Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 9



108 Ib 9

2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
19. März 1982 i.S. Eidgenössisches Militärdepartement gegen Hptm Jürg
Kürsener und Rekurskommission der Eidgenössischen Militärverwaltung
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 119 und 120 des Beschlusses der Bundesversammlung über die
Verwaltung der Armee vom 30. März 1949 (BBVers; SR 510.30); Art. 26 der
Militärorganisation der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. April
1907 (MO; SR 510.10).

    1. Voraussetzungen der Haftung des Wehrmannes nach Art. 119 und 120
BBVers (E. 3a).

    2. Haftung des Wehrmannes nach Art. 26 MO (E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Am 23. September 1978 beendete die Pz Hb Flt Bttr 10 unter dem

    Kommando von Hptm Kürsener den WK 1978. Bei der Materialabgabe an
das Zeughaus wurde ein Materialverlust von Fr. 202.80 festgestellt und
von der Truppe bezahlt.

    Am 4. Dezember 1978 sandte das Zeughaus Kriens Hptm Kürsener
eine zweite Rechnung im Betrage von Fr. 384.45. Das Zeughaus stellte
nämlich bei einer Nachkontrolle fest, dass zusätzlich zu den bei der
Demobilmachung bezahlten Verlusten noch weiteres Material fehlte. Ins
Gewicht fielen insbesondere 5 Zelttücher im Betrage von Fr. 287.50 und
eine Rechenscheibe "Topo" im Betrage von Fr. 50.--. Die Differenz zu dem in
Rechnung gestellten Betrag setzte sich aus acht kleineren Posten zusammen.

    Hptm Kürsener verlangte die Stellungnahme seines Mat Of und der mit
der Abgabe des Materials beauftragten Unteroffiziere. Sie alle machten
übereinstimmend geltend, dass jedenfalls die 5 Zelttücher dem Zeughaus
abgegeben worden seien. Dass verschiedenes Kleinmaterial fehlen könnte,
wurde zugegeben.

    Hptm Kürsener weigerte sich in der Folge, die Nachrechnung von
Fr. 384.45 zu bezahlen. Mit Brief vom 20. Juli 1979 stellte Hptm Kürsener
der Kriegsmaterialverwaltung (KMV) den Antrag, ihn und seine Einheit
von der Bezahlung des Betrages von Fr. 287.50 für die 5 Zelttücher zu
befreien. Am 18. Oktober 1979 erliess die Kriegsmaterialverwaltung
folgende Verfügung:

    "Der Kdt der Pz Hb Flt Bttr 10, Hptm Kürsener, hat der Schweizerischen

    Eidgenossenschaft Fr. 384.45 als Ersatz für nicht zurückgegebenes
Material
   gemäss Rechnung des Eidg. Zeughauses Kriens vom 4. Dezember 1978
   zu bezahlen."

    Gegen diese Verfügung rekurrierte Hptm Kürsener an die Rekurskommission
der Eidgenössischen Militärverwaltung. Da Kürsener nur die Bezahlung von
Fr. 287.50 bestritt, erwuchs die erstinstanzliche Verfügung im Betrage
von Fr. 96.95 in Rechtskraft. Mit Entscheid vom 19. März 1980 hiess die
Vorinstanz den Rekurs gut und befreite Kürsener von der Bezahlung der
Fr. 287.50.

    Mit fristgerechter Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das
Eidgenössische Militärdepartement dem Bundesgericht folgenden Antrag:

    "Es sei der Entscheid der Rekurskommission der Eidgenössischen

    Militärverwaltung aufzuheben und der Entscheid der KMV vom 18. Oktober
1979
   zu bestätigen."

    Auf die einzelnen Vorbringen der Beschwerdeführerin wird, soweit
erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

    Die Rekurskommission der Eidgenössischen Militärverwaltung beantragt
Abweisung der Beschwerde. Ohne einen formellen Antrag zu stellen, beantragt
sinngemäss auch Hptm Kürsener die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, Hptm Kürsener hafte
persönlich für das von seiner Einheit verlorene Korpsmaterial. Es ist
zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer solchen Haftpflicht erfüllt
sind. Entgegen der Meinung der Vorinstanz und der Beschwerdeführerin
kommt der Beweislastverteilung bei der Beantwortung dieser Frage nur eine
untergeordnete Bedeutung zu.

    a) Die Bewaffnung und persönliche Ausrüstung bleibt in der
Regel während der ganzen Dienstzeit in den Händen des Wehrmannes, der
verpflichtet ist, sie in gutem Zustande zu erhalten; der Mann haftet für
deren schuldhaften Verlust oder Beschädigung (vgl. Art. 91 Abs. 1 der
Militärorganisation der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. April
1907) (MO; SR 510.10).

    Demgegenüber ersetzt der Bund den Abgang der den Stäben und Einheiten
zugeteilten Korpsausrüstung, der infolge eidgenössischen Dienstes eintritt
(Art. 96 Abs. 2 MO). Dies bedeutet indessen nicht, dass der Wehrmann
für Verluste und Beschädigungen von Korpsmaterial, die er schuldhaft
herbeigeführt hat, überhaupt nicht zu haften hätte. Nach Art. 119 in
Verbindung mit Art. 120 des Beschlusses der Bundesversammlung über
die Verwaltung der Armee vom 30. März 1949 (BBVers; SR 510.30) ist
jeder Wehrmann für das ihm beim Dienstantritt übergebene oder während
des Dienstes vorübergehend anvertraute Kriegsmaterial (Korps- und
Instruktionsmaterial, Munition und Sprengstoffe, Verpflegungsmittel,
Betriebsstoffe, Verbrauchsmaterial usw.) verantwortlich; er haftet
für Verlust und Beschädigung, wenn er nicht nachweist, dass ihn kein
Verschulden trifft. Die Voraussetzungen einer Haftung nach Art. 119 und 120
BBVers sind aber im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfüllt, kann
doch jedenfalls nicht gesagt werden, dass die fünf fehlenden Zelttücher
Hptm Kürsener persönlich anvertraut worden wären. Anvertraut ist ein
Gegenstand einem Wehrmann nur dann, wenn er aufgrund der Umstände erkennen
konnte und musste, dass er und nur er für die Sache verantwortlich ist;
erforderlich ist überdies die faktische Möglichkeit des Wehrmannes, selbst
und unmittelbar für die Sicherheit der Sache sorgen zu können. Dies ergibt
sich aus der haftungsmässigen Gleichstellung der persönlichen Bewaffnungs-
und Ausrüstungsgegenstände mit dem "anvertrauten Kriegsmaterial" in
Art. 119 und 120 BBVers. Unter diesen Umständen braucht nicht mehr geprüft
zu werden, ob die übrigen Voraussetzungen der Haftung nach Art. 119 und
120 BBVers erfüllt sind, muss doch die persönliche Verantwortlichkeit
Hptm Kürseners unter diesem Titel jedenfalls verneint werden.

    b) Neben den beiden besonderen Haftpflichtnormen für Verluste und
Beschädigungen von persönlichen Bewaffnungs- und Ausrüstungsgegenständen
sowie weiterem anvertrautem Kriegsmaterial in Art. 119 und 120 BBVers
enthält das Bundesverwaltungsrecht in Art. 26 MO noch eine weitere
Haftungsnorm, der gegenüber den ersteren die Stellung einer lex generalis
zukommt. Es ist zu prüfen, ob Hptm Kürsener dadurch, dass seine Einheit
die fünf Zelttücher nicht abgegeben hatte, dem Bund im Sinne von Art. 26
MO einen unmittelbaren Schaden zufügte; die Haftung nach Art. 26 MO setzt
voraus, dass der Schaden aufgrund einer vorsätzlichen oder grobfahrlässigen
Dienstpflichtverletzung entstanden ist.

    Die Beschwerdeführerin hat indessen in keiner Weise ausgeführt, worin
eine Dientspflichtverletzung Hptm Kürseners erblickt werden müsste. Aus
den Akten ergibt sich im Gegenteil, dass Hptm Kürsener in seiner Einheit
für die Anordnung der erforderlichen organisatorischen Massnahmen sorgte
und auch entsprechende Kontrollen durchführen liess, um Materialverluste
im Rahmen des Möglichen zu vermeiden. Schliesslich ist noch festzuhalten,
dass die Vorinstanz ausdrücklich und für das Bundesgericht verbindlich
festgestellt hat, dass im vorliegenden Fall kein Vorsatz oder eine grobe
Fahrlässigkeit nachgewiesen sei. Es ist somit offensichtlich, dass auch
im Lichte von Art. 26 MO von einer persönlichen Haftung Hptm Kürseners
nicht die Rede sein kann.