Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 V 167



108 V 167

36. Auszug aus dem Urteil vom 28. September 1982 i.S. Bundesamt für
Industrie, Gewerbe und Arbeit gegen Beyeler und Versicherungsgericht des
Kantons Bern Regeste

    Art. 50 Abs. 1 und 2 AlVG.

    Zur Verpflichtung der Verwaltung, wegen Neuentdeckung erheblicher
Tatsachen oder Beweismittel auf eine formell rechtskräftige Verfügung
zurückzukommen. Geltung dieses Grundsatzes auf dem Gebiet der
Arbeitslosenversicherung.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vorgetragen, der
Beschwerdegegner sei in jenem Zeitraum, als er Arbeitslosenentschädigung
bezog, infolge seiner Invalidität nicht vermittlungsfähig gewesen und
habe demzufolge eine der Taggeld-Anspruchsvoraussetzungen (Art. 24
Abs. 2 lit. c in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1 AlVG und Art. 16
Abs. 5 AlVV) nicht erfüllt, was die Rückforderung der zu Unrecht
ausbezahlten Betreffnisse nach sich ziehe (Art. 35 Abs. 1 AlVG); der
Arbeitslosenkasse sei seinerzeit nur die stark verminderte Sehkraft
aufgefallen, wogegen sie von der sehr beeinträchtigten Erwerbsfähigkeit,
wie sie z.B. bereits aus dem vom 20. Juni 1977 datierten Bericht des
Augenarztes Dr. med. Haldimann hervorgehe, nichts gewusst habe; mit dem
Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission, dem Beschwerdegegner
ab 1. Dezember 1977 eine ganze Invalidenrente auszurichten sei "ein
neues erhebliches Element für die Beurteilung der Vermittlungsfähigkeit"
aufgetaucht, welches die Arbeitslosenkasse zu Recht nicht unberücksichtigt
gelassen habe, sei sie doch unter solchen Umständen verpflichtet gewesen,
auf ihre Taggeldauszahlungen zurückzukommen.

    b) Nach Lehre und Rechtsprechung ist der Sozialversicherungsträger
verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen,
wenn sich diese aufgrund neuentdeckter Tatsachen oder Beweismittel als
unrichtig erweist (EVGE 1963 S. 85 Erw. 1 und S. 212 Erw. 2a; vgl. weiter
BGE 102 V 17 Erw. 3a a.A., 106 V 87 Erw. 1b; MAURER, Schweizerisches
Sozialversicherungsrecht, Bd. I S. 478 Ziff. 3 a.A.). Erheblich können
nur Tatsachen sein, die zur Zeit der Erstbeurteilung bereits bestanden,
jedoch unverschuldeterweise unbekannt waren oder unbewiesen blieben. Diese
Grundsätze gelten in der Arbeitslosenversicherung in gleicher Weise wie
in den andern Gebieten der Sozialversicherung (BGE 102 V 17 Erw. 3a).

    c) Der Beschwerdegegner war ab 1. Dezember 1977 zu 70% invalid,
weshalb ab jenem Datum mangels Vermittlungsfähigkeit (Art. 16 Abs. 5
AlVV) keine Taggelder mehr hätten ausbezahlt werden dürfen. Über die
Tatsache der zwei Drittel übersteigenden Erwerbsunfähigkeit hatte
die Arbeitslosenkasse damals keine Kenntnis. Die Kassenorgane wussten
lediglich, dass die Sehkraft des Beschwerdeführers stark vermindert
und dass eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung erfolgt war. Die
Behörden der Arbeitslosenversicherung waren auch nicht in der Lage, sich
zuverlässige Angaben über das Ausmass der Invalidität zu verschaffen. Eine
Rückfrage bei der Invalidenversicherungs-Kommission hätte keine
Resultate zeitigen können. Denn das am 27. September 1977 eingeleitete
invalidenversicherungsrechtliche Abklärungsverfahren war während der bis
26. Juni 1978 dauernden Taggeldzahlungen der Arbeitslosenversicherung noch
im Gange; die Invalidenversicherungs-Kommission selber verfügte bis in
den Spätsommer 1978 noch nicht über die nötigen Entscheidungsgrundlagen
für die Rentenberechtigung und konnte deshalb erst am 28. September 1978
ihren Beschluss fassen.

    Somit erweist sich der Umstand einer ab 1. Dezember 1977 bestehenden
70%igen Erwerbsunfähigkeit als erhebliche Tatsache im oben umschriebenen
Sinne, weshalb die Arbeitslosenkasse verpflichtet war, auf ihre
Taggeldauszahlungen zurückzukommen und die vom 1. Dezember 1977 bis
26. Juni 1978 zu Unrecht ausgerichteten Entschädigungen gemäss Art. 35
Abs. 1 AlVG zurückzufordern.