Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 281



108 Ib 281

52. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. März 1982 i.S.
Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich gegen Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Versicherungsaufsicht; Ausnahme davon im Sinne von Art. 4 Abs. 1
lit. b VAG.

    Eine Versicherungseinrichtung ist dann als von geringer
wirtschaftlicher Bedeutung zu werten, wenn deren völlige Insolvenz nicht
in dem Sinne eine ernsthafte Notlage zur Folge haben würde, dass die
einzelnen Versicherten grössere Schäden selbst zu tragen hätten oder
dass ein grosser Teil der Bevölkerung - wenn auch im Einzelfall nicht
unbedingt sehr schwerwiegend - getroffen würde.

Sachverhalt

    A.- Die 1874 gegründete Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich
(PVGZ) hat zum Zweck, "den Schaden, der den Genossenschaftern bei
ihren versicherten Pferden infolge von tödlich verlaufenden Krankheiten,
Unfällen, Invalidität, Geburt, Operation und Weidgang entsteht, gegenseitig
zu tragen" (§ 1 der Statuten vom 6. März 1976).

    Nach einem Briefwechsel mit der PVGZ teilte das Bundesamt für
Privatversicherungswesen dieser mit Schreiben vom 2. August 1979 mit,
es werde die Frage der Unterstellung unter die Versicherungsaufsicht dem
hiefür zuständigen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement unterbreiten. In
ihren Vernehmlassungen stellte die PVGZ den Antrag, sie selbst, bzw. alle
Rindvieh- und Pferdeversicherungsgenossenschaften, seien gestützt auf
Art. 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1978 betreffend die Aufsicht
über die privaten Versicherungseinrichtungen von der Aufsicht durch das
Eidg. Versicherungsamt auszunehmen.

    Am 22. September 1980 erliess das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
folgende Verfügung:

    "1. Die Tätigkeit der Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich mit

    Sitz in Zürich stellt eine Geschäftstätigkeit im Gebiete des

    Versicherungswesens im Sinne von Art. 3 des Bundesgesetzes betreffend
   die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen vom 23. Juni
   1978 (VAG) dar und bedarf einer Bewilligung nach Art. 7 VAG.

    2. Soweit das Begehren der Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich
   die Aufsichtspflicht anderer Pferdeversicherungsgenossenschaften
   betrifft, wird darauf nicht eingetreten.

    3. Die Kosten, bestehend aus einer Spruchgebühr von Fr. 300.-- und

    Schreibgebühren in der Höhe von Fr. 28.--, werden der

    Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich auferlegt."

    Hiegegen hat die PVGZ Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben
mit dem Antrag, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und es sei
festzustellen, dass ihre Tätigkeit nicht der Versicherungsaufsicht durch
die eidgenössische Aufsichtsbehörde unterstehe.

    Antragsgemäss ist der Beschwerde durch Verfügung des Präsidenten der
II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. November 1980 aufschiebende
Wirkung erteilt worden.

    In seiner Vernehmlassung vom 5. Dezember 1980 schliesst das
Eidg. Justiz- und Polizeidepartement auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass
sie als private Versicherungseinrichtung eine gemäss Art. 3 des
Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG; SR 961.01) grundsätzlich der Aufsicht
unterstellte Tätigkeit ausübt. Indessen macht sie geltend, sie sei gestützt
auf Art. 4 Abs. 1 lit. b VAG davon auszunehmen. Nach dieser Bestimmung sind
der Aufsicht nicht unterstellt die Versicherungseinrichtungen von geringer
wirtschaftlicher Bedeutung, nämlich solche, die keinen grossen Kreis von
Versicherten haben und deren versicherte Leistungen nicht erheblich sind.

Erwägung 2

    2.- ob diese Voraussetzungen in einem bestimmten Fall erfüllt
seien, ist eine Frage des Ermessens, die sich nach dem Zweck der
Versicherungsaufsicht beurteilt. Gemäss Art. 1 VAG übt der Bund die
Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen insbesondere
zum Schutze der Versicherten aus. Aus der Botschaft des Bundesrates
zum VAG (BBl 1976 II S. 873 ff.) ergibt sich, dass der Begriff des
Versicherten im weitesten Sinn zu verstehen ist. Durch die Aufsicht
sollen geschützt werden: der Versicherungsnehmer, der Versicherte
im versicherungsvertraglichen Sinn, der Anspruchsberechtigte und der
Geschädigte. Es handelt sich dabei um einen Schutz vor technischer und
finanzieller Insuffizienz und Insolvenz der Versicherungseinrichtungen,
vor Täuschung durch unklare Einrichtungen, unwahre Kundgebungen
sowie falsche Angaben und vor zu hoher Prämienbelastung; ferner soll
vor Versicherungsbedingungen, die mit zwingenden Bestimmungen des
Versicherungsvertragsgesetzes in Widerspruch stehen, und vor sachwidriger
Gestaltung der Versicherungsbedingungen, deren Tragweite der Versicherte
nicht zu überblicken vermag, geschützt werden (BBl aaO S. 892). Der
mit der Aufsicht angestrebte Schutz bezieht sich indessen nicht nur auf
Individualinteressen, sondern es soll auch die öffentliche Ordnung gewahrt
werden (BBl aaO S. 893).

    In der Botschaft zum Bundesgesetz vom 25. Juni 1885 betreffend
Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens
hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass der Zusammenbruch einer
Lebensversicherungsgesellschaft geradezu ein Landesunglück wäre (BBl 1885
I S. 117). Weiter wurde festgehalten, dass die Verantwortlichkeit, die
der Staat mit der Versicherungsaufsicht auf sich nehme, zwar gross sei,
dass aber die Verantwortlichkeit im Falle einer Katastrophe wohl nicht
minder schwer wäre. Eine solche Katastrophe könne der Staat zwar nicht
vermeiden, jedoch vielleicht mildern, wenn er so viel Aufsicht ausübe,
als ihm der Natur der Sache nach möglich sei und ihm vernünftigerweise
zugemutet werden könne. Um mehr gehe es nicht (BBl 1885 I S. 119
f.). Letzteres trifft im wesentlichen auch auf das heute geltende Gesetz
zu. Dass die für die Befreiung von der Aufsicht in Art. 1 Abs. 2 des
früheren Gesetzes enthaltene Voraussetzung der örtlichen Beschränktheit
der Geschäftstätigkeit im neuen Recht fallen gelassen wurde, vermag daran
nichts zu ändern.

    Aus dem Gesagten erhellt, dass eine Versicherungseinrichtung
dann als von geringer wirtschaftlicher Bedeutung im Sinne von Art. 4
Abs. 1 lit. b VAG zu werten ist, wenn ein allfälliger auf schlechte
Geschäftsführung zurückzuführender finanzieller Zusammenbruch derselben
nicht zu einer landesweiten Katastrophe führen würde; d.h. wenn eine
völlige Insolvenz des Versicherungsunternehmens nicht in dem Sinne eine
ernsthafte Notlage zur Folge haben würde, dass die einzelnen Versicherten
grössere Schäden selbst zu tragen hätten oder dass ein grosser Teil der
Bevölkerung - wenn auch im Einzelfall nicht unbedingt sehr schwerwiegend
- getroffen würde. Unter dem Gesichtspunkt der Unterstellung einer
Versicherungseinrichtung unter die Aufsicht besteht demnach zwischen
der Zahl der durch eine Insolvenz Betroffenen und der Höhe des vom
einzelnen zu tragenden Ausfalles in dem Sinne ein Zusammenhang, als
auch verhältnismässig kleine Ausfälle an Leistungen in Betracht zu
ziehen sind, wenn sie eine grosse Zahl von Versicherten treffen. Von
Bedeutung sind in dieser Hinsicht ferner die jeweiligen finanziellen,
aber auch die persönlichen Verhältnisse der Versicherten, haben doch
nicht ausbezahlte Versicherungsleistungen je nach Lebensbereich, in den
die Versicherung fällt, unterschiedliche Auswirkungen. Es ist nicht das
gleiche, ob Versicherungsleistungen für den Ersatz von Vermögenswerten
bestimmt sind, die der Versicherte bei der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit
benötigt, oder für die Wiederanschaffung eines Gegenstandes, den dieser
beispielsweise bei einer Freizeitbeschäftigung benützt.

Erwägung 3

    3.- a) Dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Jahresbericht
1978/79 ist zu entnehmen, dass bei ihr am 30. September 1979 folgende
Tiere versichert waren: 308 Landwirtschaftspferde zu durchschnittlich
Fr. 2'791.--, 438 Reitpferde und Ponys zu durchschnittlich Fr. 5'063.--,
47 Reitpferde zu durchschnittlich Fr. 10'000.--, 14 Reitpferde zu
durchschnittlich Fr. 11'000.-- bis Fr. 14'000.--, 10 Reitpferde
zu durchschnittlich Fr. 15'000.--, 49 Fohlen zu durchschnittlich
Fr. 2'557.-- und 3 Esel zu durchschnittlich Fr. 800.--. Pferde
können bei der Beschwerdeführerin bis zu einer Schatzungssumme von
Fr. 15'000.-- versichert werden, und die Entschädigung kann bis zu
80% der Schatzungssumme betragen. Der höchstmögliche Ausfall, den ein
Versicherter bei einer völligen Insolvenz der Beschwerdeführerin pro
Schadenfall erleiden könnte, beläuft sich somit auf Fr. 12'000.--.

    Werden die für das Geschäftsjahr 1978/79 angeführten Zahlen
betrachtet, würden die möglichen Ausfälle nicht ganz Fr. 2'233.--
für ein Landwirtschaftspferd und etwa Fr. 8'000.-- für ein mittleres
Reitpferd betragen. Die Beschwerdeführerin bringt mit Recht vor, dass -
abgesehen von den Landwirtschaftspferden - die Haltung eines Pferdes in
der Regel nicht zur Existenzgrundlage des Halters gehört. Der Ausfall von
durchschnittlich Fr. 8'000.-- bis 10'000.-- dürfte für einen solchen
Halter etwa das gleiche bedeuten wie der Ausfall von etwa Fr. 2'233.--
für einen Landwirt. Gewiss sind die Folgen schwerwiegender für den Halter
mehrerer Tiere, etwa für den Inhaber einer Reitschule. Die Zahl solcher
Halter ist jedoch nicht sehr hoch, wenn man bedenkt, dass am 30. September
1979 insgesamt 869 Tiere versichert waren und die Beschwerdeführerin
selbst von 560 Pferdebesitzern spricht.

    Aus dem Gesagten erhellt, dass ein Ausfall der Versicherungsleistungen
zufolge Insolvenz der Beschwerdeführerin für die meisten Versicherten keine
allzu schweren Folgen hätte. Der Verlust dürfte in sehr vielen Fällen
in der Grössenordnung eines Monatseinkommens liegen. Die versicherten
Leistungen erscheinen bei dieser Sachlage als nicht erheblich.

    b) Die Zahl der Versicherten beträgt nach den Ausführungen der
Beschwerdeführerin 560, wobei von den am 30. September 1978 versicherten
763 Tieren allein 659 im Kanton Zürich standen und die übrigen 104 sich auf
die Kantone Aargau, Thurgau, Luzern, Zug und Tessin verteilten. Gemessen
an den Bevölkerungen dieser Kantone ist die erwähnte Zahl sehr klein, so
dass nicht von einem grossen Kreis von Versicherten gesprochen werden kann.

    c) Zusammengefasst ergibt sich, dass im unwahrscheinlichen Fall,
dass alle möglichen Schadenfälle gleichzeitig eintreten sollten und dass
die Beschwerdeführerin wegen völliger Insolvenz ihre Leistungen nicht
erbringen könnte, der grössere Teil von etwa 560 Tierhaltern Verluste
erleiden würde, die im Bereiche der jeweiligen Monatseinkommen lägen. Die
Beschwerdeführerin ist unter diesen Umständen als Versicherungseinrichtung
von geringer wirtschaftlicher Bedeutung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b
VAG zu bezeichnen. Daran vermag auch der Hinweis der Vorinstanz auf
andere kleinere Versicherungen, die der Aufsicht unterliegen, nichts zu
ändern. Mit einer Ausnahme handelt es sich bei den von der Vorinstanz
erwähnten Einrichtungen um Rechtsschutzversicherungen. Solche sind
aufgrund des Bundesratsbeschlusses über die Rechtsschutzversicherung
(SR 961.22) ohnehin in jedem Fall der Aufsicht unterworfen. Was die
"Unfallversicherung schweizerischer Schützenvereine" betrifft, so lässt
sich diese von vornherein nicht mit der Beschwerdeführerin vergleichen,
da sie auch die Haftpflichtversicherung betreibt und nicht nur Sach-,
sondern ebenfalls Personenschäden deckt.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Beschwerde werden die Dispositiv-Ziffern 1
und 3 der Verfügung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom
22. September 1980 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die
Tätigkeit der Beschwerdeführerin nicht der Aufsicht über die privaten
Versicherungseinrichtungen untersteht.