Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 122



108 Ia 122

24. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Mai 1982
i.S. Paul Vogler Buchdruckerei und Verlag AG gegen Einwohnergemeinde
Hildisrieden sowie Steuerverwaltung und Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV (Treu und Glauben); Handänderungsgebühr, Praxisänderung.

    1. Eine Praxisänderung muss nicht in der erstinstanzlichen Verfügung
eingehend begründet werden. Es genügt, wenn dies im Einsprache- oder
Beschwerdeverfahren nachgeholt wird (E. 2a).

    2. Es ist gerechtfertigt und verstösst nicht gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben, wenn eine Gemeinde in einem Einspracheverfahren
bezüglich einer Handänderungsgebühr das Problem einer Praxisänderung der
kantonalen Steuerverwaltung unterbreitet und deren Stellungnahme ihrem
Entscheid zugrundelegt (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Am 17. August 1978 verkaufte die Erbengemeinschaft Paul Vogler das
Grundstück Nr. 342, GB Hildisrieden, an die Paul Vogler Buchdruckerei und
Verlag AG, Niederrohrdorf. Der Gemeinderat von Hildisrieden veranlagte
am 30. September 1978 die Paul Vogler Buchdruckerei und Verlag AG zu
einer Handänderungsgebühr. Diese erhob am 10. Oktober 1978 Einsprache
und machte geltend, dass bei wirtschaftlicher Identität von Verkäufer
und Käufer nach der allgemeinen Veranlagungspraxis im Kanton Luzern keine
Handänderungsgebühr geschuldet sei. Der Gemeinderat wies die Einsprache
am 2. März 1979 gestützt auf ein Kreisschreiben der Steuerverwaltung
des Kantons Luzern vom 5. Februar 1979 ab. Danach sei gemäss einem
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 13. Dezember
1978 die wirtschaftliche Betrachtungsweise, falls sie im Gesetz nicht
ausdrücklich vorgesehen sei, auf Fälle beschränkt, in denen die Gestaltung
der zivilrechtlichen Verhältnisse lediglich der Steuerumgehung diene;
also sei bei jeder zivilrechtlichen Übertragung von Grundeigentum eine
Handänderungsgebühr zu erheben. Dies stelle insoweit eine Praxisänderung
dar, als bis anhin bei der Übertragung eines Grundstückes von einer
Erbengemeinschaft auf eine von ihr beherrschten juristischen Person
keine Handänderungsgebühr erhoben worden sei. Eine dagegen gerichtete
Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab.

    Die Paul Vogler Buchdruckerei und Verlag AG führt staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
Luzern vom 24. Oktober 1979 sei aufzuheben, da es gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben verstosse und in Verletzung des Rückwirkungsverbots
den Grundstückverkauf der Handänderungsgebührenpflicht unterstellt habe.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach § 1 des Gesetzes betreffend die Handänderungsgebühren vom
30. November 1897 (HGG) ist im Kanton Luzern eine Handänderungsgebühr zu
entrichten, wenn eine Liegenschaft an einen neuen Eigentümer übergeht,
sei es durch Kauf, Tausch, Erbschaft oder Schenkung. Da diese Bestimmung
während Jahren unter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ausdehnend
angewandt worden ist, trat in all jenen Fällen, wo die zivilrechtliche
Übertragung des Eigentums keine wirtschaftlich veränderte Verhältnisse
schuf, auch keine Handänderungsgebührenpflicht ein. Mit der Beschränkung
der wirtschaftlichen Betrachtungsweise auf die Fälle der Steuerumgehung
wurde unbestrittenermassen eine Praxisänderung geschaffen.

    Die Verwaltung muss bei der Auslegung des Gesetzes und in der
Handhabung ihres Ermessens aufgrund des Rechtsgleichheitsgebotes
nach einheitlichen, über den Einzelfall hinaus gültigen Kriterien
vorgehen. Verwaltungspraxis ist daher der von der Überzeugung der Gesetz-
und Zweckmässigkeit getragene Wille zu einer bestimmten, konstanten
Rechts- und Ermessensanwendung gegenüber jedermann. Ihrer Verwirklichung
dienen insbesondere die generellen administrativen Weisungen. Die Praxis
und damit die Weisungen sind zu ändern, wenn immer die Verwaltung nach
gründlicher und ernsthafter Untersuchung zur Überzeugung gelangt, der
wirkliche Sinn des Gesetzes sei ein anderer als der bisher angenommene,
oder Veränderungen in den tatsächlichen Gegebenheiten erforderten eine
andere Betätigung des pflichtgemässen Ermessens. Hat sich die Verwaltung zu
einer Praxisänderung entschlossen, ist die neue Praxis im Grundsatz sofort
und überall anzuwenden. Die neue Praxis gilt, und zwar ohne Rücksicht
darauf, ob sie allgemein gebilligt, ob ihre Begründung angezweifelt,
bestritten oder ob sie gar als rechtswidrig angefochten wird, bis die
Verwaltung selbst sie eventuell wieder durch eine andere ersetzt (BGE
102 Ib 46 E. 1a mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin rügt ein widersprüchliches und damit gegen
Treu und Glauben verstossendes Verhalten der Verwaltung. Es sei nicht
angängig, dass ein Einspracheentscheid so lange hinausgezögert werde,
bis mittels einer Praxisänderung ein steuerlicher Tatbestand geschaffen
werde, der zur Zeit der Einsprache noch nicht existiert habe. Sie wendet
sich somit nicht gegen die Praxisänderung als solche, sondern einzig
gegen die Art und Weise, wie sie durchgeführt worden ist.

    a) Lehre und Rechtsprechung verlangen von einer Praxisänderung, dass
sie sich auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen muss (vgl. BGE 100 Ib
70 E. 2; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. A.,
Nr. 72 B II; DUBS, Praxisänderungen, Diss. Basel, 1949, S. 138 ff.). Dies
bedeutet aber nicht, dass schon in der ersten Verfügung, mit welcher eine
Praxisänderung eingeleitet wird, diese eingehend begründet werden muss. Es
genügt, wenn dies im Einsprache- oder Beschwerdeverfahren nachgeholt wird.

    b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die
Praxisänderung im vorliegenden Fall nicht mit seinem Entscheid vom
13. Dezember 1978 (LGVE 1978 II Nr. 27) eingetreten, sie wurde vielmehr mit
der Veranlagung der Handänderungsgebühr bei der Beschwerdeführerin durch
den Gemeinderat von Hildisrieden am 30. September 1978 eingeleitet. Zu
diesem Zeitpunkt sah sich die Gemeinde Hildisrieden veranlasst, die im
Kanton Luzern gehandhabte Praxis bezüglich der Anwendung von § 1 HGG
zu ändern. Auf erfolgte Einsprache der Beschwerdeführerin entschied
der Gemeinderat nicht im Alleingang, sondern er legte das Problem der
kantonalen Steuerverwaltung vor. Dies war durchaus gerechtfertigt, da das
HGG im ganzen Kanton einheitlich angewandt werden sollte. Die kantonale
Steuerverwaltung ihrerseits richtete sich am 5. Februar 1979 mit einem
Kreisschreiben an die Gemeinderäte des Kantons und präzisierte die
Auslegung von § 1 HGG als Folge eines Urteils des Verwaltungsgerichts
vom 13. Dezember 1978. In diesem Kreisschreiben wurde erstmals die
in Frage stehende Praxisänderung ausführlich begründet. In seinem
Einspracheentscheid vom 2. März 1979 erklärte der Gemeinderat von
Hildisrieden das Kreisschreiben als integrierenden Bestandteil seines
Entscheides. Es verhält sich nun nicht so, dass der Gemeinderat seinen
Einspracheentscheid so lange hinauszögerte, bis eine Praxisänderung
erfolgte. Vielmehr leitete er mit seiner Veranlagungsverfügung vom
30. September 1978 eine Praxisänderung ein, vergewisserte sich aber
bei der kantonalen Steuerverwaltung, ob diese Änderung im Sinne einer
einheitlichen Handhabung des HGG im ganzen Kanton sei. In diesem Vorgehen
kann keine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben erblickt werden.

    Im übrigen war die bisherige Praxis des Verwaltungsgerichts zur
wirtschaftlichen Betrachtungsweise äusserst fragwürdig. Da das HGG
eine Umschreibung der Handänderung im Sinne der wirtschaftlichen
Betrachtungsweise nicht ausdrücklich vorsieht, sind die anwendenden
Behörden an die Regeln des Privatrechts gebunden. Insbesondere muss der
Tatsache Rechnung getragen werden, dass die AG eine Person mit eigener
Rechtspersönlichkeit ist und sich von den dahinterstehenden Aktionären
unterscheidet. In diesem Sinne ist die Praxisänderung die einzig richtige
Anwendung des HGG.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin rügt zudem, das Urteil des
Verwaltungsgerichts verletze das Rückwirkungsverbot, da die Praxisänderung
frühestens mit Erlass des Kreisschreibens der kantonalen Steuerverwaltung
vom 5. Februar 1979 erfolgt sei und nicht rückwirkend angewandt werden
könne. Die Beschwerdeführerin übersieht dabei, dass die Praxisänderung
effektiv mit der Veranlagungsverfügung vom 30. September 1978 eingeleitet
worden ist. Es kann folglich nicht von einer rückwirkenden Handhabung
der Praxisänderung gesprochen werden.