Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 296



108 Ib 296

54. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 3. August 1982 i.S. Böhm gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft
und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Einsprache gemäss
Auslieferungsgesetz) Regeste

    Europäisches Auslieferungsübereinkommen (EAUe) und ergänzender Vertrag
zwischen der Schweiz und Österreich vom 13. Juni 1972.

    Auslieferung wegen Betruges; beidseitige Strafbarkeit; Bejahung des
Tatbestandsmerkmals der Arglist (E. 7a).

    Ein Auslieferungshindernis im Sinne von Art. 9 EAUe in Verbindung
mit Art. IV des Vertrages vom 13. Juni 1972 liegt nicht vor (E. 7c).

Sachverhalt

    A.- Die Republik Österreich stellte am 30. März 1982 das Gesuch um
Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen Wolfgang Böhm. Nach dem
beigelegten Haftbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom
23. März 1982 wird Böhm Versuch des schweren gewerbsmässigen Betruges
zur Last gelegt. Er soll diese Taten dadurch begangen haben, dass er im
Jahre 1975 durch eine im Fürstentum Liechtenstein niedergelassene Firma
Briefe an Personen mit Wohnsitz in Österreich versenden liess, in denen er
den Adressaten gegen Bezahlung von je 40'000 Schilling ein Doktordiplom
einer - nicht existierenden - Universität im Staat Illinois (USA) in
Aussicht stellte. Zahlungen wurden seitens der betreffenden Personen nicht
geleistet. Böhm erhob gegen das Auslieferungsbegehren Einsprache. Das
Bundesgericht weist diese ab und bewilligt die Auslieferung.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 7

    7.- Die Republik Österreich verlangt die Auslieferung Böhms zur
Verfolgung wegen versuchten schweren gewerbsmässigen Betruges. Sie stützt
sich dabei auf den Haftbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien
vom 23. März 1982.

    a) Gemäss § 146 des österreichischen Strafgesetzbuches (öStGB) begeht
einen Betrug, wer mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich
oder einen Dritten unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Täuschung
über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die
diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt. Das schweizerische Recht
unterscheidet sich hinsichtlich der Umschreibung des Betrugstatbestandes
vom österreichischen gleich wie vom deutschen Recht dadurch, dass Art. 148
StGB nicht nur eine Täuschung schlechthin, sondern eine arglistige
Irreführung verlangt. Das Merkmal der Arglist wurde in die genannte
Gesetzesbestimmung eingefügt, um die Fälle qualifizierter Täuschung von
den Verhaltensweisen abzugrenzen, bei welchen der Täter jemanden lediglich
durch eine einfache, leicht durchschaubare Lüge irregeführt hat (BGE
101 Ia 613 mit Hinweisen). Es ist daher zu prüfen, ob das Verhalten,
welches dem Einsprecher im Haftbefehl des Landesgerichtes Wien vom
23. März 1982 zur Last gelegt wird, das Tatbestandsmerkmal der Arglist
erfüllt. Trifft dies nicht zu, so fehlt es an der für eine Auslieferung
erforderlichen beidseitigen Strafbarkeit im Sinne des Art. 2 Ziff. 1 EAUe
(BGE 101 Ia 612 f. E. 3 sowie nicht veröffentlichte Urteile vom 11. Mai
1977 i.S. F.H. und vom 8. August 1979 i.S. U.E.).

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt arglistig, wer
sich zur Täuschung eines andern besonderer Machenschaften oder Kniffe
bedient oder ein ganzes Lügengebäude aufbaut, aber auch jener, der bloss
falsche Angaben macht, wenn deren Überprüfung besondere Mühe erfordert,
nicht zumutbar oder unmöglich ist; ferner ist Arglist auch gegeben, wenn
der Täter den Getäuschten von der Überprüfung der falschen Angaben abhält
oder wenn er voraussieht, dass der andere die Überprüfung unterlassen wird,
sofern sich diese Voraussicht aus einem besonderen Vertrauensverhältnis
ergibt, auf klaren Regelungen oder Zusicherungen beruht und nicht nur eine
aus gewissen Beobachtungen stammende Erwartung darstellt (BGE 107 IV 169,
106 IV 360 E. 1, 101 Ia 613, 100 IV 274, 99 IV 77 mit Hinweisen).

    Im Haftbefehl des Landesgerichtes Wien, auf den sich das
Auslieferungsbegehren stützt, wird Böhm vorgeworfen, er habe im Jahre
1975 durch eine im Fürstentum Liechtenstein niedergelassene Firma Briefe
an Personen mit Wohnsitz in Österreich versenden lassen, in denen er den
Adressaten angeboten habe, sie könnten gegen Bezahlung von je 40'000
Schilling den Doktortitel der - in Wirklichkeit nicht existierenden -
Universität "Trinity Hall College" in Springfield im Staate Illinois
(USA) erwerben. Obgleich nach österreichischem Recht die Arglist nicht
Tatbestandsmerkmal des Betruges bildet, wird von "arglistiger Täuschung"
gesprochen, offenbar deshalb, weil Böhm gemäss Feststellung im Haftbefehl
"annahm, dass eine Überprüfung der Briefe unterbleiben werde".

    Aufgrund dieser Darstellung des Sachverhaltes steht fest, dass der
Einsprecher in seinen Offerten falsche Angaben gemacht hat, indem er das
Bestehen einer Universität vortäuschte, die dem Empfänger des Briefes gegen
Bezahlung einer bestimmten Geldsumme den Doktortitel verleihen sollte. Es
kann nicht gesagt werden, es sei für die Adressaten ohne besondere Mühe
möglich gewesen, die Angaben des Einsprechers zu überprüfen. Auch wenn
sich der Empfänger der Offerte hinsichtlich des Bestehens der darin
angegebenen Universität bei der amerikanischen Botschaft in Wien oder
bei einer für Hochschulfragen zuständigen österreichischen Amtsstelle
erkundigt hätte, ist es fraglich, ob man ihm eine genaue Auskunft hätte
geben können. Diese Stellen hätten ihm vielleicht gesagt, eine solche
Universität sei ihnen nicht bekannt. Auf jeden Fall aber war es für
die Adressaten nicht leicht möglich, abzuklären, ob die Angaben des
Einsprechers der Wahrheit entsprachen. Im übrigen kann man sich fragen,
ob Böhm nicht ausserdem mit Gewissheit voraussah (vgl. BGE 107 IV 171),
dass die Adressaten überhaupt keine Nachforschungen machen würden, denn
der Empfänger der Offerte hätte sich gewissermassen selbst kompromittiert,
wenn er einem Dritten bekanntgegeben hätte, er sei daran interessiert,
einen Doktortitel gegen Geld zu erwerben. Wie es sich damit verhält,
kann indes offen bleiben, da ein arglistiges Handeln im vorliegenden
Fall schon deshalb anzunehmen ist, weil die Überprüfung der Angaben des
Einsprechers für die Adressaten mit besonderen Schwierigkeiten verbunden
war. Demnach ergibt sich, dass das Verhalten des Einsprechers, wie es im
Haftbefehl des Landesgerichtes Wien vom 23. März 1982 umschrieben ist,
auch unter den Betrugstatbestand des Art. 148 StGB fällt. Das Erfordernis
der beidseitigen Strafbarkeit ist somit erfüllt.

    b) Der Einsprecher wendet ein, er könnte gemäss § 16 öStGB (Rücktritt
vom Versuch) ohnehin nicht bestraft werden, denn er sei seinerzeit aus
freien Stücken vom versuchten Titelhandel zurückgetreten, als er von
seinem liechtensteinischen Anwalt in Vaduz erfahren habe, dass die von
seinem amerikanischen Auftraggeber genannte Universität in den USA gar
nicht existiere. Es handelt sich hier jedoch um die blosse Behauptung
einer Tatsache, auf die der Auslieferungsrichter nicht einzugehen hat. Der
Einsprecher kann diesen Einwand im Strafverfahren vorbringen.

    c) Im weitern macht Böhm geltend, seine Auslieferung an Österreich
wäre auch aufgrund von Art. 9 EAUe in Verbindung mit Art. IV des Vertrages
vom 13. Juni 1972 nicht zulässig.

    Nach Art. 9 EAUe wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn der
Verfolgte wegen Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, von
den zuständigen Behörden des ersuchten Staates rechtskräftig abgeurteilt
worden ist. Sie kann abgelehnt werden, wenn die zuständigen Behörden
des ersuchten Staates entschieden haben, wegen derselben Handlungen kein
Strafverfahren einzuleiten oder ein bereits eingeleitetes Strafverfahren
einzustellen. In Art. IV Abs. 1 des Vertrags zwischen der Schweiz und
Österreich vom 13. Juni 1972 wird ausgeführt, die Auslieferung werde auch
dann nicht bewilligt, wenn die Handlungen in einem dritten Staat verübt
worden seien und dort darüber eine der in Art. 9 des Übereinkommens
erwähnten Entscheidungen ergangen sei, sofern gegen diese Entscheidung
keine besonderen Bedenken bestünden. Diese Bestimmung kann sich auf
einen entsprechenden Vorbehalt stützen, den die Schweiz zu Art. 9 EAUe
angebracht hat.

    Entgegen der Auffassung des Einsprechers stehen jedoch die genannten
Bestimmungen einer Auslieferung an Österreich nicht entgegen. Nach dem
Haftbefehl, auf den hinsichtlich des Sachverhaltes abgestellt werden muss,
sollen die Gegenstand des Verfahrens bildenden strafbaren Handlungen
im Fürstentum Liechtenstein begangen worden sein. Nun macht aber der
Einsprecher selbst nicht geltend, es sei in Liechtenstein wegen dieser
Handlungen ein Strafverfahren gegen ihn durchgeführt worden. Er beruft
sich vielmehr auf ein Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland, das nach
der durch Fernschreiben von Interpol Wiesbaden bestätigten Darstellung des
Einsprechers am 11. August 1980 eingestellt worden ist. Art. 9 EAUe und der
schweizerische Vorbehalt zu dieser Bestimmung beziehen sich jedoch nach
ihrem klaren Wortlaut nur auf Verfügungen, die von Behörden des Staates
erlassen wurden, in dem die fragliche Tat begangen worden ist. Auch Art. IV
des Vertrages mit Österreich vom 13. Juni 1972 kann nicht anders verstanden
werden: er spricht von Handlungen, die in einem dritten Staat verübt worden
sind, und davon, dass dort bereits eine Entscheidung in der Sache ergangen
ist. Allfällige Strafverfahren in einem vierten Staat, der weder mit dem
ersuchenden noch mit dem ersuchten noch mit dem Staat identisch ist,
in dem sich der Tatort befindet, werden weder im EAUe noch im Vertrag
vom 13. Juni 1972 erwähnt. Sie sind somit unter dem Gesichtswinkel des
Auslieferungsrechts als unerheblich zu betrachten. Die Berufung des
Einsprechers auf die erwähnten staatsvertraglichen Bestimmungen schlägt
demnach nicht durch. Es braucht daher nicht mehr untersucht zu werden,
ob sich das Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt auf
die nämlichen Fälle des Titelhandels bezogen hat wie das österreichische
Auslieferungsbegehren. Bemerkt sei hierzu lediglich, dass nach den aus
den Akten ersichtlichen Namen der als Getäuschte in Betracht fallenden
Personen zwischen dem deutschen und dem österreichischen Verfahren keine
Identität zu bestehen scheint.