Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 V 37



108 V 37

10. Urteil vom 12. Mai 1982 i.S. Schweizerische Krankenkasse Helvetia
gegen P. und Versicherungsgericht des Kantons Appenzell AR Regeste

    Art. 19bis Abs. 3 KUVG. Als Grundlage für die Leistungsbemessung
fallen im Rahmen von Art. 19bis Abs. 3 KUVG nur diejenigen Heilanstalten
in Betracht, die zur Behandlung jener Kategorie von Kranken bestimmt sind,
zu denen der Versicherte vom medizinischen Standpunkt aus gehört. In dieser
Hinsicht können Trinkerheilanstalten im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Vo III
KUVG in der Regel psychiatrischen Kliniken nicht gleichgestellt werden.

Sachverhalt

    A.- Richard P. wurde am 21. Mai 1979 in die Heilstätte für
alkoholkranke Männer "Mühlhof" in Tübach SG eingewiesen. Die Tagespauschale
der Heilstätte betrug damals Fr. 30.50. Mit Verfügung vom 16. Juli 1979
teilte die Schweizerische Krankenkasse Helvetia (nachstehend Kasse genannt)
dem den Versicherten vertretenden Gemeindefürsorgeamt mit, dass sie für
den fraglichen Aufenthalt die Kosten für Arzt und Arznei sowie einen
täglichen Beitrag von Fr. 6.-- für die übrige Pflege übernehme. Daneben
gelange das versicherte Krankengeld zur Auszahlung.

    B.- Gegen diese Verfügung erhob das Fürsorgeamt für den Versicherten
Beschwerde und verlangte die Vergütung der vollen Tagespauschale von
Fr. 30.50, abzüglich eines allfälligen Verpflegungskostenbeitrages. Am
3. Februar 1981 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Appenzell AR
die Beschwerde gut und verpflichtete die Kasse, Richard P. für die Dauer
seines Aufenthaltes in der Trinkerheilstätte "Mühlhof" in Tübach aus der
Krankenpflegeversicherung eine Tagespauschale von Fr. 30.50 auszurichten.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Kasse die
Aufhebung des kantonalen Entscheides und die Bestätigung der Verfügung
vom 16. Juli 1979.

    Richard P. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherung spricht sich für
Gutheissung aus.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 12 Abs. 2 KUVG haben die Kassen bei Aufenthalt
in einer Heilanstalt die zwischen dieser und der Kasse vertraglich
festgelegten Leistungen, mindestens aber die ärztliche Behandlung,
einschliesslich der wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen, der
Arzneimittel und Analysen nach den Taxen der allgemeinen Abteilung sowie
einen täglichen Mindestbeitrag an die übrigen Kosten der Krankenpflege
zu erbringen. Diesen Mindestbeitrag setzt Art. 24 Abs. 1 Vo III KUVG
mit Fr. 9.-- pro Tag fest. Diese Bestimmungen wurden mit Art. 73 Abs. 1
und Art. 73 Abs. 1 lit. a in die Statuten der Kasse übernommen.

    Nach Art. 23 Abs. 2 Vo III KUVG gelten Anstalten oder Abteilungen von
solchen, in denen ausschliesslich Entwöhnungskuren für Trunksüchtige auf
ärztliche Verordnung und unter ärztlicher Leitung durchgeführt werden,
ebenfalls als Heilanstalten. In diesem Fall beläuft sich gemäss Art. 24
Abs. 1 Vo III KUVG der tägliche Mindestbeitrag an die übrigen Kosten der
Krankenpflege auf Fr. 6.--. Die Statuten der Kasse sehen in Art. 75 Abs. 1
den gleichen Tagesansatz vor.

    b) Begibt sich der Versicherte in ein Nichtvertragsspital, so kann
die Kasse ihre Leistungen nach den Taxen der allgemeinen Abteilung der
nächstgelegenen Heilanstalt am Wohnort des Versicherten oder in dessen
Umgebung bemessen, mit der sie einen Vertrag abgeschlossen hat (Art. 19bis
Abs. 3 KUVG). Die Kasse bestimmt in Art. 73 Abs. 1 lit. b ihrer Statuten,
dass sie ihre Krankenpflegeleistungen diesfalls nach dieser Regel erbringe.

    Muss sich der Versicherte aus medizinischen Gründen in eine bestimmte
Heilanstalt begeben, so hat die Kasse ihre Leistungen nach den Taxen
der allgemeinen Abteilung dieser Heilanstalt zu bemessen (Art. 19bis
Abs. 5 KUVG). Diese Norm findet sich im wesentlichen in Art. 73 Abs. 1
lit. d der Statuten wieder.

Erwägung 2

    2.- Nach den Akten musste sich der Beschwerdegegner aus medizinischen
Gründen einer Entwöhnungstherapie in einer Trinkerheilanstalt
unterziehen. Eine psychiatrische Klinik wurde als hiefür ungeeignet
erachtet. Daher ist Art. 19bis Abs. 5 KUVG bzw. Art. 73 Abs. 1 lit. d
der Statuten anwendbar. Das heisst indessen nicht, dass die Kasse aus
der Krankenpflegeversicherung die von der Anstalt "Mühlhof" in Rechnung
gestellte Tagespauschale von Fr. 30.50 voll zu vergüten hätte. Die
Kasse hat vielmehr lediglich die Kosten für die ärztliche Behandlung,
einschliesslich der wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen, der
Arzneimittel und Analysen nach den Taxen der allgemeinen Abteilung dieser
Anstalt sowie einen täglichen Mindestbeitrag an die übrigen Kosten der
Krankenpflege von Fr. 6.-- zu entschädigen. Einen darüber hinausgehenden
Anspruch räumt Art. 19bis Abs. 5 bzw. Art. 73 Abs. 1 lit. d der Statuten
nicht ein (RSKV 1980 Nr. 412 S. 131 Erw. 2). Ein Vertrag zwischen der
Kasse und der Trinkerheilanstalt "Mühlhof" besteht nicht.

    Insbesondere kann die Kasse - abweichende statutarische Regelungen
sind nicht gegeben - nicht dazu verhalten werden, aus der Grundversicherung
Leistungen für Unterkunft und Verpflegung zu erbringen. Diese Kosten sind
in Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG nicht erfasst, so dass diesbezüglich auch
keine Pflichtleistung der Kassen besteht (RSKV 1980 Nr. 412 S. 131 Erw. 2,
1980 Nr. 417 S. 166 Erw. 2, 1980 Nr. 428 S. 246). Die gegenteilige
Auffassung der Vorinstanz erweist sich demnach als verfehlt.

    Aus dem Gesagten folgt, dass die Kasse in ihrer Verfügung vom 16. Juli
1979 die dem Beschwerdegegner nach Gesetz und Statuten geschuldeten
Leistungen im wesentlichen zutreffend umschrieben hat. Auf die Frage nach
der Berechnung und Höhe der auszurichtenden Zahlungen wird in Erwägung
4 hienach einzugehen sein. Leistungen aus Zusatzversicherungen sind
nicht streitig.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz vertritt demgegenüber offenbar die Rechtsauffassung,
dass im vorliegenden Falle Art. 19bis Abs. 3 KUVG bzw. Art. 73 Abs. 1
lit. b der Kassenstatuten zum Tragen komme. Als massgebliches
Vertragsspital am Wohnort des Beschwerdegegners bezeichnete sie die
Kantonale Psychiatrische Klinik in Herisau. Die von der Kasse zu
erbringende Tagespauschale belaufe sich dort auf Fr. 41.--. Diesem
Rechtsstandpunkt kann indessen nicht beigepflichtet werden. Als Grundlage
für die Leistungsbemessung fallen im Rahmen von Art. 19bis Abs. 3 KUVG
lediglich diejenigen Anstalten oder Abteilungen in Betracht, die zur
Behandlung jener Kategorie von Kranken bestimmt sind, zu denen der
Versicherte vom medizinischen Standpunkt aus gehört (RSKV 1977 Nr. 298
S. 171 f.). In dieser Hinsicht können Trinkerheilanstalten in der Regel
psychiatrischen Kliniken nicht gleichgestellt werden, obwohl bestimmte
Fälle von Trunksucht auch in psychiatrischen Spitälern betreut werden und
sich eine zunehmende Annäherung zwischen beiden Heilanstaltskategorien
abzeichnen mag. Die Behandlungskosten in einer Trinkerheilstätte
können sinnvollerweise nur mit denjenigen einer gleichen oder ähnlichen
Einrichtung verglichen werden. Da es am Wohnort des Beschwerdegegners
oder in dessen Umgebung keine unter einem Vertrag mit der Kasse stehende
Trinkerheilanstalt gibt, können die Leistungen im vorliegenden Fall
demzufolge nicht nach Massgabe von Art. 19bis Abs. 3 KUVG bzw. Art. 73
Abs. 1 lit. b der Kassenstatuten ermittelt werden.

    Eine Verpflichtung zur Übernahme der vollen Tagespauschale von
Fr. 30.50 lässt sich sodann auch nicht mit der Überlegung begründen,
bei einer Entwöhnungsbehandlung des Beschwerdegegners in der Kantonalen
Psychiatrischen Klinik Herisau hätte die Kasse pro Tag Fr. 41.--
bezahlen müssen. Der Beschwerdegegner musste aus medizinischen Gründen
in eine Trinkerheilanstalt eintreten. Er kann daher nicht die Leistungen
für die teurere Spitalkategorie der Kantonalen Psychiatrischen Klinik
beanspruchen (BGE 101 V 72, RSKV 1977 Nr. 298 S. 171 f.). Eine unzulässige
Benachteiligung des Beschwerdegegners ist darin ebensowenig zu erblicken
wie in allfälligen Tarifunterschieden bei der Abgeltung der gesetzlichen
und statutarischen Pflichtleistungen der Kasse.

    Es bleibt den Krankenkassen unbenommen, bei Aufenthalt eines
ihrer Mitglieder in einer Trinkerheilanstalt statutarisch Ansprüche
einzuräumen, die über das gesetzliche Soll hinausgehen. Das begründet
aber kein Recht auf höhere Leistungen gegenüber andern Krankenkassen, die
ihre Pflicht - wie hier - auf das gesetzliche Minimum beschränken. Die
diesbezüglichen Ausführungen des Fürsorgeamtes Herisau erweisen sich
daher als unbehelflich. Der Kasse ist im vorliegenden Fall auch keine
unstatthafte Ungleichbehandlung des Beschwerdegegners gegenüber den
kantonalzürcherischen Patienten und Mitgliedern in der Heilstätte Ellikon
ZH anzulasten. Mit Schreiben vom 2. August 1979 an das Fürsorgeamt hatte
sich die Kasse bereit erklärt, dem Beschwerdegegner wie im Falle der
Heilstätte Ellikon in Abgeltung der gesetzlichen Pflichtleistungen eine
Tagespauschale von Fr. 15.-- zu bezahlen.

Erwägung 4

    4.- Festzustellen bleibt, wie der von der Kasse dem Beschwerdegegner
zu vergütende Betrag zu berechnen ist und wie hoch dieser ausfällt.

    Für die Ermittlung des Rechnungsbetrags hat die Kasse in den Statuten
verschiedene Regeln aufgestellt. Werden sämtliche Heilanstaltskosten in
einer Tagespauschale fakturiert, so übernimmt die Kasse die Leistungen
gemäss Ziff. 1 des Art. 73 der Statuten, wobei der Zentralvorstand
Mindestbeiträge festsetzen kann (Art. 73 Ziff. 2 der Statuten). Sind in
einer Anstaltsrechnung die Kosten für die von der Kasse zu übernehmenden
Leistungen nur ungenügend ausgeschieden, nimmt die Kasse die Ausscheidung
selbst vor und setzt die Leistungen nach Art. 73 Ziff. 2 fest (Art. 73
Ziff. 3 der Statuten). Hält sich ein Mitglied auf ärztliche Verordnung
in einer unter ärztlicher Leitung stehenden Trinkerheilanstalt auf, so
entrichtet die Kasse im Anwendungsfall von Art. 73 Ziff. 2 und 3 jedoch
nur eine Tagespauschale von Fr. 8.-- (Art. 75 Ziff. 2 der Statuten).

    Mit diesem Tagesansatz will die Kasse die gesetzlichen
bzw. statutarischen Pflichtleistungen pauschal abgelten. Dagegen ist
an sich nichts einzuwenden, sofern mit diesen Fr. 8.-- pro Tag die
Kosten für die ärztliche Behandlung, einschliesslich der wissenschaftlich
anerkannten Heilanwendungen, der Arzneimittel und Analysen nach den für die
Heilstätte "Mühlhof" massgeblichen Taxen sowie der tägliche Mindestbeitrag
an die übrigen Kosten der Krankenpflege von Fr. 6.-- vollumfänglich
gedeckt sind. Trifft das nicht zu, so wird die Kasse auch die über die
Tagespauschale von Fr. 8.-- hinausgehenden Kosten zu übernehmen haben. Da
die Frage aufgrund der vorliegenden Akten nicht entschieden werden
kann, geht die Sache an die Kasse zurück, damit sie die erforderlichen
Abklärungen treffe und anschliessend den betragsmässigen Anspruch des
Beschwerdegegners für den Aufenthalt in der Trinkerheilstätte "Mühlhof"
bestimme. Allenfalls wird sie hierüber verfügungsmässig zu befinden haben.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Appenzell AR vom 3. Februar 1981
aufgehoben. Die Sache wird an die Krankenkasse Helvetia überwiesen,
damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.