Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 337



108 II 337

66. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Dezember 1982
i.S. D. AG gegen B. und C. (Berufung) Regeste

    Anforderungen an die Substantiierung von Behauptungen; Abgrenzung
zwischen Bundesrecht und kantonalem Zivilprozessrecht.

    Wieweit Sachvorbringen zu substantiieren sind, richtet sich
grundsätzlich nach dem materiellen Bundesrecht. Dem kantonalen Prozessrecht
bleibt es aber vorbehalten, eine Ergänzung der Substantiierung im
Beweisverfahren nicht zuzulassen und zu verlangen, dass die Behauptungen
bereits vorher in einer Weise substantiiert werden, welche ihre Überprüfung
im Beweisverfahren erlaubt (Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am 1. Januar 1979 schloss A. als Grundeigentümer mit B.
und C. einen "Gras-, Heu- und Obstnutzungs-Vertrag" über ein Grundstück
von ca. 240 Aren in der Gemeinde Erlenbach. Die Nutzniesser hatten ein
jährliches Entgelt von Fr. 1'200.-- zu bezahlen und verpflichteten sich
(Ziffer 3):

    "das oben beschriebene Grundstück fachmännisch zu betreuen, zu düngen,
   die Obstbäume zu pflegen sowie die Umzäunung und die Zu- und Wegfahrten
   in guter Ordnung zu halten, wie dies bei Antritt dieses Vertrages der
   Fall ist."

    Auf Ende Dezember 1980 wurde das Vertragsverhältnis gelöst,
wobei A. Schadenersatz für die Vernachlässigung der Obstanlage geltend
machte. Als seine Zessionarin reichte die D. AG am 12. Dezember 1980
beim Bezirksgericht Zürich gegen B. und C. eine vorerst auf Fr. 5'051.20
bezifferte und in der Folge auf Fr. 9'275.10 nebst Zins erweiterte
Klage ein.

    Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage mit Urteil vom 1. Juli 1981
mangels Substantiierung ab. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte
am 14. Mai 1982 die Klageabweisung, und am 14. September 1982 wies das
Kassationsgericht eine Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin ab, soweit
auf sie einzutreten war.

    Die Klägerin erhob gegen das Urteil des Obergerichts Berufung, die
das Bundesgericht abweist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Welches die Arbeiten im einzelnen waren, die von E.  ausgeführt
wurden bzw. nach Meinung der Klägerin von den Beklagten hätten
ausgeführt werden müssen, ist nicht bekannt. Auch vor Bundesgericht
bezieht sich die Klägerin dafür ausschliesslich auf die Arbeitsrapporte,
die den Stundenaufwand und die Stundenkosten während acht Arbeitstagen
detailliert aufführen, hinsichtlich der ausgeführten Arbeiten aber nur
summarische Hinweise wie Obstbäume schneiden, Fällen eingegangener
Obstbäume, Ausgraben von Wurzelstöcken, Holz spalten etc., geben;
in der Rechnung E.s wird lediglich auf diese Rapporte verwiesen. Das
Obergericht hält zutreffend und unwidersprochen fest, daraus ergebe sich
nicht, wieviele Bäume gepflegt oder gefällt worden seien und was das im
einzelnen gekostet habe. Unter Berufung auf § 113 ZPO legt die Vorinstanz
dar, dass die Klägerin die unterlassenen Pflegeleistungen und die daraus
entstandenen Kosten im einzelnen hätte aufführen müssen. Es sei nicht Sache
des Beweisverfahrens, die Begründung des klägerischen Prozessstandpunkts
zu beschaffen, nachdem es der Klägerin vorliegend möglich gewesen wäre,
alle Umstände für eine Abschätzung des Schadens vorzubringen, namentlich
hinsichtlich Zahl, Gattung und Alter der übergebenen und der gefällten
Bäume. Ohne diese Angaben, welche der Grundeigentümer von E. hätte
erhalten können, sei eine gerichtliche Expertise nicht möglich. Erst
recht habe die Klägerin den von den Beklagten eingeholten detaillierten
Bericht der Kantonalen Zentralstelle für Obstbau in Lindau nicht einfach
als Privatgutachten zurückweisen dürfen, sondern hätte im einzelnen
dazu Stellung nehmen müssen. Im bezirksgerichtlichen Verfahren sei die
Klägerin wiederholt auf die ungenügende Substantiierung hingewiesen und im
Urteil des Bezirksgerichts sei ihr erklärt worden, welche Substantiierung
fehle. Nachdem das in der Berufungsbegründung nicht nachgeholt worden sei,
müsse die Klage mangels Substantiierung abgewiesen werden.

    a) Die Klägerin behauptet, ihre Klage genügend substantiiert zu
haben. Sie habe schon mit der Klageerhebung geltend gemacht, alle
von E. ausgeführten und mit den Rapporten belegten Arbeiten hätten zur
fachmännischen Betreuung gemäss Vertrag gehört. Die Rechnung wie die näher
substantiierenden Arbeitsrapporte seien angerufen und zu den Akten gegeben
worden. Eine weitere Substantiierung habe ihr nicht zugemutet werden
dürfen, ohne die bundesrechtlichen und kantonalrechtlichen Anforderungen an
ihre Substantiierungspflicht zu überziehen. Für die Beklagten sei völlig
klar gewesen, welche Forderung geltend gemacht werde und wie sich diese
zusammensetze. Ebenso sei das Obergericht in ausreichendem Mass in die
Lage versetzt worden, über die Forderung Beweis abzunehmen.

    b) Das Bundesgericht geht in seiner jüngeren Rechtsprechung davon
aus, es entscheide sich nicht nach kantonalem Prozessrecht, sondern
nach materiellem Bundesrecht, ob ein danach zu beurteilender Anspruch
durch die Sachvorbringen einer Partei ausreichend substantiiert sei. Es
leitet diesen Grundsatz daraus ab, dass nach Bundesprivatrecht jede
sich darauf gründende Rechtsbehauptung bei hinreichendem Interesse zum
Urteil zuzulassen sei, weshalb Bundesrecht auch darüber entscheide, ob
die form- und fristgemäss vorgebrachten Tatsachenbehauptungen erlauben,
die Rechtsbehauptung einer Partei zu beurteilen (BGE 98 II 117, 95 II
266). Diese Rechtsprechung beruft sich auf einen ungeschriebenen Satz
des materiellen Bundesrechts und die Ausführungen namentlich von KUMMER
(Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht,
S. 20 ff. bzw. 60; vgl. auch GULDENER und VOYAME in ZSR 80/1961 II S. 24
und 70). Zu Recht bemerkt freilich DRESSLER im Anschluss an BGE 98 II
116, die Rechtsprechung werde diesen Grundsatz noch klarstellen müssen
(in ZSR 94/1975 II S. 58); auch HUGUENIN-DUMITTAN (Behauptungslast,
Substantiierungspflicht und Beweislast, Diss. Zürich 1980, insbesondere
S. 12 ff. und 33 ff.) unterzieht diesen Entscheid deutlicher Kritik,
obschon er ihm im Ergebnis zustimmt (S. 40).

    c) Es stellt sich die Frage, ob die Geltung des Bundesrechts für die
Anforderungen an die Substantiierung statt dergestalt aus dem materiellen
Klageanspruch nicht eher aus Art. 8 ZGB hergeleitet werden muss. Wenn sich
nach der Rechtsprechung aus Art. 8 ZGB ergibt, dass der Richter nicht ohne
Beweiserhebung über eine erhebliche Tatsachenbehauptung hinweggehen darf
(BGE 102 II 12), so darf er das auch nicht mit der Begründung, es fehle
an ausreichender Substantiierung. Deshalb ist in Urteilen, die sowohl
vor wie nach BGE 98 II 117 ergangen sind, die Frage der Substantiierung
ausdrücklich im Lichte von Art. 8 ZGB behandelt worden (BGE 90 II 224,
95 II 480, 105 II 144 E. 6aa). So oder anders ist das Bundesgericht
nur befugt einzugreifen, falls die Sachvorbringen und Beweisangebote
nach kantonalem Prozessrecht form- und fristgemäss erfolgt sind. Dabei
kann im folgenden von den Fällen abgesehen werden, wo durch die falsche
Verteilung der Behauptungslast gegen Art. 8 ZGB verstossen wurde. Zu
prüfen ist vielmehr, welches die inhaltlichen Anforderungen sind, die
an die Substantiierung durch die unstreitig behauptungsbelastete Partei
gestellt werden dürfen.

    d) Nicht das Bundesrecht, sondern das kantonale Prozessrecht bestimmt,
ob und wie weit die Verhandlungsmaxime Platz greift, es sei denn, aus
dem Bundesrecht ergebe sich die Offizialmaxime (BGE 95 II 451, 78 II
97). Schreibt das kantonale Recht vor, der Richter dürfe seinem Urteil
nur behauptete Tatsachen zugrunde legen, so kann es grundsätzlich auch
die Anforderungen festlegen, welchen die Behauptung zu genügen hat. Und
an ihm liegt auch, ob es die Behauptungslast mildern will, etwa durch
richterliche Fragepflicht zur Ergänzung unvollständiger Parteivorbringen
(KUMMER, N. 40 zu Art. 8 ZGB). Indes gilt für das Prozessrecht allgemein
wie für die Handhabung der Verhandlungsmaxime, dass damit die Durchsetzung
des materiellen Bundesrechts nicht vereitelt werden darf (BGE 101 II
43; GULDENER und VOYAME in ZSR 80/1961 II S. 24 f. und 70). Auch das
schliesst jedoch nicht aus, dass nach kantonalem Prozessrecht unsorgfältige
Prozessführung den Verlust des materiellen Anspruchs nach sich ziehen darf
(GULDENER, in ZSR 80/1961 II S. 57).

Erwägung 3

    3.- Mit diesen allgemeinen Ausführungen ist die hier entscheidende
Frage noch nicht beantwortet, wann durch kantonalrechtliche Anforderungen
an die Substantiierungspflicht die Anwendung des materiellen Bundesrechts
verunmöglicht oder übermässig erschwert wird. Dabei ist zu beachten,
dass die Substantiierung nicht nur die Anwendung des Bundesrechts auf
den konkreten Sachverhalt erlauben, sondern überdies die beweismässige
Abklärung ermöglichen muss (vgl. HUGUENIN, aaO, S. 19). Die zitierte
Rechtsprechung berücksichtigt nur ersteres, wenn sich aus dem materiellen
Bundesrecht schlechthin ergeben soll, wann genügend substantiiert
ist. Im weitern soll nach Ansicht der Vorinstanz, die auch in der Lehre
vertreten wird, das Beweisverfahren nicht dazu dienen, ungenügende
Parteivorbringen zu vervollständigen (STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur
Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., N. 5 zu § 113 ZPO; LEUCH,
N. 1 zu Art. 89 ZPO; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 92; vgl. auch
die Genfer Praxis: Sem.jud. 1976 S. 100/1, 1974 S. 120, 1961 S. 387).

    In BGE 98 II 117 E. 4b scheint das Bundesgericht weiter gegangen zu
sein, heisst es doch, es liege keine mangelnde Klagebegründung darin, dass
die Klägerin die im Zeitpunkt des Vertragsrücktrittes noch ausstehenden
Arbeiten nicht im einzelnen bezeichnet habe, weil die Beweisführung
darüber ohne weiteres Klarheit bringen könne. Freilich wird aus dem
Zusammenhang nicht klar, wieweit eher angenommen wurde, es genügten
die Behauptungen bereits an sich. Jedenfalls ist es nicht angängig,
von Bundesrechts wegen die Kantone zu zwingen, ein Sachvorbringen auch
dann als ausreichend substantiiert gelten zu lassen, wenn die bestehenden
Lücken erst noch durch das Beweisverfahren geschlossen werden müssen. Eine
solche Forderung läuft weitgehend darauf hinaus, durch eine Hintertüre ein
Offizialverfahren einzuführen, und verstösst gegen die Verfahrenshoheit
der Kantone, ohne dass das zur Gewährleistung des materiellen Rechts
erforderlich wäre. Anders verhält es sich, wenn das Bundesrecht selbst
eine Sachverhaltsermittlung von Amtes wegen vorschreibt oder wenn es
sich z.B. um einen ziffernmässig nicht nachweisbaren Schaden handelt,
der nach Art. 42 Abs. 2 OR zu schätzen ist (vgl. dazu BGE 97 II 218;
GULDENER, Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 167).

    Im Ergebnis bleibt es demnach beim Grundsatz, dass das materielle
Bundesrecht bestimmt, wieweit ein Sachverhalt zu substantiieren ist,
damit er unter die Bestimmungen des Bundesrechts subsumiert werden kann,
das heisst die Beurteilung einer Rechtsbehauptung zulässt. Dagegen
bleibt dem kantonalen Prozessrecht vorbehalten, ob es eine Ergänzung
der Substantiierung im Beweisverfahren zulassen will oder diese bereits
im Hauptverfahren in einer Weise verlangt, welche die Überprüfung der
Sachvorbringen im Beweisverfahren erlaubt.

Erwägung 4

    4.- Auf den vorliegenden Fall angewandt, führen diese Überlegungen
zum Ergebnis, dass das Obergericht ohne Verletzung von Bundesrecht eine
ungenügende Substantiierung feststellen durfte. Die Klägerin begründet den
geltend gemachten Schadensbetrag ausschliesslich mit der Verweisung auf
die Rechnung E.s und die Arbeitsrapporte, die jedoch keinerlei Aufschluss
darüber geben, welche Arbeiten ausgeführt wurden, namentlich wieviele
Bäume gefällt wurden und was die verschiedenen Arbeiten kosteten.

    a) Es kann offen bleiben, ob dieses Vorgehen genügt hätte, wenn der
Klägerin in Übereinstimmung mit ihrer Vertragsauslegung ein umfassender
Ersatzanspruch zustünde. Denn nach richtiger Auslegung besteht ein Anspruch
insoweit nicht, als es sich bei den Arbeiten E.s um eine eigentliche
Sanierung gehandelt hat und nicht nur um ordnungsgemässe Baumpflege. Die
Klägerin durfte sich in dieser Situation nicht damit begnügen, pauschal
einen Schaden von Fr. 9'275.10 zu behaupten, sondern hätte ihn entsprechend
aufteilen müssen. Statt dessen hat sie keinerlei Anhaltspunkte dafür
geliefert, wie weit die Arbeiten E.s und die Gesamtkosten auf die
vertragsgemässe Baumpflege entfielen. Dabei wären der Klägerin konkrete
Angaben darüber, welche Arbeiten ausgeführt worden waren und wie sich die
Gesamtkosten verteilt hatten, ohne weiteres möglich gewesen, selbst wenn
es dafür einer Rückfrage bei E. bedurft hätte.

    b) Das Sachvorbringen der Klägerin war unter diesen Umständen schon
nach Bundesrecht ungenügend substantiiert, denn es wurde mit ihm geltend
gemacht, es habe sich ein Schaden von Fr. 9'275.10 ergeben, weil die
Beklagten eine vollständige Sanierung des Baumgartens versäumt hätten; das
erlaubt auch rechtlich keine Beurteilung des Schadens, den die Klägerin
wegen ungenügender ordentlicher Baumpflege erlitten haben will. Diese
Lücke hätte nach ihrer Meinung durch das Beweisverfahren geschlossen
werden müssen. Wie aufgezeigt, war das Obergericht indessen berechtigt,
aufgrund des kantonalen Rechts von einer Beweiserhebung abzusehen.

    c) Die Erklärung für das unzulängliche Sachvorbringen der Klägerin
liegt auf der Hand: Sie hat sich vor allen Instanzen auf ihre eigene
Vertragsauslegung versteift und deshalb eine Substantiierung für den Fall,
dass sie damit nicht durchdringe, völlig unterlassen. Wo wie im Zürcher
Verfahren die Eventualmaxime gilt, ist indes gleichzeitig, also schon
im Behauptungsverfahren, auch ein allfälliger Eventualanspruch gehörig
zu begründen und insbesondere zu substantiieren (STRÄULI/MESSMER,
N. 6 zu § 113; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. Aufl.,
S. 82). Bundesrecht steht dem nicht entgegen (GULDENER, in ZSR
80/1961 II S. 56/7). Dabei bestimmt wiederum das kantonale Recht,
wieweit die Eventualmaxime allenfalls zu mildern und eine Partei zur
gehörigen Substantiierung eines solchen Eventualanspruchs aufzufordern
ist. Die Klägerin erhebt in dieser Hinsicht zu Recht keine Rüge, die im
Berufungsverfahren ohnehin nicht zulässig wäre (Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG). Im übrigen bestreitet sie gar nicht, dass sie vom Bezirksgericht
erfolglos zu einer ergänzenden Substantiierung aufgefordert worden ist
und dazu aufgrund des erstinstanzlichen Urteils sogar noch vor Obergericht
Gelegenheit gehabt hätte.