Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 V 106



107 V 106

22. Urteil vom 14. April 1981 i.S. Doval gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste

    Art. 62 Abs. 2 KUVG. Dauer der Versicherungsdeckung bei
Arbeitsunterbrüchen des Bezügers von Ferienvergütung (die anstelle des
effektiven Bezugs bezahlter Ferien ausgerichtet wird): Bestätigung der
SUVA-Praxis, Präzisierung in beweismässiger Hinsicht.

Sachverhalt

    A.- Der 1939 geborene spanische Staatsangehörige Armando Doval war
ab März 1975 als Maurer bei der Firma N. tätig gewesen. Am 16. April 1976
reiste er nach Spanien, wo er am 27. Mai 1976 einen Verkehrsunfall erlitt,
bei welchem er sich eine Quetschung der Wirbelsäule zuzog. Nach seiner
Rückkehr in die Schweiz reichte die Arbeitgeberfirma am 7. Juli 1976
eine Unfallanzeige bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) ein.

    Am 23. Juli 1976 eröffnete die SUVA Armando Doval, dass die
obligatorische Unfallversicherung nach der gesetzlichen Regelung mit
Ablauf des 30. Tages nach dem Tage ende, an dem der Anspruch auf den
vollen oder mindestens halben Lohn aufhöre. Weil ein Lohnanspruch nur
bis zum 15. April 1976 bestanden habe, sei er am Unfalltag nicht mehr
versichert gewesen, weshalb keine Leistungen erbracht werden könnten. Am
5. August 1976 erliess sie eine entsprechende beschwerdefähige Verfügung.

    B.- Beschwerdeweise machte Armando Doval geltend, er habe in der
fraglichen Zeit Ferien bezogen; da der 16. April 1976 Karfreitag gewesen
sei, hätten die Ferien erst am 20. April 1976 begonnen und am 10. Mai
1976 geendet. Bis zu diesem Zeitpunkt sei er lohnanspruchsberechtigt
und demzufolge bis zum 9. Juni 1976 bei der SUVA versichert gewesen. Im
übrigen habe er das Arbeitsverhältnis am 15. April 1976 nicht aufgelöst,
sondern es nach dem Unfall weitergeführt.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde am
31. Mai 1979 mit der Begründung ab, dass sich aus der von Armando Doval
bezogenen Ferienvergütung von 7% des Lohnes für die Zeit vom 14. März 1975
bis 15. April 1976 ein Ferienanspruch von 17,5 Arbeitstagen ergebe. Bis
zum 15. April 1976 habe er hievon bereits 13 Tage bezogen, so dass ihm
noch 4,5 Tage verblieben seien. Der Ferien- und damit auch der Lohnanspruch
hätten folglich spätestens am 26. April 1976 mittags geendet. Die 30tägige
Frist gemäss Art. 62 Abs. 2 KUVG habe daher am 27. April 1976 begonnen
und am 26. Mai 1976 geendet, weshalb er am Unfalltag nicht mehr versichert
gewesen sei.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Armando
Doval beantragen, die SUVA sei zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen
für den Unfall vom 27. Mai 1976 zu gewähren. Er anerkennt grundsätzlich
die von der Vorinstanz vorgenommene Berechnung der 30tägigen Frist,
bestreitet jedoch, im Jahre 1975 acht Tage Ferien bezogen zu haben.

    Die SUVA beantragt unter Hinweis auf ihre Praxis Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 62 Abs. 2 KUVG endet die Versicherung mit dem 30. Tag
nach dem Tage, an dem der Anspruch auf den vollen oder mindestens halben
Lohn aufhört. Nicht entscheidend ist, an welchem Tag der Versicherte die
Arbeit effektiv einstellt. Ob ein Lohnanspruch über den Zeitpunkt der
Einstellung der Arbeit hinaus besteht, ist im Einzelfall nach Massgabe der
gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zu beurteilen (vgl. MAURER,
Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung,
2. Aufl. S. 64 ff.).

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz hat bei der Festsetzung der 30tägigen Frist
des Art. 62 Abs. 2 KUVG einen Ferienbezug in der Zeit vor dem 16. April
1976 von 13 Tagen in Rechnung gestellt. Der Beschwerdeführer anerkennt
hievon lediglich fünf Tage (22. bis 28. Januar 1976) und bestreitet,
bereits im Jahre 1975 acht Tage Ferien bezogen zu haben. Er macht
im wesentlichen geltend, dass sich die entsprechende Annahme der
Vorinstanz auf eine Aufstellung des Arbeitgebers stütze, die erst am 15.
April 1977 erstellt worden sei, und dass die Angaben hinsichtlich des
angeblichen Ferienbezugs (17. Juli, 21. bis 25. Juli, 14./16. Oktober
und 27. November 1975) offensichtlich nachträglich durch eine Drittperson
eingefügt worden seien; auch gehe aus den Akten nicht hervor, worauf sich
die Aufstellung stütze. Ferner weist er darauf hin, dass der Lohnanspruch
für diese Zeit bereits im Forderungsprozess gegen den Arbeitgeber vor
dem Bezirksgericht Zürich streitig gewesen sei und er die entsprechenden
Lohnabrechnungsblätter des Arbeitgebers, die mit den Arbeitsrapporten
nicht übereingestimmt hätten, nicht unterzeichnet habe. Die Behauptung
des Arbeitgebers, wonach er im Juli 1975 eine Woche nicht gearbeitet
habe, sei damit zu erklären, dass der Arbeitgeber sich im Juli/August
1975 in Zahlungsschwierigkeiten befunden und in der Folge versucht habe,
die Lohnansprüche herabzusetzen.

    b) Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände verbieten es,
der Aufstellung des Arbeitgebers mit Bezug auf den streitigen Ferienbezug
vollen Beweiswert beizumessen. Der Beschwerdeführer hat aber auch nicht den
Nachweis dafür erbracht, dass er während der fraglichen Zeit tatsächlich
gearbeitet hat. Da von weiteren Abklärungen kaum schlüssige Ergebnisse
zu erwarten wären, ist die Frage, welche Darstellung als zutreffend
zu gelten hat, aufgrund der Akten nach Massgabe der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu beurteilen. Dabei fällt entscheidend ins Gewicht,
dass der Beschwerdeführer nach den Angaben des Arbeitgebers angeblich
vom 21. bis 25. Juli 1975 nicht gearbeitet hat. Für diese Zeit legt
der Beschwerdeführer aber die Photokopie eines Arbeitsrapportes auf,
demgemäss er vom 21. bis 25. Juli 1975 an drei Baustellen insgesamt
während 49 Stunden gearbeitet hat. Auch wenn er damit nicht den Beweis
dafür erbringt, dass der streitige Ferienbezug zu Unrecht angenommen
wurde, ist der eingereichte Beleg doch geeignet, seine Angaben als
richtig erscheinen zu lassen. Da auch die SUVA hiegegen nichts Konkretes
vorbringt, ist die Darstellung des Beschwerdeführers als die überwiegend
wahrscheinliche zu erachten. Es ist daher von der Annahme auszugehen,
dass er in der fraglichen Zeit gearbeitet hat, was dazu führt, dass der
von der Vorinstanz angenommene Ferienvorbezug um mindestens fünf Tage zu
kürzen ist.

Erwägung 3

    3.- a) Die SUVA macht zur Hauptsache geltend, dass Bezüger von
Ferienvergütung (die anstelle des effektiven Bezugs bezahlter Ferien
ausgerichtet wird) gewisse Voraussetzungen erfüllen müssten, damit
ihre Abwesenheiten vom Arbeitsplatz im Hinblick auf Art. 62 Abs. 2 KUVG
versicherungsrechtlich gleich behandelt werden könnten wie der effektive
Ferienbezug bei Lohnfortzahlungspflicht. Praxisgemäss werde eine fiktive
Lohnfortzahlungspflicht angenommen, wenn die Ferienvergütung mindestens
50% des Lohnes ausmache, sie spätestens anlässlich des ersten Zahltages
nach den Ferien ausgerichtet werde und Beginn und Ende der Ferien vor dem
Unfall vereinbart worden seien. Die letztgenannte Voraussetzung begründet
die SUVA damit, dass stabile arbeitsvertragliche Beziehungen vorliegen
müssten und dass die obligationenrechtliche Regelung (Art. 329c OR)
zumindest eine Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über Zeitpunkt
und Dauer des Ferienbezuges voraussetze. Eine solche Abrede sei auch im
Hinblick auf die Frage der Versicherungsdeckung unerlässlich; andernfalls
bestehe die Gefahr von Missbräuchen, indem bei Nichtbetriebsunfällen
nachträglich eine Versicherungsdeckung herbeigeführt werden könnte.

    b) Dass die SUVA ein Weiterbestehen der Versicherungsdeckung unter
bestimmten Voraussetzungen auch bei Arbeitsunterbrüchen des Bezügers von
Ferienvergütung vorsieht, ist nicht zu beanstanden. Die genannte Praxis
verstösst weder gegen das KUVG noch gegen allgemeine Rechtsgrundsätze;
es besteht auch kein Grund zur Annahme, dass sie nicht rechtsgleich
gehandhabt wird.

    Mit Bezug auf die Voraussetzung der vorgängigen Ferienabrede ist
zu beachten, dass die Frage, ob Freizeit als Ferienanspruch (der durch
Ferienvergütung abgegolten wird) oder als unbezahlter Urlaub bezogen
wird, bei Arbeitsverhältnissen insbesondere im Baugewerbe vielfach
nicht derart klar geregelt wird, wie es die SUVA voraussetzt. Strenge
Beweisanforderungen hätten bei derartigen Arbeitsverhältnissen zur Folge,
dass die Praxis der Ferienanrechnung in den meisten Fällen überhaupt nie
zum Tragen käme. In beweismässiger Hinsicht muss es daher genügen, wenn
nach den gesamten Umständen - mindestens im Sinne eindeutigen konkludenten
Verhaltens - als glaubhaft erscheint, dass eine Abwesenheit im Sinne eines
Ferienbezuges vereinbart worden ist. Dabei wird in Fällen, in denen ein
gewisser Ferienanspruch besteht und in denen der Arbeitgeber mindestens
zum voraus über den bevorstehenden Arbeitsunterbruch orientiert worden
ist und hiegegen keine Einwendungen erhoben hat, in der Regel anzunehmen
sein, dass an den Arbeitsunterbruch in erster Linie das Ferienguthaben
anzurechnen sei.

    c) Der Beschwerdeführer hat im vorinstanzlichen Verfahren eingehend
dargelegt, unter welchen Umständen er nach Spanien verreist ist. Seine
Behauptung, dass er die Vorgesetzten über den Grund seiner Abreise
(Operation des in Spanien lebenden Vaters) orientiert und ihnen gesagt
habe, dass er deshalb Ferien beziehen wolle, ist vom vorinstanzlichen
Instruktionsrichter anlässlich der Parteibefragung als glaubhaft erachtet
worden. Die SUVA stellte hierauf ein Begehren um Einräumung einer Frist
zur Überprüfung des Falles im Hinblick auf eine allfällige Anerkennung
der Beschwerde, welchem stattgegeben wurde. In der Folge reichte sie unter
Hinweis auf den hängigen Zivilprozess ein Sistierungsbegehren ein, welchem
ebenfalls entsprochen wurde. Nach Abschluss jenes Verfahrens brachte
sie zur Frage nach dem Bestehen einer Ferienabrede keine substantiellen
Einwendungen mehr vor. Für das Eidg. Versicherungsgericht besteht unter
diesen Umständen kein Grund, von der sich aus dem vorinstanzlichen
Gerichtsprotokoll ergebenden Auffassung des kantonalen Richters
abzugehen, wonach mindestens durch konkludentes Verhalten zwischen dem
Beschwerdeführer und seinem Arbeitgeber der Bezug der fälligen Ferientage
vereinbart worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer
die Abwesenheit in der Folge über die Dauer des Ferienanspruchs hinaus
ausgedehnt hat. Offenbleiben kann auch, inwieweit er durch die spätere
Wiederaufnahme der Arbeit einen zusätzlichen Ferienanspruch erworben hat,
welcher angerechnet werden könnte.

Erwägung 4

    4.- Nach dem Gesagten ist die Abwesenheit des Beschwerdeführers ab
dem 16. bzw. 20. April 1976 als zum voraus vereinbarter Ferienbezug zu
werten. Da auch die übrigen Voraussetzungen zur Annahme einer fiktiven
Lohnfortzahlungspflicht im Sinne der SUVA-Praxis als erfüllt gelten
können, ist nach den unbestritten gebliebenen Berechnungen der Vorinstanz
von einem Ferien- bzw. Lohnanspruch von 17,5 Tagen auszugehen. Weil der
von der Vorinstanz ermittelte Ferienvorbezug um mindestens fünf Tage zu
kürzen ist, war die 30tätige Frist des Art. 62 Abs. 2 KUVG am 27. Mai 1976
noch nicht abgelaufen, weshalb der Beschwerdeführer für den erlittenen
Nichtbetriebsunfall als versichert zu gelten hat.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid
des Versicherungsgerichtes des Kantons Zürich vom 31. Mai 1979 und die
Verfügung der SUVA vom 5. August 1976 aufgehoben und es wird festgestellt,
dass die SUVA für den Nichtbetriebsunfall vom 27. Mai 1976 die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen hat.