Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IA 12



109 Ia 12

4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Mai
1983 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Unentgeltliche Rechtspflege im Strafprozess.

    Räumt das kantonale Recht dem Geschädigten ein Rekursrecht ein, so
hat dieser unmittelbar aufgrund von Art. 4 BV Anspruch auf Befreiung von
der Kautionspflicht, falls er unbemittelt ist und der Rekurs nicht als
aussichtslos erscheint.

Sachverhalt

    A.- Am 14. Dezember 1981 erstattete X. bei der Bezirksanwaltschaft
Zürich Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Freiheitsberaubung, eventuell
Nötigung, in Verbindung mit Amtsmissbrauch. Die aufgrund dieser
Anzeige geführte Strafuntersuchung wurde von der Bezirksanwaltschaft
Zürich am 5. Juli 1982 eingestellt, und die Untersuchungskosten von
Fr. 330.50 wurden der Verzeigerin überbunden. X. rekurrierte gegen die
Einstellungsverfügung an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit dem
Antrag, die Untersuchung zu ergänzen, eventuell die Untersuchungskosten
auf die Staatskasse zu nehmen.

    Mit Verfügung vom 28. Juli 1982 forderte die Staatsanwaltschaft die
Rekurrentin auf, innert 10 Tagen Fr. 800.-- zur Deckung der ihr allenfalls
aufzuerlegenden Kosten und einer eventuellen Umtriebsentschädigung
an die Gegenpartei zu leisten, widrigenfalls der Rekurs von der Hand
gewiesen würde.

    X. führt gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Das Bundesgericht heisst die
Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- b) Weiter stellt sich die Frage, ob die Kautionsauflage den
direkt aus Art. 4 BV abzuleitenden Anspruch der Beschwerdeführerin
auf unentgeltliche Rechtspflege verletzt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts hat eine bedürftige Partei in einem nicht aussichtslosen
Prozess unmittelbar aufgrund von Art. 4 BV Anspruch darauf, dass der
Richter für sie ohne Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten tätig
wird, und dass ihr ein unentgeltlicher Rechtsbeistand ernannt wird,
wenn sie eines solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf
(BGE 104 Ia 73, 326, 99 Ia 327). Das Bundesgericht hat dies meist
für den Zivilprozess ausgesprochen, doch muss es sinngemäss auch für
den Strafprozess gelten. Dabei geht es in der Praxis im Strafprozess
zumeist um den Anspruch auf Offizialverteidigung, doch kann es keinem
Zweifel unterliegen, dass einer unbemittelten Partei im Strafverfahren
auch nicht das Ergreifen von nicht aussichtslosen Rechtsmitteln durch das
Begehren nach Kostensicherstellung verunmöglicht werden darf. Dies muss in
gleicher Weise für den Verurteilten wie für den Geschädigten gelten, dem
nach kantonalem Prozess Parteistellung und Weiterziehungsrecht zukommen.

    Für den subsidiären Privatkläger nach § 46 der zürcherischen
Strafprozessordnung (StPO) hat das Bundesgericht freilich in BGE 66 I
18 f. sowie in einem in ZR 51 Nr. 109 teilweise publizierten Urteil
vom 18. Januar 1952 die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege
als mit Art. 4 BV vereinbar erklärt, dies im wesentlichen mit folgender
Begründung: Der Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz
enthalte keine Verpflichtung des Staates, unter allen Umständen und
für jedes Verfahren Unentgeltlichkeit zu bewilligen. Ein Anspruch auf
Einräumung des Armenrechts bestehe nur insoweit, als die mittellose
Partei im Falle der Verweigerung in ihrem verfassungsmässigen Recht auf
staatlichen Rechtsschutz verkürzt würde. Unentgeltliche Prozessführung
brauche nicht bewilligt zu werden für Verfahren, die mit Kosten und
Vorschüssen verbunden seien, wenn der Staat seinen Schutz in einem
anderen Verfahren unter genügenden Garantien kostenfrei gewähre. Soweit
verschiedene Verfahren zur Verfügung ständen, dürfe die bedürftige Partei
auf das für sie kostenfreie verwiesen und beschränkt werden. Da nach der
Zürcher StPO Vergehen allgemein auf Anzeige hin von Amtes wegen verfolgt
werden könnten in einem Verfahren, das für den Geschädigten grundsätzlich
kostenfrei sei, liege keine Verweigerung des staatlichen Schutzes darin,
dass Unentgeltlichkeit für die Privatstrafklage nach § 46 StPO nicht
bewilligt werde.

    Das Bundesgericht begründet also die Zulässigkeit der Verweigerung des
Kostenerlasses im subsidiären Privatklageverfahren gerade damit, dass das
Offizialverfahren für den Geschädigten kostenfrei sei und ihm genügende
Garantien biete. Solche Garantien gewährleistet das Offizialverfahren
dem bedürftigen Geschädigten aber nur dann, wenn er sich auch ohne
Hinterlegung von Kosten gegen eine ungerechtfertigte Einstellung des
Verfahrens mit Rekurs zur Wehr setzen kann. Andernfalls ist ihm der
gleiche Rechtsschutz wie dem Bemittelten nicht gewährleistet. Räumt
das kantonale Recht dem Geschädigten ein Rekursrecht ein, so muss ihm
dieses Rechtsmittel ungeachtet seiner finanziellen Verhältnisse offen
stehen. Nur damit wird der Garantie der Rechtsgleichheit gemäss Art. 4
BV Genüge getan, die verlangt, dass eine bedürftige Partei in einem für
sie nicht aussichtslosen Verfahren den Richter ohne Vorschussleistung
für Prozesskosten angehen kann. Selbstverständlich darf nicht davon
ausgegangen werden, Einstellungen erfolgten immer zu Recht und Rekurse
dagegen hätten ohnehin keine Erfolgsaussichten.

    Die Beschwerdeführerin begründet ihr Interesse am Rekurs gegen
die Einstellungsverfügung u.a. damit, dass ihr nach Art. 7 KV ein
Schadenersatz- und Genugtuungsanspruch gegen den Staat zustehe. Wenn sie
diesen nach dem kantonalen Haftungsgesetz geltend machen wolle, so könne
ihr nach § 21 dieses Gesetzes die Rechtskraft der Einstellungsverfügung
entgegengehalten werden. Ob dies zutrifft, kann offengelassen werden. Auch
ohne derartiges Interesse hat sie Anspruch darauf, als Partei die ihr vom
kantonalen Recht gewährten Rechtsmittel ohne Rücksicht auf ihre finanzielle
Lage wahrzunehmen und sich auch gegen die Kostenauflage zur Wehr zu setzen.

    Dies führt zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin im
Rekursverfahren aufgrund von Art. 4 BV Anspruch auf Befreiung von der
Kautionspflicht hat, falls sie unbemittelt ist und der Rekurs nicht als
aussichtslos erscheint. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist von
der Staatsanwaltschaft nicht überprüft worden und kann den Akten nicht
entnommen werden. Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben. Die
Staatsanwaltschaft wird zu prüfen haben, ob die erwähnten Voraussetzungen
vorliegen.