Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 151



108 Ia 151

29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 1. Oktober 1982 i.S. Bosshard gegen Regierungsrat des Kantons Uri
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 31 und Art. 32quater Abs. 1 BV; Verweigerung des
Wirtschaftspatentes für eine Diskothek.

    1. Bei der Prüfung des Bedürfnisses ist gegebenenfalls zwischen
Untergruppen von Gastwirtschaftskategorien zu unterscheiden. Dies gilt
nicht nur bezüglich der wirtschaftspolitisch motivierten Bedürfnisklausel,
sondern auch bei der Prüfung des Bedürfnisses unter dem Gesichtspunkt
der Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs (E. 4c).

    2. Ist von der Eröffnung eines Nachtlokals eine erhebliche Störung der
Nachtruhe zu erwarten, so darf hiefür ein Wirtschaftspatent verweigert oder
die Bewilligung einer verlängerten Öffnungszeit (über die Polizeistunde
hinaus) abgelehnt werden. Erforderlich ist jedoch eine konkrete Abklärung
der zu erwartenden Immissionen (E. 4e).

Sachverhalt

    A.- Georges Bosshard ersuchte um die Zusicherung des Patentes zum
Betrieb einer Diskothek mit Alkoholausschank im Dorfkern von Altdorf. Zur
Begründung machte er geltend, ein solches Lokal entspreche einem Bedürfnis
und würde Altdorf für den Fremdenverkehr aufwerten.

    Der Regierungsrat verweigerte die Patentzusicherung. Er erwog im
wesentlichen, die Erstellung einer publikumswirksamen Diskothek wirke
nicht an sich schon bedürfnisbegründend, da sonst der Kampf gegen
den Alkoholmissbrauch als einzige verfassungsmässige Rechtfertigung
der Bedürfnisklausel gemäss Art. 32quater der Bundesverfassung blosses
Lippenbekenntnis bleibe. Die touristische Bedeutung der geplanten Diskothek
dürfe nicht überschätzt werden; die Interessen des Fremdenverkehrs seien
daher nicht so überragend, dass sie die Bedürfnisfrage für sich allein zu
entscheiden vermöchten. Die Störungen, welche der geplante alkoholführende
Diskothekbetrieb für die Umgebung mit sich bringen würde, seien deshalb
als Nachteil ebenfalls zu berücksichtigen. Der Regierungsrat gelangt daher
zum Schluss, die Gründe, die zur Verneinung eines Bedürfnisses führten,
seien gegenüber den Argumenten für die Patentzusicherung gewichtiger.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 24. Februar 1982 beantragt Georges
Bosshard, den Entscheid des Regierungsrates aufzuheben. Er rügt, der
angefochtene Entscheid verletze Art. 31 (in Verbindung mit Art. 32quater)
und Art. 4 der Bundesverfassung. Zur Begründung bringt er u.a. vor,
das bestehende Dancing sei sogar an gewöhnlichen Wochentagen überfüllt,
was das Bedürfnis für die geplante Diskothek beweise. Der vorgesehene
Betrieb beeinträchtige im übrigen die Wohnlichkeit im Dorfkern nicht, und
die Befürchtung von Lärmimmissionen sei unbegründet. Das Bundesgericht
heisst die Beschwerde gut,

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- c) Hätte der Beschwerdeführer um ein Patent für einen gewöhnlichen
alkoholführenden Gastgewerbebetrieb mit einem angegliederten Dancing
nachgesucht, wie er dies in einem erfolglosen früheren Gesuch getan hatte,
so wäre der angefochtene Entscheid in verfassungsrechtlicher Hinsicht
nicht zu beanstanden. Indessen geht es vorliegend nicht um ein Patent für
einen derartigen Betrieb, sondern um eine Diskothek, welche nur abends
ab 18.00 Uhr geöffnet sein soll und in welcher neben alkoholischen und
alkoholfreien Getränken nur leichte Speisen, d.h. sog. Snacks, nicht jedoch
eigentliche Mahlzeiten angeboten werden sollen. Aus dieser Umschreibung
des Charakters des geplanten Betriebs ergibt sich, dass vorliegend ein
von anderen alkoholführenden Wirtschaften deutlich verschiedener Betrieb
geplant ist. Wie nun das Bundesgericht in BGE 82 I 154 bezüglich der
wirtschaftspolitisch motivierten Bedürfnisklausel ausgeführt hat, ist bei
der Abklärung der Bedürfnisfrage nicht nur zwischen alkoholführenden und
alkoholfreien Gastgewerbebetrieben, sondern auch zwischen Untergruppen
innerhalb dieser beiden Hauptkategorien zu unterscheiden. Dies muss
auch für die Beurteilung des Bedürfnisses unter dem Gesichtspunkt der
Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs gelten. Der Regierungsrat konnte
sich daher nicht mit einer globalen Prüfung des Bedürfnisses nach einer
weiteren Alkoholwirtschaft im allgemeinen begnügen, sondern war unter
den vorliegenden Umständen verpflichtet zu prüfen, ob für einen weiteren
Betrieb der hier geplanten Art, also eine Diskothek, ein Bedürfnis
ausgewiesen ist.

    Hiezu wird im angefochtenen Entscheid lediglich festgestellt, dass die
Eröffnung einer Diskothek neben dem bereits bestehenden Dancing Altdorf
als Fremdenort und Tagungszentrum kaum wesentlich zu fördern vermöchte,
während die an sich näher liegende Frage, ob für die Bevölkerung
Altdorfs und der näheren Umgebung ein solches Bedürfnis bestehe, mehr
oder weniger offen gelassen wird. Zu Unrecht nahm der Regierungsrat in
diesem Zusammenhang an, er habe im vorliegenden Verfahren das Bedürfnis
nach einer Diskothek nicht zu prüfen, sondern allein das Bedürfnis
nach einer weiteren Alkoholwirtschaft. Damit hat er der erforderlichen
Unterscheidung nach Untergruppen innerhalb der alkoholführenden und
alkoholfreien Gastgewerbebetriebe bei der Prüfung des Bedürfnisses nicht
Rechnung getragen. Die Folge davon ist, dass sich im angefochtenen
Entscheid zur Frage des Bedürfnisses nach einer Diskothek im Raum
Altdorf keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen finden, die es
erlauben würden, denselben auf seine Übereinstimmung mit der Verfassung
hin zu überprüfen. Deshalb muss die Beschwerde im Sinne dieser und der
nachstehenden Erwägungen gutgeheissen werden.

    d) Nicht massgeblich ist im weiteren, ob in der urnerischen
Gesetzgebung, d.h. insbesondere in Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes über das
Wirtschaftsgewerbe und den Kleinhandel mit geistigen Getränken vom 5. Mai
1918 (WG), für einen derart eingeschränkten Gastgewerbebetrieb, wie ihn
der Beschwerdeführer in Aussicht nimmt, eine besondere Patentart vorgesehen
ist oder nicht, da unter dem Gesichtspunkt der Handels- und Gewerbefreiheit
ein generelles Verbot bestimmter Untergruppen kaum zulässig erscheint. Der
Regierungsrat hat denn auch zu Recht das Gesuch des Beschwerdeführers
nicht mit dieser Begründung abgelehnt. Im weiteren sieht Art. 4 Abs. 2
WG die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen andere Arten von
Wirtschaftspatenten als die in Art. 4 Abs. 1 WG aufgezählten zu erteilen.

    e) Dem Regierungsrat ist darin beizupflichten, dass die Eröffnung eines
Dancings unter Umständen geeignet ist, die Nachbarschaft durch verschiedene
Immissionen und namentlich durch Störung der Nachtruhe in ihrer
Wohnqualität zu beeinträchtigen, was die Verweigerung eines derartigen
Wirtschaftspatentes in bestimmten Fällen zu rechtfertigen vermag. Hiezu ist
es jedoch erforderlich, die Frage der Immissionen durch eine projektierte
Diskothek konkret zu prüfen. Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht
geschehen; es finden sich im angefochtenen Entscheid nur generelle
Ausführungen über die mit solchen Betrieben üblicherweise verbundenen
Lärmbelästigungen und über die Bemühungen der Behörden, den Dorfkern von
Altdorf wieder wohnlicher zu gestalten. Dem Bundesgericht ist es daher
wegen ungenügender Abklärung des massgeblichen Sachverhalts unmöglich, zu
prüfen, ob die Anliegen des Immissionsschutzes (und namentlich des Schutzes
der Nachtruhe) die Verweigerung der Patentzusicherung für eine Diskothek am
vorgesehenen Standort zu rechtfertigen vermöchten. Im weiteren sei darauf
aufmerksam gemacht, dass die Frage der Verlängerung der Öffnungszeit
der vorgesehenen Diskothek über die allgemeine Polizeistunde hinaus
eine gesonderte Prüfung der zu erwartenden Lärmauswirkungen rechtfertigt
und daher von der Frage der Patenterteilung für die übliche Öffnungszeit
getrennt werden darf. Immerhin sind in diesem Zusammenhang die Auswirkungen
einer verlängerten Öffnungszeit konkret, d.h. in bezug auf den vorgesehenen
Standort und unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Haltung der
Anwohner, zu prüfen (vgl. unveröffentlichtes Urteil vom 17. Dezember 1981
der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts i.S. Kiser,
E. 2 und 3).