Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 V 180



107 V 180

39. Urteil vom 25. August 1981 i.S. Levy gegen Arbeitslosenkasse
des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbandes der Schweiz und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 36 AlVG und 28 Abs. 2 AlVV. Art. 28 Abs. 2 AlVV findet auch auf
den Beruf des Skilehrers Anwendung (Bestätigung der Praxis; Erw. 1).

    Art. 35 Abs. 1 AlVG, Wiedererwägung formell
rechtskräftiger Verfügungen. Rückerstattung zu Unrecht bezogener
Arbeitslosenentschädigungen: Bedeutung der für das Zurückkommen auf
die zweifellos unrichtige Verfügung vorausgesetzten Erheblichkeit der
Berichtigung (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Carlo Levy musste seine Tätigkeit als Skilehrer in der Zeit vom
25. bis 30. Januar 1978 mangels Nachfrage aussetzen. Auf ein Taggeldgesuch
vom 9. März 1978 richtete ihm die Arbeitslosenkasse Entschädigungen im
Gesamtbetrag von Fr. 265.20 aus.

    Anlässlich einer Kassenrevision stellte das Bundesamt für
Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) fest, dass die Taggelder zu Unrecht
ausgerichtet worden seien, weil nach Art. 28 Abs. 2 AlVV für gewisse
Berufsgruppen mit berufsüblichen Wartezeiten, wozu auch die Skilehrer
gehörten, ein Verdienstausfall nur als anrechenbar gelte, wenn er einen
zusammenhängenden Zeitraum von mindestens zwei Wochen umfasse. Demgemäss
verfügte die Arbeitslosenkasse am 9. September 1980 die Rückerstattung
der ausgerichteten Arbeitslosenentschädigungen.

    B.- Die hiegegen vom Versicherten erhobene Beschwerde wurde vom
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 14. November
1980 abgewiesen.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert
Carlo Levy den Antrag auf Aufhebung der Rückerstattungsverfügung vom
9. September 1980...

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 36 AlVG kann der Bundesrat die Anspruchsberechtigung
und die Bemessung der Arbeitslosenentschädigung für Versicherte,
die sich in besonderen Verhältnissen befinden, abweichend von den
gesetzlichen Bestimmungen regeln. Dies gilt u.a. für Arbeitnehmer,
die eine Erwerbstätigkeit mit berufsüblichem Arbeitsausfall ausüben
(Abs. 1). Gestützt hierauf hat der Bundesrat in Art. 28 Abs. 2 AlVV
bestimmt, dass für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe, Theaterpersonal,
Musiker, Reisende, Coiffeure, Privatpflegepersonal, Hausangestellte und
Angehörige von anderen Berufen mit berufsüblichen Wartezeiten ein während
der Dauer des Arbeitsverhältnisses erlittener Verdienstausfall nur als
anrechenbar gilt, wenn er einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens
zwei Wochen umfasst.

    Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, hat diese Bestimmung auch auf
den Beruf des Skilehrers Anwendung zu finden, da bei dieser Tätigkeit
mit berufsüblichen Wartezeiten gerechnet werden muss. In diesem Sinne
hat das Eidg. Versicherungsgericht schon im Rahmen des bis Ende März
1977 gültig gewesenen Art. 40 Abs. 1 AlVV entschieden (vgl. ARV 1960
Nr. 51 S. 98). Weil der Verdienstausfall im vorliegenden Fall keinen
zusammenhängenden Zeitraum von mindestens zwei Wochen umfasste, hat die
Arbeitslosenkasse die fraglichen Taggelder zu Unrecht ausgerichtet.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 35 Abs. 1 AlVG hat die Kasse ausgerichtete
Arbeitslosenentschädigungen, auf die der Versicherte keinen Anspruch hatte,
zurückzufordern; bei gutem Glauben und gleichzeitigem Vorliegen einer
grossen Härte kann die Rückforderung auf Gesuch hin ganz oder teilweise
erlassen werden.

    Diese Regelung entspricht weitgehend Art. 47 Abs. 1 AHVG (anwendbar
auch auf die Invalidenversicherung gemäss Art. 49 IVG). Mit Bezug auf
die Geldleistungen der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
hat das Eidg. Versicherungsgericht festgestellt, dass eine Rückforderung
nur unter den für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen
massgebenden Voraussetzungen erfolgen darf. Danach kann die Verwaltung
eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand einer
(materiellen) gerichtlichen Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung
ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher
Bedeutung ist (BGE 103 V 128).

    Diese Grundsätze gelten sinngemäss in der Arbeitslosenversicherung;
sie finden auch dann Anwendung, wenn die zur Rückforderung Anlass gebenden
Leistungen formlos verfügt worden sind (nicht veröffentlichtes Urteil
Beeler vom 30. November 1979).

    b) Im vorliegenden Fall steht fest, dass die streitigen
Arbeitslosenentschädigungen im Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 AlVV zu
Unrecht ausgerichtet worden sind. Dabei kann die für die Wiedererwägung
vorausgesetzte zweifellose Unrichtigkeit der Verfügung als gegeben
erachtet werden. Fraglich erscheint dagegen, ob die Berichtigung der
Verfügung von erheblicher Bedeutung ist.

    Das BIGA vertritt die Auffassung, dass die Bedeutung der Rückforderung
grundsätzlich nicht von der Höhe des unrechtmässig ausbezahlten Betrages
abhängig sei, weil die Kasse nach Art. 35 AlVG gesetzlich verpflichtet
sei, unrechtmässig ausgerichtete Leistungen zurückzufordern. Dem
ist entgegenzuhalten, dass die für die Wiedererwägung rechtskräftiger
Verfügungen massgebenden Voraussetzungen auch im Rahmen von Art. 35 AlVG
Geltung haben, wodurch das Legalitätsprinzip zugunsten der Rechtssicherheit
eingeschränkt wird. Die Höhe des unrechtmässig ausbezahlten Betrages ist
dabei insofern von Bedeutung, als das Interesse der Verwaltung an der
richtigen Durchführung des objektiven Rechts in der Regel umso weniger
ins Gewicht fällt, je geringer die zu Unrecht ausgerichteten Leistungen
sind. Die Voraussetzung der Erheblichkeit der Berichtigung dient im
übrigen der Verwaltungs- und der Prozessökonomie.

    Eine allgemein gültige betragliche Grenze für die Voraussetzung der
Erheblichkeit der Berichtigung lässt sich nicht festlegen. Massgebend
sind die gesamten Umstände des Einzelfalles, wozu auch die Zeitspanne
gehört, welche seit Erlass der zu Unrecht ergangenen Verfügung verstrichen
ist. Vorliegend geht es um die Rückerstattung von vier im Jahre 1978 zu
Unrecht ausgerichteten Taggeldern im Gesamtbetrage von Fr. 265.20. Dieser
Betrag erscheint in Würdigung der gesamten Umstände nicht als derart
erheblich, dass das Interesse der Verwaltung an der richtigen Durchführung
des objektiven Rechts gegenüber demjenigen an der Rechtssicherheit
überwiegen würde. Die Voraussetzungen zu einer Rückforderung der streitigen
Arbeitslosenentschädigungen sind daher nicht gegeben.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 14. November 1980
und die Verfügung der Arbeitslosenkasse des Christlichen Holz- und
Bauarbeiterverbandes der Schweiz vom 9. September 1980 aufgehoben.