Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 12



108 Ib 12

3. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. März
1982 i.S. X-Bank gegen Eidgenössische Steuerverwaltung
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    BG über die Stempelabgaben vom 27. Juni 1973.

    1. Die Umschreibung des Begriffes der steuerbaren Obligation im Sinne
von Art. 13 Abs. 2 lit. a StG obliegt der Rechtsprechung: Wie ist der
Begriff zu definieren (E. 2a)?

    2. Die von der Bundesrepublik Deutschland bei der X-Bank
vorgenommene Kreditaufnahme kann nicht einer steuerbaren
Obligationenanleihe gleichgesetzt werden. Ebensowenig können die von
der deutschen Bundesschuldenverwaltung aufgrund der Finanzoperation
ausgestellten Schuldscheine steuerbaren Kassenobligationen im Sinne des
Stempelabgabegesetzes gleichgesetzt werden: Das strittige Geschäft kam
unter besonderen und ausserordentlichen Umständen zustande, weshalb es
der Finanzoperation an der wesentlichsten Eigenschaft der steuerbaren
Kassenobligation, nämlich der gewohnheitsmässigen und kontinuierlichen
Ausgabe von Schuldurkunden, ermangelt (E. 2b).

    3. Vergütungszins für zu Unrecht erhobene Umsatzabgaben (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1976 gewährte die X-Bank der Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen, ein zu 6 3/4%
verzinsliches Darlehen in der Höhe von Y DM. Dieses Darlehen war am
2. August 1976 zum Auszahlungskurs von 100% an die Bundesrepublik
Deutschland zu überweisen und wurde am 2. März 1979 zur Rückzahlung
fällig. Der Vertragsschluss erfolgte telefonisch und wurde am 12. Juni
1976 fernschriftlich bestätigt.

    Vereinbarungsgemäss stellte sodann die deutsche
Bundesschuldenverwaltung am 10. August 1976 einen Schuldschein über Y DM
zugunsten der X-Bank aus. Darin wurde bestätigt, dass die Bundesrepublik
Deutschland der X-Bank aus Darlehen Y DM schulde.

    Anfangs März 1979 kamen die Vertragsparteien überein, das zur
Rückzahlung fällige Darlehen zu erneuern. Daraufhin wurde ein neuer auf
den 5. März 1979 datierter Schuldschein ausgestellt.

    Die X-Bank zedierte ihrerseits Teilbeträge ihrer Darlehensforderung
als stille (der Bundesrepublik nicht notifizierte) Unterbeteiligungen an
verschiedene weitere Banken. An der Finanzierung des Restbetrages haben
sich neben der Filiale Zürich verschiedene andere Filialen der X-Bank
sowie deren Generaldirektion beteiligt.

    Mit Inspektionsbefund vom 5. April 1979 forderte die Eidgenössische
Steuerverwaltung die X-Bank auf, für die Gewährung der beiden
Schuldscheindarlehen, Umsatzabgaben von insgesamt Z Franken zu entrichten.

    Die X-Bank überwies den geforderten Betrag. Gleichzeitig ersuchte
sie um Erlass einer begründeten und einsprachefähigen Verfügung.

    Mit Entscheid vom 12. Juni 1979 stellte die Eidgenössische
Steuerverwaltung fest, dass es sich bei den zwei durch die Bundesrepublik
Deutschland ausgestellten Schuldscheinen um ausländische Kassenobligationen
im Sinne von Art. 13 Abs. 2 lit. a und b des Bundesgesetzes über die
Stempelabgaben vom 27. Juni 1973 (StG; SR 641.10) handle und die X-Bank
für den Erwerb dieser Schuldscheine zu Recht die geltend gemachten
Umsatzabgaben entrichtet habe.

    Auf Einsprache hin bestätigte die Eidgenössische Steuerverwaltung
am 17. Januar 1980 die angefochtene Verfügung.

    Mit fristgerechter Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die X-Bank
dem Bundesgericht:

    1. Hauptantrag:

    a) Der angefochtene Einspracheentscheid sei aufzuheben für den

    Gesamtbetrag der veranlagten Umsatzabgaben (...).

    b) Die EStV sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin den am 17.

    April 1979 der EStV unter Vorbehalt bezahlten Abgabebetrag von

    Z Franken zurückzuerstatten, zuzüglich Vergütungszins von 6% seit
17. April

    1978.

    2. (...)

    Auf die einzelnen Vorbringen der Beschwerdeführerin wird, soweit
erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

    Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt die Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gegenstand der Umsatzabgabe ist nach Art. 13 Abs. 1 StG
die entgeltliche Übertragung von Eigentum an den in Art. 13 Abs. 2 StG
bezeichneten Urkunden, sofern eine der Vertragsparteien oder einer der
Vermittler inländischer Effektenhändler ist. Dass die Beschwerdeführerin
Effektenhändlerin im Sinne von Art. 13 Abs. 3 StG ist, ist offensichtlich
und unbestritten.

    b) Im Hauptstandpunkt vertritt die Beschwerdeführerin die Ansicht, die
von den Schweizer Grossbanken im allgemeinen und von der Beschwerdeführerin
im besonderen der Bundesrepublik Deutschland gewährten Schuldscheindarlehen
könnten nicht der Ausgabe von steuerbaren Kassenobligationen im Sinne
von Art. 13 Abs. 2 lit. a StG gleichgestellt werden. Obwohl das
Bundesgericht gemäss Art. 114 Abs. 1 OG nicht an die Begründung der
Parteibegehren gebunden ist und deshalb eine Beschwerde aus anderen als
den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen kann (BGE 107 Ib
90 E. 1), rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall, die Sachprüfung auf
den Hauptstandpunkt der Beschwerdeführerin zu beschränken, ist dieser
doch jedenfalls begründet.

Erwägung 2

    2.- a) Weder das alte (BS Band 6 S. 101 ff.) noch das neue BG über
die Stempelabgaben noch deren Vollziehungsverordnungen (BS Band 6 S. 134
ff. und SR 641.101) definieren den Begriff der Kassenobligation. Es
obliegt daher der Rechtsprechung, diesen Begriff zu umschreiben; dabei
kommt der diesbezüglichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum alten
Gesetz von 1917 noch volle Gültigkeit zu, geht doch der neue Erlass vom
gleichen Begriff der Kassenobligation aus (Entscheid des Bundesgerichtes
vom 13. Oktober 1978 in Steuer-Revue 34/1979 S. 176 E. 3a).

    Danach gelten als Obligationen, die der Stempelabgabe unterliegen,
schriftliche, auf feste Beträge lautende Schuldanerkennungen, die zum
Zwecke kollektiver Beschaffung von Leihkapital, zur Anlagegewährung oder
zur Konsolidierung von Verbindlichkeiten in einer Mehrzahl von Exemplaren
zu gleichartigen Bedingungen ausgegeben werden und den Gläubigern zu
Nachweisung, Geltendmachung oder Übertragung der Forderung dienen (BGE
73 I 123 E. 1, 71 I 393, 60 I 377). Obligationen kommen insbesondere
in der Form von Anleihensobligationen und Kassenobligationen vor.
Anleihensobligationen lauten auf Teilbeträge einer bestimmten
Anleihe; sie weisen einheitliche Bedingungen auf und kommen für je
eine Anleihe grundsätzlich gesamthaft zur Ausgabe. Kassenobligationen
werden einzeln ausgegeben und stellen nicht Teile eines zum voraus
festgelegten Anleihensbetrages dar. Um als Kassenobligationen zu
gelten, muss ihre Ausgabe aber kontinuierlich und gewohnheitsmässig
geschehen. Das Angebot für Kassenobligationen wird in der Regel an
ein allgemeines Publikum gerichtet. Im Gegensatz zu den einheitlichen
Bedingungen der Anleihensobligationen werden bei Kassenobligationen
die Bedingungen, als Folge der kontinuierlichen Ausgabe, von Zeit zu
Zeit leicht verändert (...). Wie die Anleihensobligationen sind auch
die Kassenobligationen Instrumente der kollektiven Mittelbeschaffung
oder der Anlagegewährung. Durch die verschiedenen genannten Merkmale
unterscheiden sich die Kassenobligationen von den nicht abgabepflichtigen
Einzelschuldscheinen. Diese enthalten insbesondere individuell
ausgehandelte Bedingungen und werden nicht im Rahmen einer kollektiven
Mittelbeschaffung oder Anlagegewährung ausgegeben (vgl. den Entscheid
vom 13. Oktober 1978, in Steuer-Revue Band 34/1979 S. 176 ff. E. 3a,
BGE 73 I 123 ff.; vgl. auch ALBISETTI, BODMER, BOENLE, GSELL, RUTSCHI,
Handbuch des Geldbank- und Börsenwesens der Schweiz, 3 A. 1977 S. 476 ff.;
vgl. im weiteren PETER JÄGGI, Zürcher Kommentar zum schweizerischen ZGB,
die Wertpapiere, ad art. 965 OR N. 289: "Die Kassenobligation dient wie
die Anleihensobligation der kollektiven Mittelbeschaffung, wird aber im
Gegensatz zu dieser in kontinuierlicher Emission einzeln ausgegeben und
zwar in der Regel von einer Bank").

    b) Unbestreitbar ist zunächst, dass die von der Bundesrepublik
Deutschland 1976 vorgenommene und 1979 erneuerte Kreditaufnahme nicht
einer steuerbaren Obligationenanleihe gleichgesetzt werden kann. Es
fragt sich dagegen, ob die Finanzoperation aufgrund derer die deutsche
Bundesschuldenverwaltung die beiden Schuldscheine ausstellte, steuerbaren
Kassenobligationen im Sinne des Stempelabgabegesetzes gleichgesetzt werden
muss oder ob sie als ein nicht der Stempelabgabe unterliegendes Geschäft
anzusehen ist.

    Die Sachlage des vorliegenden Falles zeigt, dass die strittige
Finanzoperation unter besonderen und ausserordentlichen Umständen
erfolgte, weshalb die beiden aufgrund des Kreditgeschäftes ausgestellten
Schuldscheine nicht den Kassenobligationen, deren Hauptmerkmal die
kontinuierliche, gewohnheitsmässige Ausgabe ist, gleichgesetzt werden
können.

    Es trifft zwar zu, dass sich die deutsche Bundesregierung wie auch
die Regierungen der deutschen Bundesländer zur Deckung ihrer staatlichen
Finanzbedürfnisse regelmässig an Investoren wenden, um gegen Ausgabe
von Schuldscheinen mit standardisiertem Text Gelder aufnehmen; wegen der
grossen Stückelung der einzelnen Schuldscheindarlehen, handelt es sich bei
den Investoren in der Regel um Banken und institutionelle Anleger. Aus den
von der Eidgenössischen Steuerverwaltung genannten Gründen, könnten solche
Schuldscheine daher steuerbaren Kassenobligation gleichgesetzt werden,
erfüllen sie doch deren wichtigste Merkmale (kollektive Mittelbeschaffung,
Anlagegewährung, kontinuierliche, gewohnheitsmässige Ausgabe).

    Das strittige Kreditgeschäft zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der X-Bank fällt aber offensichtlich nicht in den Rahmen einer solchen
regelmässigen Kapitalaufnahme. Ebensowenig vergleichbar ist das Geschäft
mit den sog. "Schuldscheindarlehen", die die Bundesrepublik Deutschland
regelmässig mit den Vereinigten Staaten von Amerika abschliesst. Gleich
wie die identischen Kreditgeschäfte der drei anderen Grossbanken mit
der Bundesrepublik Deutschland ist auch das zu beurteilende Geschäft
unter besonderen und aussergewöhnlichen, durch die Vermittlung der
Schweizerischen Nationalbank sowie der Deutschen Bundesbank zustande
gekommenen Bedingungen abgeschlossen worden. Das ergibt sich klar aus
den von der Beschwerdeführerin vorgelegten und vom Bundesgericht zu
berücksichtigenden Unterlagen (BGE 103 Ib 196 E. 4a). So hat insbesondere
der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank in einem
Schreiben an den Vertreter der Beschwerdeführerin über "die Vorgeschichte
und Hintergründe des im Jahre 1976 von vier schweizerischen Grossbanken
der Bundesrepublik Deutschland gewährten Kredites" nicht nur festgehalten,
dass das Geschäft "wegen des damals schwachen DM-Kurses gegenüber dem
Schweizerfranken" im eminenten Interesse der Nationalbank lag, weshalb
sie bereit war, den Banken Sonderkonditionen für die Kurssicherung
der benötigten Deutschen Mark einzuräumen, sondern auch ausdrücklich
bestätigt, dass es sich "um eine einmalige, ungewöhnliche, weil primär
währungspolitisch motivierte Operation" gehandelt habe; Versuche der
Banken, eine weitere Kreditoperation zu tätigen, seien gescheitert. Auch
der deutsche Bundesminister der Finanzen bestätigt, dass es sich bei den
bei Schweizer Banken aufgenommenen Schuldscheindarlehen um eine einmalige
Aktion, ein "Sondergeschäft" mit "währungspolitischem Hintergrund"
gehandelt habe. Die Aussergewöhnlichkeit des Geschäftes ergibt sich
schliesslich auch aus den bei den Akten liegenden Zeitungsartikeln.

    Die Eidgenössiche Steuerverwaltung zieht die von der Beschwerdeführerin
geltend gemachten besonderen Umstände des Geschäftes nicht in
Zweifel; nicht bestritten ist insbesondere auch die Richtigkeit der
von Dr. Leutwiler gemachten Angaben, der in seiner Eigenschaft als
Direktionspräsident der Schweizerischen Nationalbank selber an den dem
Geschäft zugrundeliegenden Verhandlungen teilnahm.

    Die Beschwerdeführerin hat den Nachweis, dass das strittige
Geschäft unter besonderen und ausserordentlichen Umständen zustande
kam, erbracht. Damit fällt es offensichtlich nicht in den Rahmen einer
gewohnheitsmässigen und kontinuierlichen Ausgabe von Schuldurkunden,
weshalb es der Finanzoperation an der wesentlichsten Eigenschaft, die
zum Begriff der steuerbaren Kassenobligation im Sinne von Art. 13 Abs. 2
lit. a bzw. lit. b gehört, ermangelt. Die erhobene Umsatzabgabe ist der
Beschwerdeführerin demzufolge zurückzuerstatten.

Erwägung 3

    3.- In analoger Anwendung von Art. 1 Abs. 1 der V über die Verzinsung
ausstehender Stempelabgaben vom 30. Oktober 1978 (SR 641.153) ist der
Vergütungszins auf der zu Unrecht erhobenen Steuer auf 5% jährlich
festzusetzen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung der
Eidgenössischen Steuerverwaltung wird aufgehoben.

    2. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat der Beschwerdeführerin
den bezahlten Abgabebetrag von Z Franken zurückzuerstatten, zuzüglich
Vergütungszins von 5% seit dem 17. April 1979.