Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 1



108 Ia 1

1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Mai
1982 i.S. Heinrich Schad gegen Gemeinde Arosa und Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Formelle Rechtsverweigerung; Nichteintreten auf Rekurs wegen
Verspätung.

    Die Frist zur Einreichung eines Rekurses wegen Umgehung des kommunalen
Finanzreferendums beginnt dann zu laufen, wenn der Stimmberechtigte
zuverlässig davon Kenntnis erhalten hat, dass ein formeller Kreditbeschluss
für ein ganzes Bauvorhaben oder für Mehraufwendungen gegenüber bewilligten
Krediten unterblieben ist (Erw. 2 und 3).

    Zuverlässige Kenntnis von einer Kostenüberschreitung gegenüber der
Abstimmungsvorlage erhält der Stimmbürger nicht schon mit dem Entscheid
über die Baubewilligung (Erw. 4a).

Sachverhalt

    A.- Am 2. März 1980 bewilligten die Stimmberechtigten der Gemeinde
Arosa einen Kredit für die Erstellung einer öffentlichen Parkgarage
mit einer angegliederten Zivilschutzanlage. Nach einer öffentlichen
Ausschreibung vergab der Gemeinderat Arosa die Detailprojektierung
nicht an den Verfasser des Abstimmungsprojektes, sondern an einen
andern Ingenieur. Auf dessen Anregung änderte der Gemeinderat das
Abstimmungsprojekt in verschiedenen Punkten ab; unter anderem wurde die
Zahl der vorgesehenen Parkplätze von zirka 380 auf rund 460 erhöht.

    Heinrich Schad erhob innert der Auflagefrist Einsprache gegen das
abgeänderte Bauprojekt. Seine Beschwerde wurde jedoch am 10. Dezember
1980 abgewiesen. Am gleichen Tag erteilte der Gemeinderat Arosa die
Baubewilligung.

    Mit Beschluss vom 11. Februar 1981 vergab der Gemeinderat
die Baumeisterarbeiten gemäss bereinigter Offerte im Betrag von
Fr. 6'380'194.50. Aus den Erwägungen zum Vergebungsbeschluss geht hervor,
dass gegenüber der Abstimmungsvorlage massive Kostenüberschreitungen
eingetreten waren. Der Gemeinderat bezifferte diese (unter Ausklammerung
der Teuerung) auf effektiv Fr. 444'000.--. Da die Bundessubventionen
wegen der generell verfügten Sparmassnahmen gekürzt worden waren, sind
darüber hinaus Fr. 209'000.-- aus Mitteln der Gemeinde aufzubringen.

    Gegen diesen Beschluss erhob Heinrich Schad Rekurs beim
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Er machte im wesentlichen
geltend, die vom Gemeinderat in eigener Zuständigkeit vorgenommene
Projektänderung bedeute eine Verletzung der Bestimmungen über das
Finanzreferendum. Das Verwaltungsgericht trat auf den Rekurs nicht
ein, überwies die Sache jedoch zur Behandlung als verfassungsrechtliche
Beschwerde an die Regierung. Diese hielt sich ebenfalls für unzuständig. In
der Folge sprach sich die für Kompetenzkonflikte vorgesehene Behörde für
die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts aus.

    Mit Entscheid vom 3. November 1981 trat das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden auf den Rekurs (erneut) nicht ein, weil Schad die
gesetzliche Rekursfrist von 20 Tagen nicht eingehalten habe. Zur Begründung
führte es aus, die Projekterweiterung sei nicht mit der Submission,
sondern mit dem Baubescheid vom 10. Dezember 1980 bekannt geworden. Die
Rüge der Verletzung der Gemeindeverfassung hätte deshalb innert 20 Tagen
nach der Publikation jenes Beschlusses erhoben werden müssen; im Anschluss
an spätere Beschlüsse, insbesondere an den Vergebungsbeschluss, sei sie
nicht mehr zulässig.

    Gegen diesen Entscheid hat Heinrich Schad staatsrechtliche Beschwerde
wegen formeller Rechtsverweigerung eingereicht. Das Bundesgericht heisst
die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer als
Stimmberechtigter der Gemeinde Arosa befugt war, bei einer kantonalen
Instanz zu rügen, die Abänderung eines durch Gemeindeabstimmung genehmigten
Bauprojektes und namentlich die dadurch notwendig gewordenen Mehrkosten
hätten den Stimmbürgern zum Entscheid unterbreitet werden müssen. Es
steht auch fest, dass ein solcher Rekurs innert zwanzig Tagen erhoben
werden musste. Streitig ist einzig, wann diese Frist zu laufen begann.

    b) Art. 55 des Verwaltungsgerichtsgesetzes des Kantons Graubünden
enthält zunächst die allgemein übliche Regel, wonach die Rekursfrist von
der Zustellung des angefochtenen Entscheides an läuft. Absatz 2 dieser
Bestimmung lautet wie folgt:

    "Ist eine Zustellung nicht vorgeschrieben oder nicht üblich, beginnt
   die Frist mit der Kenntnisnahme."

    Dabei dürfte es sich um einen allgemein gültigen Gedanken handeln; ein
anderer Zeitpunkt für den Beginn des Fristenlaufes ist jedenfalls nicht
denkbar, wenn dem Bürger die Ausübung seiner Rechte gewährleistet werden
soll. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, für den Beschwerdeführer
sei die behauptete Umgehung des Finanzreferendums mit der Auflage der
definitiven Projektpläne erkennbar geworden. Die Rekursfrist habe daher
spätestens im Zeitpunkt des Baubescheides, also am 10. Dezember 1980, zu
laufen begonnen. Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, die Mehrkosten
seien aus der Planauflage nicht ersichtlich gewesen, und man könne vom
Bürger auch nicht verlangen, in diesem Verfahren Berechnungen hierüber
anzustellen. Die Argumentation des Verwaltungsgerichtes beruhe auf einer
Verkennung des Unterschiedes zwischen der Tätigkeit des Gemeinderates als
Baubehörde einerseits und als kommunaler Exekutive anderseits. Es könne
dem Bürger nicht zugemutet werden, sich schon dann gegen eine Umgehung
des Finanzreferendums zur Wehr zu setzen, wenn gewisse Mehrkosten nur zu
vermuten seien, aber noch in keiner Weise feststünden.

Erwägung 3

    3.- a) Die unbehinderte Ausübung des Stimm- und Wahlrechtes auf der
Ebene des Bundes, des Kantons und der Gemeinde bildet eine unabdingbare
Grundlage des demokratischen Staatswesens. Es ist daher darauf zu achten,
dass auf diesem Gebiete die Rechte der Bürger genau beachtet werden,
und es ist im Zweifelsfalle eher zugunsten der weitherzigeren Lösung zu
entscheiden (vgl. BGE 102 Ia 461 E. 3b; 95 I 218 E. 3).

    b) Das Verwaltungsgericht hält den angefochtenen Submissionsentscheid
des Gemeinderates von Arosa für ein unter dem Gesichtswinkel des
Finanzreferendums ungeeignetes Anfechtungsobjekt. Dies mag rein äusserlich
gesehen zutreffen. Mit der Arbeitsvergebung selbst kann der Gemeinderat
nicht in das Mitspracherecht des Volkes bei der Bewilligung von Ausgaben
eingreifen. Indessen kann es hierauf nicht entscheidend ankommen. Der
Gemeinderat darf klarerweise nur Arbeiten vergeben, wenn und soweit ihm
dafür der erforderliche Kredit zur Verfügung steht. Trifft dies nicht zu,
so überschreitet er seine Zuständigkeit.

    c) Dem Verwaltungsgericht kann darin beigepflichtet werden,
dass die Anfechtung eines Submissionsentscheides wegen Verletzung der
Bestimmungen über das Finanzreferendum nicht mehr möglich ist, wenn der
behauptete Mangel früher hätte gerügt werden können. In der Tat stellt die
Submission in der Regel einen Teil der Projektausführung dar, während sich
das Referendum nur gegen die Kreditgewährung richten kann. Unterbleibt
aber ein formeller Kreditbeschluss für ein ganzes Bauvorhaben oder für
Mehraufwendungen gegenüber bewilligten Krediten, so muss der Bürger sich
in dem Zeitpunkt zur Wehr setzen können, in dem er mit einer gewissen
Zuverlässigkeit davon Kenntnis erhält, dass referendumspflichtige Ausgaben
ohne Beschluss der Stimmberechtigten getätigt werden sollen; denn anders
liesse sich eine mögliche Verfassungs- oder Gesetzesverletzung nicht
verhindern.

Erwägung 4

    4.- a) Das Verwaltungsgericht glaubt, der Beschwerdeführer
hätte seinen Rekurs wegen Verletzung der Bestimmungen über das
kommunale Finanzreferendum an den Beschluss des Gemeinderates über die
Baubewilligung anschliessen können und müssen. Dies trifft nicht zu. Im
Baubewilligungsverfahren erfolgt regelmässig lediglich eine Auflage der
Pläne, gegebenenfalls mit den notwendigen Erläuterungen. Kostenberechnungen
sind in diesem Verfahren nicht erforderlich. Die Gemeinde Arosa macht
auch nicht geltend, im vorliegenden Falle seien entgegen der Regel solche
Kostenberechnungen öffentlich aufgelegt worden. Es lässt sich daher nicht
sagen, die stimmberechtigten Einwohner der Gemeinde hätten durch die
Planauflage von der Kostenüberschreitung gegenüber der Abstimmungsvorlage
Kenntnis erlangt. Sie hatten auch keinen Anlass, die Pläne in dieser
Hinsicht genauer zu prüfen. Das Baubewilligungsverfahren hat einzig den
Sinn, festzustellen, ob das Bauvorhaben mit den baurechtlichen Vorschriften
von Kanton und Gemeinde übereinstimme; hingegen kommt ihm keine Bedeutung
zu hinsichtlich der Frage, ob es auch finanzrechtlich in Ordnung sei,
d.h. ob der bewilligte Kredit nicht in unzulässiger Weise überschritten
worden sei. Erhebt ein Stimmberechtigter der Gemeinde gegen das Bauprojekt
keine Einsprache oder wird diese abgewiesen, so ist er demnach für die
Zukunft mit Einwendungen ausgeschlossen, welche sich auf die bauliche
Gestaltung des Vorhabens beziehen; dagegen kann entsprechend dem Sinn
der Bauausschreibung unmöglich dasselbe gelten hinsichtlich allfälliger
Rügen, welche das Mitbestimmungsrecht des Volkes bei der Bewilligung von
Ausgaben betreffen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Baueinsprache
erhoben hatte und dass ihm dementsprechend der Baubewilligungsentscheid
mitgeteilt worden war, ist somit im vorliegenden Zusammenhang unerheblich.