Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 242



108 Ib 242

45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
9. Juni 1982 i.S. Alfag AG gegen Kanton Graubünden und Eidgenössische
Schätzungskommission Kreis 12 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 22 Abs. 2 EntG.

    Bei Teilexpropriation ist der Verlust tatsächlicher Vorteile,
welcher das Restgrundstück erleidet, vom Enteigner nur dann zu ersetzen,
wenn zwischen der Enteignung und der Beeinträchtigung ein adäquater
Kausalzusammenhang besteht. Wird die Sicht von der Nationalstrasse auf
das Ausstellungsareal einer Grossgarage durch eine Lärmschutzvorrichtung
verdeckt, die so oder ähnlich auch ohne Enteignung hätte erstellt werden
können, besteht ein solcher Kausalzusammenhang nicht.

Sachverhalt

    A.- Für den Bau eines Lärmschutzdamms an der Nationalstrasse N 13
benötigt der Kanton Graubünden ungefähr 760 m2 der Parzelle Nr. 6029
in Chur, welche der Alfag AG gehört. Die Parzelle umfasst 10'811 m2
und liegt in der Industriezone. Die Alfag AG betreibt darauf eine
Grossgarage. Die Parteien konnten sich über die Höhe der Entschädigung
nicht einigen. Die Alfag AG verlangte neben einem höheren als dem vom
Kanton offerierten Landpreis auch eine Entschädigung von Fr. 600'000.--
für den Verlust der Werbewirkung, weil der Lärmschutzdamm die Sicht
auf ihr Areal und insbesondere die dort ausgestellten Nutzfahrzeuge
verdecke. Die Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 12 verneinte eine
solche Entschädigungspflicht (Entscheid vom 28. Januar 1982). Die Alfag AG
ficht diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Sie verlangt
unter anderem erneut die erwähnte Entschädigung von Fr. 600'000.--. Das
Bundesgericht beurteilt diese Frage in einem Teilentscheid vorweg. Es
verneint die Entschädigungspflicht ebenfalls und weist die Beschwerde in
diesem Punkt ab, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführerin verlangt den Betrag von Fr.
600'000.-- als Entschädigung für "entgehenden Reklameneffekt und
weitere Inkonvenienzen insbesondere für die Wertverminderung der
Restliegenschaft". Sie macht geltend, durch den Lärmschutzdamm werde die
Sicht zur N 13 genommen, was für sie einen Geschäftsverlust zur Folge
habe. Dabei beklagt sie sich nicht darüber, dass die Aussicht von ihrem
Grundstück auf die N 13 wegfalle, und es ist auch nicht ersichtlich,
welcher Wert diese Aussicht für ihr in der Industriezone gelegenes
Grundstück überhaupt haben könnte. Sie kann sich deshalb in diesem
Zusammenhang nicht auf BGE 100 Ib 190 ff. berufen, wo es um den Verlust
der Aussicht vom enteigneten Grundstück aus ging. Die Beschwerdeführerin
behauptet ferner mit Grund nicht, der Nachteil sei einzig durch die
Abtrennung des enteigneten Teils von der Restparzelle bedingt, etwa als
Folge der ungünstigen Form des ihr verbleibenden Teils der Liegenschaft.
Vielmehr macht sie geltend, die Sicht von der Nationalstrasse auf ihr
Grundstück sei nicht mehr gewährleistet. Die Benützer der N 13 könnten
die auf ihrem Areal ausgestellten Fahrzeuge und die dort angebrachten
Reklamehinweise nicht mehr sehen.

    b) Die Beschwerdeführerin behauptet mit Recht nicht, sie habe einen
Rechtsanspruch darauf, dass die Automobilisten, die das betreffende Stück
der N 13 befahren, freie Sicht auf ihr Ausstellungsareal hätten. Sie
anerkennt selber, dass es sich dabei bloss um einen faktischen
Vorteil handelt. Wie das Bundesgericht bereits in dem im angefochtenen
Entscheid erwähnten, nicht veröffentlichten Urteil Stock vom 30. Mai 1980
festgehalten hat, ist der Kanton als Werkeigentümer nicht verpflichtet,
die freie Sicht von der als Schnellverkehrsstrasse ausgestalteten N
13 auf eine Automobil-Ausstellung eines anliegenden Grundeigentümers
zu gewährleisten. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin spielt
es keine Rolle, dass in jenem Fall die Garage bereits vor dem Bau der
Nationalstrasse bestanden, sie aber ihren Betrieb erst nachträglich und
absichtlich längs der Nationalstrasse errichtete. Sie hat jedenfalls
keinen Rechtsanspruch auf Bestand des tatsächlichen Vorteils, der ihr
aus dieser Lage erwachsen ist. Dass ihr in dieser Hinsicht irgendwelche
spezielle Zusicherungen gemacht worden seien, behauptet sie nicht.

    c) Gemäss Art. 22 Abs. 2 des Enteignungsgesetzes ist bei einer
Teilenteignung auch derjenige Schaden zu berücksichtigen, der aus dem
Entzug oder der Beeinträchtigung solcher den Verkehrswert beeinflussender
Eigenschaften entsteht, die ohne die Enteignung aller Voraussicht
nach dem verbleibenden Teil erhalten geblieben wären. Danach ist unter
Umständen auch der Verlust eines faktischen Vorteils zu vergüten (BGE 98
Ib 207). Nach ständiger Rechtsprechung setzt aber eine Vergütung im Sinn
dieser Bestimmung voraus, dass zwischen dem Nachteil, den der Eigentümer
des Restgrundstücks erleidet, und der Enteignung des Grundstückteils
ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (BGE 106 Ib 386 E. 3 mit
Hinweisen). Ein solcher Kausalzusammenhang besteht im vorliegenden
Fall offensichtlich nicht. Der Verlust der Sicht von der N 13 auf das
Grundstück der Beschwerdeführerin ist zwar eine direkte Auswirkung des
Lärmschutzdamms, d.h. des öffentlichen Werks, für das die Enteignung
begehrt wurde; die Einbusse der Sicht ist aber nicht eine adäquate Folge
der Enteignung oder der Abtrennung des enteigneten Grundstückteils von der
Restparzelle. Eine ähnliche Wirkung wäre auch eingetreten, wenn der Kanton
eine Lärmschutzwand aufgestellt hätte, für welche eine Enteignung nicht
nötig gewesen wäre, oder wenn für die Errichtung des Damms die Fahrspur
verlegt worden wäre. Aus dem von der Beschwerdeführerin angeführten
Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts (ZBl 1969, S. 246) lässt sich
nichts anderes ableiten. Die Erwägungen jenes Entscheids decken sich mit
der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung.