Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 140



108 Ia 140

27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 25. Juni 1982 i.S. Bänziger gegen Kantonsrat des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 89 OG; Art. 4 und 31 BV; Zürcher Unterhaltungsgewerbegesetz,
Zulässigkeit des Verbots ideeller Immissionen.

    1. Nach zürcherischem Recht läuft die Beschwerdefrist für die
Anfechtung eines durch die Volksabstimmung angenommenen Erlasses von der
Veröffentlichung des Erwahrungsbeschlusses des Kantonsrats im Amtsblatt an
(E. 1).

    2. Die Kantone und Gemeinden können baupolizeiliche und dem Schutz
der Umgebung dienende Immissionsvorschriften auch bezüglich Betrieben
aufstellen, die dem Arbeitsgesetz unterstehen (E. 5b).

    3. Unbestimmte Rechtsbegriffe (wie "ideelle Immissionen") verstossen
nicht gegen Art. 4 BV, sofern sie sich verfassungskonform auslegen lassen
(E. 5c aa).

    4. Dass Bewilligungen zum Betrieb von Unterhaltungsbetrieben nicht
erteilt werden sollen, wenn von diesen übermässige Einwirkungen ideeller
Art auf die Nachbarschaft ausgehen, liegt im öffentlichen Interesse und
stellt eine zulässige, polizeilich motivierte Einschränkung der Handels-
und Gewerbefreiheit dar (E. 5c bb).

Sachverhalt

    A.- In der Abstimmung vom 27. September 1981 hat das Volk des
Kantons Zürich mit 134'385 gegen 48'722 Stimmen das Gesetz über das
Unterhaltungsgewerbe (Unterhaltungsgewerbegesetz, UGG) angenommen. Dieses
Gesetz bestimmt in § 2, dass das Unterhaltungsgewerbe die öffentliche
Sicherheit und Ordnung weder stören noch gefährden darf (Abs. 1); jede
übermässige Einwirkung ideeller oder materieller Art auf die Nachbarschaft
ist unzulässig (Abs. 2). Bewilligungspflichtige Unterhaltungsgewerbe im
Sinne des Gesetzes sind u.a.

    Darbietungen, bei denen ein kultureller, sportlicher oder
   wissenschaftlicher Wert nicht überwiegt (§ 9 lit. a).

    Die Bewilligung ist insbesondere dann zu verweigern, wenn wegen
der Lage des Betriebslokals eine übermässige Einwirkung ideeller oder
materieller Art auf die Nachbarschaft zu erwarten oder eingetreten ist
(§ 13 Abs. 2).

    Der Regierungsrat hat mit Beschluss vom 21. Oktober 1981 (publiziert
am 6. November 1981) das Gesetz über das Unterhaltungsgewerbe auf den
1. Januar 1982 in Kraft gesetzt. Am 2. November 1981 hat der Kantonsrat den
Beschluss über die Erwahrung der Ergebnisse der kantonalen Volksabstimmung
vom 27. September 1981 gefasst; der Erwahrungsbeschluss wurde im Amtsblatt
des Kantons Zürich am 13. November 1981 publiziert.

    Am 14. Dezember 1981 reichte Ernst Bänziger betreffend das UGG
staatsrechtliche Beschwerde ein u.a. mit dem Antrag, dessen §§ 2 Abs. 2
und 13 Abs. 2 seien aufzuheben.

    Die Begründung erscheint in den Erwägungen.

    Am 28. Januar/1. Februar 1982 erstattete das Büro des Kantonsrates die
Vernehmlassung mit den Anträgen, die Beschwerde sei abzuweisen, allenfalls
sei wegen Nichteinhaltung der Beschwerdefrist darauf nicht einzutreten.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Büro des Kantonsrates begründet seinen Antrag auf
Nichteintreten damit, dass der Text des Gesetzes bereits mit
der Abstimmungsvorlage am 21. August 1981 und die Ergebnisse der
Volksabstimmung am 6. Oktober 1981 bzw. der Inkraftsetzungsbeschluss
am 21. Oktober 1981 (recte 6. November) publiziert worden seien. Die
Beschwerde vom 14. Dezember 1981 sei daher verspätet.

    Gemäss Art. 89 Abs. 1 OG ist die Beschwerde binnen 30 Tagen, von
der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung
des Erlasses an gerechnet, einzureichen. Abzustellen ist somit auf
die Veröffentlichung des Erlasses selbst und der Feststellung, dass
derselbe rechtens zustandegekommen ist und damit in Kraft treten kann,
wobei es eine Frage des kantonalen Rechts ist, was unter "Eröffnung"
bzw. "Mitteilung" (Art. 89 Abs. 1 OG) zu verstehen ist. Dazu wurde
bereits in BGE 99 Ia 180 festgestellt, dass nach zürcherischem Recht die
Veröffentlichung im Amtsblatt des Kantons Zürich die massgebliche Form
darstellt (§ 2 des Gesetzes betreffend die Einführung eines Amtsblattes
vom 18. Dezember 1833). Die dreissigtägige Beschwerdefrist nach Art. 89
OG begann daher nicht vor der Veröffentlichung des Erwahrungsbeschlusses
des Kantonsrates im Amtsblatt zu laufen, in welchem festgestellt wird,
dass keine Einsprachen gegen das Ergebnis der Volksabstimmung eingereicht
oder dass diese erledigt sind, und demzufolge das Gesetz "als vom Volke
angenommen erklärt" wird. Da der Erwahrungsbeschluss erst am 13. November
1981 im Amtsblatt veröffentlicht worden ist, wurde die vorliegende
Beschwerde unter Berücksichtigung des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1963
über den Fristenlauf rechtzeitig eingereicht.

Erwägung 5

    5.- a) Nach der Darstellung in der Vernehmlassung besteht der
Hauptzweck des angefochtenen Gesetzes darin, übermässige Einwirkungen
(Immissionen) ideeller oder materieller Art auf die Nachbarschaft zu
verhindern (§ 2 Abs. 2), die von ortsansässigen Unterhaltungsbetrieben
ausgehen. Dieses Ziel soll sowohl bei bewilligungspflichtigen wie auch
bei bewilligungsfreien Betrieben angestrebt werden. Die Bewilligung ist
insbesondere dann zu verweigern, wenn wegen der Lage des Betriebslokals
eine übermässige Einwirkung ideeller oder materieller Art auf die
Nachbarschaft zu erwarten oder eingetreten ist (§ 13 Abs. 2).

    b) Der Beschwerdeführer rügt die allgemeine Ausrichtung des UGG auf
die Nachbarschaft, d.h. die Umgebung eines Unterhaltungsgewerbes, erst
in der Beschwerdeergänzung. In der Beschwerde selbst wandte er sich in
dieser Hinsicht nur gegen den Begriff der ideellen Immission (vgl. lit. c
hienach); das Verbot materieller Immissionen wurde hingegen nicht
angefochten. Die neue Rüge, § 2 Abs. 2 UGG sei infolge der derogatorischen
Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung)
bundesrechtswidrig, da Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Arbeit
in Industrie, Gewerbe und Handel (ArG) den Schutz der Umgebung eines
Betriebes vor schädlichen und lästigen Einwirkungen abschliessend regle,
ist verspätet. Die Beschwerdeergänzung gemäss Art. 93 Abs. 2 OG ist
nur insoweit statthaft, als die Erwägungen der kantonalen Behörde dazu
Anlass geben; hingegen dürfen keine neuen Anträge gestellt und keine
neuen Rügen vorgebracht werden, die schon in der Beschwerde selber hätten
erhoben werden können (BGE 102 Ia 213). Da die Rüge der Verletzung der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts schon in der Beschwerde hätte
erhoben werden können, ist darauf nicht einzutreten.

    Diese Rüge erwiese sich übrigens materiell als unbegründet.
Polizeivorschriften der Kantone ohne Arbeitsschutz als Hauptzweck sind
vom Arbeitsgesetz vorbehalten (Art. 71 lit. c ArG; vgl. WALTER HUG,
Kommentar zum Arbeitsgesetz, Bern 1971, N. 23 zu Art. 71-73). Beim Schutz
der Umgebung des Betriebs vor schädlichen und lästigen Einwirkungen
wird nicht der Schutz der Arbeitnehmer angestrebt, sondern der Schutz
der Bevölkerung im allgemeinen. So können die Kantone und Gemeinden
baupolizeiliche Immissionsvorschriften auch bezüglich Betrieben aufstellen,
die dem Arbeitsgesetz unterstehen.

    c) In der staatsrechtlichen Beschwerde wurden die Vorschriften in
§ 2 Abs. 2 und § 13 Abs. 2 UGG aus zwei Gründen als verfassungswidrig
bezeichnet.

    Einmal sei der Begriff der "ideellen Immission" nicht genügend
umschrieben, so dass der Bürger die Wirkung des Gesetzes nicht im
voraus einigermassen zuverlässig abzuschätzen vermöge. Diese ungenügende
Bestimmtheit stelle einen Verstoss gegen Art. 4 BV dar. Gesetze müssten
klar und genügend bestimmt sein, damit der Bürger voraussehen könne,
was erlaubt und was unerlaubt ist.

    Die Bestimmungen seien aber auch deshalb verfassungswidrig, weil sie
kein eigentliches polizeiliches Motiv verfolgten, sondern weil andere
Beweggründe im Spiel seien. Es solle offensichtlich gegen das angeblich
wuchernde Sex-Gewerbe in der Stadt Zürich vorgegangen werden, weil dieses
in den betroffenen Kreisen zu Protesten und politischen Vorstössen
geführt habe. Anstatt nun aber, soweit tatsächlich erforderlich,
das in solchen Fragen immer noch massgebende Strafrecht anzuwenden,
werde ein verwaltungsrechtlicher Weg beschritten, indem für bestimmte
Unterhaltungsgewerbe eine Bewilligungspflicht eingeführt wird. Dieselbe
verletze, zumal dabei auf "ideelle Immissionen" abgestellt werden solle,
die Handels- und Gewerbefreiheit.

    Die beiden Rügen der Verfassungsverletzung sind nachfolgend zu
untersuchen.

    aa) Der Beschwerdeführer macht geltend, der Begriff der "ideellen
Immission" sei bisher in der Rechtswissenschaft nicht bekannt. Dies trifft
nicht zu, würde aber auch nicht ausschliessen, dass ein solcher Begriff
in einem neuen Gesetz erstmals verwendet wird.

    Bekanntlich gibt es neben dem zivilrechtlichen Immissionsverbot
gemäss Art. 684 ZGB zahlreiche öffentlichrechtliche Immissionsverbote
auf der Stufe der Kantone und Gemeinden. Wenn es sich dabei auch um
verschiedene, voneinander grundsätzlich unabhängige Ordnungen handelt,
hindert dies nicht, dass der Schutz, der durch diese beiden Instrumente
vermittelt wird, in konkreten Fällen der gleiche sein kann und der Wortlaut
der entsprechenden Normen häufig weitgehend übereinstimmt. Begriffe,
die sich in einem Normkreis als geeignet erweisen, können dies auch
in einem andern sein. Gemäss Art. 684 ZGB ist jedermann verpflichtet,
bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines
Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf
das Eigentum des Nachbarn zu enthalten. Verboten sind insbesondere alle
schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach
Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Rauch oder Russ,
lästige Dünste, Lärm oder Erschütterung. Obwohl man aus der letztgenannten
Aufzählung allenfalls schliessen könnte, es seien nur materielle
Immissionen verboten, hat das Bundesgericht schon früh auch immaterielle
Immissionen unter diese Bestimmung subsumiert. Das ZGB beschränkt das
Einspracherecht des Eigentümers nicht auf die sogenannten körperlichen
Immissionen; es verbietet allgemein "alle übermässigen Eingriffe" und
zieht die Grenze zwischen dem, was der Nachbar als zulässig dulden und
dem, was er als übermässig abwehren darf, einzig nach den Anforderungen,
die sich aus den Bedürfnissen des menschlichen Zusammenlebens ergeben
(BGE 42 II 452). Die Doktrin folgt heute dem Bundesgericht in dieser
Auslegung (vgl. ARTHUR MEIER-HAYOZ, Kommentar zum Sachenrecht, N. 73 zu
Art. 684). Eine strenge Scheidung zwischen materiellen und immateriellen
Immissionen ist auch nicht immer möglich. Materielle Immissionen sind
häufig mit schwerwiegenden psychischen Schäden verbunden (MEIER-HAYOZ,
N. 75), und die Schädlichkeit, z.B. des Lärmes, hängt nicht nur von der
naturwissenschaftlich messbaren Phonstärke ab, sondern auch von andern
Komponenten, die vorab psychisch wirken. Instruktiv ist die Kasuistik,
die zum Tatbestand der ideellen Immissionen (im Zivilrecht) entwickelt
wurde (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 180): Betrieb eines Asyls für unheilbare
Kranke neben einer Villa; Anblick der in einem Freibad sich an- und
auskleidenden Badegäste; unmittelbare Nachbarschaft eines Schlachthauses;
die Nachbarschaft einer Bedürfnisanstalt; Einbau von Urnennischen in eine
Friedhofmauer, die mit der nachbarlichen Hauswand eine Einheit bildet;
die ästhetische Erscheinung eines Gebäudes, z.B. die Errichtung einer
ausgesprochen hässlichen, das Schönheitsgefühl grob verletzenden Baute.

    Schon diese Praxis zeigt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff
der ideellen Immission ebenso wie jener der Immission (übermässige
Einwirkung) überhaupt offenbar ein taugliches Rechtsinstrument
darstellt. Es liegt eben im Wesen des Immissionsrechts, dass es nicht
anders geregelt werden kann als mit dem weiten Begriff der "übermässigen
Einwirkung". In jedem konkreten Fall muss festgestellt werden, was
anhand der Situation als übermässige Einwirkung anzusehen ist. Das gilt
sowohl für die privatrechtliche als auch für die öffentlichrechtliche
Immissionsvorschrift. Der Bürger hat keinen Anspruch darauf, schon bei
Erlass des Gesetzes eine Kasuistik mitgeliefert zu erhalten. Es ist
allerdings nicht zu leugnen, dass sich die Auswirkungen derartiger
Regelungen nicht genau voraussehen lassen und dass es einer langen Praxis
- die ihrerseits immer wieder neuen Gegebenheiten angepasst werden muss
- bedarf, um das Immissionsrecht zu konkretisieren. Darin unterscheiden
sich die materiellen Immissionen nicht von den immateriellen. Wohl gibt es
bei den ersteren teilweise naturwissenschaftliche Messmethoden, doch muss
deren Tragweite in rechtlicher Hinsicht gleichermassen durch die Praxis
bestimmt werden (z.B. die Dezibel-Grenze bei Lärmimmissionen). Dabei ist
nicht zu verkennen, dass die rechtsanwendende Behörde bei der Beurteilung
immaterieller Immissionen mit besonderer Sorgfalt vorzugehen hat, da
die Gefahr, einen objektiven Standpunkt zu verlassen und persönliche
Gesichtspunkte zu überschätzen, bei der Einschätzung seelischer und
moralischer Beeinträchtigungen besonders gross ist (MEIER-HAYOZ,
N. 76). Demnach besteht kein Anlass, solche Normen, die sich durchaus
verfassungskonform handhaben lassen, deswegen im Rahmen einer abstrakten
Normenkontrolle aufzuheben.

    Der Begriff der ideellen Immission ist als solcher genügend
klar. Man kann ihn durchaus so definieren, wie dies in der seinerzeitigen
Vernehmlassung des Stadtrates von Zürich zum Gesetzesentwurf geschehen ist:

    "Ideelle Immissionen sind solche Einwirkungen, welche das seelische

    Empfinden verletzen beziehungsweise unangenehme psychische Eindrücke
   erwecken.

    Sie können die Nachbarn direkt belästigen oder aber indirekte Wirkungen
   zeitigen, indem sie die Vermietbarkeit von Wohnungen erschweren oder den

    Geschäften ihre Kunden fernhalten."

    Der Einwand, die §§ 2 Abs. 2 und 13 Abs. 2 des UGG würden wegen der
Unbestimmtheit des darin verwendeten Begriffs der "ideellen Immission"
gegen Art. 4 BV verstossen, ist also nicht begründet.

    bb) Öffentlichrechtliche Immissionsvorschriften können Schranken
sowohl der Eigentumsgarantie als auch der Handels- und Gewerbefreiheit
darstellen. Um zulässig zu sein, müssen sie auf einer genügenden
gesetzlichen Grundlage beruhen, dem öffentlichen Interesse dienen und
verhältnismässig und rechtsgleich sein. Insbesondere kantonale Bestimmungen
über die Ausübung von Handel und Gewerbe sind in Art. 31 Abs. 2 BV
ausdrücklich vorbehalten; sie dürfen jedoch, soweit die Bundesverfassung
nichts anderes vorsieht, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit
nicht beeinträchtigen, d.h. sie dürfen keine wirtschaftspolitische,
sondern nur eine polizeiliche oder sozialpolitische Zwecksetzung haben.

    Dass das Strafrecht bestimmten öffentlichen Interessen ebenfalls Schutz
gewährt, schliesst verwaltungsrechtliche - präventive oder repressive
- Schutzbestimmungen nicht aus. Auch das Argument, es solle mit der
angefochtenen Regelung offensichtlich gegen das angeblich wuchernde
Sex-Gewerbe vorgegangen werden, weil dieses in den betroffenen Kreisen
zu Protesten und politischen Vorstössen geführt habe, lässt nicht auf
das Fehlen eines (verfassungsrechtlich zulässigen) polizeilichen Motivs
schliessen.

    Die Kernfrage ist, ob die Verhinderung übermässiger ideeller
Einwirkungen auf die Nachbarschaft einem genügenden öffentlichen Interesse
entspricht (vgl. BGE 97 I 506 E. 4c am Ende). Denn die Anerkennung des
Schutzes vor ideellen Immissionen im privaten Nachbarrecht heisst noch
nicht, dass ein gleiches auch im öffentlichen Immissionsschutz möglich
ist; hiezu bedarf es des weiteren Elementes des öffentlichen Interesses,
das eben beim privaten Nachbarschutz nicht erforderlich ist.

    Es ist nicht einzusehen, warum zwar der Schutz vor materiellen
Immissionen neben dem privaten nachbarrechtlichen auch einem öffentlichen
Bedürfnis entsprechen soll (was in der Praxis allgemein anerkannt ist),
nicht aber der Schutz vor immateriellen, ideellen Immissionen. Das
öffentliche Interesse bezieht sich nicht nur auf Materielles, wie
die im Bau- und Planungsrecht geläufige Ästhetikklausel, die sich
auf ideellen Werte bezieht, sowie die Begriffe des Landschafts- und
Ortsbildschutzes zeigen. Was ursprünglich ausschliesslich dem Schutz
privater Interessen diente, erwies sich im Laufe der Zeit immer mehr auch
als gesellschaftspolitisch bedeutsam. Je enger die Menschen unter den
modernen zivilisatorischen Verhältnissen zusammenleben, umso mehr wird
der Schutz des Einzelnen auch zu einer öffentlichen Aufgabe, wie sich
gerade im Bereiche des Immissionsschutzes gezeigt hat. Angesichts dieser
Entwicklung geht es nicht an, den Schutz vor ideellen Immissionen allein
dem Nachbarrecht zu überlassen, zumal ideelle Werte nicht weniger hoch
einzustufen sind als materielle. So hängt etwa die Wohnqualität, deren
Schutz heute nicht nur einem privaten, sondern auch einem öffentlichen
Interesse entspricht, auch von ideellen Faktoren ab: nicht nur Lärm und
Gerüche, sondern auch eine unästhetische oder sonstwie unerfreuliche
Umgebung können die Wohnqualität (und sei es auch nur über den Ruf der
Wohngegend) in erheblichem Mass beeinträchtigen.

    Moderne Unterhaltungsgewerbe, die mit Sex-Geschäfte machen, brauchen
zwar die öffentliche Sittlichkeit als solche nicht zu beeinträchtigen,
sie können aber unter Umständen auf die Umgebung derart unangenehm und
lästig wirken, dass auch dies zu verhindern im öffentlichen Interesse
liegt. Gerade die Entwicklung im Gebiet der Brauerstrasse in Zürich hat
gezeigt, dass das besonders penetrante, auf breiten Konsum ausgerichtete
Sex-Gewerbe einer Peep-Show weitere Sex-Gewerbe nach sich zieht und
dass diese insgesamt - und über den von ihnen selbst beanspruchten
Raumbedarf hinaus - einem Wohngebiet die Wohnqualität nehmen und dadurch
zur "Verslumung" beitragen. Die Erhaltung bestimmter Gebiete für ihren
angestammten Nutzungszweck ist aber ebenfalls ein anerkanntes öffentliches
Interesse, das als Schranke sowohl für die Eigentumsgarantie wie auch
für die Handels- und Gewerbefreiheit in Betracht fällt. Dem Schutz
dieses öffentlichen Interesses dient zwar in erster Linie das öffentliche
Planungs- und Baurecht, doch ist ein Zusammenwirken gewerbepolizeilicher
Gesetze (wie des UGG) mit dem öffentlichen Bau- und Planungsrecht insofern
denkbar, als das letztere durch seine Nutzungsbestimmungen den Rahmen
für das zulässige Mass gewerblicher Einwirkungen absteckt, während die
ersteren die unzulässigen Immissionsquellen bezeichnen. Das ermöglicht
ein selektives Vorgehen durch den Gesetzgeber, was gerade bei ideellen
Immissionen erwünscht sein kann.

    Die überwiegende Mehrheit, mit welcher das Zürcher Volk dem UGG
zugestimmt hat, spricht dafür, dass die Allgemeinheit ideelle Immissionen
aus Unterhaltungsbetrieben in bestimmten Verhältnissen als derart
beeinträchtigend empfindet, dass deren Verbot einem öffentlichen Interesse
entspricht. Dies zu beschliessen liegt in der Macht des kantonalen
Gesetzgebers und hält vor der Handels- und Gewerbefreiheit stand.

    Die Norm ihrerseits ist im Anwendungsfall verfassungskonform zu
handhaben. Aus ihrer Ausrichtung auf den Immissionsschutz hin ergibt
sich für die Behörden namentlich die Pflicht, bei der Würdigung ideeller
Immissionen den Charakter der fraglichen Umgebung zu berücksichtigen,
wie dies in § 2 Abs. 2 UGG sinngemäss vorgesehen ist. Der Begriff der
ideellen Immissionen erweist sich in örtlicher Hinsicht damit als weniger
weittragend als derjenige der öffentlichen Sittlichkeit, der an bestimmten
moralischen Vorstellungen anknüpft und damit von räumlichen Einschränkungen
frei ist.