Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 94



108 IV 94

24. Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1982, i.S. Blumati gegen Frick
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 32 StGB, Rechtfertigungsgrund der Amtspflicht.

    Wem in amtlicher Funktion eine Informationspflicht obliegt, ist
durch Art. 32 StGB gedeckt, soweit die für die Öffentlichkeit bestimmten
Äusserungen den gebotenen Sachbezug haben, nicht wider besseres Wissen
getan wurden sowie nicht unnötig verletzend und unverhältnismässig
sind. Eine Informationspflicht kann im kantonalen bzw. kommunalen Recht
begründet sein (E. 2a, 2b).

Sachverhalt

    A.- Nach dem sog. Opernhaus-Krawall vom 30. Mai 1980, der zu
gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der Polizei und Zivilpersonen
geführt hatte, kam es in Zürich wiederholt zu ähnlichen Demonstrationen,
bei denen grosser Sachschaden verursacht wurde. Dabei bildete sich die
sog. "Bewegung", die sich regelmässig an Vollversammlungen traf.

    Umberto Blumati nahm an solchen Versammlungen als Sprecher am Mikrophon
aktiv teil und solidarisierte sich mit den Demonstranten. An einer
Fernsehdiskussion ergriff er ebenfalls Partei für die Demonstranten. Auch
sprach er im gleichen Zusammenhang mehrmals am Radio und berichtete in
Zeitungen über die Zürcher Ereignisse.

    Am 20. Juni 1980 beauftragte der Gesamtstadtrat von Zürich die Polizei,
die Haupträdelsführer in Präventivhaft zu nehmen und alle Massnahmen
zu treffen, um allfällige weitergehende Demonstrationen als die einer
Vollversammlung auf dem Helvetiaplatz zu verhindern.

    Am Morgen des 21. Juni 1980 wurde Blumati gestützt auf den genannten
Stadtratsbeschluss von Zivilpolizisten in Präventivhaft genommen.
Zugleich wurden fünf weitere Personen arretiert. Am Nachmittag desselben
Tages wurden alle Festgenommenen wieder freigelassen. Blumati begab sich
danach auf den Helvetiaplatz und äusserte sich am dort stattfindenden
POCH-Fest über seine Inhaftierung. Der Journalist Dominik Landwehr, der
einen Bericht über die Präventivhaft zu verfassen hatte, erfuhr daselbst
von der Festnahme Blumatis. Um mehr Informationen für seinen Bericht
zu erhalten, wandte er sich in der Folge telefonisch an die Pressestelle
der Stadtpolizei Zürich und an Stadtrat Hans Frick, Polizeivorstand der
Stadt Zürich, persönlich. Hierauf verfasste er einen Zeitungsbericht,
der am 23. Juni 1980 in den NZN erschien. Darin war u.a. zu lesen:

    "Wie der Polizeivorstand Hans Frick auf Anfrage erklärte, waren die

    Verhafteten der Polizei als "Drahtzieher" bekannt.

    Sie hätten, so meinte Frick weiter, zu unbewilligten Demonstrationen
und
   rechtswidrigem Verhalten aufgewiegelt ...

    Besonders problematisch dürfte diese Präventivhaft beim

    Sozialpädagogen Umberto Blumati gewesen sein - er hatte schon
verschiedene

    Male als Vermittler zwischen den Behörden und den Jugendlichen gewirkt.

    Auch er gehört laut Frick zu den ominösen "Drahtziehern" ..."

    B.- Am 19. September 1980 klagte Blumati Stadtrat Frick wegen
Ehrverletzung nach Art. 173 ff. StGB ein.

    Das Bezirksgericht Zürich fand Frick am 10. Juli 1981 nicht schuldig
und sprach ihn von der Anklage frei. Das Obergericht des Kantons Zürich
erkannte am 12. Januar 1982 in gleichem Sinne.

    C.- Blumati führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Frick beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht hat die zwei auch gegen Blumati gerichteten
Äusserungen Fricks, die von Polizei Verhafteten seien als Drahtzieher
bekannt und hätten zu unbewilligten Demonstrationen und rechtswidrigem
Verhalten aufgewiegelt, als ehrverletzend gewürdigt, den objektiven
Tatbestand der üblen Nachrede bejaht und auch den Vorsatz Fricks
festgestellt. Es hat diesen aber freigesprochen, weil er die eingeklagten,
einem Journalisten gegenüber getanen Äusserungen in Erfüllung seiner
Amtspflicht gemäss Art. 32 StGB getan habe.

Erwägung 2

    2.- In BGE 106 IV 181 hat das Bundesgericht die Auffassung der
damaligen Vorinstanz als zutreffend bezeichnet, wonach der allgemeine
Rechtfertigungsgrund der Amtspflicht nach Art. 32 StGB den Vorrang
vor dem Entlastungsbeweis gemäss Art. 173 Ziff. 2 StGB habe, der
nur zum Zuge komme, wenn die Straflosigkeit sich nicht bereits aus
jenem Rechtfertigungsgrund ergebe. Es hat entsprechend eine in einem
Strafentscheid enthaltene, die Ehre des Betroffenen an sich verletzende
Äusserung als durch die Amtspflicht gedeckt erachtet, soweit jene mit
dem Gegenstand des Entscheides direkt zusammenhing und der notwendigen
Begründung des Entscheides diente; denn bei der Motivierung von
Entscheidungen müssten vielfach ehrenrührige Tatsachen erwähnt oder
zusammenfassende Werturteile abgegeben werden. Für sachbezogene Argumente,
die in vertretbarer Weise und nicht unnötig verletzend dargelegt würden,
könne der Richter oder Beamte nicht wegen übler Nachrede verfolgt
werden; wer nämlich in seiner amtlichen Funktion ehrenrührige Fakten
zusammenstellen und Wertungen über persönliche Eigenschaften und
Motive abgeben müsse, sei durch Art. 32 StGB gedeckt, soweit er mit
seinen Äusserungen nicht eindeutig über das für die Erfüllung seiner
Aufgabe Notwendige hinausgehe oder Behauptungen wider besseres Wissen
aufstelle. Diese Grundsätze, von denen abzugehen kein Anlass besteht, sind
auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden, sofern der Beschwerdegegner
sich überhaupt auf eine Amtspflicht berufen kann.

    a) Entsprechend stellt sich primär die Frage, ob Frick mit seiner
einem Journalisten auf dessen Ersuchen gegebenen Information über die
Präventivverhaftung des Beschwerdeführers grundsätzlich in Erfüllung einer
Amtspflicht gehandelt habe oder nicht. Was in concreto zum Pflichtenheft
eines städtischen Amtsträgers gehört, bestimmt das kantonale bzw. kommunale
Recht, dessen richtige Auslegung und Anwendung der Kassationshof
auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht zu überprüfen hat (Art. 273
Abs. 1 lit. b BStP). Davon ausgehend, dass in vielen kantonalen und
kommunalen Verwaltungen das Prinzip der Informationspflicht der Behörden
Geltung erlangt habe und die jeweils praktizierte Informationspolitik
in verschiedenen Verwaltungsanweisungen ihren Niederschlag gefunden
hätten, stellt das Obergericht fest, auch der Stadtrat von Zürich habe
am 19. Februar 1970 Richtlinien für die Informationstätigkeit seiner
Verwaltungsabteilungen erlassen. Diese sollten danach eine einheitliche,
regelmässige und offene Informationstätigkeit gewährleisten, um den Organen
der öffentlichen Meinung bei der Meinungsbildung und der demokratischen
Diskussion die Aufgabe zu erleichtern; innerhalb der gesetzlichen Schranken
gehöre die Orientierung der Bevölkerung über die Tätigkeit der Verwaltung
zu den Amtspflichten der Zürcher Stadtbehörden. In diese der amtlichen
Informationspflicht unterliegende Tätigkeit schloss das Gericht auch
die Massnahmen der Polizei ein, welche am 21. Juni 1980 in Ausführung
des vom Gesamtstadtrat am 20. Juni 1980 beschlossenen Präventivhaft
"der Haupträdelsführer" getroffen wurden.

    Damit ist für den Kassationshof verbindlich festgestellt,
dass die Orientierung der Presse über die Präventivverhaftung des
Beschwerdeführers und über ihre Gründe zum Pflichtenheft des Stadtrates
und Polizeivorstandes Frick gehört hat; denn nach den genannten Richtlinien
vom 19. Februar 1970, denen der Charakter einer Verwaltungsverordnung mit
Aussenwirkung für Dritte (BGE 105 Ia 352) zukommt, gehören zu den Organen
der öffentlichen Meinung, die "unaufgefordert mit den Informationen
zu bedienen sind" u.a. die Tages- und Wochenzeitungen auf dem Platze
Zürich mit zürcherischer Lokalredaktion sowie die freien Journalisten,
die für zürcherische Zeitungen und Quartierblätter über Lokalereignisse
schreiben (Richtlinien A 1 lit. a). Dass der Journalist Landwehr, der
nach seinen Aussagen vom "Züri Leu" den Auftrag erhalten hatte, einen
Bericht über die Präventivhaft zu verfassen, welcher dann schliesslich
nicht in dieser Zeitung, sondern in den NZN veröffentlicht wurde, zu den
in jenen Richtlinien erwähnten "Organen der öffentlichen Meinung" gehörte,
bestreitet auch der Beschwerdeführer nicht. Sodann steht ausser Frage, dass
die Öffentlichkeit im Bereich der Stadt Zürich ein Interesse daran hatte,
über die vom Gesamtstadtrat beschlossenen und von der Polizei vollzogenen
Präventivverhaftungen des 21. Juni 1980 und über ihre Gründe nicht nur
von den Betroffenen selbst - was der Beschwerdeführer unmittelbar nach
seiner Freilassung am sog. POCH-Fest getan hatte -, sondern auch von
behördlicher Seite aus unterrichtet zu werden.

    b) Angesichts dessen bleibt zu entscheiden, ob die Orientierung der
Öffentlichkeit durch den Beschwerdegegner über den Weg des Journalisten
Landwehr sich im Rahmen der oben genannten amtlichen Informationspflicht
hielt, m.a.W., ob die Äusserungen Fricks den gebotenen Sachbezug zu den
ihm vom Journalisten gestellten Fragen gehabt haben, nicht wider besseres
Wissen getan wurden und nicht unnötig verletzend und unverhältnismässig
gewesen sind.

    Der Sachbezug ist offensichtlich gegeben, wollte doch der genannte
Journalist über die Präventivhaft im allgemeinen und über die Festnahme
Blumatis und ihre Hintergründe im besonderen informiert werden. Nicht
nur war Landwehr, wie er als Zeuge am 3. April 1981 ausgesagt hatte,
von sich aus an den Beschwerdegegner gelangt, um zu erfahren, "weshalb
gerade diese sechs Personen verhaftet" wurden, sondern er hatte auch
ausdrücklich erklärt: "Auf den Namen Blumati kam ich zu sprechen".

    Des weiteren führt das Obergericht aus, Frick habe die Äusserungen
nicht wider besseres Wissen getan. Diese Feststellung betrifft den inneren
Sachverhalt und ist daher als tatsächliche Annahme für den Kassationshof
verbindlich (BGE 104 IV 36 E. 1 mit Verweisungen). Sie wird übrigens auch
in der Beschwerde mit Recht nicht bestritten.

    Sodann kann auch nicht gesagt werden, die eingeklagten Äusserungen
seien über das hinausgegangen, was der Beschwerdegegner in vertretbarer
Weise als zur Beantwortung der vom Journalisten gestellten Fragen notwendig
hat erachten dürfen. Landwehr wollte den Grund der Präventivverhaftung
von sechs Personen und namentlich derjenigen des Blumati wissen. Da eine
Präventivmassnahme, wie sie vom Stadtrat am 20. Juni 1980 beschlossen
und von der Polizei am 21. Juni 1980 vollzogen wurde, nicht leichthin,
sondern nur angeordnet werden darf, wenn erhebliche Gründe der öffentlichen
Ordnung und Sicherheit dafür sprechen, musste Frick - wollte er seiner
amtlichen Informationspflicht genügen - die Gründe nennen, welche den
Gesamtstadtrat zu seinem Beschluss veranlasst hatten. Aus diesem unter
dem Titel "Jugendprobleme, weiteres Vorgehen, insbesondere Einsatz der
Stadtpolizei an den zu erwartenden Demonstrationen von Samstag, den
21. Juni 1980" protokollierten Beschluss, mit welchem die Polizeiorgane
beauftragt wurden, "die Haupträdelsführer in Präventivhaft zu nehmen und
alle Massnahmen zu treffen, um allfällige weitergehende Demonstrationen
als die einer Vollversammlung auf dem Helvetiaplatz aufzulösen", folgt
ohne weiteres, dass die genannte Behörde nach den seit dem 30. Mai 1980
immer wieder ausgebrochenen Krawallen befürchtete, dass das bewilligte
POCH-Fest unter dem Einfluss von dem Stadtrat aus früheren, unbewilligten
Demonstrationen bekannten Rädelsführern in eine gewalttätige Demonstration
ausarten könnte. Da in Ausführung dieses Beschlusses Blumati von der
Polizei festgenommen wurde, war es gegeben, dem nach den Gründen
der Präventivverhaftung fragenden Journalisten zu sagen, dass der
Beschwerdeführer zu den im Beschluss des Gesamtstadtrats erwähnten
"Haupträdelsführern" zähle. Frick hat dabei den Ausdruck "Drahtzieher"
verwendet und erklärt, diese hätten zu unbewilligten Demonstrationen und
damit zu einem rechtswidrigen Verhalten aufgewiegelt. Damit aber hat er
dem Gehalt nach nicht mehr gesagt, als was sinngemäss bereits im Beschluss
des Gesamtstadtrats lag, nämlich dass Blumati als "Drahtzieher" bzw.
"Haupträdelsführer" galt und deswegen verhaftet wurde. Die Äusserungen
Fricks waren insoweit wahr und gingen nicht über das für die Erfüllung
der Informationspflicht Notwendige hinaus.

    Mit Rücksicht darauf schliesslich, dass einerseits die durch die
vorausgegangenen Unruhen aufgeschreckte Bevölkerung ein legitimes
Interesse daran hatte, im einzelnen zu wissen, was der Stadtrat
gegen weitere Ausschreitungen unternommen hatte und dass anderseits
der Beschwerdeführer selber nach seiner Freilassung die Öffentlichkeit
über seine Präventivverhaftung unterrichtet hatte, war das Vorgehen des
Beschwerdegegners auch mit Bezug auf die Nennung des Namens Blumati,
den übrigens der Journalist selber zuerst erwähnt hatte, nicht
unverhältnismässig.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.