Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 286



108 Ia 286

54. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. August 1982 i.S.
G. AG gegen Rekurskommission des Kantons Solothurn und Steuerverwaltung
des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 87 und 89 Abs. 1 OG; Steuerveranlagung.

    Eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Entscheid
über die Festsetzung der Veranlagungsfaktoren für die kantonalen Steuern
ist, wenn die Steuerrechnung noch nicht vorliegt, verfrüht. Sie wird nicht
durch Nichteintreten erledigt, sondern ihre Behandlung wird ausgesetzt,
bis die Steuerrechnung vorliegt (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Die G. AG erhob am 15. Februar 1979 staatsrechtliche Beschwerde
gegen den Entscheid der Rekurskommission des Kantons Solothurn über die
Festsetzung der Steuerfaktoren für das Steuerjahr 1975. Die Steuerrechnung
wurde ihr erst am 28. Februar 1979 zugestellt. Das Bundesgericht tritt
auf die Beschwerde ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Im Wehrsteuerrecht nimmt das Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen den Rekursentscheid der
Wehrsteuerrekurskommission über die Veranlagungsfaktoren entgegen (Art. 112
i.V.m. Art. 108 bis 111 WStB), auch wenn der von der ursprünglichen
Veranlagung abweichende neue Steuerbetrag von der Rekurskommission noch
nicht berechnet und eröffnet wurde. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist daher einzutreten.

    b) Dagegen behandelt das Bundesgericht im staatsrechtlichen Verfahren
letztinstanzliche Entscheide, in denen nur die Steuerfaktoren festgelegt
werden, nicht als Endentscheide, weil der geschuldete Steuerbetrag
noch nicht feststeht (BGE 105 Ia 56, 93 I 452). Dies liegt auch im
Interesse der Steuerpflichtigen, für welche die Frist zur Anfechtung des
Entscheides nicht läuft, solange sie den genauen Steuerbetrag noch nicht
kennen. Anderseits soll nach Zustellung der Steuerrechnung das Verfahren
nicht kompliziert werden: Daher kann der Steuerpflichtige nach Erhalt
der Steuerrechnung sich zur Anfechtung der Steuerfaktoren direkt an
das Bundesgericht wenden, ohne nochmals die kantonalen Rechtsmittel zu
erschöpfen, sofern nur die angeblich verfassungswidrige Festlegung der
Steuerfaktoren gerügt wird (BGE 105 Ia 56, 98 Ia 155 E. 1, 93 I 453/4).

    An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Doch bleibt zu prüfen,
wie vorzugehen ist, wenn der Steuerpflichtige sofort nach Erhalt des
letztinstanzlichen kantonalen Entscheides, der nur die Steuerfaktoren
festlegt, also verfrüht, staatsrechtliche Beschwerde führt und dann nach
der - späteren - Zustellung der Steuerrechnung innert Frist nichts mehr
weiter vorkehrt. Würde die verfrühte Beschwerde durch Nichteintreten
erledigt, so würde der Beschwerdeführer leicht "zwischen Stuhl und
Bank fallen"; denn nach Erhalt des Nichteintretensentscheids bezüglich
der verfrühten Beschwerde wäre es oft zu spät, um noch fristgerecht im
Anschluss an die Steuerrechnung Beschwerde zu führen; der Beschwerdeführer
verlöre also den Rechtsschutz, den ihm das Gesetz und die erwähnte
Rechtsprechung gerade geben wollen. Die geschilderte Praxis würde sich
nicht zu seinen Gunsten, sondern zu seinem Nachteil auswirken.

    Deshalb ist das Bundesgericht schon bisher auf staatsrechtliche
Beschwerden gegen einen nur die Steuerfaktoren festlegenden
letztinstanzlichen kantonalen Instanz eingetreten, wenn der
Beschwerdeführer bereits zwischen dem Entscheiddatum und der Einreichung
der Beschwerde die Steuerrechnung erhalten hatte (BGE 98 Ia 154/5 E. 1). Es
rechtfertigt sich, noch einen Schritt weiter zu gehen und bei derartigen
verfrühten Beschwerden zunächst abzuklären, ob seit der Einreichung
der Beschwerde bereits eine neue Steuerrechnung zugestellt wurde, die
nicht angefochten worden ist. Ist dies der Fall, so ist die verfrühte
staatsrechtliche Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Entscheid über
die Steuerfaktoren an die Hand zu nehmen. Andernfalls ist ihre Behandlung
auszusetzen, bis die neue Steuerrechnung zugestellt ist und feststeht,
ob nur die Steuerfaktorenfestsetzung auf ihre Verfassungsmässigkeit zu
überprüfen ist, oder ob dies in einem Arbeitsgang zusammen mit einer neuen
Beschwerde gegen die Tarifanwendung (Steuerrechnung) geschehen kann. Bei
diesem Vorgehen werden die geschilderten Rechtsnachteile vermieden. Die
Situation ist vergleichbar mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen
einen kantonalen Erlass, welche vor der massgeblichen Publikation des
Erlasses eingereicht wird. Auch diese Beschwerden werden, obwohl verfrüht,
in ständiger Rechtsprechung entgegengenommen; doch bleibt das Verfahren
sistiert, bis die Publikation erfolgt ist (BGE 106 Ia 389 E. 1, 103 Ia
193/4 E. 1).

    Im vorliegenden Fall ist die Steuerrechnung bereits kurz nach der
Einreichung der Beschwerde, nämlich am 28. Februar 1979 zugestellt
und als solche nicht angefochten worden; auf die Beschwerde kann
deshalb eingetreten werden, obwohl der angefochtene Entscheid noch kein
Endentscheid war; - freilich nur soweit, als damit nicht mehr als die
Aufhebung des Urteils der kantonalen Rekurskommission beantragt wird, weil
die staatsrechtliche Beschwerde - abgesehen von hier nicht zutreffenden
Ausnahmen - grundsätzlich rein kassatorischer Natur ist (BGE 107 Ia 207
E. 1b, 219 E. 1b; 105 Ia 28 E. 1 mit Hinweisen).