Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 27



108 IV 27

9. Urteil des Kassationshofes vom 30. März 1982 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau gegen X. und Y. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 251, 335 Ziff. 2 StGB.

    Wer mit einem Urkundenfälschungsdelikt ausschliesslich
Steuervorschriften umgehen will und eine - objektiv mögliche - Verwendung
des Dokumentes im nicht-fiskalischen Bereich auch nicht in Kauf nimmt,
ist nur nach Steuerstrafrecht zu beurteilen (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- X. und Y. führen in einfacher Gesellschaft ein Malergeschäft. Sie
haben die auf ein (im Jahre 1969 eröffnetes) Konto bei der Spar- und
Leihkasse Oberfreiamt einbezahlten Arbeitseinkünfte von insgesamt Fr.
113'274.65 sowie die darauf erzielten Zinsen in der Geschäftsbuchhaltung
nicht verbucht und dadurch in den Jahren 1974 bis 1978 je mindestens
Fr. 8'304.90 an Staats-, Gemeinde- und Kirchensteuern sowie mindestens
Fr. 2'908.40 an Wehrsteuern (17. und 18. Periode) dem Fiskus entzogen.

    B.- Die Staatsanwaltschaft erhob gegen X. und Y. Anklage wegen
fortgesetzten Steuerbetrugs und fortgesetzter Urkundenfälschung.

    Das Bezirksgericht Bremgarten sprach die beiden Angeklagten von
der Anschuldigung der fortgesetzten Urkundenfälschung frei, sprach sie
des fortgesetzten Steuerbetrugs im Sinne von Art. 138 des aargauischen
Steuergesetzes schuldig und verurteilte sie zu einem Monat Gefängnis
(mit bedingtem Strafvollzug) sowie zu einer Busse von je Fr. 2'000.--.

    Eine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft
hat das Obergericht mit Entscheid vom 10. Dezember 1981 abgewiesen.

    C.- Gegen das Urteil des Obergerichtes führt die Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene
Urteil sei wegen Verletzung des Art. 251 StGB aufzuheben und die Sache
sei zur Bestrafung der Angeklagten auch wegen Urkundenfälschung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Die beiden Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist, ob der vorliegende Sachverhalt nicht nur nach
den steuerrechtlichen Strafnormen, sondern auch als gemeinrechtliches
Urkundendelikt gemäss Art. 251 StGB zu ahnden ist.

    a) Gemäss ständiger, unangefochtener Rechtsprechung, werden
Urkundendelikte, welche ausschliesslich einer Schädigung des Fiskus dienen
(ungerechtfertigte Herabsetzung der Steuerschuld), vom Fiskalstrafrecht
erfasst; Art. 251 StGB kommt nicht zur Anwendung, wenn der angestrebte
unrechtmässige Vorteil ein Steuervorteil ist, Herstellung oder Gebrauch
einer unwahren oder gefälschten Urkunde sich also ausschliesslich auf das
Steuerveranlagungsverfahren zu beziehen (vgl. BGE 106 IV 39; 103 IV 39;
101 IV 57). Fiskalstrafrechtliche Urkundendelikte sind in diesem Sinne dem
Anwendungsbereich von Art. 251 StGB entzogen und nach den Spezialnormen
des Steuerrechts zu beurteilen. Art. 251 StGB kann auch subsidiär nicht
herangezogen werden BGE 81 IV 166 ff.).

    b) Dieser Grundsatz der Anwendbarkeit fiskalstrafrechtlicher
Spezialnormen auf steuerliche Urkundendelikte (unter Ausschluss von
Art. 251 StGB) wurde durch die Abgrenzungsregel eingeschränkt: Massgebend
dafür, ob ein rein fiskalrechtliches Urkundendelikt vorliege oder ob
Art. 251 StGB zum Zuge komme, sei nicht die Absicht des Täters, sondern
die objektive Beweisbestimmung der Urkunde. So heisst es etwa in BGE 101
IV 57, dort, wo "der Schrift von Gesetzes wegen oder ihrer Natur nach eine
besondere Beweisbestimmung" zukomme, wie das bei der Buchhaltung der Fall
sei, müsse auf diese objektive Bestimmung der Urkunde abgestellt werden,
nicht auf das Motiv des Täters (vgl. auch 103 IV 39/40, 177; 91 IV 191;
84 IV 167).

    Aus dieser Argumentation ergibt sich für die Abgrenzung zwischen
fiskalstrafrechtlichem Delikt und Art. 251 StGB die objektive
Beweisbestimmung der in Frage stehenden Urkunde als Kriterium: Bei
Schriftstücken, die nach ihrer Natur für das Steuerverfahren bestimmt
sind (wie Lohnausweise vgl. BGE 81 IV 166 ff.), kommen nur die Normen des
Fiskalstrafrechts zum Zug. Geht es um Dokumente, welche objektiv auch für
andere als steuerliche Zwecke verwendbar sind (wie Buchhaltung, vgl. BGE
101 IV 57, 91 IV 191, Grundstückkauf-Vertrag, vgl. BGE 84 IV 167), so hat
nach dieser Konzeption die Beurteilung gemäss Art. 251 StGB zu erfolgen.
Die Regel, wonach es zur Anwendung von Art. 251 StGB genügt, dass eine
andere Verwendung des Dokumentes als zu Steuerzwecken objektiv möglich
ist, wurde in einem neuern Entscheid vom Kassationshof eingeschränkt:
Gemäss BGE 106 IV 39 genügt die objektive Verwendungsmöglichkeit nicht
(für die Anwendung von Art. 251 StGB), es ist erforderlich, dass der
Täter zumindest die Möglichkeit eines nicht-fiskalischen Gebrauchs des
Dokumentes erkannte und die Verwirklichung dieser Möglichkeit - auch wenn
er sie nicht wollte - nach den Umständen nicht ausschliessen konnte.

Erwägung 2

    2.- Die nicht in allen Teilen konsequente Rechtsprechung des
Bundesgerichts zur Frage der Konkurrenz zwischen Steuerstrafrecht und
gemeinem Strafrecht im Bereich der Urkundendelikte wurde von GUIDO JENNY
(in ZStR 97/1980 S. 121 ff.) einer kritischen Analyse unterworfen,
wobei der Autor den letztgenannten Entscheid (BGE 106 IV 39) nicht mehr
berücksichtigen konnte.

    Jenny kommt zum Schluss, dass die Frage, ob die Urkunden-Tatbestände
des Strafgesetzbuches oder ausschliesslich die besonderen
Steuerstrafbestimmungen des Fiskalstrafrechts anzuwenden seien, nicht
auf der Basis der objektiven Beweisbestimmung der jeweiligen Urkunde
gelöst werden sollte. Er weist mit Recht darauf hin, dass objektiv jede
Urkunde auch ausserhalb des Steuerrechtsverhältnisses bedeutsam werden
kann, selbst wenn sie in erster Linie zu Steuerzwecken erstellt wurde (so
etwa der Lohnausweis bei Darlehensgesuchen oder Verhandlungen über einen
Mietvertrag). Nach der Auffassung Jennys muss der vom Täter verfolgte
Zweck dafür massgebend sein, ob das Fiskalstrafrecht zum Zuge kommt oder
Art. 251 StGB.

    SCHULTZ hat bei der Erörterung der Rechtsprechung des Jahres 1980 (in
ZBJV 118 1982 S. 28/29) die Einführung eines subjektiven Erfordernisses
in BGE 106 IV 38 begrüsst, gleichzeitig aber unter Erwähnung der
Abhandlung von Jenny auf die Problematik der bundesgerichtlichen Abgrenzung
hingewiesen, welche zu einer neuen Schuldform - Wissensschuld als Wissen um
die Möglichkeit der Verwendung der Urkunde für nicht-fiskalische Zwecke -
führen könnte.

Erwägung 3

    3.- Aufgrund der Schwierigkeiten, die in der Praxis aufgetreten sind
und aufgrund der kritischen Äusserungen in der Doktrin drängt sich eine
neue Prüfung der Abgrenzungsfrage auf.

    a) Die bisherige Rechtsprechung war im Ergebnis bestrebt, den
Bereich des Art. 251 StGB gegenüber analogen fiskalstrafrechtlichen
Spezialtatbeständen nach dem primären, objektiven Verwendungszweck der
in Frage stehenden Urkunden abzugrenzen. Dem Fiskalstrafrecht blieben
demnach jene Delikte vorbehalten, die sich auf "Steuer-Urkunden" beziehen,
welche nach ihrer Natur ausschliesslich (oder wenigstens in erster
Linie) zur Verwendung im Steuerverfahren bestimmt sind. Alle andern
Urkundendelikte, die zu Erlangung eines unrechtmässigen Steuervorteils
begangen werden, sich aber auf Schriftstücke beziehen, welche objektiv
auch zur nicht-fiskalischen Verwendung bestimmt sind, wären stets gemäss
Art. 251 StGB zu ahnden.

    b) Auch wenn diese Konkurrenzregel im Sinne von BGE 106 IV 39 durch ein
subjektives Erfordernis (Wissen des Täters um die objektive Möglichkeit
nicht-fiskalischer Verwendung) ergänzt wird, hält der Leitgedanke der
bisherigen Praxis einer grundsätzlichen Überprüfung nicht stand.

    Hat der Bundesgesetzgeber nach Doktrin und Praxis unbestrittenermassen
die Täuschung des Fiskus mittels unwahrer Urkunden (zur Erlangung eines
unrechtmässigen Steuervorteils) vom gemeinrechtlichen Urkundenstrafrecht
(Art. 251 StGB) ausgenommen und der Spezialgesetzgebung überlassen,
dann besteht kein stichhaltiger Grund, zu Steuerzwecken begangene
Urkundendelikte doch wieder dem Art. 251 StGB zu unterwerfen, sobald
das in Frage stehende Dokument an sich objektiv auch zu Beweiszwecken im
nicht-fiskalischen Bereich Verwendung finden könnte. Auch wenn der Täter
diese objektive Verwendbarkeit der Urkunde zu andern als steuerlichen
Zwecken erkennen musste, so liegt darin kein Grund, um ein fiskalisches
Urkundendelikt wegen dieser objektiven Möglichkeit einer nicht-fiskalischen
Verwendung der zu Steuerzwecken gefälschten Dokumente gemäss Art. 251
StGB zu ahnden (sei es ausschliesslich oder - wie dies im vorliegenden
Fall beantragt wird - in Konkurrenz zum Steuerdelikt).

    Es erscheint folgerichtig, jede konkrete Handlung je nach dem Vorsatz
des Täters als Fiskalstraftat oder gemeinrechtliches Urkundendelikt
zu qualifizieren. Die objektive Möglichkeit, dass ein in concreto für
steuerliche Zwecke verwendetes Dokument auch in nicht-fiskalischen
Zusammenhängen als Beweismittel zu gebrauchen wäre, hebt den Charakter
des (von Art. 251 StGB ausgenommenen) Fiskaldeliktes nicht auf und
vermag eine grundlegend andere strafrechtliche Beurteilung nicht zu
rechtfertigen. Lässt sich hingegen nachweisen, dass der Täter mit
seiner Fälschung oder Falschbeurkundung nicht nur einen steuerlichen
Vorteil erstrebte, sondern auch eine Verwendung des Dokumentes im
nicht-fiskalischen Bereich beabsichtigte oder zumindest in Kauf nahm, so
liegt Konkurrenz zwischen Steuerdelikt und gemeinrechtlichem Urkundendelikt
vor; die Voraussetzungen beider Tatbestände sind dann in objektiver und
subjektiver Hinsicht erfüllt. Wer ein Falsum herstellt und einem Dritten
zur freien Verwendung überlässt, kann gegen die Bestrafung gemäss Art. 251
StGB nicht den Einwand erheben, er habe angenommen, die falsche Urkunde
werde nur im Steuerverfahren eingesetzt. Bei erkennbarer Verwendbarkeit
für nicht-fiskalische Zwecke nimmt der Täter, der das Dokument einem
Dritten überlässt, zumindest in Kauf, dass die Urkunde zur Erlangung
eines nicht-fiskalischen Vorteils Verwendung findet.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdegegner X. und Y. haben die Buchhaltung ihres
Malergeschäftes unrichtig (unvollständig) geführt, um weniger Steuern
zahlen zu müssen. Dieser Vorsatz ist unbestritten und muss nach
den oben entwickelten Richtlinien die Ahndung der Verfehlungen nach
Steuerstrafrecht zur Folge haben. Was die Täter wollten, sind Vorteile bei
der Besteuerung. Schuld und Unrechtsgehalt der zu beurteilenden Handlungen
werden durch den Straftatbestand des Fiskaldeliktes (Steuerbetrug) voll
erfasst. Dass die Buchhaltung an sich auch im nicht-fiskalischen Bereich
(unter den Teilhabern des Geschäftes, gegenüber Dritten) Beweisfunktion
hat, rechtfertigt eine Bestrafung der in Frage stehenden Urkundendelikte
gemäss Art. 251 StGB nicht; denn es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass
die Beschwerdegegner mit dem inkriminierten Vorgehen andere als fiskalische
Ziele verfolgt oder eventualvorsätzlich die täuschende Verwendung der
unrichtigen Buchhaltung in andern als steuerlichen Belangen zumindest in
Kauf genommen hätten. Muss aber davon ausgegangen werden, dass der Vorsatz
der Beschwerdegegner sich in der Erreichung unrechtmässiger Steuervorteile
erschöpfte, so bleibt für die Anwendung von Art. 251 StGB kein Raum.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.