Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 216



108 Ia 216

40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22.
September 1982 i.S. Seebach gegen Gemeinderat Affoltern am Albis und
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Abbruchbefehl. Verhältnismässigkeit.

    Der Befehl für den Abbruch eines ohne Bewilligung errichteten und - wie
ausgeführt - nicht bewilligungsfähigen Anbaus ist nicht unverhältnismässig
(E. 4b). Dagegen kann gegebenenfalls die Vollstreckung des Abbruchbefehls
mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit in Konflikt geraten, wenn die
ernsthafte Möglichkeit besteht, dass der Anbau zum Teil als rechtmässig
anerkannt werden könnte und der Bauherr ein entsprechend reduziertes
Baugesuch stellt (E. 4c). Geht es bei der Projektänderung nicht nur um
eine Detailfrage, sondern erfordert sie ein neues Baubewilligungsverfahren,
so ist es Sache des Bauherrn, dieses durch Einreichung des reduzierten
Gesuchs einzuleiten (E. 4d; Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Adolf Seebach errichtete an seinem Zweifamilienhaus ohne
Bewilligung einen Anbau. Noch vor der Vollendung ordnete der Gemeinderat
Affoltern am Albis die Einstellung der Bauarbeiten und die Beseitigung
des Anbaus an. Der Abbruchbefehl wurde vom Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich bestätigt. Hiegegen führt Adolf Seebach staatsrechtliche
Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer erachtet die angeordnete Entfernung des
streitigen Anbaus als unverhältnismässig. Er wendet sich zunächst gegen
den Abbruch als solchen und macht eventuell geltend, in keinem Fall dürfte
der gesamte Anbau betroffen werden.

    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Beschwerde weder
hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit den Bauvorschriften noch in Bezug auf
die nachgesuchte Ausnahmebewilligung Erfolg haben kann (E. 2 und 3). Damit
steht die Vorschriftswidrigkeit des streitigen Anbaus fest. Das bedeutet
indessen noch nicht, dass der Anbau abgebrochen werden muss. Vielmehr
sind die allgemeinen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Prinzipien
des Bundesrechts zu berücksichtigen. Zu ihnen gehören die Grundsätze der
Verhältnismässigkeit und des Schutzes des guten Glaubens. So kann der
Abbruch unterbleiben, wenn die Abweichung vom Erlaubten nur unbedeutend
ist oder der Abbruch nicht im öffentlichen Interesse liegt, ebenso wenn
der Bauherr in gutem Glauben angenommen hat, er sei zur Bauausführung
ermächtigt, und der Beibehaltung des ungesetzlichen Zustandes nicht
schwerwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen (BGE 104 Ib 303
E. 5b).

    a) Der Beschwerdeführer bestreitet, den Anbau bösgläubig errichtet
zu haben. Da er einerseits von der Gemeinde behindert worden sei und
andererseits im kantonalen Verfahren in praktisch allen Punkten obsiegt
habe, sei es nur verständlich, dass er "den bauordnungsgemässen Bau eben
ohne kommunale Bewilligung" erstellt habe. Zudem bestehe ein schutzwürdiges
Interesse, die im Anbau befindlichen Heizanlagen zu überdecken.

    Diese Gründe vermögen zwar das Verhalten des Beschwerdeführers in
einem gewissen Sinne zu erklären; sie belegen jedoch in keiner Weise,
dass er gutgläubig gehandelt habe. Aus seinem Obsiegen in andern Punkten
durfte er nicht schliessen, dass er auch für den streitigen Anbau auf
dem Rechtsmittelweg letztlich eine Baubewilligung erhalten werde. Auch
war es nicht vertretbar, aus dem Widerstand des Gemeinderates zu
folgern, dass er zur Bauausführung berechtigt gewesen sei. Ebensowenig
vermochte das Interesse am Schutz der technischen Anlagen das Vorgehen
zu rechtfertigen, wäre doch eine provisorische Abdeckung ohne weiteres
möglich gewesen. Von gutgläubigem Handeln kann daher keine Rede sein,
weshalb der Beschwerdeführer aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes
nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag.

    b) Nach neuerer Rechtsprechung kann sich auch ein Bauherr, der sich
nicht in gutem Glauben befindet, gegenüber einem Abbruchbefehl auf den
Verhältnismässigkeitsgrundsatz berufen. Er muss es aber in Kauf nehmen,
dass die Behörden aus grundsätzlichen Erwägungen, nämlich zum Schutz
der Rechtsgleichheit und der baurechtlichen Ordnung, dem Interesse an
der Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustandes erhöhtes Gewicht
beilegen und die dem Bauherrn allenfalls erwachsenden Nachteile nicht
oder nur in verringertem Masse berücksichtigen (Urteil vom 15. März 1978,
veröffentlicht in ZBl 79/1978 S. 393/394).

    Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der Abbruchbefehl nicht zu
beanstanden, da der fragliche Anbau den materiellen Bauvorschriften
widerspricht. Der minimal zulässige Grenzabstand wird um rund einen
Meter unterschritten. Von einer bloss geringfügigen Missachtung der
Abstandsvorschriften kann nicht gesprochen werden. In dieser Hinsicht
verstösst der angeordnete Abbruch nicht gegen den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit.

    Der Beschwerdeführer sieht jedoch auch darin einen Verstoss gegen
den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass sich der Abbruchbefehl
nicht nur auf den als baurechtswidrig festgestellten Teil des streitigen
Bauobjektes bezieht, sondern den Anbau als Ganzes erfasst. Zwar hat das
Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Anbau "in ganz erheblicher
Weise gegen die Bauordnung der Gemeinde Affoltern a.A." verstosse. Schon
die Baurekurskommission hatte den Anbau "abgesehen vom unterirdischen
Wärmespeicher als nicht bewilligungsfähig und damit eindeutig als
polizeiwidrig" bezeichnet. Beide Instanzen hatten sich jedoch darauf
beschränkt, die Gesetzwidrigkeit des Anbaus mit der Überschreitung des
zulässigen Grenzabstandes zu begründen. Solange nicht feststeht, dass
die Abstandsverletzung den einzigen Verstoss gegen die Bauvorschriften
darstellt, ist unbestreitbar, dass der Anbau so, wie er unbewilligt besteht
und wie ihn der Beschwerdeführer beibehalten will, als Ganzes rechtswidrig
ist. Der rechtmässige Zustand wird nur durch dessen Beseitigung
erreicht. Daher ist der Abbruchbefehl nicht unverhältnismässig. Die
Beschwerde erweist sich somit auch in dieser Hinsicht als unbegründet;
sie ist abzuweisen.

    c) Erachtet es der Beschwerdeführer als möglich, den streitigen Anbau
durch einen nur teilweisen Abbruch und allfällige weitere Änderungen als
materiell baurechtskonform umgestalten zu können, so ist es ihm unbenommen,
ein neues, entsprechend geändertes Baugesuch bei der Baubewilligungsbehörde
einzureichen. Das hätte unverzüglich zu geschehen, um der Behörde einen
Entscheid vor Ablauf der gemäss angefochtenem Urteil gesetzten Frist
von 90 Tagen zu ermöglichen. Bestünde das neue Projekt im wesentlichen
in einer Verkleinerung des rechtswidrig errichteten Anbaus und könnte es
voraussichtlich bewilligt werden, so käme eine vollständige Vollstreckung
des streitigen Abbruchbefehls vor einem rechtskräftigen Entscheid über
das reduzierte Projekt mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit in
Konflikt. Die Behörde hätte diesfalls die Tunlichkeit einer vollständigen
Vollstreckung neu zu bedenken. Es versteht sich jedoch von selbst, dass
dies nur dann in Frage käme, wenn das neue Projekt ernsthafte Aussichten
auf eine Bewilligung hätte; bloss auf Zeitgewinn ausgerichtete, materiell
aussichtslose Eingaben vermöchten einer Vollstreckung des Befehls nicht
entgegenzustehen.

    d) Im Urteil F. vom 27. Mai 1981 hat das Bundesgericht bei der Prüfung
der Verhältnismässigkeit eines beschränkten Abbruchbefehls unter anderem
festgehalten, dass die Baubehörde von Amtes wegen zu untersuchen habe,
welche Vorkehren einerseits erforderlich und geeignet sind, andererseits
nicht zu einem schärferen Eingriff führen, als zur Erreichung des
Zwecks unbedingt notwendig ist. Sie könne zwar dem Verpflichteten
Gelegenheit bieten, selbst Vorschläge über die anzuordnenden Massnahmen
einzureichen. Erwiesen sich diese indessen als ungeeignet, so befreie
das die Baubehörde und die gerichtlichen Instanzen nicht von der Pflicht,
unter verschiedenen möglichen Vollstreckungsvorkehren jene auszusuchen, die
im genannten Sinne als verhältnismässig gelten dürfen, bzw. eine bereits
erlassene Verfügung im Anfechtungsverfahren daraufhin zu prüfen, ob nicht
auch eine weniger einschneidende Massnahme zum Ziel geführt hätte (BGE 107
Ia 27/28 E. 3b). Diese Erwägung darf nicht unbesehen auf den vorliegenden
Fall angewendet werden, unterscheidet sich doch jener von diesem in einem
wesentlichen Punkt: Dort lag eine rechskräftige Baubewilligung vor; der
Beschwerdeführer war in einem Detail von den bewilligten Plänen abgewichen.
Die Behörden hatten somit eine einzelne Frage zu beurteilen, die ohne
vorherige Durchführung eines vollständig neuen Baubewilligungsverfahrens
endgültig entschieden werden konnte. Im vorliegenden Fall fehlt es an
einer Baubewilligung überhaupt. Die Frage, ob allenfalls ein Teil des
Anbaus als rechtmässig anerkannt und ob auf dessen Beseitigung verzichtet
werden könne, lässt sich nur im Baubewilligungsverfahren beurteilen. Die
als reduziert gedachte Baute muss von den zuständigen Behörden vollständig
neu überprüft werden können. Namentlich darf auch die Möglichkeit der
Nachbarn, ihre Rechte zu wahren, nicht eingeschränkt werden. Das aber
setzt voraus, dass der Bauherr ein neues Baugesuch stellt und so das
Bewilligungsverfahren auslöst. Die generell gehaltene Erwägung im Urteil
107 Ia 27 ist daher zu präzisieren: Die Behörden haben nur dann von Amtes
wegen zu untersuchen, welche Vorkehren erforderlich und geeignet sind, um
den rechtmässigen Zustand wieder herzustellen und nicht zu einem schärferen
Eingriff führen, als zur Erreichung des Zwecks notwendig ist, wenn es um
eine Einzelfrage geht, die ohne neues Baubewilligungsverfahren entschieden
werden kann. Wo jedoch von Grund auf zu prüfen ist, ob allenfalls ein
gegenüber der unbewilligten Baute reduziertes Projekt baurechtskonform sein
könnte, ist es Sache des Bauherrn, durch Einreichung des Projekts ein neues
Baubewilligungsverfahren einzuleiten. In einem solchen Fall ist daher der
Abbruchbefehl für die ganze rechtswidrige Baute nicht unverhältnismässig;
gegebenenfalls ist jedoch bei dessen Vollstreckung ein neu eingereichtes
Baugesuch im Blick auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit in Betracht
zu ziehen.