Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 V 203



107 V 203

47. Auszug aus dem Urteil vom 24. August 1981 i.S. Ausgleichskasse
des Schweizerischen Bäcker-Konditorenmeister-Verbandes gegen Simon und
Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel Regeste

    Art. 4 BV. Technische und praktische Gründe vermögen eine
Ungleichbehandlung jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn diese nicht zu
unbilligen Ergebnissen führt (Erw. 3).

    Art. 41bis AHVV. Abs. 1 dieser Bestimmung ist gesetzmässig und
verstösst nicht gegen die Rechtsgleichheit (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 17. Juli 1979 verpflichtete die Ausgleichskasse
des Schweizerischen Bäcker-Konditorenmeister-Verbandes den ihr
angeschlossenen Jacques Simon zur Bezahlung von Verzugszinsen auf
einer Beitragsforderung von Fr. ..., nachdem die Beiträge innert der
angesetzten Nachfrist nicht bezahlt worden waren und die Ausgleichskasse
das Betreibungsverfahren eingeleitet hatte.

    Die kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, hiess
eine hiegegen erhobene Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung
gut, dass die nach Art. 41bis Abs. 1 AHVV für den Fall der Betreibung
vorgesehene rückwirkende Verzugszinspflicht gegen die verfassungsmässigen
Grundsätze der Rechtsgleichheit und des Willkürverbotes verstossen.

    Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Mit dem auf den 1. Januar 1979 in Kraft getretenen Art.  14 Abs. 4
lit. e AHVG (Gesetzesnovelle vom 24. Juni 1977: 9. AHV-Revision) wurde
dem Bundesrat die Befugnis erteilt, Vorschriften über die Erhebung von
Verzugszinsen und die Ausrichtung von Vergütungszinsen zu erlassen. Der
Bundesrat hat gestützt hierauf in Art. 41bis AHVV näher umschrieben, unter
welchen Voraussetzungen der säumige Beitragsschuldner zur Leistung von
Verzugszinsen verpflichtet ist. Danach sind Verzugszinsen zu entrichten,
wenn die Ausgleichskasse die Beiträge in Betreibung setzt oder wenn über
den Beitragspflichtigen der Konkurs eröffnet wird; in den übrigen Fällen,
namentlich wenn die Ausgleichskasse eine ausserordentliche Zahlungsfrist
setzt oder Beiträge nachfordert, sind Verzugszinsen nur zu entrichten,
sofern die Beiträge nicht innert 4 Monaten nach Beginn des Zinslaufes
bezahlt werden (Abs. 1). Besondere zusätzliche Bestimmungen gelten
bei Beitragsnachforderungen (Abs. 2). Gemäss Abs. 3 der Bestimmung
laufen die Verzugszinsen vom Ende der Zahlungsperiode an, es sei denn,
es liege eine Nachzahlung vor. Keine Verzugszinsen sind zu entrichten,
wenn die nach Bundesrecht geschuldeten Beiträge weniger als Fr. 3'000.--
ausmachen (Abs. 4). Der Zinssatz beträgt 0,5% je abgelaufenen Monat oder,
wenn die Beitragsforderung in Betreibung gesetzt wird, 6% im Jahr (Abs. 5).

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat die streitige Verfügung mit der Begründung
aufgehoben, dass die ihr zugrundeliegende Verordnungsbestimmung (Art. 41bis
AHVV) gegen die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot verstosse.
Nach Auffassung des kantonalen Richters entspricht die Bestimmung nicht
dem Willen des Gesetzgebers.

    a) Mit Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG hat der Gesetzgeber dem Bundesrat
die Befugnis zum Erlass von Vorschriften über "die Erhebung von
Verzugszinsen und die Ausrichtung von Vergütungszinsen" übertragen. Die
Delegationsnorm enthält keine besonderen Einschränkungen hinsichtlich
der Rechtsetzungsbefugnis, weshalb dem Bundesrat ein weitgehendes
gesetzgeberisches Ermessen eingeräumt ist. Das Gericht hat sich daher auf
die Prüfung zu beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften
offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten
Kompetenzen herausfallen oder aus andern Gründen verfassungs- oder
gesetzwidrig sind. Es kann jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle
desjenigen des Bundesrates setzen und hat über die Zweckmässigkeit der
bundesrätlichen Verordnung nicht zu befinden. Die Verordnungsregelung
verstösst allerdings dann gegen Art. 4 BV, wenn sie sich nicht auf
ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder
wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger
Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht finden lässt bzw. wenn
sie es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten
berücksichtigt werden sollen (BGE 104 Ib 209, 425).

    b) Dass sich die Regelung des Art. 41bis Abs. 1 AHVV im Rahmen der
Delegationsnorm hält, kann nicht zweifelhaft sein (vgl. auch BBl 1976
III 28). Sie führt dagegen insofern zu einer ungleichen Behandlung der
Beitragspflichtigen, als der Betreibungsschuldner ohne Rücksicht auf die
"Schonfrist" von 4 Monaten Verzugszinsen zu bezahlen hat, wogegen der
Nichtbetriebene die Beiträge innert 4 Monaten nach Ende der Zahlungsperiode
ohne Verzugszinsen entrichten kann. Hierin kann entgegen der Auffassung
des Beschwerdegegners und der Vorinstanz jedoch kein Verstoss gegen die
Rechtsgleichheit erblickt werden.

    Für die streitige Regelung sprechen vorab praktische Gründe. Einerseits
stellt es sowohl für den Beitragspflichtigen als auch für die Verwaltung
eine Erleichterung dar, dass grundsätzlich kein Verzugszins zu entrichten
ist, wenn der Beitrag innert 4 Monaten ab Ende der Zahlungsperiode bezahlt
wird. Dadurch erhalten die Verwaltung für die Berechnung der Beiträge
und der Beitragspflichtige für deren Entrichtung die erforderliche Zeit,
ohne dass für eine zusätzliche Zinserhebung aufwendige Berechnungen,
Verbuchungen und Inkassomassnahmen erfolgen müssen. Anderseits stellt es
eine Vereinfachung dar, dass bei Betreibung der Verzugszins innerhalb
der "Schonfrist" von 4 Monaten zusammen mit der Beitragsforderung
geltend gemacht werden kann (Art. 67 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG). Ohne diese
Regelung müsste der Zins (bei Ablauf der Schonfrist) gesondert erhoben und
allenfalls auch gesondert in Betreibung gesetzt werden. Es entspricht somit
einem gewissen praktischen Bedürfnis, dass bei Beitragsentrichtung innert
4 Monaten nach Ende der Zahlungsperiode keine Verzugszinsen zu bezahlen
sind, wogegen die Verzugszinsen sofort geltend gemacht werden können,
wenn die Beitragsforderung in Betreibung gesetzt wird (vgl. hiezu auch
ZAK 1978 S. 436 ff.).

    Nach der Rechtsprechung vermögen technische und praktische Gründe
eine Ungleichbehandlung jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn diese
nicht zu unbilligen Ergebnissen führt (BGE 100 Ia 328 mit Hinweisen;
vgl. auch IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
Bd. I Nr. 69 S. 428 f.). Zu derartigen Ergebnissen führt die
streitige Verordnungsbestimmung nicht. Abgesehen davon, dass sich
die unterschiedliche Regelung der Verzugszinspflicht je nachdem, ob
Betreibung eingeleitet wurde oder nicht, praktisch nur dann auswirkt,
wenn die betriebene Forderung vor Ablauf der "Schonfrist" bezahlt wird,
ist es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit nicht dasselbe,
ob eine Forderung innert einer bestimmten Frist freiwillig oder aber
erst nach Anhebung der Betreibung bezahlt wird. Die ungleiche rechtliche
Behandlung findet somit einen vernünftigen Grund in den tatsächlichen
Verhältnissen. Es besteht daher kein Anlass, die Regelung des Art. 41bis
Abs. 1 AHVV als rechtsungleich und damit als verfassungswidrig zu erachten.

    c) An diesem Ergebnis vermögen auch die Einwendungen der Vorinstanz
hinsichtlich des Vollzugs der Verordnungsbestimmung nichts zu ändern. Wie
das Bundesamt für Sozialversicherung in der Vernehmlassung ausführt,
dürfen die Ausgleichskassen die "Schonfrist" von 4 Monaten nicht generell
gewähren, sondern nur wenn beachtliche Gründe den Beitragspflichtigen
an der Zahlung hindern; anderseits wird die Betreibung (während
der Schonfrist) nur eingeleitet, wenn keine besonderen Verhältnisse
vorliegen, welche einen Zahlungsaufschub rechtfertigen. Im übrigen haben
die Ausgleichskassen ihre Befugnisse hinsichtlich des Beitragsbezugs
pflichtgemäss auszuüben und Beiträge, die auf erfolgte Mahnung hin
nicht bezahlt werden, ohne Verzug auf dem Wege der Betreibung einzuziehen
(Art. 15 Abs. 1 AHVG). Dass dies im Einzelfall zufolge besonderer Umstände
(Arbeitsüberlastung bei Fälligkeitsterminen) nicht möglich ist, macht
die Regelung als solche nicht rechtsungleich oder willkürlich.