Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 296



108 II 296

57. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Dezember 1982 i.S. Tornado AG
gegen R. S. und Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Abzahlungskauf; Art. 226c Abs. 1 OR.

    Die in Art. 226c Abs. 1 OR für die Erklärung des Verzichts des
Käufers auf den Vertragsabschluss vorgeschriebene Schriftform ist
Gültigkeitserfordernis.

Sachverhalt

    A.- Gemäss schriftlichem Vertrag vom 12. Februar 1981 verkaufte
die Tornado AG R. S. einen Teppichreinigungsapparat zum Preis von Fr.
486.--. Bei der Lieferung des Apparates hätte die Käuferin eine Anzahlung
von Fr. 186.-- leisten und den Restbetrag von Fr. 300.-- in sechs der
Lieferung folgenden Monatsraten von je Fr. 50.-- bezahlen sollen. Nach
ihrer Darstellung erklärte R. S. am Tag nach der Vertragsunterzeichnung
den Vertretern der Tornado AG mündlich den Rücktritt vom Vertrag. Als
der Apparat geliefert wurde, verweigerte sie dessen Annahme. Die Tornado
AG liess den Apparat in der Folge bei der Belap AG einlagern und betrieb
die Käuferin für den Betrag von Fr. 186.-- nebst 5% Zins seit 29. Januar
1982, Fr. 15.70 Retourspesen, Fr. 15.-- Lagerspesen und Fr. 14.--
Betreibungskosten. R. S. erhob Rechtsvorschlag, worauf die Tornado
AG beim Zivilgerichtspräsidium Basel-Stadt das Gesuch um provisorische
Rechtsöffnung stellte. Mit Entscheid vom 10. Juni 1982 wurde dieses Gesuch
abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Rechtsöffnungsbeklagte
habe glaubhaft gemacht, dem Vertreter der Klagepartei am Tage nach der
Vertragsunterzeichnung den Rücktritt erklärt zu haben; Art. 226a Abs. 2
Ziff. 8 OR sehe nicht vor, dass die Verzichtserklärung schriftlich
abgegeben werden müsse.

    B.- Gegen diesen Entscheid reichte die Tornado AG Beschwerde an
das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt ein. Sie beantragte
darin, der Rechtsöffnungsentscheid sei wegen Willkür aufzuheben und die
provisorische Rechtsöffnung sei zu bewilligen. Mit Urteil vom 6. Juli
1982 wies der Ausschuss des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
die Beschwerde ab.

    C.- Gegen das Urteil des Appellationsgerichts hat die Tornado
AG staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV
eingereicht. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die
nachgesuchte Rechtsöffnung sei zu bewilligen; eventuell sei die Sache zur
Bewilligung der Rechtsöffnung an das Appellationsgericht zurückzuweisen,
"subeventualiter zur Rückweisung an den Zivilgerichtspräsidenten zwecks
Bewilligung der Rechtsöffnung".

    Das Appellationsgericht hat auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde
verzichtet, jedoch unter Hinweis auf das motivierte Urteil deren Abweisung
beantragt. Die Beschwerdegegnerin hat Gegenbemerkungen eingereicht und
darin sinngemäss die Abweisung der Beschwerde beantragt.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt,
und hebt den angefochtenen Entscheid auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Da sich die Kognition des Appellationsgerichts auf Willkür
beschränkte, hätte mit der staatsrechtlichen Beschwerde auch der
Entscheid des Rechtsöffnungsrichters angefochten werden können. Die
Beschwerde richtet sich indessen, wie sich sowohl aus dem Rechtsbegehren
als auch aus der Begründung ergibt, ausschliesslich gegen das Urteil des
Appellationsgerichts. Soweit darin mehr verlangt wird als die Aufhebung
des angefochtenen Entscheids, kann auf die staatsrechtliche Beschwerde
wegen ihrer rein kassatorischen Natur nicht eingetreten werden.

Erwägung 2

    2.- In ihrer Beschwerde an das Appellationsgericht hatte die
Beschwerdeführerin den Entscheid des Rechtsöffnungsrichters als
willkürlich beanstandet, weil sowohl das Gesetz (Art. 226c Abs. 1 OR)
als auch der als Rechtsöffnungstitel eingereichte Abzahlungsvertrag für
die Erklärung des Verzichts auf den Vertragsabschluss durch den Käufer die
schriftliche Form vorsähen. In der Tat scheint der Rechtsöffnungsrichter,
jedenfalls wenn von der in seinem Entscheid enthaltenen Begründung
ausgegangen wird, dieses Erfordernis übersehen zu haben. Die Schriftform
wird für die Verzichtserklärung in Art. 226c Abs. 1 OR ausdrücklich
vorgeschrieben. Dass dem im Rechtsöffnungsentscheid zitierten Art. 226a
Abs. 2 Ziff. 8 OR diesbezüglich nichts entnommen werden kann, hat daher
nichts zu bedeuten. Widersprach der Entscheid des Rechtsöffnungsrichters
aber einer klaren gesetzlichen Bestimmung, hätte er vom Appellationsgericht
als willkürlich aufgehoben werden müssen, wenn er nicht mit einer
andern Begründung aufrecht erhalten werden konnte. Das Urteil des
Appellationsgerichts stützt sich denn auch auf eine andere Begründung. Es
wird darin ausgeführt, trotz des in Art. 226c Abs. 1 OR vorgeschriebenen
Erfordernisses der Schriftlichkeit sei eine mündliche Verzichtserklärung
nicht ausgeschlossen, sofern sie beweisbar sei; in diesem Zusammenhang
wird auf H. STOFER (Kommentar zum Abzahlungs- und Vorauszahlungsvertrag,
2. Auflage, S. 81) verwiesen. Im übrigen wird darauf hingewiesen, dass
im Verfahren betreffend provisorische Rechtsöffnung die Glaubhaftmachung
an die Stelle des Beweises trete. Der Beschwerdegegnerin wird sodann
zugebilligt, die Abgabe einer mündlichen Verzichtserklärung glaubhaft
gemacht zu haben. Der Ausgang des vorliegenden Verfahrens hängt davon ab,
ob diese (substituierte) Begründung des Appellationsgerichts als haltbar
erscheint.

Erwägung 3

    3.- Im Vordergrund steht die Frage, ob es sich bei der in Art. 226c
Abs. 1 OR vorgeschriebenen Schriftform um ein Erfordernis handelt, von
dem die Gültigkeit der Verzichtserklärung abhängt. Demgegenüber kommt dem
Umstand, dass auch der als Rechtsöffnungstitel vorgelegte Kaufvertrag
eine schriftliche Mitteilung des Vertragsverzichts vorschreibt, keine
selbständige Bedeutung zu. Es handelt sich dabei vielmehr um eine blosse
Wiederholung dessen, was sich bereits aus dem Gesetz ergibt.

    Der Entwurf des Bundesrats zu einem Bundesgesetz über den Abzahlungs-
und den Vorauszahlungsvertrag sah in Art. 226b Abs. 1 folgende Bestimmung
vor:

    "Der Käufer kann von Gesetzes wegen den Abzahlungsvertrag innerhalb
   von drei Tagen mit eingeschriebenem Brief widerrufen.

    Die Postaufgabe der Widerrufserklärung am letzten Tag der Frist
genügt."

    In der bundesrätlichen Botschaft vom 26. Januar 1960
wird dazu ausgeführt, diese Formvorschrift sei indessen nicht
Gültigkeitsvoraussetzung; der Beweis, dass der Verkäufer vom Widerruf
Kenntnis erlangt habe, könne auch mit andern Mitteln erbracht werden. Es
handle sich um eine Soll-Vorschrift, bei deren Nichtbeachtung der Käufer
jedoch häufig in Beweisschwierigkeiten geraten werde (BBl 1960 I S. 555).

    In der parlamentarischen Beratung wurde für die Verzichtserklärung
nicht nur an Stelle der dreitägigen eine fünftägige Frist vorgesehen,
sondern die Form des eingeschriebenen Briefes durch einfache
Schriftlichkeit ersetzt. Verschiedentlich wurde die Auffassung
geäussert, dass trotz des Hinweises in der bundesrätlichen Botschaft,
ein eingeschriebener Brief sei nicht Gültigkeitsvoraussetzung,
die Gefahr bestünde, eine schriftliche Mitteilung, die nicht in Form
eines eingeschriebenen Briefes erfolge, könnte als ungültig betrachtet
werden. Die Ersetzung des eingeschriebenen Briefes durch eine gewöhnliche
schriftliche Verzichtserklärung erfolgte, wie sich aus den Beratungen
klar ergibt, in der Meinung, dass die schriftliche Abgabe der Erklärung
Gültigkeitserfordernis sei (Amtl.Bull. S 1961 S. 76 und 233 f., N 1961
S. 428 f. und 1962 S. 6 f.). Die in der bundesrätlichen Botschaft
vertretene Auffassung, die für die Verzichtserklärung vorgesehene
Form bilde kein Gültigkeitserfordernis, wird somit in bezug auf die
Formulierung, die Gesetz geworden ist, durch den Gang der parlamentarischen
Beratung widerlegt.

    Dass die Schriftform der Verzichtserklärung als Gültigkeitserfordernis
zu verstehen ist, ergibt sich aber auch auf Grund von Art. 11 Abs. 2 OR,
der wie folgt lautet:

    "Ist über Bedeutung und Wirkung einer gesetzlich vorgeschriebenen Form
   nicht etwas anderes bestimmt, so hängt von deren Beobachtung die
   Gültigkeit des Vertrages ab."

    Diese Bestimmung füllt lückenhafte Formvorschriften, welche keine
Regelung über die Folgen der Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Form
enthalten, gesamthaft und zwingend aus, und zwar in dem Sinne, dass
diese Form Gültigkeitserfordernis ist (vgl. SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 103
u. 104 zu Art. 11 OR). Daraus ergibt sich, dass die in Art. 226c Abs. 1
OR für die Erklärung des Verzichts des Käufers auf den Vertragsabschluss
vorgeschriebene Schriftform Gültigkeitsvoraussetzung sein muss, denn
weder aus dem Gesetzestext noch aus seiner Entstehungsgeschichte kann
ein gegenteiliger Schluss abgeleitet werden. Auch der Literatur zum
Abzahlungsvertrag lässt sich, soweit sie sich zu dieser Frage überhaupt
geäussert hat, nichts anderes entnehmen. Dies gilt auch für das im
angefochtenen Entscheid enthaltene Zitat. STOFER vertritt dort (aaO S. 81)
nicht etwa die Auffassung, die Schriftlichkeit der Verzichtserklärung sei
nicht Gültigkeitserfordernis. Das Appellationsgericht will sich offenbar
dafür, dass eine mündliche Verzichtserklärung durch Art. 226c Abs. 1 OR
nicht ausgeschlossen werde, auf folgenden Satz dieses Autors berufen:

    "Kann der Käufer beweisen, dass der Verkäufer eine mündliche

    Verzichtserklärung des Käufers entgegengenommen hat, ohne diese
sofort als
   ungenügend zurückzuweisen und eine schriftliche Erklärung zu verlangen,
   so liegt in diesem Verhalten die Annahme eines Angebotes des Verkäufers,
   den

    Vertrag aufzuheben."

    STOFER bestätigt jedoch an dieser Stelle indirekt, dass grundsätzlich
nur mit einer schriftlichen Erklärung gegenüber dem Verkäufer gültig auf
den Vertragsschluss verzichtet werden kann. Er vertritt lediglich die
Auffassung, dass der Verkäufer im Falle einer ungenügenden mündlichen
Erklärung des Käufers diese sofort zurückweisen und eine schriftliche
Erklärung verlangen müsse, andernfalls er das darin zu erblickende
Angebot des Käufers zur (nach Art. 115 OR formlos möglichen) Aufhebung
des Vertrages angenommen habe. Zur Richtigkeit dieser Auffassung STOFERS
muss hier nicht näher Stellung genommen werden. Jedenfalls kann daraus
nicht abgeleitet werden, dass auch eine mündliche Verzichtserklärung des
Verkäufers genüge.

    Die im angefochtenen Entscheid enthaltene Begründung ist somit
nicht geeignet, die unhaltbare Begründung des Rechtsöffnungsrichters
durch eine Argumentation zu ersetzen, die vor dem Willkürverbot der BV
zu bestehen vermag. Hätte das Appellationsgericht im Sinne des von ihm
angeführten Zitates aus dem Kommentar STOFER die Meinung vertreten wollen,
die Beschwerdegegnerin habe die stillschweigende Annahme eines mündlichen
Angebots zur Vertragsaufhebung durch die Beschwerdeführerin glaubhaft
gemacht, so hätte es darüber nähere Ausführungen machen müssen. In diesem
Fall hätte vor allem der Reaktion der Beschwerdeführerin bzw. ihrer
Vertreter auf die mündliche Erklärung des Verzichts entsprechende
Beachtung geschenkt werden müssen. Darüber lässt sich dem angefochtenen
Entscheid indessen nichts entnehmen. Enthält dieser aber nicht eine
Begründung, welche die unhaltbare Begründung des Rechtsöffnungsrichters
in ausreichender Weise zu ersetzen vermag, muss er selber als willkürlich
aufgehoben werden.