Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 62



108 Ib 62

10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. März 1982 i.S.
Bundesamt für Polizeiwesen und Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des
Kantons St. Gallen gegen H. und Verwaltungsrekurskommission des Kantons
St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Anordnung einer neuen Führerprüfung (Art. 14 Abs. 3 SVG).

    Nach Art. 14 Abs. 3 SVG ist die Anordnung einer neuen Führerprüfung
jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Inhaber eines Führerausweises
während rund fünf Jahren wegen eines Sicherungsentzuges kein
Motorfahrzeug führte und vor diesem Zeitpunkt nur drei Jahre im Besitze
des Führerausweises gewesen war.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 3

    3.- Das Bundesamt für Polizeiwesen rügt weiter, die Vorinstanz
habe dem Beschwerdegegner zu Unrecht den Führerausweis ohne vorherige
theoretische und praktische Führerprüfung zugesprochen. Seit dem Entzug
des Führerausweises habe der Beschwerdegegner während rund 5 1/2 Jahren
kein Motorfahrzeug mehr geführt. Vor diesem Zeitpunkt habe er eine kurze
Fahrpraxis von rund 3 Jahren erworben. Unter diesen Umständen seien
Bedenken bezüglich Kenntnis der Verkehrsregeln, ihrer Anwendung in der
Praxis und an seinem fahrtechnischen Können am Platze.

    a) Unbestrittenermassen sind die Voraussetzungen von Art. 24 Abs. 1
VZV für die Anordnung einer neuen Führerprüfung nicht erfüllt, da die
Widerhandlungen des Beschwerdegegners nicht geeignet sind, Zweifel
an der Kenntnis der Verkehrsregeln, an ihrer Anwendung in der Praxis
oder am fahrtechnischen Können aufkommen zu lassen. Somit stellt sich
lediglich die Frage, ob die Anordnung einer neuen Führerprüfung wegen
langer Fahrabstinenz infolge Führerausweisentzugs und kurzer vorheriger
Fahrpraxis sich auf Art. 14 Abs. 3 SVG stützen lässt.

    b) Bestehen Bedenken über die Eignung eines Führers, so ist er einer
neuen Prüfung zu unterwerfen (Art. 14 Abs. 3 SVG). Das Bundesgericht
hat in einem neueren Entscheid festgehalten, eine neue Führerprüfung als
Bedingung der Wiedererteilung des Ausweises könne nur angeordnet werden,
wenn begründete Zweifel an der Eignung des Beschwerdeführers bestehen;
darüber habe die anordnende Behörde nach pflichtgemässem Ermessen zu
entscheiden (BGE 104 Ib 99 E. 4). In dieses kann das Bundesgericht nur
bei Überschreitung oder Missbrauch eingreifen (Art. 104 lit. a OG). Die
Auslegung von Art. 14 Abs. 3 SVG kann es dagegen frei prüfen.

    Die Behauptung der Vorinstanz, die Anordnung einer neuen Führerprüfung
wegen langer Fahrabstinenz sei mangels gesetzlicher Grundlage nicht
möglich, steht klar im Widerspruch zu Art. 14 Abs. 3 SVG. Danach ist
eine neue Prüfung immer dann anzuordnen, wenn Bedenken über die Eignung
eines Führers bestehen. Solche Bedenken können auch gerechtfertigt sein,
und darin ist dem Bundesamt für Polizeiwesen zuzustimmen, wenn ein Führer
mit kurzer Fahrpraxis längere Zeit kein Fahrzeug mehr geführt hat. Dabei
darf aber nicht schematisiert werden, sondern es sind in jedem einzelnen
Falle die konkreten Umstände zu würdigen. Aus dem Umstand, dass es viele
Inhaber eines Führerausweises gibt, die freiwillig während längerer Zeit
auf das Führen eines Motorfahrzeuges verzichten, kann die Vorinstanz
nichts zugunsten des Beschwerdegegners ableiten. Sobald die Behörde von
solchen Fällen Kenntnis erhält und zudem Bedenken über die Eignung als
Motorfahrzeugführer bestehen, müssen auch diese Personen einer neuen
Führerprüfung unterworfen werden.

    Bei einer Fahrpraxis von nur drei Jahren und einer anschliessenden
Fahrabstinenz von über fünf Jahren drängen sich Bedenken bezüglich der
Eignung des Beschwerdegegners als Motorfahrzeugführer geradezu auf. Nach
Art. 14 Abs. 1 SVG wird ein Führerausweis dann erteilt, wenn die amtliche
Prüfung ergeben hat, dass der Bewerber die Verkehrsregeln kennt und ein
Motorfahrzeug sicher zu führen versteht. Diese Voraussetzungen müssen
nicht nur bei der Erteilung des Führerausweises, sondern auch danach
erfüllt sein, ansonst eine neue Führerprüfung nach Art. 14 Abs. 3 SVG
angeordnet werden muss. Die Vorinstanz anerkennt denn auch, dass der
Beschwerdegegner die herangebildeten Automatismen während der langen
Entzugsdauer mehr oder weniger verloren haben könnte und es richtig sei,
dass sich in der Zwischenzeit die Verkehrsvorschriften zum Teil geändert
und die Verkehrsdichte zugenommen habe. Daraus ergeben sich aber ernsthafte
Bedenken bezüglich der Verkehrsregelkenntnisse des Beschwerdegegners und
seiner Fähigkeit, ein Motorfahrzeug sicher zu führen. Wenn die Vorinstanz
der Auffassung war, das verkehrspsychologische Gutachten sage etwas
über die praktischen sowie theoretischen Kenntnisse und Fähigkeiten
des Beschwerdegegners aus, trifft dies nur teilweise zu. Aufgrund der
durchgeführten Tests kann der Psychologe nur sagen, ob eine Testperson
die minimalen geistigen und körperlichen Fähigkeiten besitzt, die an einen
Motorfahrzeugführer gestellt werden. Ob die Testperson die Verkehrsregeln
tatsächlich kennt und ein Fahrzeug auch sicher zu führen versteht,
kann aber nur mittels einer Führerprüfung ermittelt werden. Keine Rolle
spielt im vorliegenden Fall der Umstand, dass der Verkehrspsychologe
nicht die Aushändigung eines Lernfahrausweises empfohlen hatte. Da die
Vorinstanz aus teilweise falschen rechtlichen Überlegungen und unter
Verkennung der Tragweite von Art. 14 Abs. 3 SVG zur Überzeugung gelangte,
beim Beschwerdegegner sei die Anordnung einer neuen Führerprüfung nicht
zulässig, obwohl er während fünf Jahren kein Motorfahrzeug mehr geführt
habe, hat sie das ihr zustehende Ermessen überschritten. Die Beschwerde
ist deshalb in diesem Punkte gutzuheissen.