Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 104



108 IV 104

26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. August 1982 i.S. G.
gegen Staatsanwaltschaft Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 308 Abs. 1 StGB.

    Der Zeuge, der seine falsche Aussage berichtigt, nachdem Dritte ihn
wiederholt dazu drängten und ihm ernstliche Schwierigkeiten - welcher
Art auch immer - im Unterlassungsfall in Aussicht stellten, handelt nicht
aus eigenem Antrieb (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Kantonsgerichtsausschuss setzt sich in seinem zweiten Urteil
(vom 28. April 1982) sowohl mit der Frage, ob der Beschwerdeführer seine
falschen Zeugenaussagen aus eigenem Antrieb berichtigt habe, als auch
mit der Frage, ob vor dieser Berichtigung ein Rechtsnachteil für einen
andern entstanden sei, auseinander.

    a) Die Vorinstanz führt unter Hinweis auf die Aussagen des G. als
Angeschuldigter vom 20. Juni 1980 aus, es "bedurfte der eindringlichen
Intervention der Ehefrau, des Schwagers und des T., verbunden mit
der Drohung, dass sich bei Nichtbefolgen der Ratschläge ernsthafte
Schwierigkeiten ergeben würden, bis sich G. überwinden konnte, auf seine
unrichtigen Aussagen zurückzukommen". Der Beschwerdeführer habe also
unter dem Druck ihm angedrohter Nachteile und daher nicht aus eigenem
Antrieb im Sinne von Art. 308 Abs. 1 StGB gehandelt.

    b) Eine Berichtigung aus eigenem Antrieb liegt nicht nur dann vor,
wenn der Täter aus Einsicht in die Notwendigkeit einer wahrheitsgemässen
Aussage bzw. aus Gewissensgründen oder Verantwortungsgefühl usw. seine
falsche Aussage widerruft. Ob die Motive für den Widerruf mehr oder
weniger edel sind, ist grundsätzlich unerheblich und betrifft allenfalls
das Mass der Strafmilderung (STRATENWERTH, BT II, S. 324; BGE 69 IV 223
E. 3; s. auch zum Rücktritt beim unvollendeten Versuch, STRATENWERTH,
AT, S. 300 mit Hinweisen; BGE 83 IV 1). Dass der Täter aus Furcht
vor Aufdeckung oder aus Angst vor Repressalien des Betroffenen seine
falsche Aussage widerruft, schliesst ein Handeln aus eigenem Antrieb
demnach nicht aus. Voraussetzung ist allerdings, dass er freiwillig, aus
eigenem Entschluss, aus einem "autonomen, d.h. selbstgesetzten Motiv" (so
JESCHECK, Allgemeiner Teil des deutschen Strafrechts, 3. Aufl., S. 440 zum
Rücktritt vom Versuch) handelt. Ob eigener Antrieb auch dann noch vorliegt,
wenn der Täter seine falsche Aussage erst auf Anraten eines Dritten,
etwa eines Freundes, berichtigt (bejahend STRATENWERTH, BT II, S. 324;
LOGOZ, Commentaire, p. 735; THORMANN/V. OVERBECK, N. 3 zu Art. 308 StGB;
verneinend SCHULTZ, ZStrR 1958/73 S. 262), braucht hier nicht entschieden
zu werden. Im vorliegenden Fall ging die Initiative Dritter eindeutig über
das Erteilen von Ratschlägen hinaus. T. stellte G. mehrmals ernsthafte
Schwierigkeiten in Aussicht für den Fall, dass er die falschen Aussagen
nicht widerrufe, und G. wurde auch von seinem Schwager und von seiner
Ehefrau wiederholt zum Widerruf gedrängt. Bei dieser Sachlage kann von
einem Handeln aus eigenem Antrieb im oben umschriebenen Sinne keine Rede
sein. Entgegen den Andeutungen in der Nichtigkeitsbeschwerde fehlt es am
eigenen Antrieb nicht nur dort, wo der Täter widerruft, weil angesichts der
Beweislage weiteres Lügen unnütz wäre. Eine solche Auslegung der Wendung
"aus eigenem Antrieb", die auch im Zusammenhang mit dem Rücktritt beim
unvollendeten Versuch (Art. 21 Abs. 2 StGB) und der tätigen Reue beim
vollendeten Versuch (Art. 22 Abs. 2 StGB) verwendet wird, widerspricht
schon dem allgemeinen Sprachgebrauch. Wenn in BGE 69 IV 223 E. 3 ausgeführt
wurde, der Täter, der durch ein neues Verhör zum Widerruf geführt werde,
handle nicht aus eigenem Antrieb, so bedeutet dies nicht, dass es nur
in derartigen Fällen am eigenen Antrieb fehle, auch wenn der Gesetzgeber
beim Erlass von Art. 308 Abs. 1 StGB gerade an diesen Fall gedacht haben
mag. Wer widerruft, weil ein Dritter ihn dazu drängt und ihm ernstliche
Schwierigkeiten - welcher Art auch immer - im Unterlassungsfall in Aussicht
stellt, handelt nicht "aus eigenem Antrieb" ("de son propre mouvement",
"spontaneamente"). Dabei schliesst wie erwähnt nicht die Furcht vor
Schwierigkeiten als solche das Handeln aus eigenem Antrieb aus, sondern
der Umstand, dass diese Angst für das Verhalten des Täters erst bestimmend
wurde, als Dritte ihn bedrängten und ihm Schwierigkeiten in Aussicht
stellten. Dass "der Täter aufgrund einer objektivierten Betrachtungsweise
selbst noch entscheiden kann, ob er diesen Schritt tun will oder nicht",
wie in der Beschwerde ausgeführt wird, ist unerheblich. Entscheidend ist,
dass G. auf Druck Dritter hin subjektiv praktisch keine Wahl hatte und er
vernünftigerweise nicht anders handeln konnte. Dass er - wie übrigens auch
der Zeuge, dessen Aussage sich angesichts der übrigen Beweise als falsch
erweist - theoretisch noch zwischen Festhalten an der Falschaussage und
deren Berichtigung wählen konnte, ist belanglos; theoretisch hat auch
etwa der mit dem Tode Bedrohte eine Wahlmöglichkeit. Die Vorinstanz hat
demnach ein Handeln "aus eigenem Antrieb" angesichts des von verschiedenen
Seiten auf G. ausgeübten Drucks zu Recht verneint.

    Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer
seine Aussagen berichtigt habe, bevor durch sie ein Rechtsnachteil
für einen andern entstanden ist, was die Vorinstanz in ihrem zweiten
Urteil (vom 28. April 1982) unter Hinweis auf die Kosten und Umtriebe
der fakultativen Teilnahme des T. und seines Anwalts an der zweiten
Einvernahme des G. vom 22. April 1980, die durch die erste Einvernahme
des G. vom 28. Februar 1980 notwendig wurde, verneinte.