Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 231



108 Ib 231

44. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 31. August 1982 i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen X. und Y.
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Einsichtsrecht der Wehrsteuerbehörden in die Akten einer
Strafuntersuchung (Art. 90 WStB, Art. 47 BankG).

    1. Haben die Wehrsteuerbehörden aufgrund von konkreten Anhaltspunkten
einen begründeten Verdacht auf das Vorliegen steuerrechtswidriger
Tatbestände, so dürfen sie gestützt auf Art. 90 Abs. 1 WStB Einsicht
in die Akten einer laufenden Strafuntersuchung nehmen; unter diesen
Voraussetzungen verstossen sie nicht gegen das Verbot der Veranstaltung
allgemeiner Suchaktionen in behördlichen Akten (E. 2).

    2. Rechtslage bei Fällen, in welchen die Wehrsteuerbehörde auch die
in der Strafuntersuchung beschlagnahmten Bankakten einsehen will. Darf
die Steuerbehörde in Anwendung von Art. 90 Abs. 1 WStB auch Bankakten
einsehen, die sich auf Dritte beziehen, die nicht in die Strafuntersuchung
mit einbezogen sind? (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Nidwaldner Wehrsteuerbehörden erfuhren über Zeitungsmeldungen
von einem Strafverfahren gegen X. und Y. wegen verschiedenen
Unredlichkeiten, die die Beiden im Zusammenhang mit dem von ihnen
betriebenen Heizölhandel begangen haben sollen; im Laufe der Untersuchung
hat das Verhöramt Nidwalden verschiedene Bankkontoauszüge beschlagnahmt.

    Aufgrund von Zeitungsmeldungen entstand bei den Wehrsteuerbehörden
der Verdacht, dass die beiden Angeschuldigten eventuell auch
Steuerwiderhandlungen begangen haben könnten. Die Wehrsteuerverwaltung
wandte sich deshalb an die Untersuchungsbehörden und ersuchte diese, ihr
im Zusammenhang mit der Veranlagung der beiden Angeschuldigten Einsicht
in die Untersuchungsakten, insbesondere aber in die sichergestellten
Bankkontoauszüge zu gewähren.

    Mit Verfügung vom 12. März 1981 wies das Verhöramt Nidwalden das Gesuch
der kantonalen Wehrsteuerverwaltung ab. Auch die Kassationsabteilung des
Nidwaldner Obergerichtes, bei welcher die kantonale Wehrsteuerverwaltung
das erstinstanzliche Erkenntnis anfocht, verweigerte der Steuerbehörde
mit Entscheid vom 4. Februar 1982 die anbegehrte Einsichtnahme.

    Mit fristgemässer Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die
Eidgenössische Steuerverwaltung dem Bundesgericht:

    "Der angefochtene Entscheid des Obergerichtes des Kantons Nidwalden
   (Kassationsabteilung) sei aufzuheben und es sei den Wehrsteuerbehörden
   des

    Kantons Nidwalden und der Beschwerdeführerin zu gestatten, die
Akten der

    Strafuntersuchung gegen X. und Y. einzusehen.

    Insbesondere seien den Wehrsteuerbehörden des Kantons Nidwalden und des

    Bundes die beschlagnahmten Auszüge und sonstigen Akten über Bankkonten
mit
   ihrem detaillierten Inhalt zur Kenntnis zu bringen; alles unter

    Kostenfolge."

    Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Bundesrecht. Auf
ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen
eingegangen.

    Das kantonale Steueramt Nidwalden beantragt die Gutheissung der
Beschwerde. Dagegen beantragen X. und Y. sowie das Obergericht des
Kantons Nidwalden die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das Verhöramt Nidwalden hat das Akteneinsichtsgesuch der
kantonalen Wehrsteuerverwaltung vollumfänglich abgewiesen. Es hat der
Wehrsteuerverwaltung somit nicht nur die Einsicht in die beschlagnahmten
Bankakten, sondern auch in die übrigen Untersuchungsakten verweigert. Das
Dispositiv der zweiten kantonalen Instanz, des Obergerichtes, lautet
sodann: "Die Beschwerde wird abgewiesen." Daraus müsste an sich der
Schluss gezogen werden, auch das Obergericht habe der Wehrsteuerbehörde
die Akteneinsicht vollständig verweigern wollen. Andererseits hat das
Obergericht in Erwägung 3 seines Entscheides erklärt, die Steuerbehörde
könne sich direkt auf Art. 90 Abs. 1 WStB über die Akteneditionspflicht
der Gerichts- und Verwaltungsbehörden stützen, ohne vorgängig die
"übrigen Möglichkeiten gegenüber den Steuerpflichtigen und Dritten"
auszuschöpfen. In der Folge prüfte dann das Obergericht nur noch, welche
Gründe der Herausgabe der Bankakten entgegenstehen könnten. Mit keinem
Wort erläuterte es jedoch, aus welchen Gründen es auch die Einsicht
in die übrigen Untersuchungsakten verweigern wolle. Es muss daraus der
Schluss gezogen werden, dass das Dispositiv entweder auf einem Irrtum
beruht oder dass das Obergericht davon ausging, das Akteneinsichtsgesuch
in die übrigen Akten könne ohne Begründung abgewiesen werden; in beiden
Fällen ist der angefochtene Entscheid zu beanstanden.
   b) Art. 90 Abs. 1 WStB bestimmt:

    "Die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Bundes, der Kantone und

    Gemeinden haben, ungeachtet einer allfälligen Geheimhaltungspflicht,
der

    Veranlagungsbehörde auf deren Verlangen aus den amtlichen Registern
sowie
   aus sonstigen Akten, die für die Veranlagung eines Wehrsteuerpflichtigen
   von Bedeutung sein können, kostenlos Auskunft zu erteilen.

    Das Post- und Telegraphengeheimnis bleibt gewährleistet."

    Nach der Rechtsprechung verleiht Art. 90 Abs. 1 WStB den Steuerbehörden
keinen allgemeinen Konsultations- und Editionsanspruch von Akten anderer
Behörden. Den Wehrsteuerbehörden sind somit "allgemeine Suchaktionen"
verboten (vgl. den Entscheid des Bundesgerichtes vom 29. September
1978 E. 3b/cc i.S. Amministrazione cantonale dell'imposta per la
difesa nazionale del cantone Ticino, publiziert in ASA 48, S. 483,
deutsche Übersetzung in Steuer-Revue 1980, S. 373 ff.). Von einer
solchermassen verpönten Suchaktion in behördlichen Akten kann aber im
vorliegenden Fall keine Rede sein, stellten doch die Steuerbehörden
ihr Akteneinsichtsgesuch aufgrund eines konkreten Verdachtes: In
Zeitungsmeldungen war im Zusammenhang mit den, den Beschwerdegegnern
vorgeworfenen Straftaten unter anderem von einem "Schwarzkonto" die
Rede, auf welches die Angeschuldigten "in den Jahren 1976 und 1977
etwa 1,8 Mio. Franken einbezahlt" haben sollen. Weder das Verhöramt
Nidwalden noch die Vorinstanz machen geltend, dass diese Zeitungsberichte
haltlos seien; nur die Beschwerdegegner behaupten, die Zeitungsmeldung
habe "sich punkto Höhe der Einzahlungen an die Bank (als) nicht exakt"
erwiesen - sie unterlassen jedoch jede Substantiierung dieser Behauptung,
weshalb auf sie nicht eingegangen zu werden braucht. Aufgrund dieser
Meldungen mussten die Steuerbehörden aber einen massiven Verdacht auf
das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände haben. Dass schliesslich
das in Art. 90 Abs. 1 WStB vorbehaltene Post- und Telegraphengeheimnis
durch das Akteneinsichtsgesuch verletzt würde, wird zu Recht von keiner
Seite geltend gemacht. Es war daher nicht nur ein Recht, sondern eine
Pflicht der Steuerbehörden, die Sache näher zu untersuchen. Unter
diesen Umständen ist es unverständlich, weshalb der Steuerbehörde die
Akteneinsicht verweigert wurde. Gesonderte Betrachtungen sind allerdings
noch mit Bezug auf die beschlagnahmten Bankakten anzustellen. Hier kann
aber festgehalten werden, dass die Steuerbehörden jedenfalls berechtigt
sind, alle übrigen Untersuchungsakten einzusehen.

Erwägung 3

    3.- a) Wollen die Steuerbehörden in einem Veranlagungsverfahren
Bankakten eines Wehrsteuerpflichtigen einsehen, so haben sie sich nach
Art. 90 Abs. 5 WStB an den Pflichtigen selbst zu wenden; diesem gegenüber
hat die Bank zuhanden der Steuerbehörden "auf Verlangen eine Bescheinigung
über das gemeinsame Vertragsverhältnis und die beidseitigen Ansprüche
und Leistungen auszustellen." Unterlässt es der Steuerpflichtige,
die Bescheinigung nach Art. 90 Abs. 5 WStB beizubringen, so stehe der
Veranlagungsbehörde kein Zwangsmittel gegenüber dem Steuerpflichtigen
zur Verfügung, um ihn zur Herausgabe der anbegehrten Bankakten zu
veranlassen. Der Steuerbehörde bleibt jedoch in solchen Fällen die
Ermessenstaxation vorbehalten (Art. 92 WStB). Aufgrund des Bankgeheimnisses
kann die Steuerbehörde die strittigen Bankakten auch nicht direkt von
der Bank einfordern. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerbehörden ein
Steuerstrafverfahren wegen einfachen Steuerwiderhandlungen gegen den
Pflichtigen durchführen; solche Widerhandlungen sind gegeben, wenn der
Steuerpflichtige Verfahrensvorschriften nicht einhält (Art. 129 Abs. 2
lit. a WStB) oder wenn er dem Staate einen Wehrsteuerbetrag im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b WStB dadurch vorenthält, dass er Tatsachen, die
für den Bestand oder den Umfang der Wehrsteuerpflicht wesentlich sind,
verschweigt oder über sie vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Angaben
macht (BODMER/KLEINER/LUTZ, Kommentar zum Schweizerischen Bankgesetz, 2.
Nachlieferung 1982, N. 49 zu Art. 47 BankG; AUBERT/KERNEN/SCHÖNLE, Le
secret bancaire suisse, 2. A., Bern 1982, S. 147 ff., insbesondere S. 154
lit. cc).

    b) Der Schutz des Bankgeheimnisses versagt jedoch nach Lehre und Praxis
dann, wenn ein nach strafprozessualen Grundsätzen von den in Art. 133bis
WStB genannten Behörden zu verfolgender Steuer- oder Inventarbetrug im
Sinne von Art. 130bis WStB vorliegt. In solchen Fällen ist die Bank
zeugnis- und editionspflichtig, womit das in Art. 89 Abs. 2 und 90
Abs. 6 WStB vorbehaltene Berufsgeheimnis entfällt (BODMER/KLEINER/LUTZ,
aaO, N. 49 zu Art. 47 BankG; AUBERT/KERNEN/SCHÖNLE, aaO, S. 161). Das
Bankgeheimnis entfällt auch in gemeinrechtlichen Strafverfahren, wenn
nicht die anwendbare kantonale Strafprozessordnung wie etwa Art. 196
Abs. 1 des Code de procédure pénale vaudois vom 12. September 1967 das
Gegenteil anordnet: Falls eine Strafprozessordnung für Personen, welche
das Bankgeheimnis zu wahren haben, keine besonderen Regeln schafft,
haben sie als Zeugen auch über solche Tatsachen Aussagen zu machen, die
unter das Bankgeheimnis fallen und es können entsprechende Bankdokumente
mit Beschlag belegt werden. Das Bankgeheimnis entbindet demnach in
solchen Fällen weder von der Aussagepflicht, noch steht es prozessualen
Zwangsmassnahmen entgegen (BGE 95 I 444 E. 2b mit zahlreichen Hinweisen).

    In seinem bereits zitierten Entscheid vom 29. September 1978,
neuerdings bestätigt im Entscheid vom 15. Juli 1982 in Sachen Nadia
Andrino, hat das Bundesgericht ausserdem entschieden, dass die zuständige
Steuerbehörde gestützt auf Art. 90 Abs. 1 WStB unter Umständen sogar in
Bankakten Einsicht nehmen kann, die sich nicht nur auf den Angeschuldigten,
sondern auf Dritte beziehen. Findet nämlich die Steuerbehörde beim Studium
der Bankakten des Angeschuldigten belastende Indizien dafür, dass auch
Dritte, am Strafverfahren nicht beteiligte Personen Steuerwiderhandlungen
begangen haben, so kann die Steuerbehörde gestützt auf Art. 90 Abs. 1 WStB
die herausgegebenen Akten auch im Hinblick auf die Steuerbelange dieser
Dritten verwenden. Schliesslich kann die Steuerbehörde in Anwendung
von Art. 90 Abs. 1 WStB und unter der Voraussetzung, dass sie einen
konkreten Verdacht auf das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände
hat, Akten einer laufenden Strafuntersuchung auch dann einsehen, wenn
dies nicht für die Steuerbelange des Angeschuldigten geschehen soll,
sondern ausschliesslich im Hinblick auf die Steuerverhältnisse Dritter,
nicht direkt in das Strafverfahren verwickelter Personen: Akten, die
rechtmässig in den Besitz von Verwaltungs- und Gerichtsbehörden im
Sinne von Art. 90 Abs. 1 WStB gelangt sind, stehen dem Fiskus unter dem
Vorbehalt des Post- und Telegraphengeheimnisses sowie dem Verbot der
Veranstaltung "allgemeiner Suchaktionen" (daher das Erfordernis eines
konkreten Verdachts auf das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände)
generell zur Einsichtnahme zur Verfügung. Deshalb muss ein unredlicher
Steuerpflichtiger stets damit rechnen, dass ihn betreffende Tatsachen,
die Dritte, namentlich Banken, geheim halten müssten, ohne Fahrlässigkeit
seinerseits eines Tages zur Kenntnis der Steuerbehörden gelangen. Dieser
Umstand vermag jedoch an der klaren Rechtslage nichts zu ändern.

    Dieser Rechtslage stehen auch die in BGE 104 IV 125
ff. gemachten Erwägungen nicht entgegen: Bei jenem Fall ging es um
ein Akteneinsichtsersuchen gegenüber einer Bank und nicht gegenüber
einer Strafverfolgungsbehörde; diese Akten fielen daher unter das
Bankgeheimnis (Art. 90 Abs. 6 WStB i.V.m. Art. 47 BankG). Zu prüfen
war damals, inwieweit und gegenüber welchen Personen die zur Diskussion
stehenden strafbaren Handlungen die Durchbrechung des Bankgeheimnisses
rechtfertigten: Bei einem direkten Vorgehen gegen den Geheimnisträger,
die Bank, muss der Geheimnisschutz Dritter, nicht in das Strafverfahren
verwickelter Personen, gewahrt bleiben, würde sonst doch das Bankgeheimnis
überhaupt illusorisch. Sind die Akten aber rechtmässig in den Besitz
einer Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde gelangt, so braucht überhaupt
nicht mehr auf das Bankgeheimnis Rücksicht genommen zu werden, ist es
doch auf dieser Stufe auch gar nicht mehr geschützt (Art. 90 Abs. 1 WStB).