Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 III 3



108 III 3

2. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 3.
März 1982 i.S. X. (Rekurs) Regeste

    Zustellung einer Arresturkunde an einen Schuldner, der sich in
Untersuchungshaft befindet.

    1. Dem inhaftierten Schuldner muss auch dann im Sinne von Art. 60
SchKG Frist zur Bestellung eines Vertreters angesetzt werden, wenn ihm
eine Arresturkunde zuzustellen ist (Bestätigung der Rechtsprechung). Die
Missachtung von Art. 60 SchKG hat in diesem Fall jedoch nicht die
Ungültigkeit der Zustellung zur Folge (Änderung der Rechtsprechung) (E. 1).

    2. Wird der Schuldner erst nachträglich, d.h. nach Zustellung der
Arresturkunde, zur Bestellung eines Vertreters eingeladen, so beginnt
die Beschwerdefrist erst mit dem ersten Tag nach Ablauf der im Sinne von
Art. 60 SchKG angesetzten Frist (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Durch Vermittlung der Untersuchungsbehörde wurde X., der sich nach
seinen eigenen Angaben seit dem 24. Dezember 1981 in Untersuchungshaft
befindet, am 30. oder 31. Dezember 1981 im kantonalen Gefängnis eine
Arresturkunde zugestellt, nachdem das Betreibungsamt den Arrestbefehl am
23. Dezember 1981 vollzogen hatte.

    Mit Verfügung vom 5. Januar 1982 teilte das Betreibungsamt X. mit,
dass der Gläubiger gegen ihn ein Betreibungsbegehren eingereicht
habe. Gleichzeitig setzte es ihm gemäss Art. 60 SchKG eine fünftägige
Frist an, um einen Vertreter zu bestellen.

    Nachdem der Rechtsvertreter von X. dem Betreibungsamt mit Zuschrift
vom 8. Januar 1982 mitgeteilt hatte, dass er von diesem mit der Wahrung
seiner Interessen im Zusammenhang mit dem fraglichen Arrestbefehl betraut
worden sei, erhob er - mit der Post am 12. Januar 1982 übergebener
Eingabe - im Namen seines Mandanten bei der kantonalen Aufsichtsbehörde
in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen Beschwerde gegen den Arrestvollzug.

    In ihrem Entscheid vom 29. Januar 1982 gelangte die kantonale
Aufsichtsbehörde zum Schluss, die Beschwerde sei verspätet, weshalb darauf
nicht einzutreten sei.

    Hiegegen hat X. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts rekurriert.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Rekurrent befand sich im Zeitpunkt der Zustellung der
Arresturkunde in Untersuchungshaft. Es stellt sich unter diesen Umständen
die Frage, ob auch bei der Zustellung einer Arresturkunde Art. 60 SchKG
anwendbar sei, wonach dann, wenn ein Verhafteter betrieben wird, der keinen
Vertreter hat, ihm der Betreibungsbeamte eine Frist zur Bestellung eines
solchen ansetzt, sofern nicht von Gesetzes wegen der Vormundschaftsbehörde
die Ernennung eines solchen Vertreters obliegt.

    Das Bundesgericht hat die Frage in BGE 38 I 237 ff. mit der Begründung
bejaht, Sinn und Zweck der erwähnten Gesetzesbestimmung hätten auch bei
der Zustellung einer Arresturkunde ihre Gültigkeit, stünden doch für den
Schuldner schwerwiegende Interessen auf dem Spiel, die gefährdet seien,
wenn er nicht in den Stand gesetzt werde, nach Zustellung der Arresturkunde
die zu ihrem Schutze nötigen Schritte zu tun (BGE 38 I 239 E. 2). Die
Vorinstanz, die Art. 60 SchKG für nicht anwendbar hält, setzt sich mit
diesem Entscheid nicht auseinander. Ihr Hinweis auf Amonn (Grundriss
des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, S. 89/90) ist nicht geeignet,
eine Abweichung von der erwähnten Rechtsprechung zu rechtfertigen. An
der fraglichen Stelle hält der Autor fest, dass trotz des (ungenauen)
Wortlautes des Gesetzes die mit Rücksicht auf ihre Dringlichkeit in
Art. 56 SchKG vom zeitlichen Betreibungsverbot ausdrücklich ausgenommenen
amtlichen Massnahmen keine Betreibungshandlungen darstellten. Er
weist sodann wohl darauf hin, dass die Handlungen im Arrestverfahren
(Arrestbefehl und Arrestvollzug) unter die erwähnten Massnahmen fielen,
doch ist nicht ersichtlich, ob er die Zustellung der Arresturkunde noch
zum Vollzug des Arrestes zählt.

    Es ist nach dem Gesagten daran festzuhalten, dass das Betreibungsamt
dem inhaftierten Schuldner auch dann im Sinne von Art. 60 SchKG Frist
zur Bestellung eines Vertreters ansetzen muss, wenn es jenem eine
Arresturkunde zuzustellen hat. Die Missachtung von Art. 60 SchKG hat nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich die Ungültigkeit
der betreibungsamtlichen Vorkehr zur Folge (vgl. BGE 77 III 147 E. 1;
38 I 237 ff., insbesondere S. 241 oben). Diese Konsequenz mag im Falle
der Zustellung eines Zahlungsbefehls gerechtfertigt sein, doch liegen
die Verhältnisse bei der Zustellung einer Arresturkunde insofern anders,
als auch bei deren Ungültigerklärung die arrestierten Gegenstände mit
Beschlag belegt bleiben. Die Zustellung wiederholen lassen, hiesse somit
einen allenfalls gesetzwidrigen Arrest unnötig verlängern, woran auch der
Arrestgläubiger nicht interessiert ist. Soweit in BGE 38 I 237 ff. die
Zustellung der Arresturkunde, die im damaligen Fall unter ähnlichen
Verhältnissen wie hier vorgenommen worden war, ungültig erklärt wurde,
ist deshalb daran nicht festzuhalten.

Erwägung 2

    2.- Der Sinn von Art. 60 SchKG besteht darin, den inhaftierten und
dadurch in seiner Bewegungsfreiheit, in manchen Fällen aber auch in seinen
psychischen Kräften eingeschränkten Schuldner in die Lage zu versetzen,
seine Interessen angemessen zu wahren. Es ist deshalb davon auszugehen,
dass die Zustellung einer Arresturkunde für den Schuldner keine Wirkung
entfaltet, namentlich die Beschwerdefrist nicht auslöst, solange ihm nicht
Gelegenheit eingeräumt worden ist, einen Vertreter zu bestimmen. Während
der hiefür anzusetzenden Frist besteht für ihn Rechtsstillstand (Art. 60
zweiter Satz SchKG), so dass im Falle der nachträglichen Einladung
zur Bestellung eines Vertreters die Beschwerdefrist des Art. 17 Abs. 2
SchKG erst mit dem ersten Tag danach zu laufen beginnt. Damit entfällt
eine Benachteiligung des Arrestschuldners gegenüber dem Fall, da das
Betreibungsamt von Anfang an gemäss Art. 60 SchKG vorgegangen ist.

    Aus dem Gesagten erhellt, dass der Rekurrent seine Beschwerde an die
Vorinstanz rechtzeitig eingereicht hat: Die ihm durch das Betreibungsamt
mit Verfügung vom 5. Januar 1982 gestützt auf Art. 60 SchKG angesetzte
fünftägige Frist begann frühestens am 6. Januar 1982 zu laufen und endigte,
da der fünfte Tag (10. Januar) auf einen Sonntag fiel, in diesem Fall
am 11. Januar 1982. Am 12. Januar 1982 begann alsdann die zehntägige
Beschwerdefrist von Art. 17 Abs. 2 SchKG, und am gleichen Tag übergab
der Rekurrent die Beschwerdeschrift der Post. Der angefochtene Entscheid
ist demnach aufzuheben, und die Vorinstanz ist anzuweisen, die Beschwerde
des Rekurrenten materiell zu beurteilen.