Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 264



108 Ia 264

49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
Oktober 1982 i.S. Wagner und evangelische Kirchgemeinde Roggwil gegen
evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 88 OG, Legitimation; Art. 4 BV und Gemeindeautonomie,
Nichtgenehmigung einer Pfarrwahl.

    Legitimation eines Geistlichen zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen
die Verweigerung der Genehmigung seiner Wahl zum Pfarrer der Kirchgemeinde
(E. 3a). Befugnis der Kirchgemeinde, gegen den Entscheid der kirchlichen
Oberbehörde Beschwerde wegen Autonomieverletzung zu führen (E. 3b).

    Autonomie der thurgauischen Kirchgemeinden auf dem Gebiet der Pfarrwahl
(E. 8). Wahl eines ausländischen Pfarrers durch eine Kirchgemeinde, die
gestützt auf eine Vorschrift des Organisationsgesetzes der evangelischen
Landeskirche des Kantons Thurgau betreffend Gewährung des Stimm-
und Wahlrechts an Ausländer in Gemeindeangelegenheiten die passive
Wahlberechtigung für ausländische Pfarrer eingeführt hatte. Keine
Verletzung der Autonomie der Kirchgemeinde, wenn der Evangelische
Kirchenrat des Kantons Thurgau diese Wahl nicht genehmigte (E. 9).

Sachverhalt

    A.- Die Kirchenvorsteherschaft der evangelischen Kirchgemeinde
Roggwil/TG brachte dem Kirchenrat der evangelischen Landeskirche des
Kantons Thurgau mit Schreiben vom 29. Mai 1981 zur Kenntnis, sie werde
die Kirchbürger auf den 21. Juni 1981 zu einer ausserordentlichen
Kirchgemeindeversammlung einladen und folgende Anträge stellen:

    1."Die evangelische Kirchgemeinde Roggwil/TG verleiht, gestützt auf
   die Bestimmungen von § 6 Abs. 3 des Organisationsgesetzes der
   evangelischen

    Landeskirche des Kantons Thurgau, den ausländischen, ordinierten
Pfarrern
   die passive Wahlfähigkeit."

    2."Pfarrer Klaus Joachim Wagner, geb. 8. September 1939, deutscher

    Staatsangehöriger (urspr. von Siebenbürgen/Rumänien), derzeit
Pfarrer in

    Wil/SG, wird als Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinde Roggwil/TG mit

    Amtsantritt per 15. Oktober 1981 gewählt."

    Mit Antwortschreiben vom 17. Juni 1981 an die Kirchenvorsteherschaft
Roggwil stellte der Evangelische Kirchenrat fest, ein Pfarrer bekleide
ein öffentliches Amt, weshalb nach dem kantonalen Gesetz über Wahlen und
Abstimmungen nur Schweizerbürger wählbar seien. Zwar habe die Landeskirche
den Kirchgemeinden mit § 6 Abs. 3 des Organisationsgesetzes die Möglichkeit
gegeben, für Gemeindeangelegenheiten das Stimm- und Wahlrecht in vollem
oder beschränktem Umfange auch den evangelischen Ausländern zu geben. Es
sei aber nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, diese Bestimmung
auf die Wahl eines Pfarrers anzuwenden. Es käme einer willkürlichen
Anwendung des Organisationsgesetzes gleich, wenn eine Kirchgemeinde
einer einzigen Person oder einer Personengruppe ohne Schweizerbürgerrecht
das Stimm- und Wahlrecht zuerkennen würde. Ein ordinierter Pfarrer ohne
Schweizerbürgerrecht könne vom Kirchenrat als Verweser oder Pfarrvikar
gewählt und in einer Kirchgemeinde vollumfänglich wie ein Pfarrer
eingesetzt werden.

    Die Kirchenvorsteherschaft Roggwil beharrte auf ihrem
Standpunkt und unterbreitete einer auf den 28. Juni 1981 einberufenen
Kirchbürgerversammlung die im Schreiben vom 29. Mai 1981 an den Kirchenrat
angekündigten Anträge. Beide Anträge wurden von der Versammlung mit
150 Stimmen ohne Gegenstimme angenommen. Mit Schreiben vom 10. Juli 1981
ersuchte die Kirchenvorsteherschaft der Gemeinde Roggwil den Kirchenrat
um Genehmigung der Wahl von Pfarrer Klaus J. Wagner.

    Am 12. August 1981 verfügte der Evangelische Kirchenrat des Kantons
Thurgau, Pfarrer Klaus J. Wagner werde als Pfarrvikar der evangelischen
Kirchgemeinde Roggwil ernannt.

    Pfarrer Klaus J. Wagner und die evangelische Kirchgemeinde Roggwil
erheben gegen diese Verfügung des Kirchenrates staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung der Gemeindeautonomie, und des Art. 4 BV.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 84 Abs. 1 OG kann gegen kantonale Erlasse und Verfügungen
(Entscheide) staatsrechtliche Beschwerde geführt werden. Gegenstand
der Beschwerde können nur Hoheitsakte bilden, die von einer kantonalen
Behörde ausgehen und auf kantonaler Herrschaftsgewalt beruhen (Birchmeier,
Bundesrechtspflege, S. 310; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde,
4. Auflage, N. 134 und 135, S. 87). Zu den anfechtbaren kantonalen
Hoheitsakten gehören auch Erlasse und Verfügungen, welche von kantonalen
Selbstverwaltungskörpern, also von Gemeinden und kirchlichen Behörden
ausgehen, und sogar solche von Privaten, wenn diese vom Kanton mit
hoheitlicher Gewalt ausgestattet worden sind (BIRCHMEIER, aaO, S. 310/11;
MARTI, aaO, N. 139, S. 88; BGE 105 Ia 278 E. 1b, 104 Ia 174 E. 2a,
103 Ia 551 E. 5c, 95 I 339 E. 1).

    § 17 Abs. 3 der Verfassung des Kantons Thurgau (KV) gesteht der
evangelischen und der katholischen Landeskirche sowie auch andern
Religionsgenossenschaften innerhalb der Schranken der staatlichen Ordnung
das freie Selbstkonstituierungsrecht zu. Nach § 56 Abs. 1 KV ordnen die
evangelische und die katholische Landeskirche ihre Kultusverhältnisse
selbständig, in gemischt staatlich-kirchlichen Dingen jedoch unter der
Oberaufsicht und unter Vorbehalt der Genehmigung des Staates. Durch
diese Verfassungsnormen erlangt die Landeskirche öffentlichrechtliche
Anerkennung, sie wird somit, wie gesagt wird, zu einer "Potenz des
öffentlichen Rechts" (JOHANNES GEORG FUCHS, Zum Verhältnis von Kirche
und Staat in der Schweiz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und
Kirche, Aschendorff 1971, Bd. 5, S. 134). Die evangelische Landeskirche
des Kantons Thurgau hat sich durch konfessionelle Volksabstimmung
ein Organisationsgesetz (im folgenden als KOG bezeichnet) gegeben,
nach welchem sie ihre Angelegenheiten innerhalb der ihr durch die
Staatsverfassung gesetzten Schranken selbständig ordnet und verwaltet (§
2). Sie ist demnach klarerweise eine kantonale Körperschaft und Inhaberin
obrigkeitlicher Gewalt. Die Verfügung des Kirchenrates der evangelischen
Landeskirche stellt daher einen mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss
Art. 84 Abs. 1 OG anfechtbaren kantonalen Hoheitsakt dar.

Erwägung 3

    3.- a) Der Kirchenrat bestreitet, dass Pfarrer Klaus J.  Wagner zur
staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert sei. Er macht geltend, Pfarrer
Wagner habe an seiner Wahl kein rechtlich geschütztes Interesse im
Sinne der bundesgerichtlichen Praxis zu Art. 88 OG und sei daher
durch die Verfügung des Kirchenrates nicht in seiner Rechtsstellung
betroffen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Es trifft zwar zu,
dass das Bundesgericht in einem Urteil vom 22. Juni 1972 (BGE 98 Ia 654)
das Interesse eines nicht gewählten Bewerbers an der Wahl und an der
Einhaltung des gesetzlichen Wahlverfahrens als ein bloss tatsächliches
bezeichnet und in einem späteren Fall (BGE 105 Ia 271 ff.) ausgeführt hat,
die Nichtwiederwahl eines Beamten greife, falls kein Rechtsanspruch auf
Wiederwahl bestehe, nicht in rechtlich geschützte Interessen des Beamten
ein, weshalb diesem die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde
fehle. Im hier zu beurteilenden Fall liegt aber eine wesentlich andere
Situation vor: Klaus J. Wagner ist von der Kirchgemeinde Roggwil als
Pfarrer gewählt worden, wodurch ihm - vorbehältlich der Genehmigung
durch den Kirchenrat - eine Rechtsstellung eingeräumt worden ist. Er hat
somit an der Beurteilung der Frage, ob diese Wahl rechtmässig erfolgt
ist und ob der Kirchenrat die Genehmigung verweigern durfte, nicht nur
ein tatsächliches, sondern ein rechtlich geschütztes Interesse. Seine
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ist daher zu bejahen.

    b) Dass eine Kirchgemeinde befugt ist, wegen Verletzung ihrer
Autonomie staatsrechtliche Beschwerde zu erheben, hat das Bundesgericht
wiederholt festgestellt (BGE 108 Ia 84; Urteil vom 25. Juni 1980
i.S. evangelische Kirchgemeinde Davos-Platz, E. 1 mit Hinweisen). Zwar
wurde in jenen Fällen die Gemeindeautonomie gegenüber staatlichen,
nicht gegenüber kirchlichen Oberbehörden eines Kantons angerufen. Dies
kann aber keine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Ist der
Hoheitsakt der kantonalen kirchlichen Oberbehörde grundsätzlich mit
staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar und wird die Kirchgemeinde
dadurch in ihrer Eigenschaft als Trägerin öffentlicher Gewalt berührt,
so muss die Legitimation zur Autonomiebeschwerde bejaht werden, da die
Kirchgemeinde sonst schutzlos dem Übergriff einer kirchlichen Oberbehörde
ausgeliefert wäre. Diese Voraussetzungen treffen hier zu, weshalb auch
die Kirchgemeinde Roggwil zur Beschwerdeführung berechtigt ist.

Erwägung 5

    5.- Der Kirchenrat macht geltend, die Beschwerdeführer hätten die
Beschwerdefrist versäumt. Das Schreiben vom 17. Juni 1981 habe einen
Grundsatzentscheid darüber, dass die Wahl eines ausländischen Pfarrers
nicht zulässig sei, enthalten und hätte innert 30 Tagen angefochten werden
müssen. Die sekundäre Verfügung vom 12. August 1981 habe nicht mehr mit
der Begründung angefochten werden können, die vorangehende Anordnung sei
rechtswidrig gewesen.

    Diese Auffassung ist indessen verfehlt. Der Brief des Kirchenrates
an die Gemeindevorsteherschaft vom 17. Juni 1981 enthielt eine
Meinungsäusserung zu rechtlichen Fragen, stellte aber keine Verfügung
dar. Blosse Ansichtsäusserungen oder Empfehlungen von Behörden sind keine
anfechtbaren Hoheitsakte (MARTI, aaO, N. 137, S. 87; BIRCHMEIER, aaO,
S. 318 oben). Dem Schreiben des Kirchenrates vom 17. Juni 1981 fehlte die
für eine Verfügung charakteristische Verbindlichkeit. Die Kirchgemeinde war
durch das Schreiben nicht gehindert, über die vom Kirchenrat als unzulässig
erachteten Anträge abzustimmen. Der Kirchenrat hat denn auch mit Recht
erst seine Anordnung vom 12. August 1981 als Verfügung bezeichnet. Die
Kirchgemeinde und Pfarrer Wagner haben gegen diese Verfügung rechtzeitig
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.

Erwägung 7

    7.- Die Beschwerdeführer beklagen sich über eine Verletzung ihres
Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil die Verfügung des Kirchenrates
keine Begründung enthalte. Wohl trifft es zu, dass in der Verfügung
nicht dargelegt wird, weshalb Klaus J. Wagner lediglich als Pfarrvikar
der Kirchgemeinde Roggwil ernannt und damit stillschweigend seiner
Wahl zum Pfarrer der Gemeinde die Genehmigung verweigert wird. Die
Rechtsauffassung des Kirchenrates, welche zu dieser Verfügung führte,
war aber der Kirchgemeinde schon mit dem Schreiben vom 17. Juni 1981
ausführlich bekanntgegeben worden. Die Beschwerdeführer waren daher
über die Erwägungen, welche der angefochtenen Verfügung zugrunde lagen,
bereits im Bilde. Dass diese Erwägungen nicht in der Verfügung selbst
nochmals wiedergegeben wurden, hinderte die Beschwerdeführer keineswegs
daran, ihre staatsrechtliche Beschwerde sachgemäss zu begründen. Das
Fehlen einer Begründung in der Verfügung selbst bedeutete deshalb für die
Beschwerdeführer keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör
(BGE 98 Ia 464 f. E. 5a, 96 I 723 f. E. 5).

Erwägung 8

    8.- Die Kirchgemeinde Roggwil behauptet, es verletze ihre Autonomie,
dass der Kirchenrat die Wahl von Pfarrer Klaus J. Wagner nicht genehmigt
habe. Auch Pfarrer Wagner macht - neben einer Missachtung des Art. 4
BV - hilfsweise eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend, wozu er
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung berechtigt ist (BGE 107 Ia
96, 105 Ia 48 E. 2). Es ist zu prüfen, ob der Kirchgemeinde bezüglich
der Wahl des Pfarrers nach den Vorschriften des kantonalen Rechts eine
relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt (BGE 108 Ia 86 E. 2
mit Hinweisen).

    Gemäss § 21 Abs. 2 KV geschieht die definitive Anstellung der
Geistlichen in der Regel auf Lebenszeit, doch sind die Wahlgemeinden
berechtigt, sie jederzeit abzuberufen. Die Verfassung geht damit
stillschweigend von der Wahlberechtigung der Kirchgemeinden aus. Diese
ergibt sich sodann aus dem Gesetz betreffend die Besetzung der erledigten
Pfarrstellen. Nach § 1 dieses Gesetzes erfolgt die Besetzung einer
erledigten Pfarrstelle an einer Kirchgemeinde durch die freie Wahl der
Kirchgemeinde aus den für den Kanton wahlfähigen Geistlichen, entweder
im Wege freier Berufung oder durch Ausschreibung der Stelle. Die Wahl
der Pfarrer der evangelischen Landeskirche wird im KOG geregelt. Gemäss
§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 KOG sind die Kirchgemeinden befugt, die Pfarrer zu
wählen und abzuberufen. Die Wahl ist geheim vorzunehmen (§ 7 Abs. 2 KOG),
und sie unterliegt der Genehmigung des Kirchenrates (§ 7 Abs. 3 KOG).

    Nach dieser Regelung kann die Kirchgemeinde einen Pfarrer frei aus der
Zahl der wahlfähigen Bewerber wählen. Es steht ihr damit auf dem Gebiet
der Pfarrwahl eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zu. Dass die
Wahl der Pfarrer der Genehmigung durch den Kirchenrat bedarf, schliesst die
Autonomie der Kirchgemeinde nicht aus. Nach dem Umfang der Kontrollbefugnis
des Kirchenrates bestimmt sich indessen, wann die Autonomie der Gemeinde
verletzt ist (BGE 104 Ia 138 E. 3a, 102 Ia 170 E. 2d, 101 Ia 261 E. 2). Ob
der Kirchenrat die Wahl eines Pfarrers nur auf ihre Gesetzmässigkeit
hin überprüfen kann oder ob ihm auch eine Ermessenskontrolle zusteht,
kann jedoch offen bleiben, denn der Kirchenrat hat im vorliegenden Fall
die Verweigerung der Genehmigung mit einer Rechtsverletzung begründet
und keine Ermessenskontrolle vorgenommen. Ist nach dem Gesagten die
Kirchgemeinde Roggwil auf dem Gebiet der Pfarrwahl autonom, so kann
sie mit staatsrechtlicher Beschwerde vorbringen, der Kirchenrat habe
die Genehmigung der Wahl von Pfarrer Wagner zu Unrecht abgelehnt und sie
dadurch in ihrer Autonomie verletzt. Da es bei der Beurteilung der Frage,
ob die Kirchgemeinde befugt war, ordinierten ausländischen Pfarrern
das passive Wahlrecht zu erteilen und gestützt darauf den deutschen
Staatsangehörigen Klaus J. Wagner als Pfarrer zu wählen, nicht um die
Auslegung und Anwendung von Normen des eidgenössischen oder kantonalen
Verfassungsrechts geht, ist der angefochtene Entscheid nur unter dem
Gesichtspunkt der Willkür zu überprüfen (BGE 108 Ia 87 E. 3a, 106 Ia 208
E. 3a mit Hinweisen).

Erwägung 9

    9.- Die Beschwerdeführer halten die Kirchgemeinde aufgrund von § 6
Abs. 3 KOG für befugt, ausländischen Pfarrern die passive Wahlberechtigung
zu verleihen. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

    "Den einzelnen Kirchgemeinden steht es frei, für

    Gemeindeangelegenheiten das Stimm- und Wahlrecht in vollem oder
   beschränktem Umfange auch den evangelischen Ausländerinnen und
   Ausländern zu gewähren."

    Der Kirchenrat ist der Auffassung, diese Bestimmung habe
nicht den Sinn, dass einzelnen Personen oder Personengruppen ohne
Schweizerbürgerrecht das Stimm- oder Wahlrecht zuerkannt werden dürfe. Er
erklärt, aus ihrer Entstehungsgeschichte, welche in der Vernehmlassung
des Kirchenrates einlässlich dargestellt wird, ergebe sich deutlich,
dass es bei der Diskussion um das kirchliche Ausländerstimmrecht um eine
ganze Bevölkerungsgruppe gegangen sei. An die Privilegierung Einzelner
oder kleiner Einzelgruppen sei nie gedacht worden. Auch finde sich keine
Andeutung, dass das passive Wahlrecht ohne aktives Stimm- und Wahlrecht
gewährt werden könnte. Es verstosse deshalb gegen den Gedanken der
Einführung des Ausländerstimmrechts und dessen gesetzgeberische Ordnung
in § 6 Abs. 3 KOG, dass durch den Beschluss der Kirchbürgerversammlung
Roggwil das passive Wahlrecht nur bestimmten Ausländern gewährt worden sei.

    Die Beschwerdeführer begründen ihren entgegengesetzten Standpunkt
hauptsächlich damit, die Kirchgemeindeversammlung wähle ausser dem Pfarrer
nur die Kirchenvorsteherschaft, weshalb die Erteilung der passiven
Wahlfähigkeit an einen Berufsstand die einzige Alternative (offenbar
gegenüber dem unbeschränkten Wahlrecht) sei. § 6 Abs. 3 KOG stipuliere eine
klare Abkehr von den beim Ausländerstimm- und -wahlrecht unbeweglichen
Rechtsnormen des Kantons. Mit diesen Ausführungen werden aber die vom
Kirchenrat ins Feld geführten Argumente gegen die Erteilung nur eines
beschränkten passiven Wahlrechts an einen engen Personenkreis nicht
entkräftet. Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass das passive Wahlrecht
ohne aktives Stimm- und Wahlrecht erteilt wird. Vor allem aber erweckt
die Erteilung eines nur auf das Pfarramt beschränkten passiven Wahlrechts
an einen eng begrenzten Kreis von Ausländern gestützt auf § 6 Abs. 3 KOG
Bedenken. Es scheint, dass mit der Erteilung des passiven Wahlrechts
an ausländische Pfarrer nicht bezweckt wurde, das Ausländerstimm- und
-wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten einzuführen, sondern die kantonalen
Vorschriften über die Wählbarkeit ins Pfarramt für die Kirchgemeinde
Roggwil ausser Kraft zu setzen. Dass dies nicht dem Sinn des § 6 Abs. 3 KOG
entsprechen kann, ergibt sich nicht nur aus der Entstehungsgeschichte der
Vorschrift, sondern insbesondere auch aus den Ausführungen des Kirchenrates
über die öffentlichen und landeskirchlichen Funktionen des Pfarrers.

    Nach § 1 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen sind nur
Schweizerbürger beiderlei Geschlechts in öffentliche Ämter wählbar.
Dass es sich beim Pfarramt um ein öffentliches Amt handelt, leitet der
Kirchenrat aus folgenden Bestimmungen ab: Aus § 1 des Gesetzes betreffend
die Besetzung der erledigten Pfarrstellen, wonach die Kirchgemeinden die
Pfarrer aus den für den Kanton wahlfähigen Geistlichen zu wählen haben;
aus den §§ 48-50 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen, welche
die Abberufung der Geistlichen regeln; aus den §§ 1, 2 und 16 ff. des
Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Gemeinwesen, Behördemitglieder
und Beamten, wonach auch die Pfarrer dem Verantwortlichkeitsgesetz
und dessen Disziplinarordnung unterstehen, und aus den §§ 1 und 3 des
Gesetzes betreffend die staatsbürgerliche Stellung der Kirchgemeinden
und die ökonomische Ausstattung der Pfarrpfründen des Kantons, wonach die
Kirchgemeinden als für die Besoldung der Geistlichen verantwortlich erklärt
werden und bestimmt wird, dass sie, falls sie dazu nicht imstande sind, von
Kantons wegen aufgelöst werden können. Aus diesen kantonalen Bestimmungen
lässt sich mit Grund der Schluss ziehen, der Gemeindepfarrer sei Inhaber
eines öffentlichen Amtes und unterliege den Wählbarkeitsvorschriften von §
1 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen, welche von den Kirchgemeinden
für ihren Bereich nicht aufgrund von § 6 Abs. 3 KOG ausgedehnt werden
können.

    Hinsichtlich der landeskirchlichen Funktionen des evangelischen
Pfarrers bringt der Kirchenrat vor, dieser sei nicht nur
"in Gemeindeangelegenheiten" tätig, sondern gelte als Mitglied des
Ministeriums auch als landeskirchlicher Amtsträger. Er verweist hiefür auf
die Vorschriften des KOG. Der Kirchenrat ist nach § 43 KOG bezüglich der
Pfarrer Aufsichts- und Disziplinarbehörde und zuständig zur Amtseinstellung
oder Amtsenthebung (Ziff. 5), hat für die Wiederbesetzung erledigter
Pfarrstellen und für die Anstellung von Pfarrverwesern besorgt zu sein
(Ziff. 6), leitet oder überwacht die Zulassungsprüfungen und sorgt
für die Ordination und die Einführung der neugewählten Pfarrer ins Amt
(Ziff. 7), ordnet die Wahlen der Pfarrer an und entscheidet über deren
Gültigkeit (Ziff. 9). Ferner ist er Beschwerdeinstanz bezüglich der
Amtsführung der Pfarrer (§ 24 KOG). Der Kirchenrat führt weiter aus,
der landeskirchliche Rang der Pfarrämter ergebe sich deutlich daraus,
dass die Einführung der Wählbarkeit von Theologinnen im Jahre 1965 eine
Revision des KOG notwendig gemacht habe (§ 19 Abs. 2). Allein aufgrund der
Einführung des Frauenstimmrechts für Gemeindeangelegenheiten hätte eine
Gemeinde nie eine Pfarrerin wählen können. Die angeführten Vorschriften
zeigten, dass ein Pfarrer nicht bloss ein Gemeindeamt versehe, sondern
im Dienst der Landeskirche stehe, welche die Wahlvoraussetzungen regle,
die Amtsführung beaufsichtige und in deren Namen und Auftrag er sein Amt
antrete und ausübe.

    Diese Argumentation des Kirchenrates erscheint als sachlich vertretbar
und wird durch die Vorbringen der Beschwerdeführer nicht widerlegt. Die
erwähnten Vorschriften des KOG zeigen, dass dem Pfarramt eine über die
Kirchgemeinde hinausgehende landeskirchliche Bedeutung zukommt. Dies
spricht dafür, dass die Wählbarkeitsvorschriften landeskirchlich geregelt
sind und von den Kirchgemeinden nicht aufgrund von § 6 Abs. 3 KOG für
ihren Bereich geändert werden können. Die Vorschrift ermächtigt die
Kirchgemeinden nur, das Stimm- und Wahlrecht "für Gemeindeangelegenheiten"
auf Ausländer auszudehnen. Wie dargelegt wurde, handelt es sich aber bei
der Wahl eines Pfarrers nicht um eine reine Gemeindeangelegenheit. Nach
dem Gesagten hat der Kirchenrat das kantonale Recht nicht willkürlich
angewendet, wenn er annahm, die Kirchgemeinde sei aufgrund von § 6 Abs. 3
KOG nicht befugt, ausländischen Pfarrern die passive Wahlberechtigung
zu erteilen. Es bedeutete daher keine Verletzung der Autonomie der
Kirchgemeinde Roggwil, dass er die Wahl von Klaus J. Wagner zum Pfarrer
nicht genehmigte.

Erwägung 10

    10.- Die Beschwerdeführer machen schliesslich geltend, der
Kirchenrat habe mit der Ernennung von Klaus J. Wagner als Pfarrvikar
der Kirchgemeinde Roggwil seine Kompetenzen überschritten und klares
Recht sowie die Gemeindeautonomie verletzt. Es ist einzuräumen, dass
sich aus § 43 Ziff. 6 KOG, wonach der Kirchenrat für die Wiederbesetzung
erledigter Pfarrstellen und für die Anstellung von Pfarrverwesern "zu
sorgen" hat, noch nicht schlüssig das Ernennungsrecht des Kirchenrates
für Pfarrverweser bzw. -vikare ergibt. Anderseits geht aber auch aus §
7 KOG nicht hervor, dass die Kirchgemeinde zur Ernennung eines Pfarrvikars
befugt ist. Nach Ziff. 1-4 steht den Kirchgemeinden die Befugnis zu, die
Kirchenvorsteherschaft und ihren Präsidenten, die Pfarrer, die Pfleger
und die übrigen kirchlichen Angestellten und Hilfskräfte zu wählen, sofern
die Wahl nicht der Kirchenvorsteherschaft übertragen wird. Der Pfarrvikar
wird nicht aufgeführt und ist wohl weder dem Pfarrer gleichzustellen
noch den "übrigen kirchlichen Angestellten und Hilfskräften" zuzuordnen,
bei welchen es sich eher um solche mit untergeordneten administrativen
Funktionen handeln dürfte. Wenn sich der Kirchenrat mit seiner Verordnung
betreffend die Anstellung von Vikaren und die Aushülfe in pfarramtlichen
Funktionen vom 11. März 1898 in § 4 die Kompetenz zur Ernennung von
Vikaren unter den dort näher umschriebenen Voraussetzungen zuerkannt hat,
so hat er damit nicht klaren Bestimmungen des KOG zuwidergehandelt. Kann
eine Kirchgemeinde eine vakante Pfarrstelle nicht innert nützlicher
Frist durch ordentliche Wahl besetzen, so ist es zumeist auch sachlich
gerechtfertigt, dass der Kirchenrat durch Ernennung eines Vikars für
Abhilfe sorgt. Anders wird er in manchen Fällen der ihm in § 43 Ziff. 6
KOG auferlegten Pflicht nicht nachkommen können.

    Der Kirchenrat durfte ohne Willkür im vorliegenden Fall die
Voraussetzungen von § 4 lit. a der genannten Verordnung für erfüllt
erachten. Nach dieser Bestimmung erfolgt die Ernennung eines Vikars durch
den Kirchenrat,

    "a. wenn eine Pfarrstelle infolge Resignation oder Abberufung oder

    Absterben eines Geistlichen vakant wird und die Gemeinde nicht
innert der
   gesetzlichen Frist vom Rechte der Berufung Gebrauch macht, oder der
   von ihr berufene Geistliche nicht binnen eines Vierteljahres seit der
   Vakatur der

    Stelle die letztere antritt."

    Nachdem der Kirchenrat der von der Gemeinde getroffenen Wahl seine
Genehmigung versagte, musste er, da im Hinblick auf die Stellungnahme
der Gemeinde nicht mit einer baldigen Neuwahl zu rechnen war, von der
Wahrscheinlichkeit einer längeren Vakanz ausgehen, welche am besten durch
die Ernennung von Klaus J. Wagner zum Pfarrvikar zu verhindern war. Dies
war sachlich auch insofern gerechtfertigt, als er damit den Wünschen
der Gemeinde soweit entgegen kam, als dies mit seinem Rechtsstandpunkt
vereinbar war.

    Die Beschwerde ist demnach unbegründet, soweit auf sie eingetreten
werden kann.