Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 V 163



108 V 163

35. Urteil vom 20. September 1982 i.S. Zähner gegen Kantonale Abteilung
für Arbeitslosenversicherung, Freiburg, und Kantonale Rekurskommission
in Sachen Arbeitslosenversicherung, Freiburg Regeste

    Art. 26 Abs. 2 AlVV. Zur Abgrenzung der
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Umschulung und Weiterbildung von
der Grund- und allgemeinen beruflichen Weiterausbildung.

Sachverhalt

         A.- Der 1936 geborene, ledige Franz Zähner war von 1963
bis Mitte August 1980 als spezialisierter Lehrer am Institut für
sehbehinderte und blinde Kinder "Sonnenberg" in Freiburg tätig, ohne
indessen im Besitz eines Lehrerdiploms zu sein. Als das Institut nach Baar
verlegt wurde, lehnte er die Weiterbeschäftigung am neuen Ort ab mit der
Begründung, er wolle Freiburg, wo er ein Haus erworben und sich eingelebt
habe, nicht verlassen. Aus diesem Grund wurde das Arbeitsverhältnis
auf den 15. August 1980 beendet. Angesichts der Schwierigkeiten, als
spezialisierter Pädagoge ohne Primarlehrerpatent eine Stelle zu finden,
begann Franz Zähner im Sommer 1980 einen AKAD-Fernkurs kaufmännischer
Richtung. Am 21. Juni 1980 ersuchte er die Arbeitslosenversicherung
um Ausrichtung von Taggeldern während des Kurses, welcher im Februar
1981 durch den Erwerb eines Fachzertifikates abgeschlossen werden
sollte. Mit Verfügung vom 25. September 1980 (Zweifelsfall-Entscheid)
verneinte jedoch die Kantonale Abteilung für Arbeitslosenversicherung
die Anspruchsberechtigung, da einerseits der Versicherte nicht
vermittlungsfähig sei und anderseits der fragliche Lehrgang nicht als
Umschulungs- oder Weiterbildungskurs im Sinne von Art. 26 AlVV anerkannt
werden könne.

    B.- Die vom Versicherten hiegegen erhobene Beschwerde wies die
Rekurskommission in Arbeitslosenversicherungssachen des Kantons Freiburg
mit Entscheid vom 23. März 1981 ab.

    C.- Franz Zähner führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
es seien ihm, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der
angefochtenen Verwaltungsverfügung, für die Dauer seiner Weiterbildung
die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

    Während die Kantonale Abteilung für Arbeitslosenversicherung sinngemäss
auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Industrie, Gewerbe und Arbeit auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setzt einen
anrechenbaren Verdienstausfall voraus (Art. 24 Abs. 2 lit. c in Verbindung
mit Art. 26 bis 28 AlVG). Zu den Voraussetzungen der Anrechenbarkeit gehört
u.a. die Vermittlungsfähigkeit während der Dauer des Arbeitsausfalls
(Art. 26 Abs. 1 AlVG). Dieses Erfordernis entfällt für die Zeit, während
welcher der Versicherte einen Umschulungs- oder Weiterbildungskurs im Sinne
der Art. 26 Abs. 3 lit. b AlVG in Verbindung mit Art. 26 AlVV besucht. Nach
Art. 26 Abs. 2 AlVV kann die zuständige kantonale Amtsstelle, falls
ein Versicherter von sich aus einen Umschulungs- oder Weiterbildungskurs
besucht, den Verdienstausfall als anrechenbar erklären, wenn der Besuch des
Kurses die Vermittlungsfähigkeit fördert und wenn anzunehmen ist, dass der
Versicherte während des Kurses arbeitslos wäre oder ohne Umschulung oder
Weiterbildung von Arbeitslosigkeit bedroht würde. Diese Voraussetzungen
müssen kumulativ erfüllt sein (ARV 1979 Nr. 21 S. 112 mit Hinweis).

Erwägung 2

    2.- a) In der angefochtenen Verfügung wird dem Beschwerdeführer
angelastet, er hätte an den neuen Standort seines bisherigen Arbeitgebers
übersiedeln und dadurch seine Stelle beibehalten können, womit sich eine
Umschulung erübrigt hätte.

    Richtig ist, dass gemäss dem im Sozialversicherungsrecht geltenden
Grundsatz der Schadenminderungspflicht ein Versicherter gehalten ist,
alles ihm Zumutbare vorzukehren, um den Eintritt des Versicherungsfalles zu
verhüten (vgl. z.B. ARV 1981 Nr. 29 S. 126). Deshalb ist vom Arbeitnehmer
eine gewisse (geographische) Mobilität zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit
zu verlangen. Es überschreitet aber den Rahmen des Zumutbaren, wenn
vom Beschwerdeführer gefordert wird, dass er - obwohl seit 17 Jahren in
Freiburg verwurzelt und dort Eigentümer eines Hauses - in eine andere
Region umziehen soll, und zwar für eine ganz spezielle Beschäftigung,
welche von einem einzigen Arbeitgeber angeboten wird und daher -
längerfristig gesehen - eine recht unsichere Existenzbasis darstellt.

    b) Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe sich nur
ungenügend, nämlich zweimal, um Stellen beworben, und zwar ausserhalb des
Schulbereiches; es könne deshalb nicht gesagt werden, im bisherigen Beruf
seien keine Arbeitsmöglichkeiten vorhanden. Dem ist die Bestätigung
der Erziehungsdirektion vom 9. September 1981 entgegenzuhalten,
wonach in den Jahren 1980 und 1981 für die Primarschulvakanzen nur
Bewerber mit freiburgischem Primarlehrerdiplom berücksichtigt worden
seien. Im übrigen ist es unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer,
welcher sich nach der Maturität in langjähriger Praxis als Lehrer
an einer Blindenschule spezialisierte, anderweitig eine Lehrerstelle
oder sonstwie eine angemessene, dauerhafte Beschäftigung hätte finden
können. Unter diesen Umständen und im Hinblick auf die verbleibende
beträchtliche Aktivitätsperiode von etwa 20 Jahren war es offensichtlich
die vernünftigste Lösung, dass sich der Beschwerdeführer sofort zu einer
Umschulung entschloss.

    c) Verwaltung und Vorinstanz vertreten schliesslich die Ansicht,
bei dem vom Beschwerdeführer gewählten kaufmännischen Lehrgang in den
Fächern Buchhaltung, Rechts- und Steuerkunde handle es sich um eine
"völlig neue Grundausbildung".

    Nach der Rechtsprechung sind die Grundausbildung und die
allgemeine Förderung der beruflichen Weiterbildung nicht Sache der
Arbeitslosenversicherung. Deren Aufgabe ist es lediglich, in gewissen
Fällen durch konkrete Eingliederungs- oder Weiterbildungsmassnahmen
eine bestehende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen oder eine drohende
Arbeitslosigkeit zu verhindern. Dabei muss es sich um Vorkehren handeln,
welche dem Versicherten erlauben, sich dem industriellen und technischen
Fortschritt anzupassen (BGE 108 V 100, 104 V 118 Erw. 1 mit Hinweis,
vgl. auch 99 V 51; ARV 1981 Nr. 9 S. 45 Erw. 1 mit weiterem Hinweis, 1979
Nr. 21 S. 111 Erw. 3a). Nicht als Eingliederungsmassnahme im Sinne der
Arbeitslosenversicherung, sondern als Grundausbildung qualifizierte das
Eidg. Versicherungsgericht beispielsweise das Medizin-, das Architektur-
und das Ökonomiestudium (BGE 104 V 119 Erw. 2, 103 V 106 Erw. 2;
ARV 1980 Nr. 26 S. 53). Ebensowenig ist die Vervollständigung der
Arztausbildung durch die Absolvierung unbezahlter medizinischer Praktika
als Weiterbildungskurs im Sinne von Art. 26 AlVV anerkannt worden (nicht
veröffentlichtes Urteil Blanc vom 8. Januar 1980). Offengelassen hat das
Gericht die Frage bezüglich eines dreimonatigen Deutschsprachkurses
(nicht veröffentlichtes Urteil Rebolledo vom 4. Juli 1980). Es
ist einzuräumen, dass die Grenze zwischen Grund- und allgemeiner
beruflicher Weiterausbildung einerseits, Umschulung und Weiterbildung im
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Sinne anderseits fliessend ist, weil
ein und dieselbe Vorkehr beiderlei Merkmale aufweisen kann. Entscheidend
ist, welche Aspekte im konkreten Fall unter Würdigung aller Umstände
überwiegen. Vorliegend ist von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer durch
den gezielten, ergänzenden Erwerb bestimmter kaufmännischer Kenntnisse in
die Lage versetzt wird, seine bereits vorhandenen beruflichen Fähigkeiten
ausserhalb der angestammten engen Tätigkeit als spezialisierter Lehrer auf
dem Arbeitsmarkt zu verwerten. Die strittige Vorkehr ist auch geeignet,
dem Beschwerdeführer eine im Vergleich zu seiner früheren Position
bildungsmässig, sozial und wirtschaftlich annähernd gleichwertige
berufliche Stellung zu sichern. Schliesslich handelt es sich beim
AKAD-Kurs, welcher wohl die Aneignung gewisser Kenntnisse auf einem
neuen Berufsgebiet umfasst, nicht um eine eigentliche, längerfristige
neue Berufsausbildung, sondern nur um einen zeitlich befristeten Kurs
(August 1980 bis Februar 1981), was ebenfalls für den Charakter einer
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Umschulung spricht (vgl. BGE 103
V 106 Erw. 1 in fine).

Erwägung 3

    3.- Zusammenfassend ist festzustellen, dass der begonnene Lehrgang
im Hinblick auf das erwähnte Umschulungsziel des Beschwerdeführers
den Anforderungen von Art. 26 Abs. 2 AlVV entspricht. Die Öffentliche
Arbeitslosenkasse der Stadt Freiburg, an welche die Sache zurückgewiesen
wird, hat noch zu prüfen, ob der fragliche Fernkurs als solcher die
Voraussetzungen einer systematischen, genügend überprüfbaren Umschulung
in den Fächern Buchhaltung, kaufmännische Rechts- und Steuerkunde bietet
und ob sich der Beschwerdeführer dem Lehrgang ordnungsgemäss unterzogen
hat (vgl. ARV 1981 Nr. 9 S. 46, 1978 Nr. 28 S. 114). Daraufhin sind
gegebenenfalls die auf die fragliche Zeit entfallenden Taggelder
festzusetzen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der Entscheid der Rekurskommission in Arbeitslosenversicherungssachen
des Kantons Freiburg vom 23. März 1981 und die Verfügung der Kantonalen
Abteilung für Arbeitslosenversicherung vom 25. September 1980 aufgehoben
werden und die Sache an die Öffentliche Arbeitslosenversicherung der
Stadt Freiburg zurückgewiesen wird, damit diese, nach Abklärung im Sinne
der Erwägungen, über den Taggeldanspruch neu verfüge.