Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 38



108 Ia 38

9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
19. Februar 1982 i.S. Progressive Organisationen der Schweiz, Sektion
Luzern-Stadt gegen Stadtrat von Luzern und Regierungsrat des Kantons Luzern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG; Ungültigerklärung einer kommunalen
Verwaltungsinitiative.

    1. Das Bundesgericht prüft die Auslegung kommunalen Rechts, welches
den Inhalt der politischen Rechte normiert oder mit diesem in engem
Zusammenhang steht, grundsätzlich frei (E. 2).

    2. Ungültigerklärung einer Verwaltungsinitiative, obwohl die
Gemeindeordnung der Stadt Luzern eine Regelung mit weitgehendem
Initiativrecht kennt (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Nach Art. 15 Abs. 1 der Gemeindeordnung der Stadt Luzern vom
7. Februar 1971 (Gemeindeordnung) können mindestens 1000 Stimmberechtigte
durch Initiative in Form der Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs
den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Beschlusses verlangen,
der in die Zuständigkeit der Stimmberechtigten oder des Grossen Stadtrates
fällt. Voranschlag und Höhe der Gemeindesteuer sind ausgenommen.

    Am 24. August 1979 reichten die Progressiven Organisationen der
Schweiz, Sektion Luzern-Stadt, 1092 gültige Unterschriften für ein
Initiativbegehren mit dem Titel "Südzubringer und Nordtangente vors Volk"
mit folgendem Wortlaut ein:

    "1. ...

    2. Der Grosse Stadtrat erlässt folgenden Beschluss: Es dürfen für die

    Nordtangente, den Südzubringer und die T2 keine Ausgaben, welche in die

    Kompetenz des Grossen Stadtrates fallen, gemacht werden, bevor das
Volk zu
   diesen Strassenprojekten - in Form von je einem Gesamt- oder
   Rahmenkredit

    - Stellung genommen hat."

    Mit Entscheid vom 24. Januar 1981 erklärte der Stadtrat von Luzern
die Initiative als ungültig. Zu Ziffer 2 des Initiativbegehrens wurde im
wesentlichen ausgeführt, mit einer Initiative könne nur ein Beschluss im
positiven Sinne verlangt werden. Die Gemeindeordnung habe rechtsverbindlich
festgelegt, wie weit die direkten Mitwirkungsrechte der Stimmberechtigten
reichen. Mittels einer Initiative könne der zuständigen Behörde nicht
der Erlass bestimmter Beschlüsse untersagt werden. Eine solche Initiative
würde im Widerspruch zum kantonalen Recht stehen. Der Regierungsrat des
Kantons Luzern schützte diesen Entscheid.

    Das Bundesgericht weist die gegen den Entscheid des Regierungsrates
erhobene Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Bei Stimmrechtsbeschwerden überprüft das Bundesgericht nicht
nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei,
sondern auch die Auslegung anderer kantonaler Vorschriften, welche den
Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem
Zusammenhang stehen. In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst es sich
jedoch der von der obersten kantonalen Behörde vertretenen Auslegung an
(BGE 105 Ia 82 E. 4 mit Hinweisen). Dies muss analog für die Auslegung
des kommunalen Rechts gelten, welches den Inhalt der politischen Rechte
normiert oder mit diesem in engem Zusammenhang steht.

Erwägung 3

    3.- Gegenstand des Initiativrechts kann nach Art. 15 Abs. 1 der
Gemeindeordnung der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines
Beschlusses sein, der in die Zuständigkeit der Stimmberechtigten
oder des Grossen Stadtrates fällt. Es handelt sich dabei um eine
Regelung mit weitestgehendem Initiativrecht, welche auch die sogenannte
Verwaltungsinitiative umfasst (zur Verwaltungsinitiative vgl. GIACOMETTI,
Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 525 ff.; KÖLZ, Die
kantonale Volksinitiative in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, in
ZBl 83/1982 S. 10 ff.; BACHER, Die Volksinitiative nach dem Recht des
Kantons Basel-Stadt, Diss. Basel 1953, S. 22).

    Bei der Initiative "Südzubringer und Nordtangente vors Volk" handelt
es sich um eine Verwaltungsinitiative. Sie verlangt vom Grossen Stadtrat
den Erlass eines Beschlusses, wonach für bestimmte Strassenprojekte
keine Ausgaben, welche in seine Kompetenz fallen, gemacht werden dürfen,
bevor das Volk zu diesen Strassenprojekten Stellung genommen hat. An sich
könnte der Grosse Stadtrat einen derartigen Beschluss fassen. Daher liegt
der Schluss nahe, die Initiative müsse zugelassen werden. Insbesondere
kann nicht argumentiert werden, die Initiative sei unzulässig, weil sie
einen negativen Beschluss des Grossen Stadtrates fordere, nämlich vor der
Durchführung der Volksabstimmung über je einen Gesamt- oder Rahmenkredit
für jedes der drei Bauvorhaben keine Teilkredite zu sprechen.

    Es spricht jedoch ein anderes Argument gegen die Vereinbarkeit
der Initiative mit der Gemeindeordnung. Durch die Initiative sollen
Ausgabenbeschlüsse betreffend bestimmte projektierte Strassen auf
jeden Fall der Volksabstimmung unterstellt werden, im Widerspruch
zu den Bestimmungen der Gemeindeordnung, wonach es im Ermessen des
Grossen Stadtrates liegt, zu beschliessen, wann er ausnahmsweise
Ausgabenbeschlüsse, die an sich dem obligatorischen oder fakultativen
Referendum nicht unterstehen, diesem unterstellen will (Art. 13 Abs. 2 und
14 Abs. 2 der Gemeindeordnung). Die Initiative entzieht also dem Grossen
Stadtrat ein Feld der freien Ermessensbetätigung, das die Gemeindeordnung
ihm einräumt. Wenn die Initianten eine solche Ausnahme zur geltenden
Gemeindeordnung verwirklichen wollten, hätten sie eine Initiative auf
Änderung der Gemeindeordnung einreichen müssen. Ein Wille der Initianten in
diesem Sinne die Gemeindeordnung durch eine Ausnahmebestimmung zu ergänzen,
kann jedoch aus dem Initiativtext nicht herausgelesen werden. Deshalb
hat der Regierungsrat die Initiative zu Recht für ungültig erklärt,
auch wenn die von ihm vorgebrachten Gründe nicht durchwegs zu überzeugen
vermögen. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen.