Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 81



107 IV 81

24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1981 i.S. S.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 18 Abs. 2, Art. 137 Ziff. 2 StGB; Gewerbsmässigkeit;
Fortsetzungszusammenhang; "ne bis in idem".

    1. Das gewerbsmässige Delikt ist nicht eo ipso eine besondere Art
der fortgesetzten Straftat.

    2. Fortsetzungszusammenhang kann nur angenommen werden, wenn die
einzelnen Taten nach Art, Zeit und Ort eine gewisse Einheit bilden und
vom Gesamtvorsatz des Täters umfasst werden.

    3. Die Rechtskraft eines Urteils betreffend gewerbsmässigen Diebstahl
erstreckt sich nicht auf nachträglich entdeckte Diebstähle, die zu den
bereits beurteilten nicht in einem Fortsetzungszusammenhang stehen.

Sachverhalt

    A.- Am 29. Mai 1978 sprach das Strafamtsgericht Bern S. des Diebstahls,
versucht und vollendet, gewerbsmässig und unter Offenbarung besonderer
Gefährlichkeit, begangen in Bern und Umgebung in der Zeit vom 7. März bis
15. September 1977 unter anderem in den Fällen gemäss Überweisungsbeschluss
(17 Fälle) in einem Deliktsbetrag von Fr. 813.40 schuldig und verurteilte
ihn zu 14 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von
vier Jahren. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.

    Am 24. Februar 1981 sprach das Obergericht des Kantons Bern in
teilweiser Abänderung eines Urteils des Strafamtsgerichts Biel vom
2. Oktober 1980 S. unter anderem des Diebstahls, gewerbsmässig und
teilweise unter Offenbarung besonderer Gefährlichkeit begangen (28 Fälle,
zur Hauptsache Leerung von Geldautomaten in Waschküchen, in der Zeit
zwischen dem 14. Oktober 1976 und dem 14./15. September 1979) schuldig und
bestrafte ihn mit zwei Jahren Zuchthaus, abzüglich 505 Tage Untersuchungs-
und Sicherheitshaft, unter Anordnung einer ambulanten psychotherapeutischen
Behandlung. Der S. vom Strafamtsgericht Bern seinerzeit gewährte bedingte
Strafvollzug wurde widerrufen.

    In seiner eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde wirft S. dem
Obergericht die Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" vor.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt demnach, ob S. wegen der von ihm vor dem
15. September 1977 begangenen Diebstähle, die dem Strafamtsgericht Bern
nicht bekannt waren, ohne Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem",
der dem Bundesrecht angehört (BGE 86 IV 52 mit Verweisungen), nachträglich
noch verurteilt werden durfte. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab,
ob die Rechtskraft des Urteils des Strafamtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978
sich auch auf diese dem Gericht unbekannten Diebstähle erstrecke. Dies
ist zu verneinen.

    a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt
gewerbsmässig, wer in der Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen,
und mit der Bereitschaft, gegenüber unbestimmt vielen vorzugehen, die Tat
verübt (BGE 99 IV 88 E. 7 mit Verweisungen). Der bei der Definition der
Gewerbsmässigkeit oft verwendete Begriff der "wiederholten" Tatbegehung
(z.B. BGE 94 IV 21) bedeutet nichts anderes als "mehrfaches" Handeln. Mit
der unangefochten gebliebenen Annahme des Obergerichts, S. habe die
Diebstähle gewerbsmässig verübt, ist noch nicht entschieden, ob zwischen
den einzelnen Tathandlungen Fortsetzungs- oder Wiederholungszusammenhang
bestehe. Das gewerbsmässige Delikt ist nicht eo ipso eine besondere Art der
fortgesetzten Straftat. Die für den gewerbsmässig handelnden Täter typische
Bereitschaft, gegenüber unbestimmt vielen zu handeln, und seine Absicht,
sich ein Erwerbseinkommen zu verschaffen, sind weder identisch mit dem
zur Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs erforderlichen einheitlichen
Willensentschluss, noch lassen sie ohne weiteres den Schluss auf einen
solchen zu. Ob und inwiefern Fortsetzungszusammenhang bestehe, ist auch
beim gewerbsmässigen Delikt konkret abzuklären.

    b) Ein einheitlicher Willensentschluss im Sinne der Rechtsprechung
liegt nicht schon dann vor, wenn sich der Täter lediglich vornimmt,
zahlreiche gleichartige Straftaten zu verüben, deren Ausführung nach
Art, Zeit und Ort aber ungewiss und überhaupt nicht konkretisiert
ist. Fortsetzungszusammenhang kann nur angenommen werden, wenn die
einzelnen Taten nach Art, Zeit und Ort eine gewisse Einheit bilden und vom
Gesamtvorsatz des Täters umfasst werden (BGE 102 IV 77/78 mit Hinweisen auf
deutsche Autoren), was eine gewisse Konkretisierung der Taten voraussetzt.

    Die Vorinstanz zieht offenbar aus ihrer Annahme, S. habe gewerbsmässig
gehandelt, den Schluss auf das Vorliegen eines Fortsetzungszusammenhangs;
diese Schlussfolgerung ist nach dem Gesagten unzulässig. Dass
die hier noch zur Diskussion stehenden Diebstähle auf demselben
Willensentschluss beruhten wie die im Urteil des Amtsgerichts Bern vom
29. Mai 1978 beurteilten Straftaten, wird im angefochtenen Entscheid nicht
festgestellt. Die fraglichen Diebstähle wurden innerhalb eines Zeitraums
von fast einem Jahr, in unterschiedlichen zeitlichen Abständen (1 Tag
bis 3 Monate) an den verschiedensten Orten - Biel, Muri, Nidau, Bellach,
Solothurn, Burgdorf, Biberist, Egerkingen, Oensingen - verübt. Von
einer Einheit der Taten nach Ort und Zeit kann keine Rede sein. Der
Beschwerdeführer behauptet nicht, er hätte die Diebstähle zu einem ganz
bestimmten Zweck, zur Finanzierung eines bestimmten Vorhabens etwa,
begangen, was unter Umständen ebenfalls die Annahme eines Gesamtvorsatzes
zuliesse. Dass allenfalls einzelne der hier zur Diskussion stehenden
Diebstähle zueinander in einem Fortsetzungszusammenhang stehen, ist
unerheblich; entscheidend ist, dass diese Straftaten und die im Entscheid
des Strafamtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978 beurteilten Delikte nicht von
einem Gesamtvorsatz im umschriebenen Sinne umfasst werden. Dass in allen
diesen Diebstählen die Bereitschaft des Täters, gegenüber unbestimmt vielen
zu handeln, und seine Absicht, sich ein Erwerbseinkommen zu verschaffen,
zum Ausdruck kommen, rechtfertigt die Bejahung der Gewerbsmässigkeit,
genügt aber nach dem Gesagten nicht zur Annahme eines Gesamtvorsatzes.

    Da somit zwischen den hier noch zur Diskussion stehenden Diebstählen
und den im Entscheid des Strafamtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978
beurteilten Straftaten kein Fortsetzungszusammenhang besteht, ist die
Einrede der beurteilten Sache von vornherein unbegründet. Die Frage,
ob bei Bejahung eines Fortsetzungszusammenhangs die Verurteilung von
S. wegen der nachträglich entdeckten Straftaten noch möglich wäre
(vgl. dazu die Andeutung in BGE 90 IV 130, auf die das Obergericht
sein Urteil entscheidend abstützt), braucht bei diesem Ergebnis nicht
beantwortet zu werden.

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