Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 85



108 Ib 85

15. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Februar 1982
i.S. Joseph Müller AG gegen Bergesen und Obergericht (II. Zivilkammer)
des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer
Schiedssprüche vom 10. Juni 1958.

    - Verbindlichkeit des Schiedsspruches als Voraussetzung der
Vollstreckung. Bedeutung und Schranken der Parteiautonomie in bezug auf
die Gestaltung der Schiedsverfahrensordnung (E. 4a, b).

    - Die Parteiautonomie verschafft den Litiganten insbesondere die
Möglichkeit, durch Abrede den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem der
Schiedsspruch unter ihnen verbindlich werden soll (E. 4c).

    - Verhältnisse im vorliegenden Fall (E. 4d).

    - Zur Annahme der Verbindlichkeit genügt, dass der Schiedsspruch dem
Exequatur zugänglich ist (E. 4e).

Sachverhalt

    A.- Die Joseph Müller AG, Zürich, und Sigval Bergesen, wohnhaft in
Stavanger (Norwegen), schlossen am 3. September 1969, 20. Oktober 1970 und
17. März 1971 je einen Chartervertrag. Die drei Verträge weisen je eine
Schiedsklausel auf, die folgenden Wortlaut hat (beglaubigte Übersetzung
aus dem Englischen):

    "Das Schiedsverfahren findet in der Stadt New York (Staat) New York,
   statt; es unterliegt den Gesetzen des Staates New York; der mehrheitlich
   gefällte Schiedsspruch ist durch jedes zuständige Gericht vollstreckbar
   und für die Parteien in der ganzen Welt endgültig rechtskräftig und
   bindend."

    Zwischen den Parteien entstand in der Folge Streit, worauf das
Schiedsverfahren eingeleitet wurde. Das Schiedsgericht verurteilte die
Joseph Müller AG am 14. Dezember 1978 zur Zahlung von total $ 61'406.09
zuzüglich 8% Zins bis zur Bezahlung der Forderung.

    Mit Verfügung vom 7. November 1979 erklärte der Einzelrichter
im summarischen Verfahren des Bezirks Zürich den Schiedsspruch für
vollstreckbar und gewährte definitive Rechtsöffnung im Betrag von
Fr. 106'846.60 nebst 8% Zins seit 30. Juni 1979. Auf Rekurs der
Joseph Müller AG hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich
(II. Zivilkammer) die erstinstanzliche Verfügung mit Beschluss vom
8. Dezember 1980.

    Dagegen richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde der Joseph
Müller AG. Die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen
Entscheid aufzuheben und das Verfahren zur Abweisung des Begehrens und
der Vollstreckbarerklärung an das Obergericht zurückzuweisen. Sie beruft
sich auf eine Verletzung von Art. V Ziff. 1 lit. e des Übereinkommens
über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom
10. Juni 1958 (SR 0.277.12; im folgenden New Yorker Übereinkommen). Die
Verletzung dieses Staatsvertrages erblickt sie darin, dass das Obergericht
zu Unrecht den Schiedsspruch als verbindlich betrachtet habe. Nach
dem Recht des Staates New York müsse ein Schiedsspruch innerhalb
eines Jahres von einem staatlichen Gericht bestätigt werden (sog.
"confirmation of award"). Erst der durch die "confirmation" bekräftigte
Schiedsspruch stelle ein verbindliches und vollstreckbares Urteil im
Sinne des New Yorker Übereinkommens dar. Der Beschwerdegegner beantragt
die Beschwerde abzuweisen. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet
auf Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Anerkennung und Vollstreckung eines in den USA gefällten
Schiedsspruchs bestimmen sich nach dem New Yorker Übereinkommen, dem
sowohl die USA als auch die Schweiz beigetreten sind (AS 1976, 618/9).

Erwägung 2

    2.- a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung von
Staatsverträgen braucht der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft zu
sein (Art. 86 Abs. 3 OG; BGE 105 Ib 39 mit Hinweis). Andere Rügen, die
die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs voraussetzen, erhebt die
Beschwerdeführerin nicht.

    Das Bundesgericht prüft frei, ob der angefochtene Entscheid gegen
Bestimmungen eines Staatsvertrages verstösst. Es beschränkt sich dabei
nur auf die Prüfung der in der Beschwerde erhobenen Rügen (BGE 101 Ia
524 E. 1 mit Hinweisen). Neue tatsächliche oder rechtliche Vorbringen
sind zulässig (BGE 105 Ib 40 E. 2).

    b) Im Falle der Gutheissung der Beschwerde wird der angefochtene
Entscheid aufgehoben. Es wird in diesem Fall Sache des Obergerichts
sein, im Lichte der bundesgerichtlichen Erwägungen einen neuen
Entscheid zu fällen. Weitere Anordnungen des Bundesgerichts sind nicht
notwendig. Insofern daher die Beschwerdeführerin mehr als die Aufhebung
des angefochtenen Entscheids verlangt, ist die Beschwerde unzulässig. Im
übrigen ist auf die Beschwerde einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Art. V des New Yorker Übereinkommens nennt die Gründe, nach denen
die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruches versagt werden
kann. Auf Antrag der Partei, gegen die der Schiedsspruch geltend gemacht
wird, hat dies zu geschehen, wenn die Partei der zuständigen Behörde
des Landes, in dem um Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird,
den Beweis erbringt, unter anderem:

    "dass die Bildung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche

    Verfahren der Vereinbarung der Parteien oder, mangels einer solchen

    Vereinbarung, dem Recht des Landes, in dem das schiedsrichterliche

    Verfahren stattfand, nicht entsprochen hat;" (Ziff. 1 lit. d)
   oder

    "dass der Schiedsspruch für die Parteien noch nicht verbindlich
   geworden ist oder dass er von einer zuständigen Behörde des Landes,
   in dem oder nach dessen Recht er ergangen ist, aufgehoben oder in
   seinen Wirkungen einstweilen gehemmt worden ist." (Ziff. 1 lit. e)

    Der Sache nach geht es im vorliegenden Fall einzig darum, ob
der Schiedsspruch vom 14. Dezember 1978 verbindlich geworden ist. Die
Beschwerdeführerin hat zu beweisen, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt
ist. Dazu gehört auch der Nachweis des zuständigen ausländischen Rechts,
soweit dessen Verletzung geltend gemacht wird (unveröffentlichtes Urteil
des Bundesgerichts vom 13. Juli 1979 i.S. H. E. 3 in fine).

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdeführerin hält den Schiedsspruch für unverbindlich,
weil der Beschwerdegegner die nach § 7510 New York Civil Practice Law and
Rules (im folgenden CPLR) erforderliche Bestätigung nicht verlangt habe.
   § 7510 CPLR hat folgenden Wortlaut:

    "The court shall confirm an award upon application of a party made
   within one year after its delivery to him, unless the award is vacated
   or modified upon a ground specified in section 7511."

    In § 7511 CPLR wird sodann das Rechtsmittelverfahren gegen
Schiedssprüche geregelt. Insbesondere sind die Gründe für die Aufhebung
(vacating) und Abänderung (modifying) geregelt. Aus welchen Gründen
hingegen die "confirmation of award" verweigert werden kann, folgt nicht
aus dem Gesetzestext.

    Nach Auffassung des Obergerichts dient die "confirmation" der
Feststellung der Vollstreckbarkeit (enforcement) des Schiedsspruches. Ziel
des New Yorker Übereinkommens sei jedoch gewesen, das doppelte
Exequaturverfahren zu vermeiden, wie es unter dem Geltungsbereich des
Genfer Abkommens vom 26. September 1927 (SR 0.277.111) zwar nicht
ausdrücklich vorgesehen, aber in der Praxis notwendig war. Nach dem New
Yorker Übereinkommen bedürfe es keiner gerichtlichen Vollstreckbarerklärung
des Staates, unter dessen Recht das Schiedsverfahren durchgeführt wurde.

    b) Ob ein Schiedsspruch für die Parteien verbindlich (französisch
"obligatoire"; englisch "binding") geworden ist, richtet sich
in erster Linie nach dem für das schiedsrichterliche Verfahren
massgebenden Recht. Die Wahl des Verfahrensrechts kann im Rahmen der
Parteiautonomie frei bestimmt werden (vgl. Art. V Ziff. 1 lit. d
New Yorker Übereinkommen). Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass
das Schiedsverfahren in erster Linie durch die von den Parteien selbst
vereinbarte Ordnung und, beim Fehlen einer Parteivereinbarung, subsidiär
durch das Recht des Staates, wo das Schiedsverfahren stattfindet,
beherrscht wird (vgl. Botschaft des Bundesrats betreffend die
Genehmigung des New Yorker Abkommens vom 18. September 1964, BBl 1964
II, 616). Der durch das New Yorker Übereinkommen aufgestellte Vorrang des
Parteiwillens verschafft den Parteien die Möglichkeit, entweder eine eigene
Verfahrensordnung aufzustellen oder ein bereits bestehendes, privates
oder staatliches Verfahrensrecht zu wählen. Aus der Befugnis zur freien
Gestaltung der Verfahrensordnung folgt ferner, dass durch Parteiabrede
auch zwingende staatliche Verfahrensvorschriften unanwendbar erklärt und
gegebenenfalls durch eigens getroffene Vorschriften ersetzt werden können
(SCHLOSSER, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit,
Bd. 1, S. 415 f.; FOUCHARD, L'arbitrage commercial international, Bd. 2,
S. 335 f.; BERTHEAU, Das New Yorker Abkommen vom 10. Juni 1958...,
Diss. Zürich 1965, S. 87). Die Parteiautonomie besteht jedoch nicht
schrankenlos. Sie unterliegt insofern der staatlichen Kontrolle,
als die Parteien in jedem Fall an die Grundsätze des ordre public
des Vollstreckungsstaates gebunden sind (Art. V Ziff. 2 lit. b New
Yorker Übereinkommen); ob bei der Wahl eines bestimmten nationalen
Verfahrensrechts auch dessen ordre public beachtet werden muss,
ist umstritten (ablehnend SCHLOSSER, aaO, S. 417; anders BERTHEAU
aaO, S. 87/8). Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die
Beschwerdeführerin sich nicht auf eine Verletzung des New Yorker ordre
public beruft. Wenn ein Schiedsspruch nach dem massgebenden Verfahrensrecht
keinem Rechtsmittel unterworfen ist, besteht unter dem Gesichtspunkt des
schweizerischen ordre public kein Grund, die Vollstreckung im Inland zu
verweigern. Weder das Genfer Abkommen (Art. 1 Abs. 2 lit. d) noch das New
Yorker Übereinkommen, welches in diesem Punkte vom Genfer Abkommen nicht
abwich (Art. V Ziff. 1 lit. e), setzen voraus, dass ein Schiedsspruch der
Kontrolle durch ein staatliches Gericht unterworfen sein muss. Wie das
Bundesgericht in BGE 101 Ia 158 ausführte, wäre es nicht angängig, die
Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs unter Berufung auf den einheimischen
ordre public vom Bestehen bestimmter Rechtsmittelmöglichkeiten abhängig
zu machen. Eine zwingende Rechtsmittelkontrolle des Schiedsspruchs
als Voraussetzung der Vollstreckung wäre denn auch sachlich nicht
angebracht. Es genügt, dass der Vollstreckungsbeklagte die in Art. V
Ziff. 1 lit. a-g New Yorker Übereinkommen genannten Einwendungen vorbringen
kann, soweit das Übereinkommen anwendbar ist.

    c) Die Parteiautonomie im Sinne von Art. V Ziff. 1 lit. d New
Yorker Übereinkommen verschafft den Parteien die Möglichkeit, statt
einer staatlichen eine vollkommen eigen gestaltete Verfahrensordnung
aufzustellen. Weltweit gesehen existieren denn auch verschiedene
Schiedsordnungen, die den Ablauf des schiedsrichterlichen Verfahrens
umfassend regeln (Nachweise bei SCHLOSSER aaO, Bd. 2, S. 153-274). Dieser
Grundsatz verschafft den Parteien auch die Möglichkeit, zwar grundsätzlich
eine staatliche Verfahrensordnung als anwendbar zu erklären, diese
jedoch im einzelnen durch besondere Abreden zu ergänzen oder zu
ersetzen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ab welchem Zeitpunkt
der Schiedsspruch unter den Parteien verbindlich wird (SCHLOSSER, aaO, Bd.
1, S. 623).

    d) Im vorliegenden Fall vereinbarten die Parteien, dass das
Schiedsverfahren den Gesetzen des Staates New York unterliegen sollte
und der mehrheitlich gefällte Schiedsspruch durch jedes zuständige
Gericht vollstreckbar und für die Parteien in der ganzen Welt endgültig
rechtskräftig und bindend zu sein habe. Sie schlossen damit jeden
Weiterzug des Schiedsspruchs aus. Dessen Verbindlichkeit trat somit nicht
erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist von 90 Tagen gemäss § 7511 CPLR,
bzw. der "confirmation of award" ein, sondern bereits mit der Fällung des
Schiedsspruches. Diese Rechtsfolge sehen denn auch mehrere Schiedsordnungen
privater und öffentlichrechtlicher Organisationen vor (z.B. Art. 29 der
Vergleichs- und Schiedsordnung der internationalen Handelskammer; Rule 19
The Copenhagen Rules 1950). Dass der vorliegende Schiedsspruch durch ein
New Yorker Gericht aufgehoben bzw. in seinen Wirkungen einstweilen gehemmt
worden wäre, behauptet die Beschwerdeführerin nicht. Die Vereinbarung der
Parteien hat deshalb zur Folge, dass der Schiedsspruch seit 14. Dezember
1978 im Sinne von Art. V Ziff. 1 lit. e des New Yorker Übereinkommens
verbindlich geworden ist.

    e) Die Beschwerdeführerin behauptet freilich, der Schiedsspruch sei
ohne "confirmation of award" nach New Yorker Recht nicht verbindlich. Sie
erklärt nicht, wie sie diese Behauptung mit der vorstehenden Schiedsklausel
vereinbart und unter welchem Titel New Yorker Recht eingreifen sollte,
kraft Parteivereinbarung oder als unabdingbares Recht des Staates,
in dem der Schiedsspruch erging. Alle diese Fragen können jedoch
offen bleiben. Nach Art. V Abs. 1 Einleitungssatz des New Yorker
Übereinkommens hat der Beklagte die von ihm behauptete Unverbindlichkeit
des Schiedsspruchs zu beweisen. Diesen Beweis hat die Beschwerdeführerin
nicht geleistet. Das von ihr vorgelegte Gutachten nimmt keinen Bezug auf
das New Yorker Übereinkommen, fasst den Begriff der Verbindlichkeit nach
dessen Art. V Ziff. 1 lit. e nicht ins Auge und prüft nicht, wie die
"confirmation of award" im Lichte des Übereinkommens zu qualifizieren
ist. Selbst wenn der Schiedsspruch am Ort, wo er erging, nicht
vollstreckbar erklärt wurde, kann die Verbindlichkeit gegeben sein. Das
Erfordernis der Vollstreckbarerklärung am Ursprungsort des Schiedsspruchs
würde dem Sinn des New Yorker Übereinkommens stracks zuwiderlaufen,
welches das doppelte Exequatur vermeiden wollte (BERTHEAU, aaO, S. 91 ff.,
Botschaft, aaO, 617). Es genügt vielmehr für die Verbindlichkeit, dass der
Schiedsspruch im Urteilsstaat einem Exequatur zugänglich ist (vgl. KLEIN,
La convention de New York pour la reconnaissance de l'exécution des
sentences arbitrales étrangères, SJZ 57 (1961) S. 248). Wenn der von
der Beschwerdeführerin angerufene Gutachter, den "unconfirmed award" als
"inchoate and unchallenged right to seek judgment thereon" und als "mere
expectation" bezeichnet, handelt es sich dabei um eine Charakterisierung im
Lichte des New Yorker Rechts, aber nicht im Lichte des Übereinkommens. Dass
der Beschwerdegegner nach den Angaben des Beschwerdeführerin schliesslich
in der Zwischenzeit das Verfahren zur Erlangung der "confirmation of award"
einleitete, ändert unter dem Gesichtswinkel des New Yorker Übereinkommens
an der Verbindlichkeit des Schiedsspruchs nichts. Die Beschwerde ist
daher abzuweisen.