Die Akten enthalten
keinerlei Erklärung des Ehemanns zur vorliegenden Beschwerde. Dagegen
geht aus ihnen hervor, dass M. als Gemeindepräsident am Beschluss der
Gemeindebehörde auf Erteilung der Baubewilligung mitgewirkt und nicht
etwa den Ausstand genommen hat. Unbestritten ist auch, dass er die
Vernehmlassung der Gemeinde vom 26. November 1980 an die kantonale
Baukommission unterzeichnet hat, mit der die Abweisung der Einsprache
seiner Ehefrau beantragt wird.

    Die Beschwerdeführerin führt zudem nicht im Namen ihres Ehemanns,
sondern in eigenem Namen staatsrechtliche Beschwerde. In der
Beschwerdeschrift begründet sie ihre Legitimation in keiner Weise. Vom
Verwaltungsgericht wurde sie in jenem Verfahren als Nachbarin, die
ihre eigenen persönlichen Interessen verficht, zur Beschwerdeführung
zugelassen. In der Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde
vertritt das Verwaltungsgericht aber die Auffassung, es sei nicht
einzusehen, in welchen persönlichen, rechtlich geschützten Interessen
die Beschwerdeführerin hier betroffen werde, weshalb die Legitimation
nach Art. 88 OG zu fehlen scheine.

    b) Im Unterschied zum Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
Art. 103 lit. a OG setzt die Befugnis zu einer auf Art. 4 BV gestützten
staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung in rechtlich geschützten
Interessen voraus. Ein solches Interesse billigt die Rechtsprechung dem
Nachbarn zu, sofern er geltend macht, der angefochtene Entscheid verletze
Bauvorschriften, die ausser den Interessen der Allgemeinheit auch oder in
erster Linie seinem Schutze dienen. Zusätzlich muss er dartun, dass er
sich im Schutzbereich der Vorschriften befinde und durch die behauptete
widerrechtliche Auswirkung der Baute betroffen werde (BGE 107 Ia 74 mit
Hinweisen). Zu diesen nachbarschützenden Bauvorschriften gehören gemäss
Rechtsprechung neben Bestimmungen über Abstände und Gebäudehöhe auch
solche über die höchstzulässige Ausnützung der Bauparzellen (BGE 106 Ia
63). Der Nachbar kann ebenfalls vorbringen, er werde durch unzulässige
Immissionen, die von der geplanten Baute zu erwarten seien, in seiner
Rechtsstellung betroffen (BGE 106 Ia 59 E. 1). Das Haus M. befindet sich
im Schutzbereich dieser Bestimmungen. Ob die Familie M. durch die am
Bauprojekt gerügten Rechtsverletzungen in rechtserheblichem Masse mehr
betroffen wird als durch eine Baute, welche die gesetzlichen Anforderungen
erfüllt, ist indes fraglich, kann aber offen bleiben.

    c) Näher zu prüfen ist die Frage, ob die Beschwerdeführerin
unabhängig von ihrem Ehemann, allenfalls sogar gegen dessen Willen,
als beschwerdeberechtigter Nachbar im Sinne der Rechtsprechung zu
betrachten ist. Als solcher gilt in der Regel der Eigentümer der
Nachbarliegenschaft. Unter gewissen Voraussetzungen wird jedoch auch
der Mieter zur staatsrechtlichen Beschwerde zugelassen, da durch eine
öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung nicht nur der Eigentümer,
sondern mittelbar auch der Mieter in seiner Rechtsstellung betroffen
werden kann (BGE 105 Ia 46). Dies ergab sich im erwähnten Fall aus der
erfolgreichen Anrufung der Eigentumsgarantie durch den Mieter.

    In BGE 106 Ia 409 ff. hat das Bundesgericht die massgebende Regel
hervorgehoben, dass die staatsrechtliche Beschwerde weder die Wahrung
einfacher faktischer Interessen noch die Geltendmachung allgemeiner
Interessen zum Ziele haben kann. Es hat seine Rechtsprechung dahin
präzisiert, dass ein Mieter nur dann zur staatsrechtlichen Beschwerde
befugt ist, wenn er die Verletzung eines Rechtssatzes dartut oder
hochwahrscheinlich macht, der in erster Linie oder hilfsweise seine
persönlichen Interessen schützt.

    Nach diesen Kriterien könnte ein Mieter im Haus M. die
Beschwerdebefugnis gemäss Art. 88 OG nur dann für sich in Anspruch nehmen,
wenn er unter Berufung auf die Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter
BV darzutun vermöchte, dass er durch das Bauvorhaben in seinem Besitz
der Mietsache oder in seinem Recht auf Abwehr übermässiger Immissionen
rechtserheblich betroffen werde. Nachdem die Frage der Lärmimmissionen
nicht mehr streitig ist, könnte ein Mieter diese Voraussetzungen indes
nicht erfüllen.

    d) Die Beschwerdeführerin ist nicht Mieterin, sondern die Ehefrau
des Hauseigentümers. Sie hat sich nicht auf die Eigentumsgarantie
gestützt. Ebensowenig macht sie aus dem ehelichen Güterrecht hergeleitete
Vermögensansprüche und deren Verletzung durch das angefochtene Bauvorhaben
geltend. Vor Verwaltungsgericht hatte sie sich auf Art. 160 Abs. 2 ZGB
berufen und vorgebracht, da der Ehemann die häusliche Wohnung bestimme,
sei die Ehefrau nach Gesetz gezwungen, in der von ihm ausgewählten Wohnung
zu verweilen; sie sei daher mehr noch als ein Mieter als "Nachbarin"
anzusehen.

    Aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Wirkungen der Ehe
im allgemeinen geht hervor, dass die Ehegatten vom Gesetzgeber als
Lebensgemeinschaft betrachtet werden, die nach aussen in der Regel
als solche auftritt. Vertreter der ehelichen Gemeinschaft ist gemäss
Art. 162 Abs. 1 ZGB der Ehemann, die Ehefrau lediglich im beschränkten,
hier nicht genügenden Rahmen von Art. 163 ZGB. Eine Sonderregelung gilt,
wenn die Ehegatten gerichtlich getrennt worden sind, wenn ein Scheidungs-
oder Trennungsprozess hängig ist oder wenn der Richter zum Schutz der
Gemeinschaft Massnahmen nach Art. 169 ff. ZGB zu treffen hat.

    Die Ehegatten M. leben in Hausgemeinschaft, und es wird keiner
der erwähnten Sondertatbestände geltend gemacht. Demzufolge bestimmt
in der Tat der Ehemann die eheliche Wohnung und regelt nach aussen
die Fragen, die damit im Zusammenhang stehen. Er darf dies freilich
nicht ohne Rücksichtnahme auf die Ehefrau tun, die regelmässig einen
erheblich grösseren Teil des Tages in der ehelichen Wohnung verbringt
als der Ehemann. Seine Rücksichtspflicht ergibt sich klar aus Art. 160
Abs. 2 ZGB. Meist gelingt es der Ehefrau, ihre Vorstellungen in dieser
Hinsicht mit den seinigen in Übereinstimmung zu bringen. Kommt jedoch der
Ehemann seiner Pflicht, der Ehefrau eine den Lebensumständen der Ehegatten
angemessene und genügend gesunde Wohnung zur Verfügung zu stellen, nicht
nach, so hat die Ehefrau gemäss Art. 169 ff. ZGB das Recht, den Richter
anzurufen und gegebenenfalls den gemeinsamen Haushalt aufzuheben. Ein
Recht, anstelle des Ehemanns, unabhängig von diesem, allenfalls sogar
wider dessen Willen gegen ein vom Nachbarn ausgeschriebenes Bauprojekt
vorzugehen, lässt sich daraus nicht ableiten. Die Ehefrau hat gestützt auf
die gesetzlichen Regeln über die allgemeinen Wirkungen der Ehe nur in ihrem
Verhältnis zum Ehemann einen Anspruch auf eine angemessene Wohnung. Diesen
Anspruch kann sie gegenüber Dritten nur in der Weise geltend machen, dass
sie im Namen des Ehemanns und mit dessen Ermächtigung für die eheliche
Gemeinschaft nachbarrechtliche Interessen wahrt, die auch der Qualität
der ehelichen Wohnung dienen. In eigenem Namen und ohne Ermächtigung des
Ehemanns kann sie dagegen nicht vorgehen.

    Die Beschwerdeführerin beruft sich lediglich auf Art. 4 BV, indem
sie willkürliche Anwendung des örtlichen Baureglements betreffend
die Ausnützungsziffer und damit den zulässigen Baukubus geltend
macht. Sie vermag nach dem Gesagten nicht darzutun, dass diesbezüglich
ein gesetzliches Recht, das ihr persönlich dem bauwilligen Nachbarn
gegenüber zustünde, verletzt worden wäre. Handelt es sich aber nur um
die Wahrung faktischer oder die Geltendmachung öffentlicher Interessen,
so ist die Legitimation im Sinne von Art. 88 OG nicht gegeben.