Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 98



107 IV 98

29. Urteil des Kassationshofes vom 5. Oktober 1981 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 64 StGB, Betätigen aufrichtiger Reue durch Schadensdeckung.

    Fall einer Schadensdeckung durch die Eltern des Täters unter Anrechnung
als Erbvorempfang.

Sachverhalt

    A.- Das Bezirksgericht Aarau verurteilte am 24. September 1980 B. wegen
qualifizierten Raubes, für den Art. 139 Ziff. 2 StGB eine Mindeststrafe
von fünf Jahren Zuchthaus vorsieht, sowie wegen bandenmässigen und
einfachen Diebstahls und weiterer Verfehlungen (Gesamtschaden über Fr.
30'000.--) zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus, abzüglich 310 Tage erstandener
Untersuchungshaft, wobei es das Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes
verneinte.

    Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte am 25. Juni 1981 im
Berufungsverfahren den Schuldpunkt mit einer geringfügigen, hier nicht
in Betracht fallenden Modifikation und setzte die Strafe auf viereinhalb
Jahre Zuchthaus, abzüglich 584 Tage erstandener Untersuchungshaft, herab,
wobei es dem Verurteilten den Strafmilderungsgrund der aufrichtigen Reue
und Schadensdeckung im Sinne von Art. 64 StGB zugute hielt.

    B.- Gegen diesen Entscheid erhebt die Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil
sei wegen Verletzung von Art. 64 StGB aufzuheben und die Sache sei zur
Neufestsetzung einer Strafe von mehr als fünf Jahren Zuchthaus, ohne
Berücksichtigung des Strafmilderungsgrundes der aufrichtigen Reue, an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist lediglich, ob die Vorinstanz dem Beschwerdegegner
den Strafmilderungsgrund der Betätigung aufrichtiger Reue im Sinne
von Art. 64 StGB zu Recht zugebilligt habe. Nach der Rechtsprechung
betätigt aufrichtige Reue nur, wer aus eigenem Entschluss etwas tut,
das als Ausdruck seines Willens anzusehen ist, geschehenes Unrecht
wieder gutzumachen (BGE 73 IV 160). Als Beispiel erwähnt das Gesetz die
Schadensdeckung, soweit sie dem Täter zumutbar war. Demnach kann nicht
jede Schadensdeckung als Betätitung aufrichtiger Reue gewertet werden. Mit
dem Hinweis auf die Zumutbarkeit und die "Betätigung" der Reue verlangt
das Gesetz eine besondere Anstrengung von seiten des Fehlbaren, die er
freiwillig, nicht nur vorübergehend und nicht nur unter dem Druck des
drohenden oder hängigen Strafverfahrens erbringen muss. Wer sich erst
unter dem Druck des drohenden Verfahrens zu einer besonderen Anstrengung
herbeilässt, bekundet keine aufrichtige Reue, sondern handelt aus
taktischen Gründen und verdient deshalb keine besondere Milde (BGE 98
IV 310, 96 IV 109/110). Auch in der Literatur wurde betont, aufrichtige
Reue im Sinne von Art. 64 StGB müsse ein besonderes, freiwilliges und
uneigennütziges Verhalten sein, durch das der Täter den greifbaren Beweis
seiner Reue erbringe, bei dem er Einschränkungen auf sich nehme und
alles daran setze, das geschehene Unrecht wieder gutzumachen (SCHULTZ,
Einführung in den allg. Teil des Strafrechts, 3. Aufl. S. 80; BRINER,
Die ordentliche Strafmilderung nach dem schweizerischen Strafgesetzbuch
unter besonderer Berücksichtigung der Strafmilderungsgründe des Art. 64,
Diss. Zürich 1977 S. 129; MAURER, Die Strafzumessung im schweizerischen
Strafgesetzbuch, Diss. Zürich 1945 S. 98).

Erwägung 2

    2.- Nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen, die
das Bundesgericht seinem Entscheid zugrunde legen muss (Art. 277bis
Abs. 1 BStP), haben die vermöglichen Eltern des Beschwerdegegners
dessen Verteidiger beauftragt, mit den Geschädigten den Schaden zu
regeln. Der Verteidiger schloss in der Folge mit allen Geschädigten
Vereinbarungen. Die Schadenersatzansprüche wurden noch vor der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung aus dem Vermögen der Eltern
beglichen. Der Beschwerdegegner erklärte sich bereit, diese Geldleistung
seiner Eltern sich als Erbvorempfang anrechnen zu lassen.

    Die Vorinstanz begründete den Strafmilderungsgrund der Betätigung
aufrichtiger Reue im wesentlichen wie folgt: Um die Eltern zur
Vorschussleistung zu gewinnen, habe der Beschwerdegegner mit ihnen
intensive Gespräche führen müssen. Das offenbare eine Willensanstrengung
sowie einen innern Einsatz und zeige, dass dem Beschwerdegegner aufgrund
echter Einsicht an der Wiedergutmachung gelegen sei. Dasselbe ergebe
sich daraus, dass er sich im vorzeitigen Strafvollzug anstrenge und
sich bemühe, von seinem früheren Lebenswandel Distanz zu gewinnen -
eine Einstellung, die auch durch den persönlichen Eindruck bekräftigt
werde. Der Beschwerdegegner erleide eine Schmälerung seines Erbteils und
erbringe insofern eine eigene Leistung, ähnlich wie der Täter, der zur
Schadensdeckung eine Lohnzession vornehme. Er habe zwar erst während des
Verfahrens, aber nicht unter dem Druck desselben und nicht aus taktischen
Gründen gehandelt. Er sei am 20. November 1979 verhaftet worden und hätte
demzufolge gar nicht lange Gelegenheit gehabt, in der Freiheit den Schaden
zu ersetzen und dadurch Reue zu bekunden, ganz abgesehen davon, dass er
damals noch andere Probleme gehabt habe. In der Untersuchungshaft habe er
dann wegen der Einschränkungen in seiner persönlichen Handlungsfreiheit
nicht selbst vorgehen können, sondern die Hilfe seines Verteidigers in
Anspruch nehmen müssen. Dass seine Eltern vermöglich seien, stelle keine
Privilegierung dar, denn in den Genuss dieser Strafmilderung könne in jedem
Falle nur ein Täter gelangen, der sich die Mittel zur Schadenersatzleistung
irgendwie verschaffen könne.

    Die Beschwerdeführerin bringt demgegenüber vor, die eigentliche
Anstrengung zur Schadensdeckung sei nicht vom Beschwerdegegner, sondern
von dessen Eltern und vom Verteidiger ausgegangen. Mit der Zustimmung, die
bezahlten Schadenersatzbeträge sich als Erbvorempfang anrechnen zu lassen,
habe der Beschwerdegegner keine persönliche Leistung erbracht, weil die
Geschädigten später ohnehin auf seinen Erbteil hätten greifen können. Er
habe deswegen auch nicht auf ein Recht verzichtet. Von innerem Einsatz,
echter Einsicht und von Bestreben, vom früheren Lebenswandel Distanz zu
gewinnen, könne keine Rede sein, nachdem der Beschwerdegegner am 12. Juli
1981 aus einem Urlaub nicht in den Strafvollzug zurückgekehrt und seither
flüchtig sei. Die Schadenersatzzahlung sei vielmehr aus taktischen Gründen
erfolgt. Die Anwendung von Art. 64 StGB in Fällen dieser Art liefe im
übrigen auf eine ungerechtfertigte Privilegierung eines Angeklagten
hinaus, dessen Eltern vermöglich und ersatzbereit seien. Die Vorinstanz
habe demnach Art. 64 StGB verletzt.

Erwägung 3

    3.- a) Nach der angeführten Rechtsprechung kann die Schadensdeckung
nur dann als Betätigung aufrichtiger Reue gewertet werden, wenn sie auf
einer besondern und freiwilligen Anstrengung beruht, die der Täter unter
Inkaufnahme von Einschränkungen persönlich erbringt. Im vorliegenden Fall
ist der Beschwerdeführerin darin beizupflichten, dass die eigentlichen
Anstrengungen zur Schadensdeckung nicht vom Beschwerdegegner, sondern
von dessen Eltern und vom Verteidiger unternommen worden waren. Der
Beschwerdegegner war in der Untersuchungshaft aber in seiner persönlichen
Handlungsfreiheit beschränkt. Unter diesen Umständen darf ihm kein Nachteil
daraus erwachsen, dass er die Besprechung mit den Geschädigten über die
Schadensregulierung nicht persönlich, sondern durch seinen Verteidiger
und seine Eltern führte.

    Nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen musste der
Beschwerdegegner mit seinen Eltern intensive Gespräche führen, um diese
zur Schadensdeckung zu gewinnen. Indem er sich die von den Eltern bezahlten
Schadenersatzbeträge auf seinen Erbteil anrechnen liess, nahm er gegenüber
seinen Miterben eine Schmälerung seines Erbteils, unter Umständen sogar
eine spätere Herausgabepflicht in Kauf. Die intensiven Gespräche mit
den Eltern und die Schmälerung des Erbteils durfte die Vorinstanz ohne
Verletzung von Bundesrecht als eine persönliche und freiwillige Anstrengung
werten, die dem Beschwerdegegner eine Einschränkung brachte.

    Der Beschwerdeführerin kann darin beigepflichtet werden, dass die
Gläubiger später ohnehin auf den Erbteil des Beschwerdegegners hätten
greifen können (dessen Höhe heute allerdings noch nicht feststeht, so
dass unsicher ist, ob sie später durch den Erbteil volle Deckung hätten
erhalten können). Das steht der Anwendung von Art. 64 StGB indessen nicht
entgegen, denn das Wesen der tätigen Reue besteht ja gerade darin, dass
der Täter freiwillig und noch vor der Urteilsfällung eine ihn persönlich
einschränkende Leistung erbringt, statt sich erst später zu dieser Leistung
auf dem Rechtswege zwingen zu lassen.

    Wohl wird der Beschwerdegegner durch den nur teilweisen Verzicht
auf seinen künftigen Erbanteil persönlich weniger stark eingeschränkt,
als wenn er z.B. zur Schadensdeckung eine Darlehen aufgenommen und
sich zu dessen Rückzahlung in monatlichen Raten verpflichtet hätte. Das
ist indessen unerheblich, denn in beiden Fällen nimmt er eine gewisse
Einschränkung auf sich. Es muss ihm das Recht zugestanden werden,
von zwei möglichen Arten der Schadensdeckung jene zu wählen, die ihn
weniger belastet. Es wäre unsinnig, von ihm zu verlangen, er hätte das
erbetene und schliesslich erfolgte Anerbieten seiner Eltern ausschlagen
und zur Schadensdeckung ein Darlehen aufnehmen müssen (das er nach der
Urteilsfällung ja auch mit Hilfe der Eltern und unter Verzicht auf einen
entsprechend hohen Erbanteil hätte zurückzahlen können).

    b) In subjektiver Hinsicht setzt die Zubilligung des genannten
Strafmilderungsgrundes voraus, dass der Täter nicht nur unter dem
Eindruck eines bevorstehenden oder hängigen Strafverfahrens und aus
taktischen Gründen, sondern aus aufrichtiger Reue und in der Absicht
handelt, geschehenes Unrecht wieder gutzumachen. Mit welchem Beweggrund
und in welcher Absicht ein Täter handelte und der Schluss von seiner
Handlungsweise auf seinen Charakter sind Tatfragen (BGE 104 IV 245 E. 3
lit. b, 101 IV 15, 100 IV 182 E. 3, 99 IV 86 E. c und 8 E. 3), an deren
Beantwortung durch die Vorinstanz das Bundesgericht gebunden ist.

    Die Vorinstanz hielt ausdrücklich fest, der Beschwerdegegner habe
zwar während, aber nicht unter dem Druck des vorliegenden Verfahrens und
nicht aus taktischen Gründen gehandelt; seine mit den Eltern geführten
intensiven Gespräche hätten eine Willensanstrengung und einen innern
Einsatz des Beschwerdegegners bekundet, "dem es aufgrund echter Einsicht
daran gelegen war, die Wiedergutmachung zu regeln"; dass dem so sei, ergebe
sich auch daraus, dass er sich im vorzeitigen Strafvollzug anstrenge
und sich bemühe, von seinem früheren Leben Distanz zu gewinnen. Diese
Feststellungen tatsächlicher Art hat das Bundesgericht seinem Entscheid
zugrunde zu legen (Art. 277bis Abs. 1 BStP).

    Die Beschwerdeführerin wendet ein, von echter Einsicht und von einem
Bestreben, vom früheren Leben Distanz zu gewinnen, könne keine Rede sein,
nachdem der Beschwerdegegner am 12. Juli 1981 aus einem Urlaub nicht
zurückgekehrt und seither flüchtig sei. Dieses von der Beschwerdeführerin
geschilderte Verhalten spricht tatsächlich gegen die vorinstanzliche
Annahme, doch handelt es sich dabei um eine erst nach der Urteilsfällung
zutage getretene neue Tatsache, die in diesem Verfahren weder vorgebracht
noch berücksichtigt werden darf (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis
Abs. 1 BStP). Das Bundesgericht hat demnach davon auszugehen, dass der
Beschwerdegegner die Schadensdeckung weder aus taktischen Gründen noch
unter dem Druck des Strafverfahrens vornahm, sondern aus echter Einsicht,
im Bestreben um die Wiedergutmachung des Schadens und im Bemühen, von
seinem früheren Leben Distanz zu gewinnen. Unter diesen Umständen kann der
Vorinstanz keine Verletzung von Bundesrecht zur Last gelegt werden, wenn
sie (zumindest im Zweifel) dem Beschwerdegegner den Strafmilderungsgrund
der Betätigung aufrichtiger Reue zugute hielt. Es kann auch nicht gesagt
werden, ihr Entscheid privilegiere in ungerechtfertigter Weise einen
Beschuldigten, dessen Eltern vermöglich seien. Wären seine Eltern nicht
vermöglich, hätte der Beschwerdegegner die Möglichkeit gehabt, in anderer
Weise sich um die ganze oder teilweise Schadensdeckung zu bemühen und
aufrichtige Reue zu betätigen, worauf ihm der Strafmilderungsgrund des
Art. 64 StGB ebenfalls hätte zugutegehalten werden können. Die Beschwerde
erwiest sich demnach, so sehr man für den Antrag der Beschwerdeführerin
Verständnis aufbringen mag, angesichts der verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz als unbegründet.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.