Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 65



108 II 65

11. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Februar 1982 i.S. Rosengarten
gegen Pinguin-Neuheiten-Vertrieb (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Vorsorgliche Massnahmen wegen unlauteren Wettbewerbs.  Zuständigkeit.

    Art. 11 Abs. 3 UWG verbietet den Kantonen nicht, die Zuständigkeit
für vorsorgliche Massnahmen, die bereits vor Einleitung des Hauptprozesses
anzuordnen sind, selber zu regeln und die getroffenen Massnahmen durch eine
obere Instanz überprüfen zu lassen; das gilt auch dann, wenn inzwischen
die Klage anhängig gemacht worden ist.

Sachverhalt

    A.- Israel M. Rosengarten importiert als Generalvertreter für die
Schweiz einen sechsfarbigen Spielwürfel, der seit 1975 unter dem Namen
seines ungarischen Erfinders Rubik bekannt geworden ist. Am 23. März
1981 ersuchte er den Präsidenten des Bezirksgerichts Rheinfelden, der
Firma Pinguin-Neuheiten-Vertrieb den Handel mit einem "Zauberwürfel",
der dem Rubik-Würfel sklavisch nachgebildet sei, vorsorglich bei Strafe
zu verbieten.

    Der Gerichtspräsident hiess das Gesuch am 27. März 1981 durch eine
superprovisorische Verfügung gut. Auf Einwendungen der Gegenpartei änderte
er die Verfügung am 28. April 1981 dahin ab, dass er der Firma Pinguin im
Befehlsverfahren jede Ankündigung, den Verkauf, Vertrieb und Versand des
"Zauberwürfels" unter Androhung von Strafen gemäss § 252 ZPO mit sofortiger
Wirkung untersagte, den Gesuchsteller zu einer Sicherheitsleistung von Fr.
100'000.-- verpflichtete und ihm gestützt auf Art. 12 Abs. 1 UWG eine
30tätige Frist zu einer Zivilklage ansetzte; Rosengarten hat diese Klage
am 9. Juni 1981 eingereicht.

    Auf Beschwerde der Firma Pinguin wies das Obergericht des Kantons
Aargau am 27. August 1981 das Massnahmenbegehren Rosengartens ab und
erklärte dessen Antrag auf Herabsetzung der Sicherheit für gegenstandslos.

    B.- Rosengarten hat gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde
eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben und die Sache zum Entscheid
an das nunmehr zuständige Bezirksgericht Rheinfelden zurückzuweisen. Er
macht eine Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. b
OG geltend.

    Die Firma Pinguin und das Obergericht haben auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Gemäss Art. 68 Abs. 1 OG können letztinstanzliche Entscheide
kantonaler Behörden in Zivilsachen, die nicht berufungsfähig sind, mit der
Nichtigkeitsbeschwerde unter anderem angefochten werden, wenn Vorschriften
des eidgenössischen Rechts über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit
der Behörden verletzt worden sind (lit. b). Der Beschwerdeführer sieht
eine solche Verletzung darin, dass das Obergericht nach dem 9. Juni 1981,
als der Hauptprozess hängig war, den Entscheid über das Massnahmenbegehren
entgegen der Vorschrift des Art. 11 Abs. 3 UWG nicht dem Bezirksgericht
überlassen hat; denn gemäss dieser Bestimmung sei nach Anhebung der Klage
ausschliesslich der Richter des Hauptprozesses zuständig, vorsorgliche
Massnahmen zu verfügen oder aufzuheben.

    a) Art. 11 Abs. 3 UWG regelt diese Zuständigkeit bloss für die
Dauer des Hauptprozesses, sagt aber nicht, ob das Gesamtgericht, dessen
Präsident oder allenfalls der Instruktionsrichter über Massnahmenbegehren
zu entscheiden habe. Wie in BGE 104 II 57 anhand der Entstehungsgeschichte
des Gesetzes ausgeführt wird, bestimmt dies vielmehr das kantonale Recht,
das schon aus praktischen Gründen eine interne Delegation vorsehen
kann. Das Bundesrecht befasst sich auch nicht mit der Frage, in welchem
Verfahren Massnahmenbegehren, die vor Eröffnung des Hauptprozesses gestellt
werden, zu behandeln sind. Es bestimmt in Art. 11 Abs. 2 UWG nur, dass
die Kantone die Behörden bezeichnen, die für die Anordnung vorsorglicher
Massnahmen zuständig sind, und dass sie nötigenfalls ihre Vorschriften
über das Verfahren ergänzen. Dass dieses Verfahren auch ein summarisches
sein kann, ergibt sich schon aus dem Sinn und Zweck solcher Massnahmen
sowie aus den Mindestvoraussetzungen, die gemäss Art. 9 UWG für ihre
Anordnung erfüllt sein müssen (vgl. BGE 56 II 325 E. 5).

    Da die Kantone in Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs
die Zuständigkeit zu regeln haben, wenn bereits vor Einleitung des
Hauptprozesses vorsorgliche Massnahmen zu treffen sind, ist ihnen auch
nicht verwehrt, für solche Fälle eine Rechtsmittelinstanz vorzusehen;
denn das Recht, den zuständigen Richter zu bestimmen, schliesst die
Befugnis in sich, die von ihm getroffenen Massnahmen durch eine obere
Instanz überprüfen zu lassen (BGE 104 II 122 E. 2). Fragen kann sich
daher im vorliegenden Fall bloss, ob im Kanton Aargau Massnahmenbegehren
entsprechend der Vorschrift des Art. 11 Abs. 3 UWG jedenfalls im Rahmen
des Hauptprozesses weiterzubehandeln sind oder ob die obere Instanz nach
Anhebung der Klage noch über ein hängiges Rechtsmittel entscheiden darf.

    b) Der Beschwerdeführer hat sich schon im kantonalen
Rechtsmittelverfahren auf VON BÜREN (N. 18 zu Art. 8-12 UWG) berufen. Nach
Auffassung dieses Autors sind bis zur Einleitung des Hauptprozesses
unerledigt gebliebene Massnahmenbegehren, und zwar auch solche, gegen
die ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, dem erkennenden Gericht zu
überweisen, das den Fall ganz behandeln und nicht genötigt sein solle,
Akten einzufordern oder abzugeben. Der Beschwerdeführer hält daran auch vor
Bundesgericht fest. Er macht geltend, bei richtiger Anwendung von Art. 11
Abs. 3 UWG sei die Zuständigkeit des Obergerichts am 9. Juni 1981, als er
die Firma Pinguin wegen unlauteren Wettbewerbs eingeklagt habe, entfallen
und nur noch das Bezirksgericht Rheinfelden zuständig gewesen, die bereits
vorprozessual anhängig gemachten Massnahmenbegehren weiterzubehandeln.

    Gemäss §§ 245 ff. der aargauischen ZPO hat der Präsident des
Bezirksgerichts im Befehlsverfahren über vorsorgliche Massnahmen zu
entscheiden, gleichviel ob sie von einer Partei schon vor oder erst
nach Hängigkeit der Klage verlangt werden (EICHENBERGER, Beiträge zum
Aargauischen Zivilprozessrecht, S. 209 ff.). Solche Entscheide sind
zudem auch nach Anhebung der Klage im Befehlsverfahren, also nicht als
Teil des Hauptprozesses weiterzubehandeln, wenn darauf zurückzukommen
ist (§ 254 ZPO) oder dagegen Beschwerde geführt wird (§ 255 ZPO). Der
Präsident des Bezirksgerichts kann sie in diesem Verfahren nötigenfalls
selber aufheben oder abändern, wenn neue Tatsachen das eine oder andere
rechtfertigen. Für die Beschwerde gilt dagegen, wie das Obergericht
hervorhebt, das Novenverbot; zu überprüfen bleibt diesfalls insbesondere,
ob die getroffenen Massnahmen zur Zeit ihrer Anordnung begründet gewesen
oder ob sie allenfalls ex tunc aufzuheben seien (EICHENBERGER, aaO,
S. 229/30).

    Wollte man VON BÜREN folgend selbst unerledigte Beschwerden gegen
vorsorgliche Verfügungen dem erkennenden Richter zur weiteren Behandlung
überweisen, so würde die Befugnis der Kantone illusorisch, solche
Verfügungen auch dann durch eine obere Instanz überprüfen zu lassen,
wenn sie vom Präsidenten des Bezirksgerichts bereits vor Einleitung des
Hauptprozesses getroffen werden. Die Lösung wäre in Fällen, wie hier,
wo der im Befehlsverfahren zuständige Gerichtspräsident offensichtlich
identisch ist mit dem Vorsitzenden im ordentlichen Verfahren, auch sachlich
nicht gerechtfertigt, liefe sie doch darauf hinaus, dass die gleiche
Amtsperson nach Anhängigmachung des Hauptprozesses die Beschwerde als neue
Einwendung behandeln, sich also ein drittes Mal mit dem Massnahmenbegehren
befassen müsste, bevor die Verfügung an die obere Instanz weitergezogen
werden kann.

    Einem Kanton eine solche Lösung auferlegen zu wollen, die das
Befehlsverfahren erschwert und verzögert, Richter und Parteien zudem
über das weitere Vorgehen verunsichert, kann nicht der Sinn und Zweck
des Art. 11 Abs. 3 UWG sein. Solche Folgen lassen sich vermeiden, wenn
die obere kantonale Instanz Beschwerden gegen vorsorgliche Massnahmen,
die vom Präsidenten des Bezirksgerichts schon vor Anhebung der Klage
angeordnet worden sind, auch nachher noch selber überprüfen darf. Der
Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 UWG steht dem nicht entgegen. Er beruht
auf der Überlegung, dass während des Hauptprozesses der Richter des
ordentlichen Verfahrens auch über vorsorgliche Massnahmen zu befinden hat,
wenn solche anzuordnen, abzuändern oder aufzuheben sind (BGE 104 II 56;
BBl 1942 S. 708). In den romanischen Gesetzestexten ist insbesondere
von Zuständigkeit "pour révoquer" bzw. "a revocare" die Rede, was für
eine Aufhebung ex nunc spricht. Die Frage der Zuständigkeit, die der
Gesetzgeber damit einheitlich geregelt wissen wollte, stellt sich aber
gar nicht, wenn vorsorgliche Anordnungen, wie hier, schon vor Anhebung
der Klage getroffen worden sind. Nicht übersehen werden darf schliesslich,
dass Art. 11 Abs. 2 und 3 UWG das den Kantonen vorbehaltene Prozessrecht
berühren (Art. 64 Abs. 3 BV); sie sind daher eng, d.h. verfassungskonform,
nicht verfassungswidrig auszulegen (BGE 104 II 121/22).

    c) Das Obergericht hat somit dadurch, dass es die Beschwerden
der Parteien gegen die vorsorgliche Verfügung vom 28. April 1981
auch nach Einleitung des Hauptprozesses weiterbehandelte, statt sie
dem Bezirksgericht Rheinfelden zu überweisen, keine bundesrechtlichen
Vorschriften über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. b
OG verletzt. Ob es dabei das materielle Recht richtig angewandt habe, ist
im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Der Beschwerdeführer verlangt
dies auch nicht, sondern anerkennt, dass "nur eine einzige Rechtsfrage
zu klären ist", nämlich die Zuständigkeit der Behörden (vgl. BGE 104 II
122 E. 3, 95 II 305/6, 91 II 399, 82 II 124).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.