Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 11



108 Ia 11

4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. April 1982 i.S. X.
gegen S. und Obergericht Uri (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; unentgeltliche Rechtspflege, Anwaltsrecht.

    1. Der Armenanwalt ist nicht befugt, von der von ihm vertretenen
Partei eine zusätzliche Entschädigung zu verlangen, auch wenn die ihm aus
der Staatskasse ausgerichtete Entschädigung nicht einem vollen Honorar
entspricht (E. 1).

    2. Die Rechnungsstellung an die verbeiständete Partei stellt eine
Standeswidrigkeit dar, die mit einem Verweis geahndet werden darf (E. 3).

    3. Art. 4 BV verlangt nicht, dass der Anwalt, der sich zum Vorwurf
der Verletzung der Standesregeln äussern konnte, vor dem Erlass einer
solchen Disziplinarmassnahme noch besonders angehört wird (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Im Scheidungsprozess der Eheleute S. bewilligte das Landgericht
Uri dem Ehemann die unentgeltliche Rechtspflege. Rechtsanwalt X.
übernahm am 10. März 1981 von einem andern Anwalt die Vertretung
des Ehemannes und führte sie bis zu der am 29. Juni 1981 erfolgten
Einreichung eines Berichtigungsbegehrens bezüglich des Kostenpunktes des
Scheidungsurteils. In Abänderung dieses Urteils sprach das Landgericht
Uri mit Verfügung vom 7. Juli 1981 Rechtsanwalt X. als Armenanwalt eine
Entschädigung von Fr. 3'173.60 (Fr. 2'925.-- Honorar plus Fr. 248.60
Barauslagen) zulasten der Staatskasse zu.

    Am 4. August 1981 stellte Rechtsanwalt X. für seine Bemühungen
im Scheidungsprozess Rechnung im Betrag von Fr. 4'500.-- Honorar und
Fr. 287.10 Barauslagen. Im Vergleich zur armenrechtlichen Entschädigung
machte er somit einen zusätzlichen Honoraranspruch von Fr. 1'575.--
und weitere Barauslagen im Betrag von Fr. 38.50 geltend.

    In Gutheissung einer Beschwerde des S. verpflichtete das Obergericht
Uri als Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte mit Entscheid vom
18. September 1981 Rechtsanwalt X., "die beanstandete Honorarrechnung vom
4. August 1981 zurückzuziehen". Ferner wurde Rechtsanwalt X. mit einem
Verweis disziplinarisch bestraft.

    Gegen diesen Entscheid erhob Rechtsanwalt X. staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Auffassung des Obergerichts ist der Armenanwalt nicht befugt,
von der von ihm vertretenen Partei eine zusätzliche Entschädigung
zu verlangen, auch wenn die ihm aus der Staatskasse ausgerichtete
Entschädigung nicht einem vollen Honorar entspricht. Dieses Verbot ergebe
sich aus Sinn und Zweck des Instituts der unentgeltlichen Rechtspflege
und namentlich auch aus Art. 97 Abs. 1 ZPO/UR, wonach der Kanton für die
bedürftige Partei die Parteientschädigung bezahlt.

    Diese Auffassung entspricht der einhelligen Lehre (GUGGENHEIM, Die
unentgeltliche Verbeiständung in den kantonalen Zivilprozessrechten, Diss.
Zürich 1943 S. 96; ZEMP, Das Luzerner Anwaltsrecht, Diss. Freiburg 1967
S. 109; WEGMANN, Die Berufspflichten des Rechtsanwaltes unter besonderer
Berücksichtigung des zürcherischen Rechts, Diss. Zürich 1969 S. 118;
MARTIN-ACHARD, La discipline des professions libérales, ZSR 70/1951
S. 275a mit Hinweis auf das unveröffentlichte Urteil des Bundesgerichts
vom 23. September 1948 i.S. X. gegen Kantonsgericht St. Gallen, E. 3)
und wird allein dem Wesen der unentgeltlichen Verbeiständung gerecht. Ob
es richtig sei, den Armenanwalt mit einem geringeren Honorar als dem
üblichen zu entschädigen (das allein wird in dem vom Beschwerdeführer
angeführten Werk von SALZMANN, Das besondere Rechtsverhältnis zwischen
Anwalt und Rechtsstaat, Diss. Freiburg 1976 S. 305-307, beanstandet),
berührt nur das Verhältnis zwischen Armenanwalt und Staat. Selbst wenn dies
nicht der Fall wäre, hätte der Anwalt kein Recht, von der verbeiständeten
Partei eine zusätzliche Entschädigung zu verlangen.

    Die Ansicht des Obergerichts ist somit nicht nur nicht willkürlich,
sondern richtig.

Erwägung 3

    3.- Die Rechnungsstellung an die verbeiständete Partei stellt
klarerweise eine Standeswidrigkeit dar. Eine Disziplinarmassnahme in Form
des Verweises war daher durchaus am Platz. Die verhängte Massnahme war
auch keineswegs unverhältnismässig (vgl. BGE 106 Ia 121 E. 13c, 103 Ia
431 E. 4b, 102 Ia 29 E. 1a, 100 Ia 360 E. 3b).

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer hat im Aufsichtbeschwerdeverfahren eine
Vernehmlassung eingereicht. Art. 4 BV verlangt nicht, dass er sich zu
der ins Auge gefassten Disziplinarmassnahme vor deren Ausfällung noch
speziell hätte äussern können. Auch unter dem Gesichtspunkt der Tragweite
und Schwere der Massnahme drängte sich eine solche Anhörung nicht auf
(vgl. BGE 98 Ia 132 E. 3). Aus BGE 98 Ia 257 kann der Beschwerdeführer
im übrigen nichts für sich ableiten. Der vorliegende Verstoss des
Beschwerdeführers gegen die Standespflichten wiegt nicht leicht und ist
nicht auf Unkenntnis oder Unachtsamkeit zurückzuführen.