Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 135



108 Ia 135

26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
14. Mai 1982 i.S. Hosig und Mitbeteiligte gegen Stadtrat von Chur und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 31 BV; Zuteilung von Bewilligungen für Taxibetriebe.

    1. Wer zur Ausübung eines Gewerbes öffentliche Sachen zum gesteigerten
Gemeingebrauch beansprucht, kann sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit
berufen (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 3).

    2. Aus Art. 31 BV ergibt sich das Gebot, die Gewerbegenossen im Rahmen
der Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit gleich zu behandeln
(E. 4).

    3. Bewilligungen für Taxibetriebe sind keine wohlerworbenen Rechte
und können nach angemessener Zeit entzogen werden (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Ausübung des Taxigewerbes in der Stadt Chur wird in
einer Verordnung des Stadtrates vom 31. Juli 1964 geregelt. Darin
wird zwischen A-Bewilligungen, die zum Aufstellen der Taxifahrzeuge
auf dafür vorgesehenen Standplätzen berechtigen, und B-Bewilligungen
unterschieden, die dieses Privileg nicht umfassen. Für das Jahr 1979
erteilte der Stadtrat von Chur insgesamt 27 A-Bewilligungen und 3
B-Bewilligungen. Drei A-Bewilligungsinhaber hatten sich bereits 1975
zur Taxi AG Chur zusammengeschlossen, die auf diesem Wege über 26 von
insgesamt 27 A-Bewilligungen verfügt.

    Am 6. September 1979 richteten die Beschwerdeführer ein Gesuch an den
Churer Stadtrat, in welchem sie u.a. um die Erteilung von mindestens sieben
A-Bewilligungen ab 1. Januar 1980 ersuchten, welche sie auf die in Gründung
befindliche Calanda Taxi AG ausgestellt haben wollten, in deren Namen sie
handelten. Der Stadtrat wies das Gesuch ab, da kein Anlass bestehe, der
Taxi AG Chur als bisheriger Inhaberin gewisse A-Bewilligungen zu entziehen,
und da eine Erhöhung der Zahl der Standplätze nicht in Frage komme.

    Gegen den Entscheid des Stadtrates erhoben die Gesuchsteller
erfolglos Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Das
Verwaltungsgericht führte aus, das öffentliche Interesse an einer
möglichst breiten Streuung der A-Bewilligungen hätte hinter dem Interesse
eines bisherigen Bewilligungsinhabers an einer regelmässigen Erneuerung
derselben zurückzutreten, solange nicht zwingende Gründe dagegen sprächen,
was im Falle der Taxi AG Chur nicht zutreffe.

    Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts wurde wegen Verletzung
der Art. 4 und 31 BV die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde erhoben,
die das Bundesgericht gutheisst, und zwar aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer rügen vor allem, dass der Stadtrat
von Chur und mit ihm das Verwaltungsgericht eine Neuverteilung der
A-Taxi-Bewilligungen abgelehnt haben, worin sie eine Verletzung der
Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV) erblicken.

    Nach der mit BGE 101 Ia 479 ff. E. 5 eingeleiteten Rechtsprechung
kann, wer zur Ausübung eines Gewerbes öffentliche Sachen zum gesteigerten
Gemeingebrauch beansprucht, sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit
berufen. Ob die Bedingungen für eine zulässige Beschränkung derselben
vorliegen, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Es anerkennt dabei
allerdings, dass namentlich bei der Gewährung von A-Taxi-Bewilligungen
den kommunalen und kantonalen Behörden ein weiter Ermessensspielraum
zukommt, zumal bei solchen Entscheidungen manche örtlichen Besonderheiten
zu berücksichtigen sind, die den unteren Behörden besser bekannt sind
als dem Bundesgericht (BGE 102 Ia 53 f.; 101 Ia 481 E. 5c; 100 Ia 403
E. 5; unveröffentlichtes Urteil vom 21.6.78 i.S. Franzetti, E. 1b
und 2a). Ausserdem ergibt sich eine Einschränkung der Handels- und
Gewerbefreiheit bei A-Taxi-Bewilligungen aus der Tatsache, dass die Zahl
der Standplätze nicht beliebig erhöht werden kann, was eine Beschränkung
der Bewilligungszahl pro Bewerber und nötigenfalls sogar eine Auswahl unter
den Bewerbern erfordert (BGE 99 Ia 399). Da die Benützung des öffentlichen
Grundes der kantonalen und kommunalen Gesetzgebung unterliegt (Art. 664
Abs. 3 ZGB, BGE 95 II 19), sind die Gemeinden und Kantone somit befugt,
durch Gesetze (im materiellen Sinne) die Handels- und Gewerbefreiheit von
Taxi-Haltern in verschiedener Hinsicht zu beschränken (unveröff. Urteil vom
21.6.78 i.S. Franzetti, E. 2c). Freilich haben sie dabei gewisse Schranken
zu beachten, die vom Bundesgericht bei verschiedenen Gelegenheiten und
bezüglich verschiedener Freiheitsrechte verdeutlicht worden sind. So
müssen die Eingriffe im öffentlichen Interesse notwendig sein, auf sachlich
vertretbaren Kriterien beruhen und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit
wahren (BGE 101 Ia 481 E. 6; 99 Ia 399; unveröff. Urteil vom 21.6.78
i.S. Franzetti, E. 2c). Insbesondere darf die Bewilligungspraxis die
Freiheitsrechte weder allgemein noch zulasten einzelner Bürger aus den
Angeln heben, wie das Bundesgericht bezüglich anderer Freiheitsrechte
wiederholt festgestellt hat (BGE 100 Ia 402, mit Nachweisen; 97 I 898;
vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 2, 5. Aufl.
Basel 1976, Nr. 118 B IIIc). Andererseits sind auch andere als polizeilich
motivierte Einschränkungen zulässig, wie etwa bei Taxi-Haltern das
Erfordernis des Geschäftssitzes in der Gemeinde oder die Zuteilung von
A-Bewilligungen nach dem Anciennitätsprinzip (BGE 102 Ia 442; 99 Ia 399),
wobei allerdings die Gewerbegenossen rechtsgleich zu behandeln sind
(BGE 102 Ia 547).

    Ob die Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit bzw. -
im vorliegenden Falle - die Bewilligungspraxis bei der Zuteilung
von A-Taxi-Bewilligungen verfassungskonform sind und insbesondere
ob sie mit dem Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen zu
vereinbaren sind, prüft das Bundesgericht frei, weil - im Rahmen des
gesteigerten Gemeingebrauchs - die Bewilligungskriterien unmittelbar einen
verfassungsmässigen Anspruch der Bürger berühren (BGE 106 Ia 275 E. 5b;
104 Ia 379). Die kantonale Behörde verletzt deshalb die Verfassung, wenn
sie bei dieser Interessenabwägung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt
vorgeht, wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt lässt oder sich von
unsachlichen Kriterien leiten lässt.

Erwägung 4

    4.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat die
Interessenabwägung nicht in der durch Art. 31 BV gebotenen Weise
vorgenommen. Es glaubte, es genüge für die Abweisung des Begehrens der
Beschwerdeführer, dass die bisherige Inhaberin fast aller A-Bewilligungen,
die Taxi AG, ihre Monopolstellung nicht in grober, die Interessen der
Allgemeinheit schädigender Weise, missbraucht habe. Selbst wenn solche
Missbräuche vorgekommen wären, wäre nach Ansicht des Verwaltungsgerichts
aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips zu prüfen, ob die Missstände
mittels geeigneter Massnahmen beseitigt werden können, bevor die den
bisherigen Inhabern erteilten A-Bewilligungen nicht mehr erneuert werden.

    Diese Art der Interessenabwägung verkennt, dass im vorliegenden Falle
nicht nur öffentliche Interessen an einem gut geregelten Taxibetrieb
und private Interessen der bisherigen Bewilligungsinhaber einander
gegenüberstehen, sondern dass im Bereiche des gesteigerten Gemeingebrauchs
auch das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen miteinbezogen
werden muss. Zwischen diesen verschiedenen Interessen besteht häufig ein
ausgeprägtes Spannungsverhältnis (vgl. HANS HUBER, Die Gleichbehandlung der
Gewerbegenossen, in Festschrift für Walter Hug, Bern 1968, S. 447-468). Das
Verwaltungsgericht hätte daher ebenfalls prüfen müssen, ob gegebenenfalls
aufgrund von Art. 31 BV ein Teil der A-Bewilligungen der bisherigen
Bewilligungsinhaberin nicht mehr hätte erneuert werden dürfen, um neuen
Bewerbern zu ermöglichen, das Taxi-Gewerbe unter den gleichen Bedingungen
auszuüben. Da das Verwaltungsgericht diese Frage ausgeklammert und damit
Art. 31 BV verletzt hat, muss sein Entscheid aufgehoben werden.

Erwägung 5

    5.- Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichtes, im heutigen Urteil
festzulegen, welche Art der Zuteilung der A-Bewilligungen Art. 31 BV
am besten entspricht. In der bisherigen Rechtsprechung wurde lediglich
festgehalten, dass eine breite Streuung der A-Bewilligungen nach einem
objektiven Kriterium dem Gehalt von Art. 31 BV besser entspricht als
eine - in rechtlich befriedigender Weise schwer zu regelnde - Häufung
von Bewilligungen in einer Hand (BGE 102 Ia 444).

    Immerhin lassen sich einzelne Gesichtspunkte schon jetzt festhalten.

    a) Das Bundesgericht hat es bereits früher abgelehnt,
A-Taxi-Bewilligungen als wohlerworbene Rechte zu betrachten (BGE 102 Ia
448; Urteil vom 22.3.1978 i.S. Schenker, E. 2b, veröff. in: ZBl 1978
S. 275 ff.). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Zwar wurde
in BGE 102 Ia 448 E. 7 ausgeführt, dass bei der Frage der Erneuerung
bzw. Nichterneuerung einer Taxibetriebsbewilligung den im begründeten
Vertrauen auf die Fortsetzung der bisherigen Bewilligungspraxis getroffenen
Dispositionen Rechnung zu tragen ist. Damit wurde jedoch lediglich der auf
der Idee des Vertrauensschutzes beruhende Gedanke zum Ausdruck gebracht,
wonach bei Ablauf der meist recht kurz bemessenen Bewilligungsdauer zu
berücksichtigen ist, dass die im Taxigewerbe erforderlichen Investitionen
vernünftigerweise auf längere Sicht hinaus getätigt werden müssen und dass
demzufolge der Bewilligungsinhaber die daraus entspringenden Vorteile
während einer angemessenen Zeitdauer ausnützen können sollte. Immerhin
darf diese Rücksichtnahme auf bisherige Bewilligungsinhaber nicht dazu
führen, dass ein andere Gewerbegenossen diskriminierender Zustand auf
unabsehbare Zeit hinaus von der Bewilligungsbehörde zementiert wird,
indem fast alle A-Taxi-Bewilligungen Jahr für Jahr und unter Ausschluss
aller neuen Bewerber einer einzigen AG oder einigen wenigen natürlichen
Personen erteilt werden.

    b) Aus dem BGE 102 I 448 E. 7 lässt sich nichts Gegenteiliges
ableiten. Jener Entscheid bezog sich auf die Taxiverordnung der Stadt
Zürich, wo grundsätzlich pro Person nur eine A-Bewilligung erteilt wird,
und hatte u.a. die Frage zum Gegenstand, ob der Stadtrat vereinzelte
unbegründete Ausnahmen von dieser Zuteilungsordnung ohne Verletzung
von Art. 31 BV durch Nichterneuerung von A-Bewilligungen nachträglich
rückgängig machen dürfe. In der Stadt Chur sind demgegenüber sozusagen alle
Bewilligungen in einer Hand vereinigt, weshalb unter dem Gesichtspunkt
von Art. 31 BV geprüft werden muss, ob nicht ein Teil der bisherigen
A-Bewilligungen der Taxi-AG in B-Bewilligungen umgewandelt werden muss, um
dem Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen soweit zu entsprechen,
als dies im Rahmen der beschränkten Zahl von Standplätzen möglich ist.