Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 130



108 Ib 130

24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 3. August 1982 i.S. Regierung des Kantons Graubünden gegen Mayer,
Gemeinde Maladers und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 24 Abs. 1 RPG; Standortgebundenheit einer Baute ausserhalb
der Bauzone.

    1. Vorgehen bei Prüfung der Frage, ob ein Bauvorhaben ausserhalb der
Bauzone bewilligt werden kann (E. 1).

    2. Erfordernis der Standortgebundenheit (gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. a
RPG) von Bauten, die der Landwirtschaft dienen und betrieblich notwendig
sind (E. 2).

    3. Für die Betreuung einer kleineren Schafherde bedarf es
keines längeren Verweilens auf der Alp und damit keiner besonderen
Übernachtungsmöglichkeit (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Albert Mayer, in Chur als Chauffeur und Magaziner tätig, ist
Eigentümer der 0,45 ha umfassenden Parzelle Nr. 76 auf etwa 1550 m
Höhe im Berggebiet von "Bargs" (Gemeinde Maladers), auf der er gemäss
Baubewilligung vom 2. Oktober 1975 eine Heubarge erstellt hat. Diese
dient der landwirtschaftlichen Nutzung der Parzelle sowie weiteren Landes,
welches Mayer langfristig gepachtet hat. Insgesamt steht ihm eine Fläche
von rund 2,45 ha Wiesland zur Verfügung, auf welcher er im Sommer und
Herbst etwa 25 Schafe hält. Er betreibt diese Tätigkeit nebenberuflich. Im
November 1976 stellte die Gemeinde fest, dass Albert Mayer von den
bewilligten Plänen abgewichen war, wofür sie ihn mit Fr. 2'000.--
büsste. Umbaubegehren, die er in den Jahren 1976-1978 einreichte,
wurden abgewiesen. Auf ein neues Gesuch vom 7. Juni 1979 für einen
Umbau der Heubarge in einen Schafstall und einen Unterkunftsraum trat
die Gemeinde nicht ein, doch hiess das Verwaltungsgericht einen Rekurs
Mayers gut und es verpflichtete die Gemeinde, das Gesuch materiell zu
behandeln. Diese leitete daraufhin das Baugesuch gemäss Art. 4 Abs. 1
der kantonalen Verordnung über Bewilligungen für Bauten ausserhalb der
Bauzonen vom 28. Januar 1980 (BAB) an das Departement des Innern und der
Volkswirtschaft weiter. Mit Verfügung vom 15. Juli 1980 verweigerte dieses
die Zustimmung. Dem entsprechend wies der Gemeindevorstand Maladers das
Baugesuch ab. Das Verwaltungsgericht hiess aber am 24. Juni 1981 einen
Rekurs Mayers gut, hob die Verfügung des Gemeindevorstandes auf und wies
die Sache im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde zurück. Es erachtete
die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 Abs. 1 RPG als erfüllt.

    Die Regierung des Kantons Graubünden verlangt gestützt auf Art. 34 RPG
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung dieses Entscheides. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Sowohl die Regierung als auch das Verwaltungsgericht und
der Beschwerdegegner gehen zu Recht davon aus, dass das umstrittene
Umbaubegehren nur mit Zustimmung des Departementes des Innern und der
Volkswirtschaft bewilligt werden kann, da es sich auf eine Baute ausserhalb
der Bauzonen bezieht. Auch bei einem solchen Bauvorhaben ist zunächst zu
prüfen, ob es zonenkonform ist. Erst wenn dies nicht zutrifft, stellt sich
die Frage, ob es als Ausnahme gestützt auf Art. 24 RPG bewilligt werden
kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob gestützt auf kantonales Recht, das
nach Art. 24 Abs. 2 RPG zur Anwendung gelangt, eine Bewilligung möglich ist
(BGE 107 Ib 236 E. 2; 108 Ib 54 E. 3b). Ist dies nicht der Fall, so ist
abzuklären, ob das Vorhaben aufgrund der abschliessenden bundesrechtlichen
Regelung nach Art. 24 Abs. 1 RPG zulässig ist (vgl. hiezu auch PETER
DILGER, Raumplanungsrecht der Schweiz, S. 238 f. und 249 ff., N. 39
und 73 ff. zu § 10; HEINZ AEMISEGGER, Leitfaden zum Raumplanungsgesetz,
S. 90 ff.; STEFANO GHIRINGHELLI, Le autorizzazioni eccezionali secondo
l'art. 24 LTP, Ziff. 4 und 5, zur Veröffentlichung vorgesehen in: Rivista
di diritto amministrativo ticinese, 1982; VIOLAINE SULLIGER-JACCOTTET,
Permis de construire et protection des eaux contre la pollution,
Diss. Lausanne 1980, S. 80 ff. und 88 ff.).

    b) Das Verwaltungsgericht geht in seinem Entscheid von dieser
Fragestellung aus. Dabei hat es das Bauvorhaben des Beschwerdegegners als
zonenwidrigen Bau beurteilt und demgemäss - offensichtlich zu Recht - nach
Art. 24 RPG behandelt. Keine Partei hat vor Bundesgericht die Anwendung
dieser Bestimmung im vorliegenden Fall grundsätzlich in Abrede gestellt.

    Die Parteien sind sich ferner mit dem Verwaltungsgericht darin
einig, dass das Vorhaben nicht aufgrund des gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG
erlassenen kantonalen Rechts bewilligt werden kann. Zwar geht es nicht um
die Errichtung eines Neubaus, wohl aber um einen Umbau und eine teilweise
Zweckänderung der Heubarge, deren Ausmass im Verhältnis zum bestehenden
Bau nicht als geringfügig bezeichnet werden kann, soll doch anstelle des
Heubodens ein Schlafraum mit Kochgelegenheit eingerichtet und damit die
Identität der Baute weitgehend verändert werden, sodass nicht gesagt
werden kann, der bisherige Zustand bleibe im Sinne von Art. 5 Abs. 4
lit. a BAB im wesentlichen erhalten (BGE 107 Ib 240 ff. E. 1b).

Erwägung 2

    2.- Das Erfordernis der Standortgebundenheit des Art. 24 Abs.  1 lit. a
RPG übernimmt die bisherige Ordnung des Art. 20 GSchG (Botschaft des
Bundesrates, BBl 1978 I 1008 zu Art. 24 des Gesetzesentwurfes). Diese
deckte sich mit Art. 4 Abs. 3 des Bundesbeschlusses über dringliche
Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 27. März 1972 (BMR). Die
Rechtsprechung des Bundesgerichts über das sachlich begründete Bedürfnis,
welches die Standortbedingtheit eines Vorhabens zu begründen vermochte,
ist daher nach wie vor wegleitend (unveröffentlichtes Urteil Ferrari vom
1. März 1982, E. 5c S. 9). Danach ist die Standortgebundenheit von Bauten,
die der Landwirtschaft dienen und betrieblich notwendig sind, grundsätzlich
anerkannt (BGE 103 Ib 112 ff., E. 2b; 102 Ib 70 E. 5b; Art. 27 Abs. 2
AGSchV in der bis Ende 1979 geltenden Fassung). Doch sind an die
Erfordernisse der Standortgebundenheit oder eines anderweitigen sachlich
gegebenen Bedürfnisses strenge Anforderungen zu stellen (Urteil Studer
vom 14. Februar 1979, ZBl 80/1979 E. 3 S. 311). Der landwirtschaftliche
Zweck darf nicht bloss Vorwand sein, um eine im Vordergrund stehende
Wohnnutzung zu realisieren, welche für die Bewirtschaftung des Bodens nicht
erforderlich ist. In Berggebieten ist namentlich zu vermeiden, dass Weiler
und Maiensässe zu Wochenend- und Ferienhauskomplexen umgestaltet werden.
Damit könnte das von der Gemeinde hervorgehobene berechtigte Anliegen,
eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung zu sichern, um der Vergandung
der Alpweiden entgegenzuwirken, nicht erreicht werden. Wo im Interesse
des Fremdenverkehrs oder allgemein zur Erholung der Bevölkerung Wochenend-
und Ferienhäuser zugelassen werden sollen, verlangt das verfassungsmässige
Gebot, eine zweckmässige Nutzung des Bodens und eine geordnete Besiedlung
des Landes sicherzustellen (Art. 22quater BV), dass entsprechende Zonen
in den Nutzungsplänen ausgeschieden werden.

    Anderseits ist die Standortbedingtheit einer betrieblich nötigen Baute
nicht nur dann zu bejahen, wenn die landwirtschaftliche Bewirtschaftung
hauptberuflich ausgeübt wird. Das Bundesgericht hat es als nicht
entscheidend bezeichnet, ob die Landwirtschaft im Haupt- oder im
Nebenberuf und ausschliesslich oder vorwiegend aus ökonomischen oder
ideellen Gründen betrieben wird (BGE 100 Ib 92 E. 5). Erforderlich ist
jedoch stets die Gebundenheit der Baute an einen bestimmten Standort aus
technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen. Wird in Berggebieten
ein Bau mit der landwirtschaftlichen Nutzung begründet, so muss er,
um als standortbedingt gelten zu können, der Alp- und Landwirtschaft
dienen und für deren Ausübung notwendig sein. Für Wohnräume hat dies das
Bundesgericht bejaht, wenn für die ordnungsgemässe Bewirtschaftung ein
längeres Verweilen der Bewirtschafter auf der Alp erforderlich ist und
diese von den Wohngebieten fern abliegt (BGE 102 Ib 70 E. 5b).

Erwägung 3

    3.- Die Regierung stellt nicht in Abrede, dass der Beschwerdegegner
schon seit mehreren Jahren Schafe (derzeit rund 25) hält und mit diesen
seine Parzelle sowie das dazugepachtete Land beweidet. Die Gemeinde
begrüsst diese Bewirtschaftung und hält sie für geeignet, der Vergandung
des Landes entgegenzuwirken. Ferner hat der Augenschein gezeigt, dass
das Berggebiet Bargs vom Dorf Maladers vor allem höhenmässig (600 m) weit
entfernt liegt und nur über einen steilen, schmalen Weg mit geländegängigen
Fahrzeugen zu erreichen ist, somit vom Wohngebiet fern abliegt.

    Die Regierung wendet aber ein, die Schafhaltung bedinge keine
Unterkunft auf der Alp selbst; die Sömmerung der Schafe sei auch ohne
die Verwirklichung des Bauvorhabens gewährleistet. Der Beschwerdegegner
erwidert, seine Schafe müssten täglich getränkt werden; auf Bargs gebe es
aber kein Wasser, weshalb er dieses jeweils mühsam herauftransportieren
müsse. Da er tagsüber in Chur arbeite, müsse er abends auf der Alp tätig
sein; damit sei er auch darauf angewiesen, dort oben nächtigen zu können.

    a) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die angestrebte
Zweckänderung ausnahmsweise zu bewilligen, weil "genügende Anhaltspunkte"
dafür vorliegen, dass der Beschwerdegegner "ernsthaft und dauernd
Landwirtschaft betreiben will"; eine "verbotene Zweckentfremdung" sei daher
nicht zu befürchten. Dieser Auffassung könnte entgegengehalten werden,
dass der Beschwerdegegner mit seinem ersten Baugesuch vom 9. November
1972 ausdrücklich ein "Wochenendhäuschen" erstellen wollte und dass
er die Schafhaltung auf Bargs erst 1975/76 aufgenommen hat. Weiter ist
darauf hinzuweisen, dass er nur 0,45 ha Land zu eigen hat und weitere 2 ha
unbefristet von einer Schwägerin dazu gepachtet hat; es wäre somit nicht
ausgeschlossen, dass er nach Erhalt der Baubewilligung die Pachtverträge
kündigen und die Schafhaltung wieder aufgeben könnte. Anderseits hat
die Instruktionskommission des Bundesgerichts am Augenschein aufgrund
des persönlichen Eindrucks die Überzeugung gewonnen, dass es dem
Beschwerdegegner mit der Weiterführung der Schafhaltung ernst ist und
eine Zweckentfremdung in absehbarer Zukunft kaum zu befürchten ist.

    Das Bundesgericht hat indessen über diese Frage keine Prognosen
anzustellen, denn die Standortgebundenheit eines Bauvorhabens darf
nicht nach den subjektiven Vorstellungen und den Wünschen eines
Einzelnen beurteilt werden. Mit Rücksicht auf die grosse Tragweite des
raumplanerischen Grundsatzes der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet sind
vielmehr - wie das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zum früheren
GSchG festgehalten hat - strenge objektive Massstäbe an die Voraussetzung
des sachlich begründeten Bedürfnisses bzw. der Standortgebundenheit zu
stellen (BGE 102 Ib 79 E. 4a und b).

    b) Nicht zu verkennen ist ferner die präjudizielle Bedeutung
des vorliegenden Falles. In den Jahren 1973, 1975 und 1976 wurde dem
Beschwerdegegner - unter der Herrschaft des BMR und der Art. 19 f. GSchG
in der früheren Fassung - die Erstellung von Unterkunfts- und Wohnräumen
auf seiner Parzelle Nr. 76 mangels eines sachlich begründeten Bedürfnisses
wiederholt verweigert. Wenn ihm nun heute bei im wesentlichen unveränderter
Sachlage das Bauvorhaben bewilligt würde, so liefe das auf eine largere
Auslegung des Erfordernisses der Standortbedingtheit hinaus, die - wie
in Erw. 2 dargelegt - vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. Zudem ist zu
beachten, dass in jüngerer Zeit vermehrt die freizeitmässige Schafhaltung
als Argument für die Errichtung von Wohnstätten ausserhalb der Bauzonen
vorgebracht wird (vgl. etwa das Urteil Surcuolm vom 11. November 1981
E. 3, in ZBl 83/1982 S. 94). In dieser Hinsicht drängt sich daher für die
Baubehörden grösste Zurückhaltung auf. Schliesslich ist noch anzuführen,
dass das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden im Urteil Iten vom
28. April 1982 allgemein erwogen hat, Schafe bedürften bekanntlich keiner
ständigen Überwachung, und periodische Kontrollen sowie Unterhaltsarbeiten
an den Zäunen und Pflegemassnahmen an den Tieren seien praktisch immer
vom Dorfgebiet aus möglich.

    c) Für den vorliegenden Fall ist massgeblich, dass das zweifellos
sachkundige Landwirtschaftsamt des Kantons Graubünden am 30. Juni 1980
festgehalten hat: "Für die Beweidung von ca. 2,5 ha Land mit ca. 25 Schafen
ist eine Wohnbaute kein Bedürfnis." In der Tat bilden 25 Schafen noch
keine bedeutende Herde und von einer eigentlichen Schafzucht kann nicht
gesprochen werden. Der Beschwerdegegner war zudem seit 1976 offenbar
ohne weiteres in der Lage, die Schafe auch während der dreimonatigen
Sömmerung vom Tal und vom Berggebiet selbst aus, wo er nach eigenen
Angaben ein Zimmer gemietet hat, zu betreuen. Auch am Augenschein haben
sich keine zwingenden sachlichen Gründe ergeben, aus denen er für eine
ordnungsgemässe Schafhaltung unbedingt auf seinem Grundstück länger
verweilen müsste. Der Arbeitsaufwand für die Haltung von wenigen Schafen,
die anspruchslos sind und auch bei schlechtem Wetter im Freien bleiben,
hält sich ohnehin in engen Grenzen. Der Beschwerdegegner wird in der
Regel die nötigen Arbeiten - wie Verlegen der Einfriedung und Tränken
der Tiere - auch in Zukunft vornehmen können, ohne dass dazu ein längerer
Aufenthalt und eine Übernachtung auf seinem Grundstück selbst nötig ist,
zumal er ja - wie erwähnt - immerhin in der Umgebung ein Zimmer mieten
konnte. Sollte ausnahmsweise die Betreuung der Schafe einmal einen
grösseren Aufwand erfordern, so ist ihm zuzumuten, eine besondere Lösung
zu suchen; zu denken wäre etwa an eine Abmachung mit Nachbarn, in deren
Stall ein erkranktes Tier untergebracht werden könnte.

    Die vom Beschwerdegegner hervorgehobene und am Augenschein erhärtete
Tatsache, dass das Wasser zur Tränkung der Schafe grösstenteils aus dem
Tal heraufgeführt werden muss, kann für den Entscheid nicht erheblich
sein, da auch eine Übernachtungsmöglichkeit auf Parzelle Nr. 76 an
diesem Wasserversorgungsproblem nichts ändert. Ungeachtet dessen, wo der
Beschwerdegegner übernachtet, muss er das nötige Wasser weiterhin von
Maladers auf die Alp hinaufführen.

    Ebensowenig ins Gewicht fallen darf der Umstand, dass der
Beschwerdegegner das strittige Bauvorhaben inzwischen bereits ausgeführt
hat. Auch wenn seiner Versicherung zu glauben ist, dass er keine vollendete
Tatsache habe schaffen wollen, so hat er doch auf sein eigenes Risiko die
Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Entscheides nicht abgewartet
(vgl. das zur Veröffentlichung im ZBl vorgesehene Urteil Ramseier vom
7. April 1982 E. 4).