Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 63



108 IV 63

15. Urteil des Kassationshofes vom 4. Juni 1982 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft gegen M. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG; schwerer Fall.

    1. Die Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen ist bei einer Anzahl
von 20 Personen - als unterster Grenze - gegeben (E. 2).

    2. Für die Bemessung der erheblichen Menge ist von der gefährlicheren
Konsumart und der bei dieser üblichen Rauschgiftdosis auszugehen
(E. 3). Bei Kokain ist es die intravenöse Applikation mit Konsumeinheiten
von 10 mg (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 28. August 1981 verurteilte das Strafgericht Baselland M. wegen
wiederholter und fortgesetzter Zuwiderhandlung gegen das BG über die
Betäubungsmittel (BetmG) zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von acht Monaten und zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 400.-- bei
einer Probezeit von zwei Jahren. Es legte dem Verurteilten u.a. zur Last,
den Kauf von 50 g Kokain durch einen ihm als Rauschgifthändler bekannten
D. R. mitfinanziert zu haben.

    Am 30. März 1982 wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft
eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit welcher diese die Verurteilung
von M. wegen qualifizierter Begehung im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a
BetmG verlangt hatte, ab.

    B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie M.
hinsichtlich der Mitfinanzierung des Ankaufs von 50 g Kokain nach
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG verurteile.

    M. beantragt sinngemäss Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zur Entscheidung steht im vorliegenden Fall einzig die Frage,
ob die Finanzierung des Kaufs von 50 g Kokain ein schwerer Fall im Sinne
des Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sei, ob mit anderen Worten, 50 g des
genannten Rauschgiftes eine Menge darstellen, welche die Gesundheit vieler
Menschen in Gefahr bringen kann.

    Obergericht und Staatsanwaltschaft sind sich darüber einig,
dass bei einer ungefähr über ein halbes Jahr reichenden, sukzessiven,
intravenösen Applikation von 10 mg Kokain täglich (insgesamt ca. 2 g)
eine Schädigung der menschlichen Gesundheit eintreten kann, die sich
in einer eigentlichen Wesensveränderung, in einer "Entkernung" der
Persönlichkeit (erhöhte Empfindlichkeit, Stimmungslabilität, zunehmende
Kritikunfähigkeit, Willensschwäche) verbunden mit einer psychischen
Abhängigkeit neben körperlichen Veränderungen äussert. Dagegen gehen
Vorinstanz und Beschwerdeführerin insoweit auseinander, als die letztere
die Vielzahl der Menschen im Sinne des Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
bei 20 Personen, die erstere bei mindestens 30 als untersten Grenzwert
festlegen möchte. Weiter scheiden sich ihre Auffassungen in der Berechnung
der kritischen Menge des Rauschgifts. Während die Staatsanwaltschaft von
der für die intravenöse Applikation gültigen gefährlichen Tagesdosis von
10 mg ausgeht, entsprechend - bezogen auf eine Dauer von 180 Tagen - für
20 Personen auf 36 g Kokain kommt und diese Zahl zur Bezeichnung der von
ihr als kritisch erachteten Menge auf 40 g aufrundet, ist das Obergericht
der Meinung, es sei der zur Zeit der Tat vorwiegend üblichen Art des
Kokaingebrauchs durch Schnupfen, bei welcher von einer Konsumeinheit von
0,5-1 g Kokain auszugehen sei, Rechnung zu tragen; unter Berücksichtigung
"aller Untersicherheiten beim Gebrauch von Kokain" sei die Annahme der
ersten Instanz, wonach ein schwerer Fall erst bei einer Menge von 80 g
gegeben sei, begründet, auch wenn dieser Grenzwert im vorliegenden Fall
eher als zu tief angesetzt erscheine.

Erwägung 2

    2.- Der in Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG verwendete Begriff "viele
Menschen" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zwar der Auslegung
bedarf, sich jedoch theoretischen Überlegungen weitgehend entzieht und
sich auch zahlenmässig nicht genau bestimmen lässt.

    a) Der Versuch, den genannten Begriff nach unten zahlenmässig
zu begrenzen, ist notwendig mit einer ermessensmässigen Wertung
verbunden. Diese muss in jedem Fall aber ein einheitliches Ergebnis
anstreben und darf nicht die mehr oder weniger grosse Gefährlichkeit des
jeweiligen Rauschgifts zum Massstab nehmen; denn ob die im konkreten
Fall gehandelte Droge eine leichte oder eine harte sei, kann nicht
entscheidend ins Gewicht fallen, wenn es darum geht, den Begriff der
Vielzahl von Menschen nach unten zu begrenzen (vgl. BGE 106 IV 231 E. 3c);
die Art der Droge ist lediglich für die Berechnung der kritischen Menge
von Belang. Bei der Auslegung des Begriffs "viele Menschen" wird sich der
Richter an den Zweckgedanken des BetmG als einer allgemeinen Richtlinie
halten und entsprechend einerseits die verheerenden gesundheitlichen
Schäden berücksichtigen, die sich infolge des Konsums von Rauschgiften
ergeben können, und anderseits in Rechnung stellen, dass der Gesetzgeber
aus diesem Grunde schon die bloss abstrakte Gefährdung der menschlichen
Gesundheit mit Strafe bedroht hat (M. DELACHAUX, Drogues et législation,
Diss. Lausanne 1977, S. 164 oben) und dabei insbesondere den Handel in
den verschiedensten Formen und Stadien hat treffen wollen (BGE 106 IV 230
E. 3b). Schon nach diesen allgemeinen Überlegungen besteht kein Grund,
dem Täter gegenüber, der mit Rauschgift handelt und damit die Gesundheit
anderer rücksichtslos aufs Spiel setzt, bei der Anwendung von Art. 19
Ziff. 2 lit. a BetmG besondere Rücksicht walten zu lassen, indem man den
Begriff der Vielzahl von Menschen so fasst, dass die unterste Grenze hoch
angesetzt wird. Im Kampf gegen den unbefugten Rauschgifthandel ist vielmehr
Strenge am Platz (s. ebenso SCHULTZ, Die strafrechtliche Behandlung von
Betäubungsmitteln, SJZ 68/1972 S. 238).

    b) Das Obergericht beruft sich zur Stütze seiner Auffassung, wonach
die unterste Grenze bei 30 Personen festzulegen sei, auf eine "in der
Literatur als Folge der älteren bundesgerichtlichen Praxis" geäusserten
Meinung. Hiezu ist festzustellen, dass A. SCHÜTZ (Die Strafbestimmungen
des BetmG, Diss. Zürich 1980, S. 158), den allein die Vorinstanz in
diesem Zusammenhang zitiert, lediglich ausführt, der genannte Begriff sei
einer sachgerechten Umschreibung nicht zugänglich, das Bundesgericht habe
in BGE 103 IV 281 bei einer Heroinmenge von 15 g eine Gefährdung von 35
Personen in jedem Fall für ausreichend erachtet und das Geschworenengericht
des Kantons Zürich habe in Anwendung von Art. 237 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
die Zahl von 29 Flugzeuginsassen als Vielzahl genügen lassen, so dass
es nicht gerade willkürlich sein dürfte, die untere Grenze auf etwa 30
festzusetzen. Mehr ist der angeführten Literatur nicht zu entnehmen, und
mit dem fraglichen Hinweis ist im Ergebnis wenig oder nichts gewonnen;
denn in keinem der beiden Gerichtsfälle stand die Frage zur Entscheidung,
wo die unterste Grenze zu ziehen sei. Vielmehr haben die beiden Gerichte
in den konkreten Fällen die genannte Anzahl von Menschen zur Erfüllung
des gesetzlichen Tatbestandes bloss für ausreichend erachtet, ohne damit
eine unterste Limite zu ziehen. Eine anders lautende, ältere Praxis vermag
auch das Obergericht nicht anzuführen.

    c) In BGE 106 IV 231 E. 3c und 105 IV 75 E. 3d sowie in einigen
nicht veröffentlichten Urteilen aber hat der Kassationshof einen
Personenkreis von 20-40 Personen als eine Vielzahl von Menschen im Sinne
des Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG erkannt. Auch aus dieser ebenfalls
einen blossen Rahmen umschreibenden Formel kann nicht geschlossen werden,
das Bundesgericht habe ein Mittel von 30 Personen als unterste Grenze
angesehen, sonst hätte es nicht von 20-40 Personen gesprochen. Vielmehr
ist jenen Entscheidungen zu entnehmen, dass der Kassationshof implicite
bereits einen Kreis von 20 Personen genügen lassen wollte, hierin aber
die allerunterste Grenze gesehen hat. Zwingende Gründe, diese Limite nach
oben zu verschieben, bestehen nach dem Gesagten (E. 2a) nicht.

Erwägung 3

    3.- Was die zweite zwischen Vorinstanz und Beschwerdeführerin
kontroverse Frage betrifft, so wurde sie vom Bundesgericht bereits dahin
entschieden, dass bei Rauschgiften, die in verschiedener Art eingenommen
werden können und bei denen je nach der Art der Applikation eine mehr
oder weniger hohe Dosis eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit
bewirken kann, für die Bemessung der nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
erheblichen Menge von der gefährlicheren Konsumart und der bei dieser
üblichen Rauschgiftdosis auszugehen ist (BGE 107 IV 152). Bei Kokain ist
dies die intravenöse Applikation, bei der schon tägliche Konsumeinheiten
von 10 mg bei sukzessiver Einnahme über 3-6 Monate psychopathologische
Folgeerscheinungen zeitigen können. Der Umstand, dass zur Zeit der dem
Beschwerdegegner zur Last fallenden Handlungen (1979) die intranasale
Einnahme von Kokain (Schnupfen), bei welcher die Konsumeinheit 0,5-1
g beträgt, häufiger war als die intravenöse, ist kein Grund, von
jener Rechtsprechung abzugehen, zumal dem genannten Entscheid ebenfalls
Handlungen aus den Jahren 1978 und 1979 zugrunde lagen und sich der Händler
in aller Regel weder darum kümmert, ob die Konsumenten in mittlerem Alter
stehen oder Jugendliche sind, bei denen das Gesundheitsrisiko ein erheblich
höheres ist, noch darum, ob der Erwerber bereits abhängig ist oder nicht,
noch um die Art, in welcher schliesslich das Kokain konsumiert wird.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner unbestrittenermassen
den Kauf von 50 g Kokain durch einen ihm als Rauschgifthändler bekannten
D. R. mitfinanziert. Geht man von der bei intravenöser Applikation üblichen
Tagesdosis von 10 mg und einem regelmässigen Konsum (nicht schon von drei
Monaten - was an sich möglich wäre - sondern) von einem halben Jahr aus,
so ergibt sich, dass 1,8 g Kokain (180 Tage x 10 mg) ausreichen um eine
Person während jener kritischen Dauer zu versorgen. Mit 50 g Kokain können
infolge dessen rund 27 Personen während 6 Monaten versorgt werden. Die
Vorinstanz hätte demnach den Beschwerdegegner wegen eines schweren Falls
gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG bestrafen sollen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 30. März 1982 aufgehoben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.