Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IA 214



109 Ia 214

41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Juni 1983 i.S. Z. gegen Universitätsanwalt der Universität Zürich,
Erziehungsdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Garantie des unabhängigen und unparteiischen
Richters.

    Ein Disziplinarverfahren betreffend den Ausschluss eines Studenten
vom Studium und von den Prüfungen an der Universität für die Dauer eines
Semesters fällt nicht unter den Geltungsbereich dieser Vorschrift.

Sachverhalt

    A.- Der Student Z. wurde von der Erziehungsdirektion des Kantons Zürich
am 11. September 1981 wegen Verstössen gegen die Disziplinarordnung der
Universität Zürich für die Dauer eines Semesters vom Studium und von den
Prüfungen an der Universität ausgeschlossen. Einen dagegen erhobenen Rekurs
des Studenten wies der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom
10. März 1982 ab. Mit staatsrechtlicher Beschwerde beklagt sich Z. unter
anderem über eine Verletzung seines Anspruchs auf einen unabhängigen und
unparteiischen Richter im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer rügt als Verstoss gegen die Art. 4 und 58
BV sowie gegen Art. 6 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK), dass der Regierungsrat seinen Rekursentscheid unter beratender
Mitwirkung des Erziehungsdirektors gefällt habe. Diese Mitwirkung beruhte
auf § 43 Abs. 4 des zürcherischen Gesetzes betreffend die Organisation
und Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner Direktionen vom
26. Februar 1899, der wie folgt lautet:

    "Bei Entscheidung von Rekursen gegen Verfügungen oder Beschlüsse der

    Direktionen, des Erziehungsrates oder ständiger Kommissionen nehmen
   diejenigen Mitglieder des Regierungsrates, von welchen die rekurrierte

    Verfügung ausgegangen ist oder die bei der rekurrierten Schlussnahme
   mitgewirkt haben, an der betreffenden Verhandlung nur mit beratender
   Stimme teil."

    a) (Ausführungen darüber, dass eine Verletzung der Art. 58 und 4 BV
nicht vorliegt.)

    b) Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat der Bürger dann Anspruch darauf,
dass seine Sache von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht
beurteilt wird, wenn das Gericht über zivilrechtliche Ansprüche und
Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen
strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Es stellt sich die Frage,
ob das Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer zivilrechtliche
Ansprüche oder eine strafrechtliche Anklage im Sinne dieser Vorschrift
zum Gegenstand hat. Dass es sich um ein Disziplinarverfahren handelt,
schliesst dies (entgegen der früher von der Europäischen Kommission
für Menschenrechte vertretenen Auffassung, vgl. SCHUBARTH, Die Art. 5
und 6 der Konvention, insbesondere im Hinblick auf das schweizerische
Strafprozessrecht, ZSR 94/1975 I S. 496 f. Ziff. 110) nicht von vornherein
aus. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem
Urteil vom 10. Februar 1983 i.S. Albert und Le Compte (in Bestätigung
eines früheren Entscheides vom 23. Juni 1981, publiziert in EuGRZ 1981
S. 551 ff.) Disziplinarverfahren gegen belgische Ärzte, die zu einem
zeitlich beschränkten oder unbeschränkten Berufsverbot führen können,
- als zivilrechtliche Ansprüche betreffend - der Garantie von Art. 6
Ziff. 1 EMRK unterstellt; er liess dabei aber offen, ob es sich auch um
eine strafrechtliche Anklage gehandelt habe (EuGRZ 1983 Heft 7 S. 192
f.). Eine strafrechtliche Anklage ist in einem Disziplinarverfahren
nur dann zu sehen, wenn die Sanktion nach der Schwere des Eingriffs als
strafrechtliche Sanktion zu werten ist (WILDHABER, Erfahrungen mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR 98/1979 II S. 365). Dies
trifft z.B. bei längerem militärischem Arrest zu (RAYMOND, La Suisse
devant les organes de la Convention européenne des Droits de l'Homme,
ZSR 98/1979 II S. 61).

    Massgebend dafür, ob ein Verfahren unter den Geltungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK fällt, ist somit nicht, ob es sich dabei um ein
Gerichts- oder ein Verwaltungsverfahren handelt, sondern allein, ob es
dabei um einen zivilrechtlichen Anspruch oder eine strafrechtliche Anklage
geht. Über den Charakter des Anspruchs oder der Anklage entscheiden die
Konventionsorgane autonom, ohne Rücksicht auf die Begriffe des nationalen
Rechts (SCHUBARTH, aaO, S. 495 Ziff. 105; RAYMOND, aaO, S. 61). Demnach
können Verwaltungsverfahren unter die Garantie des Art. 6 Ziff. 1
EMRK fallen, sie müssen es aber nicht (SCHUBARTH, aaO, S. 495). Im zu
beurteilenden Fall geht es um den Ausschluss vom Studium und von den
Prüfungen an der Universität Zürich für die Dauer eines Semesters. Darin
liegt sicher keine "strafrechtliche Anklage" im Sinne der Konvention. Eher
könnte noch das tangierte Recht auf Ausbildung und spätere Berufsausübung
als "zivilrechtlicher Anspruch" qualifiziert werden. Näher zu prüfen wäre
diese Frage im Falle eines endgültigen Ausschlusses von der Universität,
obwohl im Vergleich zum Fall der belgischen Ärzte der wesentliche
Unterschied besteht, dass diese den Anspruch auf Berufsausübung bereits
erworben hatten, während bei einem Studenten erst eine Möglichkeit dazu
besteht. Beim hier in Frage stehenden Ausschluss auf die beschränkte Dauer
eines Semesters kann aber von einem durch die EMRK geschützten Anspruch
noch nicht gesprochen werden. Die Rüge, der Entscheid des Regierungsrates
verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK, kann deshalb nicht durchdringen.