Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 386



108 II 386

74. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. November 1982 i.S. X. (Berufung)
Regeste

    Adoption eines Unmündigen; Absehen von der Zustimmung des leiblichen
Vaters (Art. 265c Ziff. 2 ZGB).

    1. Wird ein Kind mit dem Einverständnis der zuständigen
Vormundschaftsbehörde bei einem adoptionswilligen Ehepaar untergebracht
und fasst die Vormundschaftsbehörde erst einige Zeit später den Entscheid
betreffend das Absehen von der Zustimmung des einen Elternteils, so ist für
diesen Entscheid auf die Verhältnisse abzustellen, wie sie bei Einreichung
des Gesuches um Verzicht der Einholung der elterlichen Zustimmung bzw. bei
Einleitung des diesbezüglichen Verfahrens bestanden haben (E. 1).

    2. Wann ist einem Vater zuzubilligen, dass er sich um das nicht bei
ihm lebende Kind ernstlich gekümmert habe (E. 2)?

Sachverhalt

    A.- Das Mädchen A. X. wurde am 28. November 1977 als Kind der Eheleute
B. und C. X.-Y. geboren. Im Februar 1979 verliess C. X. ihren Ehemann
und zog mit dem Mädchen nach R., wo sie dieses in Pflege gab. Am 14. Juni
1980 starb C. X. an den Folgen eines Verkehrsunfalles.

    Durch Beschluss vom 13. Februar 1981 entzog das kantonale Justiz-
und Polizeidepartement B. X. in Anwendung von Art. 311 Abs. 1 Ziff. 2
ZGB die elterliche Gewalt über die Tochter A.

    Mit Eingabe vom 25. Juni 1981 stellte B. X. ein Gesuch um
Wiedereinsetzung in die elterliche Gewalt, das er in der Folge jedoch
wieder zurückzog, nachdem er auf Art. 313 Abs. 2 ZGB hingewiesen worden
war, wonach die elterliche Gewalt in keinem Fall vor Ablauf eines Jahres
nach ihrer Entziehung wiederhergestellt werden darf.

    Am 5. Dezember 1980 wurde A. X. mit dem Einverständnis der zuständigen
Vormundschaftsbehörde einem adoptionswilligen Ehepaar in Pflege gegeben.

    Durch Beschluss vom 28. September 1981 liess die Vormundschaftsbehörde
B. X. wissen, dass eine Adoption seiner Tochter beabsichtigt sei und
dass sie in Betracht ziehe, im Sinne der Art. 265c und 265d ZGB von seiner
Zustimmung hiezu abzusehen. Gleichzeitig wurde ihm Frist zur Stellungnahme
angesetzt. B. X. erklärte hierauf, er sei mit einem solchen Vorgehen nicht
einverstanden. Am 2. November 1981 beschloss die Vormundschaftsbehörde
alsdann, es werde von der Zustimmung des B. X. zur späteren Adoption der
Tochter abgesehen.

    Eine von B. X. hiegegen erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat
mit Beschluss vom 10. Mai 1982 ab.

    B. X. hat gegen den regierungsrätlichen Entscheid beim Bundesgericht
Berufung eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Adoption eines Kindes bedarf grundsätzlich der Zustimmung des
Vaters und der Mutter (Art. 265a Abs. 1 ZGB). Von der Zustimmung eines
Elternteils kann gemäss Art. 265c Ziff. 2 ZGB jedoch abgesehen werden,
wenn sich dieser um das Kind nicht ernstlich gekümmert hat. Wird das Kind
bei fehlender Zustimmung eines Elternteils zum Zwecke späterer Adoption
untergebracht, so entscheidet die Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz des
Kindes, ob von der Zustimmung abzusehen sei (Art. 265d Abs. 1 ZGB). Trifft
die Vormundschaftsbehörde diesen Entscheid entsprechend der gesetzlich
vorgesehenen Regel, bevor das Kind zu einer späteren Adoption untergebracht
wird, so hat sie auf die Verhältnisse abzustellen, wie sie im Zeitpunkt
der Entscheidung, d.h. praktisch im Zeitpunkt der Plazierung des Kindes,
vorliegen. Ist in diesem Zeitpunkt die Voraussetzung für ein Absehen von
der Zustimmung eines Elternteils gegeben, so ist dessen Zustimmungsbefugnis
verwirkt. Eine nachträgliche Änderung ist grundsätzlich unbeachtlich
(vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 12. Mai 1971, BBl 1971 I S. 1228;
HEGNAUER, N. 19 lit. a zu Art. 265d ZGB; EICHENBERGER, Die materiellen
Voraussetzungen der Adoption Unmündiger nach neuem schweizerischem
Adoptionsrecht, Diss. Freiburg 1974, S. 224).

    Im Falle der Tochter des Berufungsklägers ist die Vormundschaftsbehörde
indessen von der zeitlichen Regel des Art. 265d Abs. 1 ZGB
abgewichen. Während nämlich das Kind schon anfangs Dezember 1980 mit
ihrem Einverständnis bei einem adoptionswilligen Ehepaar untergebracht
worden war, fasste sie erst am 2. November 1981, also beinahe ein
Jahr später, den Entscheid betreffend das Absehen von der Zustimmung des
Berufungsklägers zur Adoption. Unter solchen Umständen ist es so zu halten,
wie wenn die Adoptionsabsicht erst im Verlaufe eines Pflegeverhältnisses
entstanden wäre, d.h. es ist auf die Verhältnisse bei Einreichung des
Gesuches auf Verzicht der Einholung der elterlichen Zustimmung bzw. bei
Einleitung des entsprechenden Verfahrens abzustellen (vgl. HEGNAUER,
N. 19 lit. b zu Art. 265d ZGB).

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hält fest, dass der Berufungskläger seine Tochter im
Jahre 1979 einmal am Pflegeplatz besucht und dass er sie an Weihnachten
1979 gesehen habe, als sie mit der Mutter bei ihm auf Besuch geweilt
habe. Weitere Kontakte hätten zwischen Februar 1979 und dem Erlass des
vormundschaftsbehördlichen Beschlusses vom 2. November 1981 keine mehr
bestanden. Abgesehen von vier von ihm behaupteten Zahlungen im Betrage
von je Fr. 250.-- habe der Berufungskläger während dieser Zeit keinerlei
Unterhaltsbeiträge geleistet. Auch nach dem Tod seiner Frau habe er sich
nicht um das Kind gekümmert.

    Diese Feststellungen der Vorinstanz sind tatsächlicher Natur und
deshalb für das Bundesgericht im Berufungsverfahren verbindlich, zumal
der Berufungskläger nicht darzutun vermag, dass sie unter Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen wären, und
nichts auf ein offensichtliches Versehen hindeutet (Art. 63 Abs. 2
OG). Soweit der Berufungskläger die vorinstanzliche Beweiswürdigung
rügt, sind seine Ausführungen nicht zu hören. Das gleiche gilt für die
Behauptung, der Kontakt zur Tochter werde ihm durch die Behörden geradezu
verunmöglicht. Dieses tatsächliche Vorbringen findet im angefochtenen
Entscheid übrigens keine Stütze. Diesem ist vielmehr zu entnehmen, dass
der Berufungskläger die ihm offenstehenden Möglichkeiten zur Herstellung
von Kontakten mit der Tochter nicht ausgeschöpft hat. Ferner hat die
Vorinstanz darauf hingewiesen, dass der Berufungskläger nicht einmal auf
das Schreiben vom 20. Januar 1981 reagiert habe, worin ihm das kantonale
Justiz- und Polizeidepartement Gelegenheit eingeräumt habe, sich zum
beabsichtigten Entzug der elterlichen Gewalt über die Tochter vernehmen
zu lassen. Der Einwand des Berufungsklägers, es stehe nicht fest, ob er
das Schreiben überhaupt erhalten habe, betrifft tatsächliche Verhältnisse
und ist deshalb nicht zu hören.

    Wäre auf die tatsächlichen Gegebenheiten im Zeitpunkt der Plazierung
des Mädchens im Hinblick auf eine spätere Adoption (Dezember 1980)
abzustellen, dürfte die rechtliche Würdigung der Vorinstanz nicht
zu beanstanden sein. Wie oben dargelegt, sind für die Frage, ob
von der Zustimmung des Berufungsklägers abgesehen werden könne,
indessen die Verhältnisse massgebend, wie sie bei der Einleitung des
Verfahrens gemäss Art. 265d Abs. 1 ZGB (d.h. Ende September 1981)
vorgelegen haben. Der Berufungskläger hatte schon im Verfahren bei der
Vormundschaftsbehörde vorgebracht, dass er eine neue Familie gegründet
habe. Auch im vorinstanzlichen Verfahren wies er auf diese Änderung seiner
persönlichen Verhältnisse hin und machte geltend, dass seine heutige
Ehefrau, mit der er seit Ende Dezember 1981 ein Kind habe, ihre ganze
Kraft der Familie widme, so dass für eine glückliche und wirtschaftlich
abgesicherte Entwicklung des Mädchens gesorgt wäre. Die Vorinstanz hat
im angefochtenen Entscheid festgehalten, die Ehefrau des Berufungsklägers
habe sich etwa Ende April 1981 über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung
des Berufungsklägers in die elterliche Gewalt erkundigt. Sie habe erklärt,
dass sie das Mädchen sehr gerne aufnehmen würde; vor der Heirat habe der
Berufungskläger ihr gegenüber geäussert, er würde nur eine Frau heiraten,
die bereit sei, das Kind in die Familie zu nehmen.

    Der positiven Einstellung der heutigen Ehefrau des Berufungsklägers hat
die Vorinstanz nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Freilich reichen
die Feststellungen des Regierungsrates für sich allein noch nicht aus,
um abschliessend beurteilen zu können, ob die Verhältnisse sich zwischen
der Unterbringung der Tochter im Hinblick auf eine spätere Adoption und
der Einleitung des Verfahrens gemäss Art. 265d ZGB so entscheidend zu
Gunsten des Berufungsklägers verändert haben, dass ein Absehen von seiner
Zustimmung zu einer Adoption der Tochter nicht gerechtfertigt wäre. Die
Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die
persönlichen sowie die neuen familiären Verhältnisse des Berufungsklägers
näher prüfe. Dem Berufungskläger könnte nur dann zugebilligt werden,
er habe sich im massgebenden Zeitpunkt ernstlich um die Tochter gekümmert
gehabt, wenn er die Absicht, das Kind zu sich zu nehmen, schon zur Zeit der
Einleitung des Verfahrens gemäss Art. 265d ZGB effektiv hätte in die Tat
umsetzen können. Es ist deshalb namentlich abzuklären, ob die damaligen
Wohnverhältnisse die Aufnahme der Tochter überhaupt zugelassen hätten
oder ob eine allenfalls notwendige Änderung in dieser Hinsicht für den
Berufungskläger finanziell tragbar gewesen wäre. Ferner ist zu prüfen,
ob die Ehefrau des Berufungsklägers tatsächlich bereit und auch geeignet
sei, das Kind zu betreuen. Näher zu untersuchen sind schliesslich auch die
persönlichen und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Berufungsklägers
im allgemeinen. Auf Grund des Ergebnisses dieser Ergänzungen wird die
Vorinstanz alsdann von neuem zu entscheiden haben, ob von einer Zustimmung
des Berufungsklägers zu einer Adoption abgesehen werden könne.