Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 497



108 II 497

93. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Oktober
1982 i.S. Destinatäre der Personalfürsorgestiftung der Malerei Buess
AG und Mitbeteiligte gegen Gemeinschaftsstiftung für Alters- und
Hinterlassenenvorsorge im Schweizerischen Gewerbe und Eidgenössisches
Departement des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Stiftungsaufsicht; Konkurrenz zwischen zivilrechtlicher Klage und
Anrufung der Aufsichtsbehörde.

    Verweigert eine Personalfürsorgestiftung austretenden Destinatären die
Auszahlung der geltend gemachten Abgangsansprüche, können die Betroffenen
zivilrechtliche Klage erheben oder, falls die Ansprüche offensichtlich
ausgewiesen sind, bei der zuständigen Aufsichtsbehörde die Erteilung
entsprechender Weisungen an die Stiftung verlangen. Sind jedoch die
geltend gemachten Ansprüche nicht offensichtlich ausgewiesen, ist nur
der Weg der gerichtlichen Klage offen.

Sachverhalt

    A.- Als Mitglieder des Schweizerischen Maler- und Gipserverbandes
(SMGV) unterstanden Hans Buess und verschiedene Arbeitnehmer seines
Unternehmens, der Malerei Buess AG, dem Versicherungsobligatorium
hinsichtlich der AHV-Zusatzversicherung des erwähnten Verbandes bei
der Gemeinschaftsstiftung für Alters- und Hinterlassenenvorsorge
im Schweizerischen Gewerbe (im folgenden Gemeinschaftsstiftung
genannt). Nachdem die Buess AG eine eigene Personalfürsorgestiftung
errichtet hatte, stellte sie ein Gesuch um Befreiung von der genannten
Versicherungspflicht. Die Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes
liess sie mit Schreiben vom 28. September 1977 wissen, dass dem Gesuch
entsprochen worden sei, und zwar rückwirkend auf den 31. Dezember 1976. In
der Folge überwies die erwähnte Ausgleichskasse der Buess AG gestützt
auf Art. 21 des Reglementes für die AHV-Zusatzversicherung des SMGV den
Betrag von insgesamt Fr. 25'950.--. Dieser Betrag setzte sich zusammen
aus dem vollen Rückerstattungswert zu Gunsten des als Verbandsmitglied
ausscheidenden Hans Buess und der Summe der persönlich erbrachten Beiträge
der Arbeitnehmer. Die Personalfürsorgestiftung der Buess AG erklärte
sich mit der Abfindung der Arbeitnehmer nicht einverstanden. Ein Gesuch,
auch für sie den vollen Rückerstattungswert, d.h. eine Nachzahlung von
insgesamt Fr. 18'343.-- zu leisten, wurde jedoch abgewiesen.

    Mit Eingabe vom 6. Juni 1980 wandten sich die betroffenen Destinatäre
der Personalfürsorgestiftung der Malerei Buess AG (im folgenden Destinatäre
genannt), die Personalfürsorgestiftung selbst und die Malerei Buess AG
an das Bundesamt für Sozialversicherung und stellten das Gesuch, die
Gemeinschaftsstiftung sei anzuweisen, den von ihnen geltend gemachten
Betrag von Fr. 18'343.-- nebst Zins zu 5% ab 1. Januar 1977 an die
Personalfürsorgestiftung der Malerei Buess AG zu überweisen. Unter dem
25. März 1981 teilte ihnen das Bundesamt mit, dass dem Gesuch nicht
entsprochen werden könne. Diesen Standpunkt bestätigte es mit Schreiben
vom 9. Dezember 1981.

    Die Destinatäre, die Personalfürsorgestiftung und die Malerei Buess
AG erhoben hiegegen Beschwerde beim Eidgenössischen Departement des Innern
(EDI). Das EDI erliess am 22. April 1982 folgenden Entscheid:

    "1. Die Beschwerde wird unter dem Gesichtspunkt der Stiftungsaufsicht
   abgewiesen.

    2. Den Beschwerdeführern bleibt hiermit unbenommen, die strittige

    Forderung von Fr. 18'343.-- vor dem Zivilrichter geltend zu machen.

    3. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

    4. Die Parteikosten werden wettgeschlagen."

    Die Destinatäre, die Personalfürsorgestiftung und die Malerei Buess
AG haben hiegegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
erhoben mit den Rechtsbegehren:

    "1. Die Beschwerde sei gutzuheissen und die Verfügung der

    Beschwerdegegnerin vom 22. April 1982 sei aufzuheben.

    2. Die Gemeinschaftsstiftung für Alters- und Hinterlassenenvorsorge im

    Schweizerischen Gewerbe sei anzuweisen, den Beschwerdeführern bzw. der

    Personalfürsorgestiftung der Malerei Buess AG das gesamte
Vorsorgekapital
   der Destinatäre bzw. den noch ausstehenden Differenzbetrag von

    Fr. 18'343.-- zuzüglich Zins von 5% ab 1. Januar 1977 zu überweisen.

    Eventuell sei die Angelegenheit an die Beschwerdegegnerin oder direkt
   an das Bundesamt für Sozialversicherung zu neuer Beurteilung im Sinne
   des obigen Rechtsbegehrens zurückzuweisen."

    Die Gemeinschaftsstiftung beantragt, auf die Beschwerde sei nicht
einzutreten; allenfalls sei sie abzuweisen.

    Das EDI schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Ihre Ansprüche gegenüber der Gemeinschaftsstiftung können die
Destinatäre als frühere Begünstigte gemäss Art. 89bis Abs. 5 ZGB klageweise
geltend machen. Das Bundesamt für Sozialversicherung und das EDI haben denn
auch ausdrücklich auf diesen Weg hingewiesen. Zu prüfen ist indessen, ob
die Destinatäre neben dem Zivilrichter auch die Aufsichtsbehörde anrufen
können, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Letztlich geht es dabei darum
zu entscheiden, ob das EDI die Gemeinschaftsstiftung zur Bezahlung der
geltend gemachten Forderung anzuhalten befugt sei.

Erwägung 5

    5.- Die Kompetenzen der Aufsichtsbehörden ergeben sich aus Art. 84
Abs. 2 ZGB. Danach hat die Aufsichtsbehörde dafür zu sorgen, dass das
Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird. Sie hat darüber
zu wachen, dass die Organe der Stiftung keine Verfügungen treffen, die
der Stiftungsurkunde oder dem Reglement bzw. dem Gesetz widersprechen
oder unsittlich sind (vgl. BGE 106 II 269 E. 3c; 105 II 73 E. 3b). In
diesem Rahmen ist die Aufsichtsbehörde befugt, den Stiftungsorganen
bindende Weisungen zu erteilen und bei deren Nichtbeachtung Sanktionen zu
ergreifen (BGE 101 Ib 235 f. E. 2 mit Hinweisen). Es ist indessen darauf
hinzuweisen, dass die Stiftungsaufsicht nicht etwa einer Vormundschaft
gleichkommt. Die Stiftung ist grundsätzlich voll handlungsfähig. Die
Aufsichtsbehörde darf deshalb nicht einfach an Stelle des Stiftungsrates
handeln. In reinen Ermessensfragen hat sie sich zurückzuhalten
(BGE 100 Ib 135 E. 3). Die Aufsichtsbehörde darf nur einschreiten,
wenn die Stiftungsorgane das ihnen zustehende Ermessen überschritten
oder missbraucht haben, mit andern Worten wenn einer ihrer Entscheide
unhaltbar ist, d.h. auf sachfremden Kriterien beruht oder einschlägige
Kriterien ausser acht lässt. Greift die Aufsichtsbehörde ohne gesetzliche
Grundlage in den Autonomiebereich der Stiftungsorgane ein, so verletzt
sie Bundesrecht (BGE 101 Ib 236 oben).

Erwägung 6

    6.- Der Gemeinschaftsstiftung droht eine Forderungsklage der
beschwerdeführenden Destinatäre. Für einen solchen Fall ist aus dem
Gesagten abzuleiten, dass die Aufsichtsbehörde die Stiftung nur dann
zur Anerkennung und Bezahlung ohne richterlichen Entscheid anhalten
darf, wenn der geltend gemachte Anspruch ohne weiteres ausgewiesen
ist. Lehnt nämlich die Stiftung unter solchen Umständen die Zahlung
ab und lässt sie es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen,
setzt sie sich der Gefahr aus, Verfahrenskosten und Prozessentschädigung
entrichten zu müssen. Die Tragung der Kosten und Entschädigungsfolgen
eines verlorenen Zivilprozesses stellt aber keine zweckgemässe Verwendung
des Stiftungsvermögens dar. Bestehen dagegen an der Berechtigung der
von Destinatären geltend gemachten Ansprüche ernsthafte Zweifel, so muss
der Entscheid dem Zivilrichter überlassen bleiben (vgl. RIEMER, N. 141
und 142 zu Art. 84 ZGB). Die Stiftung in einem solchen Fall anzuweisen,
die Forderung anzuerkennen, ginge nicht an, würden doch dadurch unter
Umständen die Ansprüche der übrigen Destinatäre gefährdet.

    Auf Grund des Gesagten ist festzuhalten, dass entgegen der Ansicht
der Gemeinschaftsstiftung nicht in jedem Fall, da zivilrechtliche Klage
erhoben werden kann, die Anrufung der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen
ist. Bei klaren Verhältnissen im oben erwähnten Sinn kann durchaus eine
konkurrierende Zuständigkeit von Richter und Aufsichtsbehörde gegeben sein
(vgl. RIEMER, N. 141 zu Art. 84 ZGB; WALSER, Die Personalvorsorgestiftung,
Diss. Zürich 1974, S. 49 ff.). Allerdings bleibt der richterliche
Entscheid über einen strittigen Anspruch eines Destinatärs in jedem Falle
vorbehalten (vgl. BGE 100 Ib 146 f.; WALSER, aaO, S. 50).

Erwägung 7

    7.- Von den Destinatären wird nicht bestritten, dass am 31.
Dezember 1976, als sie aus der AHV-Zusatzversicherung austraten, um in
die Personalfürsorgestiftung der Malerei Buess AG einzutreten, d.h. als
die strittigen Ansprüche entstanden, die Art. 331a-331c des revidierten
OR für die Gemeinschaftsstiftung noch nicht in Kraft getreten waren. Die
Gemeinschaftsstiftung unterstand damals noch dem früheren Art. 343bis
OR. Diese Bestimmung sah in Abs. 3 vor, dass dem Dienstpflichtigen,
der selbst auch Beiträge entrichtet hat, bei der Auflösung des
Dienstverhältnisses mindestens die Summe der von ihm geleisteten Beiträge
herauszugeben sei. Eine entsprechende Regelung fand sich denn auch
in Art. 21 des Reglements von 1969 über die AHV-Zusatzversicherung
des SMGV. Darauf beruhte die geleistete Barabfindung von insgesamt
Fr. 25'950.--.

    Die Destinatäre, die mehr beanspruchen als nur die persönlich
erbrachten Beiträge, sind der Ansicht, dass die erwähnten Bestimmungen
des früheren OR und des Reglementes von 1969 auf ihren Fall nicht
direkt zur Anwendung gelangen können, da der Grund ihres Austritts
nicht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gewesen sei, sondern
der Wechsel zur Personalfürsorgestiftung der Malerei Buess AG. Da
dieser Sachverhalt im Gesetz nicht geregelt gewesen sei, müsse das
Bestehen einer echten Lücke angenommen werden, die im Sinne von Art. 1
Abs. 2 ZGB unter Berücksichtigung der allgemeinen Zielvorstellungen
des Personalfürsorgestiftungsrechtes auszufüllen sei. Die Destinatäre
verweisen sodann auf die Stellungnahme des Amtes für Stiftungsaufsicht
des Kantons Basel-Landschaft, dem die Personalfürsorgestiftung der
Malerei Buess AG untersteht. Dieses Amt hat die Ansicht geäussert, es
müsse von Gesetzes wegen das gesamte Vorsorgekapital ausbezahlt werden,
das für die Destinatäre bei der AHV-Zusatzversicherung des SMGV bereit
gestellt worden sei. Diese Lösung trägt jedoch allein dem Interesse der
Destinatäre Rechnung, durch den Wechsel der Vorsorgeeinrichtung keine
Schmälerung ihrer Ansprüche zu erleiden. Bei der Beurteilung der Ansprüche
der Destinatäre muss indessen auch die Stellung der Gemeinschaftsstiftung
denjenigen gegenüber berücksichtigt werden, die bei ihr weiterhin
versichert bleiben. Weiter darf nicht ausser acht gelassen werden, dass
die Gemeinschaftsstiftung dadurch bereits eine gewisse Leistung erbracht
hat, dass sie den beschwerdeführenden Destinatären bis zu ihrem Austritt
Versicherungsschutz gewährt hatte.

    Aus dem Gesagten erhellt, dass die von den Destinatären geltend
gemachten Ansprüche nicht als offensichtlich ausgewiesen erscheinen und
dass sich die Gemeinschaftsstiftung nicht einem für sie von vornherein
verlorenen Prozess aussetzt, wenn sie die Ansprüche nicht von sich
aus anerkennt. Das EDI hat deshalb mit Recht davon abgesehen, eine
entsprechende Weisung zu erteilen.