Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 237



108 Ib 237

44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3.
August 1982 i.S. Gemeinde Flims gegen Conrad und Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Gemeindeautonomie. Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen.

    Das vorläufige, von der Bündner Regierung gestützt auf Art. 36 Abs. 2
RPG erlassene Ausführungsrecht regelt die Ausnahmen für Bauten und Anlagen
ausserhalb der Bauzonen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG abschliessend;
die Nichtanwendung strengeren kommunalen Rechts verletzt die Autonomie
der Gemeinden des Kantons Graubünden nicht.

Sachverhalt

    A.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies die Gemeinde
Flims in einem Rekursverfahren an, die Erweiterung einer Baute ausserhalb
der Bauzone im Sinne von Art. 24 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die
Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) zu bewilligen. Die Gemeinde Flims führt
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie
macht geltend, das Verwaltungsgericht habe in willkürlicher Weise das
einer Bewilligung entgegenstehende kommunale Baurecht nicht angewendet. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das
kantonale Recht dafür keine abschliessende Ordnung trifft, sondern diese
ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei
eine erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 104 Ia 44 E. 1;
103 Ia 479 E. 5 mit Hinweisen).

    b) Den Gemeinden des Kantons Graubünden steht, wie das Bundesgericht
schon vielfach festgestellt hat, auf dem Gebiet des öffentlichen
Baurechts ein weiter Spielraum freier Gestaltung zu, und zwar auch nach
Inkrafttreten des kantonalen Raumplanungsgesetzes (KRG) vom 20. Mai
1973 (BGE 104 Ia 126 E. 2b; 103 Ia 185 E. 2a; 100 Ia 204). Sie sind
auf diesem Gebiete somit weitgehend autonom. Demnach können sie mit
staatsrechtlicher Beschwerde beanstanden, die kantonale Behörde habe
im Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschritten, oder sie
sei bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen und bundesrechtlichen
Normen, welche den Autonombereich ordnen, in Willkür verfallen. Steht
Verfassungsrecht in Frage, so kann verlangt werden, dass die kantonale
Behörde dieses nicht unrichtig anwende oder auslege (BGE 104 Ia 126 f.,
138 E. 3a; 103 Ia 479 E. 5; nicht publiziertes Urteil vom 21. Oktober
1981 i.S. Gemeinde Trimmis, E. 3a).

    c) Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin wie erwähnt
geltend, das Verwaltungsgericht habe die Frage der Zulässigkeit
eines Bauvorhabens ausserhalb der Bauzone zu Unrecht nach kantonalem
Recht beurteilt; es sei aber allein Sache der Gemeinden, im Rahmen des
bundesrechtlich Zulässigen Vorschriften darüber zu erlassen, unter welchen
Voraussetzungen derartige Bauten zu bewilligen seien.

    Hat die Gemeinde Anspruch darauf, dass innerhalb ihres grundsätzlich
durch die Autonomie geschützten Tätigkeitsbereiches keine Normen in
willkürlicher Weise angewendet werden, so muss sie auch rügen können, es
seien in unhaltbarer Weise massgebende kommunale Vorschriften überhaupt
nicht berücksichtigt worden. Träfe der Standpunkt der Beschwerdeführerin
zu, so läge mithin eine klare Verletzung der Gemeindeautonomie vor.

Erwägung 4

    4.- a) Das angefochtene Urteil enthält Ausführungen über die Rechtslage
hinsichtlich des Bauens ausserhalb einer Bauzone, wie sie sich vor
dem Inkrafttreten des RPG darstellte. Die Fassung der entsprechenden
Bestimmungen des kantonalen Rechtes, nämlich der Art. 30 und 31 in
Verbindung mit Art. 4 KRG, ist nicht völlig eindeutig. Die Frage, ob es
unter der alleinigen Geltung des kantonalen Rechtes den Gemeinden erlaubt
war, das Bauen ausserhalb der Bauzonen von strengeren Voraussetzungen
abhängig zu machen als dies das KRG vorsieht, kann indessen offen bleiben,
da durch das Inkrafttreten des RPG eine neue Rechtslage geschaffen
worden ist.

    b) Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG setzt für die Erteilung einer
Baubewilligung voraus, dass die Bauten und Anlagen der Nutzungszone
entsprechen. Abweichend davon können Errichtung und Zweckänderung
von Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen nach Art. 24 Abs. 1 RPG
ausnahmsweise bewilligt werden, wenn deren Zweck einen Standort ausserhalb
der Bauzonen erfordert (lit. a) und keine überwiegenden Interessen
entgegenstehen (lit. b). Gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG kann das kantonale
Recht gestatten, "Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu ändern oder
wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung
vereinbar ist". Hinsichtlich der Zuständigkeit bestimmt Art. 36 Abs. 2
RPG, solange das kantonale Recht keine anderen Behörden bezeichne, seien
die Kantonsregierungen ermächtigt, vorläufige Regelungen zu treffen.

    In Anwendung dieser bundesrechtlichen Bestimmungen hat die
Regierung des Kantons Graubünden am 28. Januar 1980 eine "Verordnung über
Bewilligungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen und über Planungszonen"
(BAB) erlassen und sie rückwirkend auf den 1. Januar 1980 in Kraft gesetzt.

    Die Verordnung wurde hinsichtlich der Verfahrensvorschriften am
25. Mai 1981 revidiert, doch ist die neue Fassung erst am 1. Juni 1981
in Kraft getreten, so dass im vorliegenden Fall die ursprüngliche
Fassung massgebend war. Die Verordnung regelt die Voraussetzungen
und das Verfahren hinsichtlich des Bauens ausserhalb von Bauzonen im
einzelnen. Demnach bedürfen Bauten dieser Art einer Baubewilligung der
Gemeinde (Art. 1 BAB). Sie übermittelt ein Exemplar der Baubewilligung dem
Departement des Innern und der Volkswirtschaft, ohne dessen Zustimmung
eine Baubewilligung ausserhalb der Bauzonen nicht erteilt werden darf
(Art. 3 BAB). In materieller Hinsicht wird sodann bestimmt:

    "Die Erneuerung, die teilweise Änderung, wie Umbauten, Anbauten,

    Erweiterungen und teilweise Zweckänderungen, und der Wiederaufbau
nach Art.

    24 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung sind zulässig, wenn

    a) der bisherige Zustand im wesentlichen bestehen bleibt,

    b) die Umwelt und die geltende Grundordnung nach den Bestimmungen des
   kantonalen Raumplanungsgesetzes nicht beeinträchtigt werden,

    c) die Planungsgrundsätze nach Art. 3 des Bundesgesetzes über die

    Raumplanung beachtet werden" (Art. 5 Abs. 2 BAB).

    Steht dem Bauvorhaben weder eidgenössisches noch kantonales Recht
entgegen, so erteilt das Departement des Innern und der Volkswirtschaft
durch Verfügung seine Zustimmung (Art. 6 Abs. 1 BAB). Verletzt indessen das
Bauvorhaben Bestimmungen des eidgenössischen oder des kantonalen Rechtes,
so wird die Zustimmung verweigert (Art. 7 BAB).

    Es ist offensichtlich, dass diese ins einzelne gehende Regelung
der Voraussetzungen und des Verfahrens im Zusammenhang mit Gesuchen um
Bewilligungen zum Bauen ausserhalb einer Bauzone abschliessenden Charakter
beansprucht. Die Regierung wollte damit im Rahmen der neuen, sich von den
früheren Regelungen gemäss Gewässerschutzgesetz und BMR teilweise etwas
unterscheidenden bundesrechtlichen Regelung die nach Art. 24 Abs. 2 RPG
bestehende kantonale Zuständigkeit ausschöpfen und sowohl in materieller
wie in formeller Hinsicht für den Kanton einheitliches Recht schaffen.

    Die Beschwerdeführerin hält allerdings dafür, die Kantonsregierung
sei nicht ermächtigt, durch Verordnungsrecht geltendes Gesetzesrecht
abzuändern. Sie vertritt die Auffassung, die im kantonalen
Raumplanungsgesetz enthaltenen Delegationsbestimmungen gingen dem
BAB vor. Davon kann indessen keine Rede sein. Ein Hauptzweck des
eidgenössischen Raumplanungsgesetzes, das seit dem 1. Januar 1980 in Kraft
steht, ist es, Bauten ausserhalb der Bauzonen nur unter genau umschriebenen
Voraussetzungen zuzulassen. Es hat in dieser Hinsicht neues Recht
geschaffen, obschon sich die fraglichen Bestimmungen an die vorbestandenen
Regeln des Gewässerschutzrechtes und der BMR anlehnen. Art. 36 Abs. 2
RPG ermächtigt ausdrücklich die Kantonsregierungen, zur Ausführung des
Gesetzes vorläufige Regelungen zu treffen. Diese Bestimmung ist gemäss
Art. 113 Abs. 3 BV der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen. Die
in Art. 36 Abs. 2 RPG vorgesehenen provisorischen Regelungen müssen
notwendigerweise dem bisherigen Recht vorgehen, wenn die Durchsetzung
des RPG vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an gesichert sein soll. Dass
die Regierung des Kantons Graubünden ihre Zuständigkeit zum Erlass von
gesetzesvertretendem Übergangsrecht nicht überschritten hat, folgt im
übrigen aus Art. 14 BAB (= Art. 15 revBAB), der ausdrücklich bestimmt, die
Verordnung gelte nur bis zu ihrer Ablösung durch kantonales Gesetzesrecht.

    d) Dass das im BAB niedergelegte kantonale Recht - seine Gültigkeit
unter Ausschluss von Gemeinderecht vorausgesetzt - willkürlich angewendet
worden sei, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.