Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 V 58



108 V 58

16. Auszug aus dem Urteil vom 30. September 1982 i.S. Meier gegen
Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern Regeste

    Art. 47 Abs. 1 AHVG.

    - Eine grosse Härte im Sinne der Gesetzesbestimmung liegt vor,
wenn zwei Drittel des anrechenbaren Einkommens (und der allenfalls
hinzuzurechnende Vermögensteil) die nach Art. 42 Abs. 1 AHVG anwendbare
und um 50% erhöhte Einkommensgrenze nicht erreichen (Erw. 2; redaktionelle
Berichtigung zu BGE 107 V 79).

    - Bei der Beurteilung der grossen Härte sind Einkommen und Vermögen
des Ehegatten auch dann mit zu berücksichtigen, wenn das Erlassgesuch
die Rückerstattung der Waisenrente eines Stiefkindes zum Gegenstand hat
(Erw. 3a).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 47 Abs. 1 AHVG kann von der Rückforderung zu Unrecht
ausgerichteter Renten und Hilflosenentschädigungen bei gutem Glauben und
gleichzeitigem Vorliegen einer grossen Härte abgesehen werden (vgl. auch
Art. 79 AHVV).

    Gemäss früherer Rechtsprechung war eine grosse Härte im Sinne von
Art. 47 Abs. 1 AHVG gegeben, soweit zwei Drittel des Jahreseinkommens,
dem ein angemessener Teil des Vermögens zuzurechnen ist, nach Abzug der
Rückerstattungsforderung die auf den Rückerstattungspflichtigen zutreffende
Einkommensgrenze des Art. 42 Abs. 1 AHVG nicht erreichten (BGE 104 V
174). In Abänderung dieser Praxis hat das Eidg. Versicherungsgericht
im Urteil Schönenberg vom 21. April 1981 entschieden, dass eine grosse
Härte schon dann vorliegt, wenn das anrechenbare Einkommen die nach
Art. 42 Abs. 1 AHVG anwendbare und um 50% erhöhte Einkommensgrenze nicht
erreicht. Für die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens gelten wie
bisher die Regeln der Art. 56 ff. AHVV. Im übrigen ist die Berücksichtigung
weiterer Umstände (wie beispielsweise die Pflicht zur Tilgung anderweitiger
Schulden) nicht ausgeschlossen (BGE 107 V 79).

    b) Wie im Urteil Schönenberg vom 21. April 1981 näher ausgeführt wird
(BGE 107 V 83), erfolgte die Neuumschreibung der grossen Härte - mangels
eines geeigneteren Kriteriums und aus Gründen der Praktikabilität - in
Form eines einheitlichen prozentualen Zuschlages zu den Einkommensgrenzen
des Art. 42 Abs. 1 AHVG. Darüber hinaus blieb die bisherige Praxis
unverändert; es bestand namentlich nicht die Absicht, von der Regelung
des Art. 42 Abs. 1 AHVG abzugehen, wonach bei der Beurteilung der
grossen Härte lediglich zwei Drittel des anrechenbaren Einkommens zu
berücksichtigen sind. Dies schon deshalb nicht, weil die mit der Erhöhung
der Einkommensgrenzen angestrebte Milderung der bisherigen Praxis damit
weitgehend illusorisch geworden wäre. Im Urteil (Erw. 5b Abs. 2) wurde
daher ausdrücklich gesagt, dass die Neuumschreibung der grossen Härte
"im Rahmen des bisherigen Systems zu erfolgen" habe. Wenn anschliessend
ausgeführt wurde, eine grosse Härte liege gemäss neuer Praxis vor, wenn das
anrechenbare Einkommen die nach Art. 42 Abs. 1 AHVG anwendbare und um 50%
erhöhte Einkommensgrenze nicht erreiche, ist dies einem redaktionellen
Versehen zuzuschreiben. Richtigerweise muss es dort heissen, dass
eine grosse Härte im Sinne von Art. 47 Abs. 1 AHVG dann gegeben ist,
wenn zwei Drittel des anrechenbaren Einkommens (und der allenfalls
hinzuzurechnende Vermögensteil) die anwendbare und um 50% erhöhte
Einkommensgrenze nicht erreichen. In diesem Sinne lauten denn auch die
vom Bundesamt für Sozialversicherung aufgrund der neuen Rechtsprechung
erlassenen Verwaltungsweisungen (Rz. 1199 der Rentenwegleitung in der
Fassung gemäss Kreisschreiben vom 3. Juni 1981).

Erwägung 3

    3.- a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Voraussetzung der
grossen Härte sei allein aufgrund des Einkommens des Sohnes zu beurteilen,
weil sie während der Zeit des unrechtmässigen Rentenbezuges weder
seine gesetzliche Vertreterin noch ihm gegenüber unterhaltspflichtig
gewesen sei. Entscheidend ist indessen, dass die Beschwerdeführerin
Rentenempfängerin war und als solche auch rückerstattungspflichtig
ist. Massgebend sind daher nicht die Einkommens- und Vermögensverhältnisse
des Sohnes, sondern diejenigen der Beschwerdeführerin, wobei praxisgemäss
auch Einkommen und Vermögen des Ehemannes mit zu berücksichtigen sind
(BGE 107 V 80, ZAK 1978 S. 218). Dies gilt entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin ungeachtet dessen, dass ein Stiefkindverhältnis vorliegt
und die Waise gegenüber dem Stiefvater keine direkten Unterhaltsansprüche
hat (TUOR/SCHNYDER, Das Schweiz. Zivilgesetzbuch, 9. Aufl., S. 271;
HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, S. 113). Schon im Hinblick darauf,
dass jeder Ehegatte dem andern in der Erfüllung der Unterhaltspflicht
gegenüber vorehelichen Kindern in angemessener Weise beizustehen hat
(Art. 278 Abs. 2 ZGB), besteht kein Grund, diesbezüglich anders zu
urteilen, als wenn es um die Rückerstattung einer zu Unrecht bezogenen
Altersrente geht. Es kann daher auch dem Eventualantrag auf Beurteilung der
grossen Härte allein aufgrund der eigenen Einkommen der Beschwerdeführerin
nicht beigepflichtet werden.